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Talschaft

Als Talschaften werden ländliche Verbände in Gebirgsgegenden mit kommunal ausgeprägter Verfassung bezeichnet. In der Schweiz sind sie als politisch-soziale Einheit ab dem 12. Jahrhundert im Alpen- und Voralpenraum fassbar. Gleiche Körperschaften finden sich auch in den Pyrenäen, im gesamten Alpenraum von Frankreich bis in die Steiermark, im Schwarzwald und in den Vogesen. In den Quellen werden die Begriffe tal (vallis) und lant synonym verwendet. Die Ursprünge der Talschaften sind unterschiedlich. Viele entstanden aufgrund herrschaftlicher Verwaltungsstrukturen, zum Beispiel die Zenden im Wallis, aber auch die Herrschaften Frutigen, Plaffeien und Entlebuch oder das Toggenburg. «Tal» wird hier nicht selten als Korrelat zu «Burg» («Burg und Tal») genannt. Bisweilen ist ein gemeinsames materielles Substrat, etwa die Mutterkirche oder die Allmend, der Ursprung einer Talschaft, wie dies in Engelberg, im Haslital, vielleicht auch in Uri gewesen sein dürfte. Das den Walsern gewährte Recht zur Kolonisierung liess ebenfalls Talschaften entstehen, zum Beispiel in Ursern oder Rheinwald. Eingriffe des deutschen Kaisers, meist im Zusammenhang mit der Passpolitik, konnten eine Talschaft begründen oder fördern, wie dies im Bergell, im Bleniotal, in der Leventina und in Uri der Fall gewesen war.

Die Talschaften entwickelten kommunale Verfassungsstrukturen (universitas vallis) mit Talgemeinde-Versammlungen und Vorgesetzten für das Verwaltungs- und Gerichtswesen. Sie verfügten über wesentliche Hoheitsrechte, die in Statuten und in Talbüchern festgeschrieben wurden. Einige konnten die Reichsfreiheit erlangen und behaupten. Aus ihnen entstanden die eidgenössischen Länderorte (z.B. Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus), die sich in einem Talschaftsbund zusammenschlossen. Für die Entstehung der Innerschweizer Länderorte übten die italienischen Talschaften, die bereits früher eine kommunale Verfassung ausgebildet hatten, eine Vorbildfunktion aus. Wenn es aufgrund nicht ausreichender Grösse bzw. militärischer und politischer Kraft misslang, die Reichsfreiheit zu erhalten, verblieben die Talschaften bei ihren feudalen Herrschaften. Während der Territorialisierung im Spätmittelalter gelangten deren Rechte grösstenteils an die eidgenössischen Städte und Länder. Diese Talschaften wurden Untertanengebiete, stellten aber weiterhin besondere Verwaltungseinheiten dar und konnten einen Teil ihrer alten Rechte und Gewohnheiten beibehalten. Sie bildeten zum Teil eigene Landvogteien (Leventina, Saanen, Entlebuch) oder verburgrechtete oder verlandrechtete Täler (Burgrecht) wie das Urserntal, das 1410 mit Uri in ein Landrecht trat. In Graubünden und Wallis entstanden aus den verschiedenen Talschaften und Gemeinden grosse Gemeindebünde, welche sich der Eidgenossenschaft als zugewandte Orte anschlossen. In den modernen Kantonen leben die Talschaftsstrukturen weiter, unter anderem als Amtsbezirke, Gerichtskreise und Korporationen.

Quellen und Literatur

  • K.S. Bader, Stud. zur Rechtsgesch. des ma. Dorfes 2, 1962, 250-265
  • Peyer, Verfassung, 44-55
  • K. Ruser, «Die Talgem. des Valcamonica, des Frignano, der Leventina und des Blenio und die Entstehung der Schweiz. Eidgenossenschaft», in Kommunale Bündnisse Oberitaliens und Oberdeutschlands im Vergleich, hg. von H. Maurer, 1987, 117-151
  • P. Blickle, «Friede und Verfassung», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 1, 1990, 15-202
  • G. Vismara et al., Ticino medievale, 1990, 150-163
  • P. Bierbrauer, Freiheit und Gem. im Berner Oberland, 1991
  • M. Fransioli, «L'organizzazione degli enti vicinali nella Valle Leventina prima del 1800», in Atlante dell'edilizia rurale in Ticino: Valle Leventina, hg. von G. Buzzi, 1995, 419-430
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans Stadler: "Talschaft", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/026442/2013-12-03/, konsultiert am 19.03.2024.