de fr it

Arbedo-Castione

Politische Gemeinde des Kantons Tessin, Bezirk Bellinzona, bestehend aus den beiden Hauptsiedlungen Arbedo und Castione auf dem linken bzw. rechten Ufer der Moesa nahe bei deren Zusammenfluss mit dem Tessin. 1195 Erbedum, 1237 Castillionum. Die im Masseinheiten-Verzeichnis der Stadt Como von 1335 erwähnte comune de Pitadino könnte eine alte Bezeichnung für Castione sein, das ehemals zur Dorfgenossenschaft von Lumino gehörte und erst 1820 Arbedo angegliedert wurde. Arbedo-Castione ist der wichtigste Verkehrsknotenpunkt des Sopraceneri mit Verbindungen ins Rhone-, Reuss- und Rheintal (Rhone, Reuss, Rhein) sowie in die Poebene. 1801 420 Einwohner (36 in Castione); 1836 565; 1850 801; 1900 1042; 1950 1335; 2000 3729; 2010 4187; 2020 4951.

Arbedo-Castione: Situationskarte 2022 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2022 HLS.
Arbedo-Castione: Situationskarte 2022 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2022 HLS.

Vorgeschichte und römische Zeit

Der frühbronzezeitliche Depotfund von Castione (ca. 1800 v.Chr.) enthält Material nordalpiner Provenienz, was die verkehrstechnische Bedeutung des Ortes ein erstes Mal deutlich macht. Eine spätbronzezeitliche Besiedlung (ca. 1300 v.Chr.) wird durch umgelagertes Material, wohl gestörte Brandgräber, angezeigt. Die Hauptmasse der Funde lieferten die fünf Gräbergruppen von Castione, Castione-Bergamo, Cerinasca d'Arbedo, Molinazzo d'Arbedo und San Paolo d'Arbedo, welche in die Hallstatt- und Latènezeit datieren. Sie wurden am Ende des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Bau der Gotthardbahn entdeckt, aber wohl nur teilweise ausgegraben. Der Grossteil der Funde liegt im Schweizerischen Landesmuseum. Aus dem 6. Jahrhundert sind sowohl Brand- als auch Körpergräber belegt, später nur noch Körpergräber. Die Brandgräber lagen in Steinkisten oder in Gruben, die Körpergräber waren steinumstellt, darüber lagen Deckplatten aus Gneis. Die Toten wurden mit ihrer Tracht bestattet (Fibel, Gürtel, Schmuck). In der Latènezeit wurden den Männern vereinzelt Schwerter und Helme beigegeben. Die Frauengräber fallen durch die reiche Beigabe von Bernstein (Ohrringe, Ketten) auf. Mit ins Grab kamen auch Gefässe, meist aus Ton (Töpfe, Schalen, Becher, Kannen), vereinzelt aus Bronze (Situlen, Schnabelkannen). Dabei handelt es sich zum Teil um Importe aus Etrurien (8 Schnabelkannen, 1 Eimer), grösstenteils sind sie aber in der Umgebung hergestellt worden. In die Zeit um 450 v.Chr. gehört der Bronzedepotfund von Arbedo. Neben der grossen Fundmasse (4000 Stücke), Rohgüssen und Werkstattabfällen sind zahlreiche etruskische und nordalpine Objekte von Bedeutung. Konkrete Siedlungsspuren stehen noch aus, doch belegen die Gräbergruppen eine dichte Besiedlung des Talbodens von Arbedo-Castione seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. Zusammen mit den Gräbergruppen der Umgebung markieren sie neben Como und Castelletto Ticino-Golasecca den dritten Siedlungsschwerpunkt der Golaseccakultur. Entscheidend für die Bedeutung Arbedo-Castiones war die Verkehrslage an wichtigen Handelsrouten. Importe, vor allem aus Etrurien, aber auch von nördlich der Alpen, belegen dies. Der Depotfund von Arbedo-Castione zeigt, dass hier ebenfalls Werkstätten zur Versorgung der Bevölkerung standen. Von besonderer Bedeutung ist das Weiterlaufen der Gräbergruppen über die gallische Invasion der Poebene (um 390 v.Chr.) hinaus. Von Castione und San Paolo d'Arbedo stammen römische Einzelfunde.

