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Konservatismus

Konservatismus oder auch Konservativismus, abgeleitet von lateinisch conservare, ist ein Sammelbegriff für geistige und politische Bewegungen, welche die Bewahrung bestehender oder die Wiederherstellung früherer gesellschaftlicher Ordnungen zum Ziel haben, wobei diese auf eine natürliche oder transzendentale Begründung zurückgeführt werden. Der Konservative steht sozialen Veränderungen und abstrakten Theoremen eher skeptisch gegenüber.

Ausgehend vom Widerstand gegen Aufklärung und Französische Revolution verstand sich der schweizerische Konservatismus anfänglich als Gegenbewegung zu Liberalismus und Radikalismus und nahm in den Einigungs-, Verfassungs- und Kirchenkonflikten der 1830er und 1840er Jahre ideologische und organisatorische Gestalt an. In dieser Zeit fand der Begriff konservativ auch als Bezeichnung für parteiähnliche Vereinigungen Eingang in die politische Sprache der Schweiz. In der Bundesversammlung gab sich die katholische Rechte 1882 offiziell den Namen Katholisch-Konservative (KK); die Bezeichnung konservativ verschwand erst 1971 mit der Umbenennung in Christlichdemokratische Volkspartei (CVP).

Im Unterschied zu Liberalismus und Sozialismus stellt der politische Konservatismus mehr eine Haltung in einer spezifischen historischen Situation denn eine geschlossene politische Philosophie dar. Betrachtet man die Auseinandersetzungen um die Moderne als zentral, bietet der Konservatismus für jene Teile der Gesellschaft eine Ideologie, die von der Modernisierung zurückgesetzt oder übergangen wurden. Sein Verhältnis zur modernen Welt blieb ambivalent. Um die Moderne zu bekämpfen, bediente sich der Konservatismus auch moderner Instrumente wie der Vereine, Parteien und Medien.

Im Verlaufe des 19. und 20. Jahrhunderts drehte sich die konservative Gesellschaftskritik häufig um Themen wie die Funktion von Religion und Kirche in der Gesellschaft, um Familie, Schule und Erziehung und um die Identität von Nation und Volk. Jahrzehntelang bildete der Föderalismus einen Schlüsselbegriff im politischen Programm des schweizerischen Konservatismus; er drückte das konservative Misstrauen vor der Macht des Bundesstaates aus. Sozialpolitisch vertrat der katholische Konservatismus ab dem späten 19. Jahrhundert das Programm eines dritten Wegs zwischen dem "individualistischen" Liberalismus und dem "kollektivistischen" Sozialismus, das bis zum Zweiten Weltkrieg ständestaatlich-korporativistische Elemente enthielt (Korporativismus). Soziologisch gesehen hatte der Konservatismus bei Wahlen und Abstimmungen bis nach dem Zweiten Weltkrieg seine Hauptstützen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten. Rückhalt boten christlich geprägte Volkskreise. Sieht man von städtischen Patriziern ab, waren es vor allem die ländlich-kleinstädtischen Oberschichten beider Konfessionen, Bauernführer, Pfarrer, Rechtsanwälte und Journalisten, die den Kern der konservativen Eliten stellten. Die Instrumentalisierung der direktdemokratischen Referenden verlieh der konservativen Opposition gegen die "politische Klasse" zeitweise populistische Züge.

Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen utopisch-restaurativen und realistisch-evolutionären Konservativen. Erstere orientierten sich an der Utopie der vorrevolutionären ständischen Gesellschaft. Die gemässigten Konservativen hingegen nahmen liberale Grundsätze auf und forderten wirtschaftliche, soziale und bildungspolitische Reformen. Betrachtet man den Konservatismus in erster Linie als Reaktion gegen die Moderne, kann man in der Schweiz seit etwa 1800 fünf Perioden unterscheiden: erstens die Periode des antirevolutionären Konservatismus (1798-1830), zweitens des restaurativen Konservatismus (1830er und 1840er Jahre), drittens des klassischen Konservatismus (1848-1891), viertens des bürgerlichen Konservatismus (1891-1960) und schliesslich fünftens des Nationalkonservatismus (seit Mitte der 1960er Jahre).

