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Souveränität

Unter Souveränität verstehen das Staats- und das Völkerrecht die höchste selbstständige, nicht abgeleitete Staatsgewalt (suprema potestas), die sich gegen innen in der Rechtssetzung, der Verwaltungsausübung und der Justiz manifestiert. Souveränität gegen aussen konstituiert den Anspruch auf Unabhängigkeit (Recht auf unabhängige Aussenpolitik, Schutz vor Interventionen) und Gleichbehandlung unter den Gesichtspunkten des Völkerrechts. Souveränität gilt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr als absolut: Sie ist stets in ein Regelwerk von internationalen Normen und Verträgen eingebunden. Staaten sind nicht in allen Bereichen gleich souverän.

Die Souveränitätskonzeption in der frühen Neuzeit

Mittelteil der Zürcher Standestafel. Öl auf Holz von Hans Asper, 1567 (Rathaus Zürich) © Fotografie Kantonale Denkmalpflege Zürich.
Mittelteil der Zürcher Standestafel. Öl auf Holz von Hans Asper, 1567 (Rathaus Zürich) © Fotografie Kantonale Denkmalpflege Zürich. […]

Jean Bodin definiert 1576 Souveränität (lateinisch maiestas) erstmals als absolute und zeitlich unbeschränkte Macht in einem Staat («puissance absolue & perpétuelle d'une République»). Damit drückt der ältere, bisher für die oberste Rechtsinstanz («cour souveraine») gebräuchliche Terminus Souveränität neu das Gewaltmonopol und die Kompetenzkompetenz des Staats aus. Während mittelalterliche Herrschaft in der Rechtsprechung begründet lag, ist für Bodin die uneingeschränkte Gesetzgebung Kern der Souveränität, die dynamisch altes Recht aufhebt und neues schafft. Dank der Souveränität emanzipiert sich der zu Gott unmittelbare Souverän – in der frühen Neuzeit in der Regel ein Fürst – innenpolitisch-staatsrechtlich von Trägern alter Rechte und aussenpolitisch-völkerrechtlich von bisher übergeordneten Universalmächten (Kaiser, Papst).

Die um 1698 überarbeitete Standestafel von Hans Asper in einer Kopie. Öl auf Pavatex, 1939, vor der Restauration durch Jean Kern (Kunstsammlung Kanton Zürich) © Fotografie Kantonale Denkmalpflege Zürich.
Die um 1698 überarbeitete Standestafel von Hans Asper in einer Kopie. Öl auf Pavatex, 1939, vor der Restauration durch Jean Kern (Kunstsammlung Kanton Zürich) © Fotografie Kantonale Denkmalpflege Zürich. […]

Wie anderswo betrafen in der Schweiz frühneuzeitliche Konflikte zumeist die Souveränität, deren Logik der traditionell reichsrechtlichen Begründung von Herrschaft und Staatlichkeit durch kaiserliche Privilegien (Reichsprivilegien) gegenübergestellt wurde und sie schliesslich ersetzte. Souveränität war wie «Staat», Republik oder Neutralität Teil einer französischen staatsrechtlichen Terminologie, die je nach Machtstrukturen die Wahrung oder Veränderung politischer Hierarchien ermöglichte. In den französischsprachigen (Untertanen-)Gebieten der Eidgenossenschaft ist Souveränität im 16. Jahrhundert im traditionellen Sinn als letztinstanzliche Rechtsprechung und damit als Teil, aber nicht als Kern der Landesherrschaft belegt. Im frühen 17. Jahrhundert bediente sich die Stadt Genf erfolgreich und die Stadt Neuenburg erfolglos des modernen Souveränität-Konzepts, um sich von ihren fürstlichen Herren, den Savoyern bzw. den Orléans-Longueville, abzulösen. Die Walliser Zenden setzten «als souverainischer status» 1628 den Fürstbischof von Sitten als Landesherrn ab. In der deutschen Schweiz übernahm zuerst Bern die Sprache der Souveränität und beanspruchte gegenüber privilegierten Untertanen das Monopol darauf, «Gesaz und Statuta zemachen» (1644). 1682 wurde verfügt, dass die Souveränität nicht nur Schultheissen und Kleinem Rat zukomme, sondern auch dem Grossen Rat wie «einem souverainen fürsten und obersten landesherrn». In Basel (1691), Zürich (1713) und Genf (Genfer Revolutionen) wurden ähnliche Konflikte um die Frage ausgetragen, welche Teile der Bürgerschaft an der Souveränität teilhaben. In Zug und im Gotteshausbund gelang es um 1700 auch ländlichen Gemeinden, ihre «demokratische» Souveränität gegen die Hauptstadt durchzusetzen. Allerdings verblieben die katholischen Landsgemeindekantone im Allgemeinen noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts bei einer reichsrechtlichen Herrschaftslegitimation. Diese wurde durch den doppelköpfigen Reichsadler symbolisiert, wogegen die reformierten Stadtkantone ihre Souveränität zum Teil sehr bewusst repräsentierten, was zum Beispiel die Bildprogramme im Berner Rathaus von 1682 und im neuen Zürcher Rathaus von 1698 illustrieren.

