de fr it

Politologie

Politologie wurde schon in der Antike innerhalb der praktischen Philosophie betrieben. Artistoteles bezeichnete sie gar als Königswissenschaft. Als eigenständiges, universitäres Fach, das mit sozialwissenschaftlichen Methoden Institutionen, Inhalte und Prozesse der Politik analysiert, entwickelte sich die Politologie aber erst im 20. Jahrhundert.

Die Geschichte der Politologie in der Schweiz begann in der Westschweiz: An der Universität Lausanne kam es 1902 zur Gründung der Ecole des sciences sociales et politiques und in Genf öffnete 1927 das Institut de hautes études internationales seine Pforten. Ab den 1960er Jahren wurde an der Universität Genf das Département de science politique mit starker Ausrichtung auf neue Entwicklungen der Disziplin und eigenem Lehrbetrieb aufgebaut. Lausanne folgte dieser Entwicklung, und auch die Universität von Freiburg und Neuenburg richteten entsprechende Professuren ein. In der Deutschschweiz gelang der Durchbruch später. Mit politologischen Fragen beschäftigten sich vor allem Staatsrechtler und Historiker. 1960 wurde in Bern, 1971 in Zürich und 1972 in St. Gallen eine politikwissenschaftliche Professur errichtet, doch erst in den 1990er Jahren stieg die Politologie in Bern und Zürich zum eigenständigen Lehrfach auf. Starken Auftrieb hatte die politikwissenschaftliche Forschung ab den 1980er Jahren nicht zuletzt durch Förderprogramme des Schweizerischen Nationalfonds erhalten. Im Tessin besteht seit 1998 das staatliche Osservatorio della vita politica, das seit 2006 mit den Universitäten Lausanne und Genf zusammenarbeitet.

Die unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen prägen bis heute die Lehr- und Forschungsschwerpunkte an den Universitäten: Während sich Genf und Zürich (Universität und ETH) auf die internationalen Beziehungen und Sicherheitspolitik konzentrieren, bilden die schweizerische Innenpolitik, ihre Institutionen und Prozesse in Lausanne (Universität und seit 1982 Institut de hautes études en administration publique), Bern und Zürich Schwerpunkte. Bern und Basel (seit 1993 Europainstitut) bieten zudem vergleichende sowie europäische Politik an. Der Praxisbezug bzw. Nutzen der Politologie für Gesellschaft und Staat spielten für die Entwicklung und Akzeptanz der Disziplin eine wichtige Rolle. In den 1970er und 1980er Jahren interessierte die Planungs- und Verwaltungsforschung, ebenfalls in den 1980er Jahren die Abstimmungsanalysen und Politikevaluation. In den 1990er Jahren gewann die sicherheitspolitische Forschung an Bedeutung.

1959 schlossen sich die Institute zur Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft zusammen, welche die Disziplin mittels internationalen Kontakten, Kongressen, Arbeitsgruppen, Publikationen von Handbüchern und der «Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft» (seit 1995) förderte. Sie trug damit zur Ausdifferenzierung der Forschung bei und hob das internationale Ansehen der schweizerischen Politologie. Deren Beitrag fusst stark auf dem schweizerischen Politiksystem: Konkordanz, Föderalismus und direkte Demokratie stehen im Zentrum der Forschung. Eine Öffnung erfuhr die Politologie durch den wachsenden Stellenwert der internationalen und vergleichenden Forschung, die auch durch ausländische Politologen auf schweizerischen Professuren Impulse erhielt.

Wegen der Kleinräumigkeit der Schweiz beeinflusst die Politologie mehr als anderswo die Vorgänge in der Politik und wird für ihre Darstellung der politischen Vorgänge anerkannt. Zu den festen, in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Beiträgen zählen die seit 1965 erscheinende Jahreschronik «Schweizerische Politik», die Analysen der eidgenössischen Abstimmungen, sogenannte Vox-Analysen (seit 1977), und die Selects-Wahlstudien (seit 1995). Politologen gehören zum Kreis der regelmässigen externen Gutachter und werden in Expertenkommissionen des Bunds und der Kantone berufen. Absolventen der Politologie finden in der Verwaltung, den Medien, Verbänden, politischen Organisationen und Dienstleistungsunternehmungen ihr Tätigkeitsfeld.

Quellen und Literatur

  • W. Linder, «Schweiz. Politikwiss.», in Schweiz. Zs.f. Politikwiss. 2, 1996, Nr. 2, 1-98
  • P. Gottraux et al., La science politique suisse à l'épreuve de son histoire, 2001
  • K. Armingeon, «Politikwissenschaftl. Lehre und Forschung in der Schweiz», in Bull. der Vereinigung Schweiz. Hochschuldozenten 29, 2003, Nr. 4, 7-10
Weblinks

Zitiervorschlag

Wolf Linder: "Politologie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.08.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024479/2009-08-06/, konsultiert am 16.04.2024.