Frühmittelalter bis heute

Von San Paolo ist ein Grab, von Castione sind sechs Gräber des 7. Jahrhunderts n.Chr. bekannt, eines davon mit einer Goldmünze des Langobardenkönigs Agilulf. Sie umgaben das ursprüngliche Kirchlein San Paolo und weisen auf die Anwesenheit von langobardischen Familien hin, die vielleicht den Bau einer ersten Familienkapelle veranlassten. Das Gebäude liegt nahe beim Castrum von Bellinzona, wo sich die Langobarden 590 niedergelassen hatten. Es entstand unmittelbar neben der alten Hauptverbindungsstrasse, die von Castelseprio bei Varese über den Monte Ceneri zum Lukmanierpass führte. Arbedo besass daher während des ganzen Mittelalters und darüber hinaus eine nicht zu übersehende Bedeutung als Durchgangsort an einer Achse, die in die Täler der wichtigsten Zentralalpenpässe führte. Die durch die Flüsse Moesa und Tessin vorgegebenen natürlichen Grenzen verstärkten die strategische Position der Gemeinde als nördliche Zugangspforte zum Gebiet von Bellinzona, was Arbedo und Umgebung des öftern zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen werden liess. Abgesehen von der berühmten Schlacht bei Arbedo 1422 fand in Castione 1449 ein Gefecht statt, in dessen Verlauf der Condottiere Giovanni della Noce den Ort niederbrannte und so die Urner und ihre Verbündeten zur Flucht ins Misox zwang. Bei der Brücke über die Moesa müssen zwei heute verschwundene Kirchen gestanden haben, die wahrscheinlich den Hochwassern des Flusses zum Opfer fielen: San Cristoforo (1284) und Sant'Elena (1441). Im Kern von Arbedo entstand die Kirche Santa Maria, die 1583 Pfarrkirche wurde.

Den Durchgangsverkehr von Personen und Gütern ermöglichte eine pfeilergestützte Holzbrücke über die Moesa. Ihr Unterhalt oblag dem Flecken Arbedo und den andern Gemeinden der Grafschaft Bellinzona. Die Brücke hatte eine strategische Funktion: 1495 wurde sie aus Furcht vor den Eidgenossen, die damals in Richtung Lombardei auszogen, zerstört. Ebenfalls wichtig für den Durchgangsverkehr war die Steinbrücke über den Wildbach Traversagna (1485). Im südlichen Vorgelände – der Name des Weilers Molinazzo erinnert noch daran – standen verschiedene von Kanälen gespeiste Mühlen und Sägereien, die der ganzen Region dienten. Heute ist Arbedo-Castione Wohnvorort von Bellinzona und Zentrum kleiner und mittlerer Industrie- und Dienstleistungsbetriebe (Steinbrüche, Kies- und Sandabbau, Lager). Das Valle di Arbedo weist noch heute ausgedehnte Waldbestände auf, die 1928 durch den Bergsturz am Monte Arbino zum Teil beschädigt wurden.

Quellen und Literatur

Vorgeschichte
  • R. Ulrich, Die Gräberfelder in der Umgebung von Bellinzona, 2 Bde., 1914
  • A. Crivelli, Atlante preistorico e storico della Svizzera Italiana, 1943 (aktualisierter Neudr. 1990)
  • A. Crivelli, «Ripostiglio Arbedo», in Rivista studi Liguri 12, 1946, 57-79
  • M. Primas, «Zum eisenzeitl. Depotfund von Arbedo», in Germania 50, 1972, 76-93
  • M. Primas, «Der frühbronzezeitl. Depotfund von Arbedo», in Fs. B. Hänsel, 1997
  • M.P. Schindler, Der Depotfund von Arbedo TI und die Bronzedepotfunde des Alpenraums vom 6. bis zum Beginn des 4. Jh. v.Chr., 1998
  • C. Mangani, L. Minarini, «La necropoli di Cerinasca d'Arbedo», in AS 21, 1998, 77-79
Gemeinde
  • Gilardoni, Inventario, 165-178
  • G. Chiesi, Bellinzona ducale, 1988, 217-223
  • Il Medioevo nelle carte, hg. von G. Chiesi, 1991, 222-224
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Martin Peter Schindler ; Martin Peter Schindler; Giuseppe Chiesi: "Arbedo-Castione", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.12.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002030/2023-12-04/, konsultiert am 29.03.2024.