Frauenfeld

Politische Gemeinde des Kantons Thurgau, Kantonshauptort und Hauptort des Bezirks Frauenfeld, beidseits einer Doppelschleife der Murg an der Verkehrsachse von Zürich nach Konstanz gelegen. Die Gemeinde umfasst die Altstadt Frauenfeld, die Ergaten-Vorstadt im Westen, die Obere Vorstadt im Osten, seit 1919 die ehemaligen Ortsgemeinden Langdorf, Kurzdorf, Huben, Herten und Horgenbach, die Siedlung Murkart sowie seit 1998 Gerlikon und die von Oberwil abgetrennten Ortsteile Zelgli und Schönenhof. 1246 Vrowinvelt.

Frauenfeld: Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.
Frauenfeld: Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Frauenfeld

Jahrim Mittelalter1443
Einwohner 80-120 Hofstätten113 steuerpflichtige Haushalte
   
Jahr18501870a18881900191019301950197019902000
Einwohner3 4445 1225 9967 7618 4598 79511 11417 57620 20421 954
Sprache          
Deutsch  5 9377 4708 0458 52310 53514 29116 37718 295
Italienisch  322103271824052 4821 5201 036
Andere  278187901748032 3072 623
Religion, Konfession          
Protestantisch2 8454 0304 4425 5635 9796 2647 5479 6899 9159 729
Katholischb5991 0791 5192 1882 3792 4753 4727 5588 3928 239
Andere 29351010156953291 8973 986
davon jüdischen Glaubens  56711121326118
davon islamischen Glaubens       815141 043
davon ohne Zugehörigkeitc       748021 585
Nationalität          
Schweizer3 2844 7815 3956 5567 1287 94110 37813 76515 64416 616
Ausländer1603576011 2051 3318547363 8114 5605 338

a Einwohner: Wohnbevölkerung; Religion, Nationalität: ortsanwesende Bevölkerung

b 1888-1930 einschliesslich der Christkatholiken; ab 1950 römisch-katholisch

c zu keiner Konfession oder religiösen Gruppe gehörig

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Frauenfeld -  Autoren; eidgenössische Volkszählungen

Von der Frühgeschichte bis zum Ende des Ancien Régime

Als älteste Siedlungszeugnisse stammen aus der Latènezeit die Gräber östlich von Langdorf. Die Römerstrasse von Oberwinterthur nach Pfyn verlief im Gebiet der Allmend, zwei römische Villen standen in Thalbach und Oberkirch. Die Villa in Oberkirch scheint zum Kristallisationspunkt der späteren Besiedlung geworden zu sein. Auf ihren Überresten wurde ein frühmittelalterlicher Friedhof angelegt und vermutlich spätestens im 9. Jahrhundert die Kirche Oberkirch errichtet. Vielleicht infolge einer königlichen Schenkung des 9. Jahrhunderts, sicher aber im 13. Jahrhundert gehörte die Umgebung des späteren Frauenfeld als Teil des Dinghofs Erchingen (Langdorf und Kurzdorf) zur umfangreichen Grundherrschaft des Klosters Reichenau zwischen Eschikofen und Gachnang. Mit dem Haupthof, über zwölf Hufen, mindestens einer Mühle und wohl auch der Kirche in Oberkirch bildete Erchingen einen auch im 13. Jahrhundert noch vergleichsweise geschlossenen Meierhofkomplex. Dieser wurde von den 1270er Jahren an von den Habsburgern bevogtet.