Der Verzicht auf die Reichsinsignien setzte die völkerrechtliche Lösung aus dem Reichsverband voraus, die sich als längerer Prozess weitgehend im 17. Jahrhundert vollzog, für die geistlichen Territorien aber erst im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 abgeschlossen wurde. Obwohl im Unterschied zu diesen Zugewandten auch die nach 1499 der Eidgenossenschaft beigetretenen Orte im 16. Jahrhundert nicht mehr politisch am Reich (Steuern, Heerfolge, Reichstag, Kammergericht) partizipierten, war etwa die Frage der kaiserlichen Privilegienbestätigung ungeklärt. Rechtsprechung des Kammergerichts in Angelegenheiten Basels führten dazu, dass dessen Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) in den Westfälischen Friedensverhandlungen forderte, «eine Lobliche Eidgenossenschaft bey ihrem freyen, souverainen Stand» zu belassen (Westfälischer Frieden). Kaiser und Reichsstände folgten dieser neuartigen Argumentation nicht, die – von französischen Diplomaten inspiriert – die Schwächung des Reichs bezweckte, gewährten aber 1648 den 13 Orten das reichsrechtliche Privileg der Exemtion (Befreiung vom Kammergericht). Im Gefolge Frankreichs interpretierten die europäischen Mächte diese als Souveränität und behandelten die Eidgenossenschaft als Völkerrechtssubjekt. Im Frieden von Rijswijk wurde 1697 dieses Corpus helveticum als 13 Orte und deren einzeln aufgezählte Zugewandten definiert. In dieselbe Zeit fallen erste Traktate über die eidgenössische Souveränität wie zum Beispiel diejenigen von Franz Michael Büeler; die erste systematische Abhandlung des gesamteidgenössischen öffentlichen Rechts verfasste 1751 Isaak Iselin mit seiner Schrift «Specimen iuridicum inaugurale sistens tentamen iuris publici Helvetici».

Die äussere Anerkennung, selbst im Reich, zeigte sich beim deutschen Öffentlichkeitsrechtler Johann Jacob Moser, der 1731 «Die gerettete völlige Souverainete der löblichen Schweitzerischen Eydgenossenschafft» vorlegte. Gemeinhin lokalisierte man die äussere, völkerrechtliche Souveränität zumeist bei der Eidgenossenschaft (Tagsatzung), während die innere, staatsrechtliche Souveränität bei den Kantonen lag; darin zeigte sich, dass sich die monistische Lehre Bodins letztlich nicht auf die Eidgenossenschaft anwenden liess.

Die Volkssouveränität im 19. und 20. Jahrhundert

Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Kantone nicht souverän; so hatte es schon der Wiener Kongress (1814-1815) abgelehnt, mit einzelnen Kantonen zu verkehren, weil diese keine Völkerrechtsobjekte und auch nicht völkerrechtlich handlungsfähig waren. Der Artikel 3 der Bundesverfassungen (BV) von 1848, 1874 und 1999 diente der Beruhigung der föderalistischen Kräfte; die dort erwähnte Souveränität der Kantone stellt lediglich eine fiktive Traditionsbrücke dar, die an die einstige Souveränität der Kantone vor 1848 erinnert und damit den Eintritt vor allem der Sonderbundskantone in den Bundesstaat erleichterte. Völkerrechtlich ist allein der Bund souverän; die Kantone haben im Bundesstaat nur eine abgeleitete und äusserst begrenzte Vertragschlusskompetenz, um im grenznachbarlichen Bereich Verträge mit dem Ausland abzuschliessen. Die Staatsrechtslehre spricht daher seit Zaccaria Giacometti konsequent nur von der Autonomie der Kantone.

Die Aufklärung brachte einen Wandel in der inneren Souveränitätsvorstellung (ansatzweise fassbar im frühen 18. Jahrhundert im Traktat von Chrysostomos Stadler). Diese ging von den Monarchen und Aristokratien auf den Gesamtstaat und das Volk über. Insbesondere Jean-Jacques Rousseau hatte dem Volk allein Souveränität zugesprochen. In der radikalen Phase der Französischen Revolution übersetzte die Verfassung die Souveränität direkt: Frankreich wurde eine Republik und zum Beispiel die Montagnard-Verfassung von 1793 sah das Volk als den Erben der einstigen königlichen (Teil-)Souveränität der konstitutionellen Verfassung von 1791. Es wählte neu alle Behörden selbst oder indirekt. Das königliche Veto gegen Gesetze wurde auf das Volk übertragen, indem die Verfassung das Referendum gegen Gesetze vorsah. Die Wahlrechte und die direktdemokratischen Rechte der Montagnard-Verfassung und weiterer Entwürfe waren für die Schweiz von grosser Bedeutung, weil sie in der schweizerischen Regeneration ab 1830 rezipiert werden sollten (Verfassung).

