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Adoption

Die Adoption, d.h. die Kindesannahme oder Annahme an Kindes statt, ist ein Rechtsinstitut, das in vielen Rechtskulturen stets das Gleiche bezweckt hat, aber immer wieder anders motiviert worden ist. Es geht um die Herstellung eines Eltern-Kindverhältnisses durch rechtliche Konstruktion (Familienrecht). Der seiner Vergänglichkeit bewusste Mensch, dem – meist auf Grund biologischer Gegebenheiten – Kinder und Erben versagt sind, möchte dank der Adoption in Nachkommen weiterleben. Er wünscht sich "Pfleger" für den Totenkult, will den Fortbestand seines Namens, die Repräsentanz von Familie und Vermögen wahren. Der oder die Adoptierte(n) gelangen auf künstlichem Weg in die Stellung eines Nachkommen in einer anderen Familie, in ein für sie in aller Regel als vorteilhafter betrachtetes soziales Umfeld, in dem sie aber auch bestimmte soziale und rechtliche Funktionen wahrzunehmen haben (Kindesrecht). Es ist die "normative" der "naturalistischen" gegenüberzustellende Betrachtungsweise, welche solche Einrichtungen ermöglicht: Man wird "Kind des Vaters" nicht einfach durch den biologischen Akt der Geburt, sondern durch rituelle Aufnahme in dessen Verband. So kann auch "eingesippt" bzw. "ausgesippt" werden. Neben der Adoption bestehen viele vergleichbare Aufnahmeformen in familiäre Gemeinschaften.

Das germanische Recht kennt ebenfalls Formen, welche in diese Richtung deuten, selbst wenn sich die These einer "gemeingermanischen Adoption" (Wahlkindschaft) nicht belegen lässt. In der schweizerischen Rechtstradition fand die Adoption im eigentlichen Sinne (mit personen-, familien- und erbrechtlichen Wirkungen) erst Eingang durch die Rezeption des römischen Rechts, zur Hauptsache erst in den kantonalen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts. Zwar ist die Adoption in der früheren juristischen Literatur etwa behandelt, so im ersten Band des "Eidgenössischen Stadt- und Landrechts" von Johann Jacob Leu (1727), der aber abschliessend feststellt, dass davon in der Eidgenossenschaft nichts bekannt sei. Auch der Berner Rechtsprofessor Sigmund Ludwig Lerber spricht in seinen Vorlesungen über die Adoption und kommt zur Feststellung, dass sie in der Eidgenossenschaft ganz unbekannt sei und weder auf Gesetz noch Gewohnheit gründe. Wenn der Begriff im Ancien Régime doch vereinzelt aufscheint, so handelt es sich nicht um Adoption im eigentlichen Sinne, sondern eher um Einkindschaft (vermögens- und familienrechtliche Gleichstellung von Kindern aus verschiedenen Ehen), eine Legitimationsform oder eine spezielle erbrechtliche Regelung.

Adoptionen 1974-1998

JahrAdoptionena
1974-783 467
1979-831 666
1984-881 412
1989-931 251
1994-981 078

a Fünfjahresschnitt. Der starke Rückgang an Adoptionen ist auf die sinkende Zahl der zur Adoption freigegebenen Kinder zurückzuführen. Bei gleichbleibend hoher Nachfrage wichen adoptionswillige Paare vermehrt auf Kinder aussereurop. Herkunft aus. Deren Anteil an der Gesamtzahl der Adoptionen betrug 1974 7,8% und 1998 49,7%.

Adoptionen 1974-1998 -  Statistisches Jahrbuch der Schweiz

Das 19. Jahrhundert brachte die Einführung der Adoption in den Kantonen Zürich, Bern (Jura), Solothurn, Basel-Landschaft, St. Gallen, Thurgau, Tessin, Neuenburg und Genf. Die Wirkung bestand in allen Regelungen in der Schaffung eines Eltern-Kindverhältnisses, wobei aber eine weitere Verbindung zur Familie der Adoptierenden nicht hergestellt und auch die Rechtsbeziehungen zur angestammten Verwandtschaft des Adoptierten keineswegs völlig gelöst wurden. In den Einzelheiten der Voraussetzungen (v.a Adoptionsalter) sowie im Verfahren sind merkliche Unterschiede festzustellen. So erscheint die zurückhaltend-behutsame Ausgestaltung im Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1907 verständlich. Wie in den kantonalen Kodifikationen handelte es sich um die Form einer adoptio minus plena, die schon im römischen Recht vorgebildet war. Das Rechtsinstitut bürgerte sich im Verlauf zweier Generationen so gut ein, dass seine weitere Ausgestaltung nach dem Leitbild einer "Erziehungs- bzw. Fürsorgeadoption" unter starker Berücksichtigung internationaler Rechtsentwicklungen durch die Novelle von 1972 (in Kraft seit 1. April 1973) problemlos die Hürden demokratischer Rechtssetzung nahm. Die neue Regelung (Artikel 264-269 ZGB) ordnet vor allem die Unmündigenadoption, ohne die Erwachsenenadoption auszuschliessen. Einzeladoption ist zugelassen, doch soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Adoption durch Elternpaare die Regel bilden. Im Gegensatz zum alten Recht ist Kinderlosigkeit der Adoptierenden keine Voraussetzung. Vor allem aber ist die Ausgestaltung die einer adoptio plena: Das Adoptivkind erhält die Rechtsstellung eines Kindes des oder der Adoptierenden, und das bisherige Kindesverhältnis erlischt in aller Regel.

Unter sozialgeschichtlichen Aspekten, zum Beispiel in der historischen Familienforschung oder der Geschlechtergeschichte, wurde die Geschichte der Adoption in der Schweiz bisher noch kaum behandelt.

Quellen und Literatur

  • E. Huber, System und Gesch. des Schweiz. Privatrechts, 4 Bde., 1886-1893
  • HRG 1, 56-58
  • T. Bühler, «Die Annahme an Kindes Statt in der schriftlosen Gesellschaft des antiken Roms und des MA», in Fs. für C. Soliva zum 65. Geburtstag, 1994, 21-30
  • C. Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 41994
  • M.-B. Schoenenberger, Histoire du droit de l'adoption de la fin de l'Ancien régime au Code civil suisse, 1995
Weblinks

Zitiervorschlag

Claudio Soliva: "Adoption", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.06.2001. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/025619/2001-06-05/, konsultiert am 28.03.2024.