Im Gebiet des Dinghofs fand ab dem späten 12. Jahrhundert eine Herrschaftsverdichtung statt: In Kurzdorf entstand eine Oberkirch unterstellte Kirche. Spätestens gegen Ende der 1220er Jahre begann im Gebiet der späteren Stadt Frauenfeld der Bau des noch erhaltenen Schlossturms, der wahrscheinlich mit der Schlossmühle und einer Burgkapelle einen weiteren Herrschaftskern bildete. Auf Grund und Boden der Abtei Reichenau in unmittelbarer Nähe zur Burg entwickelte sich vermutlich ab dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts allmählich die Siedlung Frauenfeld. Erschlossen wurde das spätere Stadtgebiet zur Hauptsache von Reichenauer Hörigen und einigen nach Reichenau und zunehmend auch nach den Häusern Kyburg bzw. Habsburg orientierten ritterlichen Adelsfamilien. 1246 bezeichnete sich ein Ritter mit Beziehungen zum Kyburger Umfeld erstmals nach Frauenfeld. In den nächsten drei Jahrzehnten sind mehrere Ritter aus kyburgischer Gefolgschaft belegt, die sich von Frauenfeld nannten. Unklar ist, ob es sich jeweils um die Bewohner der Burg Frauenfeld, um adlige Besitzer von Häusern in der Siedlung Frauenfeld oder um die Verwalter der Vogtei Frauenfeld handelte.

1286 ist Frauenfeld erstmals als Stadt bezeugt, die spätestens zu diesem Zeitpunkt in die habsburgische Landesherrschaft integriert war. Der Turm befand sich danach für längere Zeit in den Händen der Ritter von Frauenfeld-Wiesendangen. Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe der Stadtwerdung vor 1286 sind unklar: Beziehungen der frühen Vögte von Frauenfeld zu Kyburg bzw. Habsburg sind nicht nachgewiesen. Ebenso wenig sind Kyburger Herrschaftsrechte über Frauenfeld bezeugt. Es ist deshalb unsicher, ob die Stadt wirklich von den Kyburgern unter stillschweigender Zustimmung Reichenaus gegründet worden ist, wie dies die ältere Literatur vermutet. Es ist ebenso gut denkbar, dass die Burg und vielleicht eine kleinere Vorburgsiedlung (Vorstädte) von dritter Seite (möglicherweise auf einer älteren Herrschaftsanlage) erbaut wurden, etwa von Adligen aus dem Umfeld der Grafen von Toggenburg, den Herren von Murkart oder von Hagenbuch. Als diese in den 1220er Jahren ihren Einfluss im unteren Murgtal verloren, gelang es den Kyburgern und später den Habsburgern allmählich, die Kontrolle über die Vogteirechte des Klosters Reichenau und die Bewohner der Burg zu erlangen. Die Förderung der Stadtwerdung Frauenfelds ab den 1250er Jahren diente in diesem Zusammenhang der herrschaftlichen Verdichtung und der adligen Gefolgschaftsbildung. Die Stadt war im 14. Jahrhundert in das habsburgische Amt Kyburg integriert, von wo aus das Amt Frauenfeld verwaltet wurde. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts übernahm die Burg Frauenfeld vorübergehend die Funktionen einer landesherrlichen Zentralburg, als die Kyburg verpfändet war, die Habsburger ihre Position im Thurgau zu konsolidieren versuchten und die Burg Frauenfeld an eines der bedeutendsten Geschlechter des habsburgischen Landadels im Thurgau, die Herren von Landenberg, überging (bis 1534). Nachdem Frauenfeld 1415-1442 unter der Schirmherrschaft eines Reichslandvogts gestanden hatte, fiel die Stadt vorübergehend nochmals an Habsburg-Österreich und 1460 definitiv an die sieben eidgenössischen Orte. Unter diesen entwickelte sie sich in Anlehnung an die österreichischen Verhältnisse und vielleicht auch aufgrund gewisser Eigenheiten des thurgauischen Militäraufgebots allmählich zum Zentrum, von welchem aus die Eidgenossen den Thurgau als gemeine Herrschaft verwalteten. Bis 1500/1515 und wieder ab 1712 war sie Tagsatzungs-, ab 1499 Landgerichtsort. Von 1504 an residierte der thurgauische Landvogt in Frauenfeld (ab 1532 auf dem Schloss). Er hatte Frauenfeld zu beschirmen, das im Übrigen den sieben eidgenössischen Orten direkt unterstellt war.