Die Helvetische Verfassung beraubte die Kantone weitgehend ihrer früheren Souveränität und übertrug diese dem Helvetischen Einheitsstaat. Sie sah zwar weniger direkte Demokratie als ihre französischen Vorbilder vor, aber als Grundsatz blieb die Volkssouveränität in Form der demokratischen Parlamentswahl erhalten. Auch die verschiedenen nachfolgenden Verfassungsprojekte der Helvetik gingen von der Volkssouveränität aus. Die von Napoleon gegebene Mediationsverfassung von 1803 sprach die Volkssouveränität nicht mehr aus, immerhin aber waren die neuen Kantone Tessin, Aargau, Waadt, Thurgau und St. Gallen demokratisch organisiert, auch wenn das Zensusprinzip die Demokratie relativierte. Die Idee der Volkssouveränität vertrug sich überdies zwanglos mit der hergebrachten Landsgemeindeorganisation, die nur einem Teil der Bürger das volle Stimmrecht zugestand. In den alten Orten lehnten sich die Kantonsverfassungen der Restauration teilweise wieder an die konstitutionellen Traditionen des Ancien Régime an und schränkten die Volkssouveränität ein.

In der Regeneration spielte der Kanton Tessin eine Vorreiterrolle; die Verfassung vom 23. Juni 1830, die vor der Julirevolution in Paris erlassen wurde, sah weiterhin die Volkssouveränität vor. Die Ideen der Französischen Revolution setzten sich jetzt durch; die Volkssouveränität wurde nicht nur in den Verfassungen der eigentlichen Regenerationskantone verankert, sondern auch in konservativen Kantonen wie in Luzern und im Wallis anerkannt; nur einzelne Reaktionäre wie etwa Johann Caspar Bluntschli oder Karl Ludwig von Haller hielten an ihrer Kritik fest. Die so ab den 1830er Jahren allgemein gewordene Volkssouveränität bedurfte aber noch der Übersetzung in die politische Praxis. Dabei spielten die französische Montagnard-Verfassung und der Gironde-Verfassungsentwurf vom 15. und 16. Februar 1793 als Ideenlieferanten eine wichtige Rolle. Auf diese Weise kam es in den Kantonen – zuerst in St. Gallen mit dem Veto – zur Ausbildung direktdemokratischer Rechte, welche diese Volkssouveränität für die einzelnen Bürger erlebbar machten. Im 19. Jahrhundert fand eine Demokratisierung der öffentlichen Angelegenheiten statt (Demokratische Bewegung), die sich auch auf den Bund übertrug, indem etwa 1874 das Gesetzesreferendum (Referendum) und 1891 die Verfassungsinitiative (Initiative) eingeführt wurden. Allerdings war das Prinzip der Volkssouveränität schon 1848 so breit akzeptiert, dass keine der Bundesverfassungen den Grundsatz je ausdrücklich aussprach.

Im 20. Jahrhundert setzte sich die Demokratisierung fort und das Referendumsrecht wurde auf weitere Akte ausgedehnt, so zum Beispiel auf Staatsverträge oder Staatsausgaben. Auch die Wahlrechte (Stimm- und Wahlrecht) wurden stets erweitert und auf Regierungs- und wichtige Verwaltungsstellen erstreckt. Auf diese Weise hatte sich die Idee der Volkssouveränität in ihrer Ausprägung der direkten Demokratie als eine schweizerische Spezialität herausgebildet, die heute das politische Selbstverständnis des Landes mitbestimmt.

Der Aufschwung des Völkerrechts und die Internationalisierung führten dazu, dass sich Staaten vermehrt über internationale Verträge verständigen. Darüber hinaus besteht eine Reihe von internationalen Organisationen, welche sich der gemeinsamen Aufgabenerfüllung widmen. In verschiedenen Kontinenten begannen zudem Prozesse der wirtschaftlichen und – daran anschliessend – der politischen Integration von Staaten, so zum Beispiel derjenige der europäischen Integration, der mit der Europäischen Union bedeutende Erfolge vorzuweisen hat. In all diesen Fällen vermehrter internationaler Zusammenarbeit verzichteten die Staaten mit ihrer eigenen Zustimmung auf Souveränitätsrechte und übertrugen diese auf Internationale Organisationen oder supranationale Gemeinschaften. Die damit verbundene Schmälerung der staatlichen Souveränität ist die unvermeidliche Kehrseite der Internationalisierung.

Quellen und Literatur

  • J.C. Bluntschli, Allg. Statslehre, 51875, 561-636
  • A. Kölz, Neuere schweiz. Verfassungsgesch., 2 Bde., 1992-2004
  • M. Jorio, «Der Nexus Imperii», in 1648, die Schweiz und Europa, 1999, hg. von M. Jorio, 133-146
  • L. Goetschel et al., Schweiz. Aussenpolitik, 2002
  • T. Maissen, Die Geburt der Republic, 2006 (22008)
  • B. Marquardt, Die alte Eidgenossenschaft und das Hl. Röm. Reich (1350-1798), 2007
  • U. Häfelin et al., Schweiz. Bundesstaatsrecht, 72008
Weblinks

Zitiervorschlag

Thomas Maissen; Andreas Kley: "Souveränität", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/026456/2013-01-08/, konsultiert am 19.03.2024.