Im Rahmen dieses herrschaftlichen Wandels hatte sich die einstige Burgvorstadt bereits im 13. Jahrhundert zur vorerst nur schwach befestigten Landstadt entwickelt. Durch Mauer und Graben von der Burg getrennt, gruppierten sich die Holzhäuser um die zwei Längs- und drei Quergassen. Ein dominierender Platz fehlte. Nach aussen prägten neben der Burg das Niedertor und der Strasshof die Südwestecke, Kirche und Oberturm die Nordwestecke, der sogenannte Gachnanger Stock die Nordost- und der Spiegelhof mit dem Holdertor die Südostecke. Im 15. Jahrhundert dürfte die Stadt allmählich befestigt worden sein, wobei aber noch 1460 die Häuserreihen der äussersten Zeilen nicht geschlossen waren (Stadtbefestigungen). Im 16. Jahrhundert wurden dann die meisten Häuser der Stadt aus Stein gebaut. Die beiden Stadtbrände von 1771 und 1788 zerstörten fast alle Häuser, sodass das heutige Gesicht der Altstadt am Ende des 18. Jahrhunderts geprägt wurde.

Ansicht aus der Vogelperspektive von Nordwesten auf die Stadt intra muros vor dem Brand von 1771. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers nach dem 1762 von Josef Bieg realisierten Plan, 1771 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, AG-176).
Ansicht aus der Vogelperspektive von Nordwesten auf die Stadt intra muros vor dem Brand von 1771. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers nach dem 1762 von Josef Bieg realisierten Plan, 1771 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, AG-176). […]
Stadtansicht aus der Vogelperspektive von Nordwesten nach dem Brand von 1771. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers, 1771 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, AG-177).
Stadtansicht aus der Vogelperspektive von Nordwesten nach dem Brand von 1771. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers, 1771 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, AG-177). […]

Frauenfeld konnte über seine Bedeutung als Sitz der eidgenössischen Landvögte hinaus im Mittelalter nur wenige zentralörtliche Funktionen übernehmen: Das erstmals 1296 erwähnte Stadtgericht vermochte bis 1368 seine ursprünglich niedergerichtlichen Kompetenzen auf Frevel- und Blutgerichtsfälle auszudehnen. Im 15. Jahrhundert erwarb Frauenfeld neben einzelnen Vogteien mehrere umliegende Höfe und insbesondere Waldungen und erweiterte das Hoheitsgebiet über seine Vorstädte hinaus nach Kurzdorf, Felben, Strass, Gerlikon, Niederwil und Oberwil. Ab 1508 ist ein Spital, nach 1540/1543 ein Siechenhaus belegt. Auch in kirchlicher Hinsicht war Frauenfeld nicht besonders bedeutend: Die Investitur der Kleriker an der seit 1286 belegten Stadtkirche lag formell bis zur Reformation in der Kompetenz Reichenaus. In der Stadt war keine religiöse Gemeinschaft sesshaft, bis 1595 ein Kapuzinerkloster (Kapuziner) errichtet wurde.

Die Bildung der Gemeinde wird im späten 13. Jahrhundert in den Quellen fassbar. Ab 1312 wurde die Kleinstadt Frauenfeld nachweisbar von einem durch die Landesherrschaft eingesetzten Vogt und einem aus drei Mitgliedern bestehenden Rat regiert. Parallel zur sinkenden Bedeutung des landesherrlichen Vogts und mit der Zunahme von Dienst- und Verwaltungsfunktionen der Einwohner Frauenfelds für den thurgauischen Landvogt verselbstständigte sich der Rat. Spätestens vom zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts an wählte die Bürgerschaft unter der Leitung des Stadtvogts einen Dreierrat, bestehend aus dem Schultheissen und zwei Räten. Dieser ergänzte sich mit acht bis neun Männern zum Kleinen Rat, der dem Dreierrat Gehorsam schuldete. 1513 wurde ein neues Rathaus gebaut, und seit 1534 sind Ratsprotokolle (Stadtschreiber) überliefert. Diese gewähren Einblick in die Tätigkeit der Stadtbehörden: Der wöchentlich tagende Kleine Rat als oberstes Polizei- und Verwaltungsorgan konnte bei schwierigen Rechtsfällen, zum Beispiel bei eingreifenden Veränderungen der Gemeindegüter, den Grossen Rat einberufen, der sich aus dem Kleinen Rat und 18 von diesem ausgewählten Männern zusammensetzte. Eigentliches Leitungsorgan blieb aber der Dreierrat, dem zugleich Exekutiv- und Judikativkompetenzen zustanden. 1712 wurde die konfessionelle Parität im Zwölferrat durch ein Verhältnis von acht Reformierten und vier Katholiken ersetzt. Im Gefolge dieser Umwandlungen zogen sich die Katholiken bis 1720 aus allen städtischen Ämtern zurück.

Die Reformation erschwerte im Falle Frauenfelds den weiteren Gemeindebildungsprozess. Obwohl 1531 nur noch etwa 70 Altgläubige in der Stadt lebten, setzten die katholischen unter den regierenden eidgenössischen Orten durch, dass der katholische Anteil in den Frauenfelder Behörden nie unter 33% sank und die beiden Konfessionen alternierend den Schultheissen stellen durften. Für Kirchenbelange (Pfarrei, Kirchgemeinde) bestanden je ein reformierter und ein katholischer Grosser und Kleiner Rat, welche auch die Aufsicht über die beiden Schulen der Stadt wahrnahmen. Die Stadtkirche und die Kirche in Oberkirch waren vorerst paritätisch, wobei die Reformierten von 1537 an ihren Pfarrer selbst wählten. Erst 1645 entstand die neue reformierte Stadtkirche.

Die Zusammensetzung der Stadtbevölkerung war bis ins 15. Jahrhundert raschen Veränderungen unterworfen: Innerhalb von 30 Jahren tauchen in den Steuerlisten des 15. Jahrhunderts 50% neue Geschlechter auf; ab 1460 sind adlige, geistliche und nichtadlige Ausbürger belegt. Im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit war Frauenfeld eine ländlich anmutende Stadt, deren Einwohner zum überwiegenden Teil von der Landwirtschaft lebten. Spätestens nach etwa 1340 galt dies auch für die Oberschicht, als sich diese allmählich von den habsburgischen Verwaltungsdiensten löste und vermehrt Einkünfte (Renten) aus Reichenauer Lehen erwarb. Vor 1440 gründete dieses Stadtpatriziat die Konstablergesellschaft. 1424 schlossen sich auch die übrigen Bürger zu einer Gesellschaft mit Trinkstube zusammen. Ein einflussreiches, zünftisch organisiertes Handwerk vermochte sich im Mittelalter nicht herauszubilden. Dazu fehlten entscheidende Voraussetzungen wie Marktrechte (erst 1492 belegt, 1568 folgte das Recht auf den Neumarkt) und Zollprivilegien (ab 1538 vorhanden und nie sehr lukrativ). Die Lage an der Verbindung Zürich-Konstanz scheint Frauenfeld ebenfalls keine nennenswerten wirtschaftlichen Impulse gegeben zu haben. Indiz dafür ist auch die späte Erwähnung der Brücke über die Murg im frühen 16. Jahrhundert.

In der frühen Neuzeit schlossen sich das Verwaltungspatriziat neuen Zuschnitts, das im Dienst der eidgenössischen Landvögte mannigfaltige Karrieremöglichkeiten fand, und insbesondere die Stadtbürgerschaft als Ganzes nach aussen ab. Die Mitglieder der Oberschicht richteten sich nun stark auf Verwaltungsdienste der sieben eidgenössischen Orte aus und kamen teilweise zu päpstlichen oder kaiserlichen Adelsbriefen. Anfang des 16. Jahrhunderts begann die Stadtbürgerschaft Einzugsgelder zu erheben. Ab 1580 erschwerte sie den Erwerb des Ausbürgerstatus. 1606 wurde das offenbar früher ausgesprochene Einbürgerungsverbot erneuert. Ansassen (Hintersassen) belastete ein sogenanntes ewiges Zugrecht (Vorkaufsrecht der Stadtbürger) und das Verbot, gewisse Gewerbe zu ergreifen, welche schon von Bürgern ausgeübt wurden. 1642 schlossen sich die Trinkstuben der Konstabler und der Bürger zur neuen Konstablergesellschaft zusammen, die nun auch Aufgaben im Bereich der Handwerkerlehre übernahm. Ab 1685 entstanden schliesslich 16 Zünfte, deren Zielsetzung primär die Ausschaltung auswärtiger Konkurrenten war. Diese Abschliessung behinderte im 18. Jahrhundert die frühe Industrialisierung im Stadtgebiet stark und beschränkte sie auf einige in den Vorstädten domizilierte Seidenindustrie-Betriebe (Seide).

Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Im 18. Jahrhundert war Frauenfeld häufig Sitz der Tagsatzung. Die helvetische Verfassung von 1798 bestimmte Frauenfeld zum Hauptort des aus der gemeinen Herrschaft der acht alten Orte entlassenen Kantons Thurgau. Der Führungsanspruch des nahe der Grenze zum Kanton Zürich gelegenen ehemaligen Landvogteisitzes war jedoch umstritten: Neben Winterthur und Konstanz, die sich um 1800 gerne an der Spitze des neuen Kantons gesehen hätten, erwuchs Frauenfeld in Weinfelden, das im geografischen Zentrum des Kantons liegt und an der Spitze der thurgauischen Freiheitsbewegung stand, eine heftige, bis heute spürbare Konkurrenz, weshalb zum Beispiel das Kantonsparlament seit 1832 im halbjährlichen Wechsel in Frauenfeld und in Weinfelden tagt. Mit dem politischen Umbruch um 1800 öffnete sich die Stadt: 1807 erfolgte die Öffnung des Bürgerrechts, 1808-1834 der Abbruch der Stadttore, 1807 wurde die Casinogesellschaft gegründet, 1808 die Ökonomische Gesellschaft und 1810 formierte sich die 1798 aufgelöste Konstablergesellschaft neu. 1798 erschien das Wochenblatt für den Kanton Thurgau (seit 1809 Thurgauer Zeitung). 1813-1816 liess Bernhard Greuter, der ab 1805 in Frauenfeld eine Filiale seiner Textilfärberei von Islikon betrieb, den Stadtgraben auffüllen und die Promenade anlegen – ein Symbol für die Etablierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit in der Kleinstadt –, die während der Helvetik von militärischer Besetzung, Requisitionen und 1799 einer Schlacht betroffen gewesen war.

Ausschnitt aus dem Übersichtsplan im Massstab 1:3000 von U. Gentsch, 1871 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Karten und Panoramen).
Ausschnitt aus dem Übersichtsplan im Massstab 1:3000 von U. Gentsch, 1871 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Karten und Panoramen). […]

Die definitive Einteilung der Munizipalgemeinde Frauenfeld und der sechs dazugehörigen Ortsgemeinden Frauenfeld, Langdorf, Kurzdorf, Herten, Horgenbach und Huben erfolgte 1812. Trägerin des politischen Lebens in der Stadt blieb vorerst die Bürgergemeinde. Ab den 1830er Jahren erhielt sie durch die Ansassenversammlung bzw. die Ortsgemeinde wachsende Konkurrenz. 1849 wurden der Stadt die Weiler Aumühle und Schönenhof zugeschlagen. 1854 gab sich die Ortsgemeinde erstmals Statuten, 1859 regelte sie gemeinsam mit der Bürgergemeinde das gegenseitige Verhältnis, und 1871 trat sie definitiv die politische Rechtsnachfolge der Bürgergemeinde an. Letztere konnte bei der Ausscheidung der Gemeindegüter ihr Vermögen und ihren Besitz grösstenteils bewahren, unter anderem das 1793 von Joseph Purtscher erbaute, 1900-1906 und 1980-1983 umfassend restaurierte Rathaus. Aufgrund ihres Vermögens und ihrer Institutionen (z.B. dem 1957 eröffneten Altersheim Stadtgarten) sowie als Organisation der einheimischen Elite geniesst die Bürgergemeinde, eine öffentlich-rechtliche Korporation, bis in die Gegenwart beachtlichen Einfluss.

1919 wurden die Munizipalgemeinde und die sechs Ortsgemeinden zur sogenannten Einheitsgemeinde vereinigt. «Gross-Frauenfeld» wurde nun von einem im Majorzverfahren gewählten Gemeinderat mit 19 Mitgliedern bzw. der vorberatenden gemeinderätlichen Kommission mit fünf Mitgliedern regiert; 1922 löste die Urnenabstimmung die Gemeindeversammlung ab. Die Gemeindeordnung von 1946 schuf als Legislative den Gemeinderat mit 40 im Proporzverfahren gewählten Mitgliedern und als Exekutive den fünfköpfigen Stadtrat (Gemeindebehörden); 1979 und 1995 wurde die Gemeindeordnung revidiert.

An den Gewerbekanälen der Murg entstanden im 19. Jahrhundert zwei grössere Industrieareale. 1835 erwarben Bernhard Greuters Söhne das rechtsufrige Schlossmühleareal, verlegten den Hauptsitz ihrer Firma nach Frauenfeld und bauten die sogenannte Rotfarb zu einem Grossbetrieb aus, der um 1865 gegen 600 Personen beschäftigte. Nach der Betriebsschliessung 1881 richteten die Gebrüder Brauchlin aus Wigoltingen eine Schuhfabrik ein (1890-1931); seither wird das Areal von Industrie, Gewerbe, Verwaltung und Vereinen genutzt. Auf der linksufrigen Ebene im Murgbogen wurden bis um 1850 Tücher gebleicht; danach betrieb Michael Maggi die dortige Neumühle. 1867 übernahmen Friedrich von Martini und Heinrich Tanner die Mühle und verlegten die 1860 gegründete Maschinenbauanstalt ins Bleicheareal. Mit der Herstellung von Falz- und Heftmaschinen, Stickmaschinen, Gasmotoren, Schrauben, Gewehren, Automobilen und anderem erlangte die Firma Martini bis zu ihrem Verkauf 1906 internationales Ansehen; aus ihr gingen das Eisenwerk Frauenfeld (1908-1983), die Autofabriken in Frauenfeld (bis 1916) und Saint-Blaise (bis 1934) sowie die Buchbindereimaschinenfabrik in Felben-Wellhausen hervor.

Blick in Richtung Süden auf die Industrieanlagen, die sich vom ausgehenden 18. Jahrhundert an allmählich im ehemaligen Bleicheareal ansiedelten. Aufnahme eines unbekannten Fotografen, 1927 (Stadtarchiv Frauenfeld).
Blick in Richtung Süden auf die Industrieanlagen, die sich vom ausgehenden 18. Jahrhundert an allmählich im ehemaligen Bleicheareal ansiedelten. Aufnahme eines unbekannten Fotografen, 1927 (Stadtarchiv Frauenfeld). […]

Um 1900 war die Munizipalgemeinde mit über 1400 Fabrikarbeitsplätzen ein regionales Industriezentrum; allein Brauchlin und Martini beschäftigten zusammen ca. 750 Personen. Mehr als 100 Beschäftigte zählten die drei Textilfabriken Altermatt, Zwicky und Murkart. Bedeutende Wachstumsbranchen waren die Nahrungs- und Genussmittelindustrie (z.B. 1897 Konservenfabrik Sulzberger, ab 1906 Hero) sowie die Metall verarbeitende Industrie. Auch im 20. Jahrhundert, als in Langdorf (auch Frauenfeld-Ost) und in Kurzdorf neue Industriequartiere entstanden, konnte sich der 2. Sektor (1941: 66%; 1980: 47%; 2000 26%) noch lange behaupten. Überregionale Bedeutung erlangten Verlag und Druckerei Huber, die Schleifmittelfabrik SIA (Schweizer Schmirgel- & Schleifindustrie), der in der ehemaligen Walzmühle Frauenfeld (1832-1872) produzierende Aluminiumwarenhersteller Sigg, die Metallbaufirma Tuchschmid, die Chemiefirma Tanner (1887-1991), die Baumer Electric (seit 1952) und die Zuckerfabrik (seit 1963). Zum industriellen Aufschwung trugen neben der Wasserkraft der Murg auch die Bahnlinien von Zürich nach Romanshorn (1855) und von Frauenfeld nach Wil (SG, 1887) bei. Mit dem Bau des Gaswerks (1878), des Wasserwerks (1885-1889) und des Elektrizitätswerks (1907) wurde eine moderne städtische Infrastruktur geschaffen, in die Kurzdorf und Langdorf einbezogen waren, während Herten, Horgenbach und Huben ihren bäuerlichen Charakter bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bewahrten.

Wichtige Impulse erhielt Frauenfeld durch den von der Bürgergemeinde finanzierten Bau der Kaserne (1862-1865) und den eidgenössischen Artilleriewaffenplatz in der Ebene an der Thur (Grosse Allmend). Die Einwohnerzahl der Munizipalgemeinde wuchs 1860-1870 um knapp ein Drittel, und für Handwerk und Gewerbe war die Armee ab diesem Zeitpunkt ein regelmässiger Auftraggeber. Angesichts der hohen finanziellen Belastung verkaufte die Bürgergemeinde die Kaserne 1886 der Eidgenossenschaft, 1931-1933 wurde das Gebäude erweitert. Dieses wurde durch die Kaserne Auenfeld ersetzt, deren Bau in fünf Etappen zwischen 1983 und 2000 erfolgte. Die wirtschaftliche Bedeutung des Mitte der 1990er Jahre vom Stellenabbau betroffenen Waffenplatzes (Armeereform), der trotz gelegentlicher Konflikte, zum Beispiel anlässlich seiner Erweiterung 1953, im Allgemeinen auf Wohlwollen stiess, spiegelt sich unter anderem im quantitativ bedeutenden Gastgewerbe.

Trotz beachtlicher Fabrikindustrie und obwohl sich das kantonale Arbeitersekretariat seit 1909 in Frauenfeld befindet, galt die Stadt nie als Arbeiterstadt; anders als in Arbon, Kreuzlingen oder Weinfelden wurde in Frauenfeld kaum je gestreikt. Neben dem starken Gewerbe und der Präsenz der Armee lag dies vor allem an der Funktion als Kantonshauptort. Die ab 1803 aufgebaute kantonale Verwaltung war so klein, dass sie bis zum Bezug des 1868 von Johann Joachim Brenner erbauten Regierungsgebäudes in bestehenden Gebäuden wie der ehemaligen Landschreiberei und dem Schloss (1803-1867 und seit 1955 in kantonalem Besitz) untergebracht werden konnte. Bei der Einrichtung von kantonalen Anstalten wie dem Spital (in Münsterlingen), dem Lehrerseminar (in Kreuzlingen), der Kantonalbank (in Weinfelden) und dem Elektrizitätswerk (in Arbon) wurde der Hauptort vorerst nicht berücksichtigt. Dennoch lebten in Frauenfeld, dem Sitz der Regierung und der Gerichte, eine stattliche Zahl von Juristen, Lehrern, Ärzten und Pfarrern, wozu auch Vereine wie die Gemeinnützige Gesellschaft, Institutionen wie die thurgauische Hypothekenbank (1852) und die Kantonsschule (1853) sowie die Kirchen beitrugen. Diese stärkten das bürgerliche Element, sodass Frauenfeld zumeist fest in freisinniger Hand war. Nicht zuletzt dank der italienischen Zuwanderer gewannen um 1900 allerdings Demokraten (Demokratische Partei), Grütlianer und Katholiken an Einfluss. Letztere setzten 1906 mit dem Neubau der St. Nikolauskirche von Albert Rimli ein markantes Zeichen ihres erstarkten Selbstbewusstseins. Die Vormacht des Freisinns (Freisinnig-Demokratische Partei, FDP) bzw. des sogenannten Bürgerblocks wurde einzig in den Gemeindewahlen von 1946 gebrochen, als die Christlichsozialen (Christlichsoziale Bewegung) vorübergehend mit der Sozialdemokratischen Partei (SP) kooperierten.

Viertes Pfingstrennen in Frauenfeld, 6. Juni 1922. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 5; Konsultativkopie Memobase ID CS-13_2).
Viertes Pfingstrennen in Frauenfeld, 6. Juni 1922. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 5; Konsultativkopie Memobase ID CS-13_2). […]

Das Bevölkerungswachstum zwischen 1950 und 1970 führte zur Erschliessung neuer Quartiere (bzw. zum räumlichen Zusammenwachsen der Stadt mit den ehemaligen Ortsgemeinden) und erforderte einen Ausbau der Infrastruktur: 1952 traten die Bauordnung und der Zonenplan in Kraft (1968 Revision), 1959 wurde der Sportplatz gebaut, 1969 die Kläranlage, 1972 die Kunsteisbahn, 1973 das Hallen- und Freibad und 1974 erfolgte der Anschluss an die Erdgasversorgung. Gleichzeitig wurden zahlreiche neue Schulhäuser erstellt. Bei der Integration der Zuzüger sowie im öffentlichen Leben allgemein spielten die Vereine eine wichtige Rolle; zu nennen sind die Quartiervereine, die zahlreichen Sport- und Musikvereine und Kulturveranstalter wie die Konzertgemeinde oder der Theaterverein. Die ausländischen Zuzüger kamen bis um 1970 vorwiegend aus Italien, nach 1980 aus Portugal und dem ehemaligen Jugoslawien; sie organisierten sich zum Teil in eigenen Heimat- und Kulturvereinen. Überregionale Beachtung fanden regelmässig stattfindende Grossanlässe wie das Pferde-Pfingstrennen (seit 1919), der Militärwettmarsch (seit 1934), das Motocrossrennen (seit 1960) und das Open-Air-Konzert (seit 1987) sowie das 1987 in der umgenutzten Fabrik eröffnete Kulturzentrum Eisenwerk.

Ab 1980 tätigte die Gemeinde mit der Einführung des Stadtbusbetriebs, dem Bau bzw. der Renovation von Altersheimen, der Zusammenlegung der Werkbetriebe und der Sanierung von Freizeitanlagen beträchtliche Investitionen. Das anhaltende Bevölkerungswachstum deutet darauf hin, dass «die Stadt im Grünen» angesichts zunehmender Mobilität, die sich beruflich nach Winterthur und Zürich, kulturell auf die Zentren Zürich, St. Gallen und Konstanz ausrichtet, weiterhin attraktiv ist.

Quellen und Literatur

  • Pupikofer, Johann Adam: Geschichte der Stadt Frauenfeld von ihrer ältesten Zeit bis auf die Gegenwart. Festschrift auf den hundertsten Erinnerungstag der Feuersbrunst vom 19. Heumonat 1771, 1871.
  • Leisi, Ernst: Geschichte der Stadt Frauenfeld, 1946.
  • Knöpfli, Albert: Der Bezirk Frauenfeld, 1950, S. 46-189 (Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau, 1).
  • Inventar der neueren Schweizer Architektur, 1850-1920, Bd. 4, 1982, S. 71-162.
  • Berke, Dieter; Ruprecht, Dieter: Frauenfeld, 1991.
  • Gnädinger, Beat; Spuhler, Gregor: Frauenfeld. Geschichte einer Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, 1996.
  • Luginbühl, Marianne: Frauenfeld in alten Drucken, 1996.
  • Stercken, Martina; Güntert, Gabriela: Frauenfeld, 1997 (Historischer Städteatlas der Schweiz, 1-2).
  • Hux, Angelus: Von der Lateinschule zur Oberstufe. Geschichte der Sekundarschule Frauenfeld im Rahmen des Frauenfelder Schulwesens, 2002.
  • Hux, Angelus: Die katholische Pfarrei Frauenfeld. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2004.
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Erwin Eugster; Gregor Spuhler; Beat Gnädinger: "Frauenfeld", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001898/2021-01-15/, konsultiert am 16.04.2024.