Der antirevolutionäre Konservatismus (1798-1830)

Wilhelm Tell und sein Sohn bekämpfen den Drachen der Revolution. Aquarell von Balthasar Anton Dunker, um 1798 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-20965).
Wilhelm Tell und sein Sohn bekämpfen den Drachen der Revolution. Aquarell von Balthasar Anton Dunker, um 1798 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-20965). […]

Die Konservativen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertraten eine meist religiös bzw. konfessionell fundierte politische und kulturelle Grundhaltung, die gegen Aufklärung und Helvetische Republik gerichtet war und dem Modernisierungs- und Säkularisierungsprozess ablehnend gegenüberstand. Die antirevolutionären Konservativen suchten eine partielle Wiederherstellung der vorrevolutionären Verhältnisse und profilierten sich vor allem auf drei politischen Konfliktfeldern: Erstens bekämpften sie die Vereinheitlichung der souveränen Kantonalstaaten zu einem zentralistischen Staat, zweitens wandten sie sich gegen die Umwandlung der Kantone und der Schweiz in moderne liberale Verfassungsstaaten, und drittens wehrten sie sich gegen die Beschneidung der Privilegien der Kirche in einem säkularisierten Staat (Kirche und Staat). Der schweizerische Konservatismus war Teil einer europäischen Geistesbewegung, die sich unter anderem in der Kunst (Romantik) und im religiösen Leben niederschlug. Der Einfluss konservativer Intellektueller wie etwa von Jeremias Gotthelf, Johann Caspar Bluntschli oder Antoine-Elisée Cherbuliez auf die praktische Politik blieb jedoch bescheiden; Karl Ludwig von Hallers "Restauration der Staatswissenschaft" erlangte europäische Bedeutung und gab der Epoche den Namen.

Der konservative Widerstand gegen die Helvetik erwuchs aus der Ablehnung der neuen Herrschaftsstrukturen und als Verteidigung lokaler bzw. kirchlicher Autonomie oder ständischer Privilegien. Mediation und Restauration verhalfen den vorrevolutionär-aristokratischen und den neuen besitzbürgerlichen Eliten zur Macht und stellten Teile der alten Ordnung wieder her, ohne dass alle Reformen rückgängig gemacht worden wären. Die Auseinandersetzung zwischen Anhängern der Moderne und solchen der Tradition setzte sich innerhalb der Kirchen fort (Ultramontanismus, Erweckungsbewegungen). Im schweizerischen Protestantismus führte die Propagierung einer neuen Religiosität gegen die rationale Theologie teilweise zur Trennung von der Landeskirche und zur Gründung von Freikirchen (Evangelische Freikirchen). Die katholischen Konservativen setzten sich für eine geschlossene, auf Volksfrömmigkeit und Papsttreue aufbauende Kirche und Gesellschaft ein.

Der restaurative Konservatismus (1830-1848)

Konservative Karikatur von 1839, die auf den Straussenhandel Bezug nimmt. Kolorierte Lithografie (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Konservative Karikatur von 1839, die auf den Straussenhandel Bezug nimmt. Kolorierte Lithografie (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Die Verfassungskonflikte 1830-1848 legten die Grundlage für das schweizerische Zeitungs-, Parteien- und Vereinswesen; den liberalen standen nun konservative Vereine gegenüber. Die liberalen Verfassungsrevisionen waren Ausgangspunkt für die Ausdifferenzierung der Konservativen. In den Regenerationskantonen verloren die privilegierten Herren und Magistraten die Macht an die Liberalen. Gleichzeitig etablierten sich in verschiedenen, auch in den nicht regenerierten Kantonen neue konservative Eliten. In einzelnen Kantonen entstanden – etwa als Reaktion auf die liberalen Badener Artikel (1834) – katholische und reformierte konservative Volksbewegungen, die sich für eine Bewahrung der zentralen Stellung der Kirche einsetzten. Ab Ende der 1830er Jahre luden sich die politischen Spannungen religiös auf (1839 Straussenhandel im Kanton Zürich, 1847 Zeller-Handel im Kanton Bern). Damit übernahmen Konservative die vom Radikalismus erprobten Formen des Volksaufstands und deren Kompromisslosigkeit zur Verteidigung der Kirchen und ihrer Weltanschauung.

Der Konflikt zwischen Konservativen und Radikalen erhielt mit dem Aargauer Klosterstreit (1841) und den Freischarenzügen (1844-1845) auf der einen und der Berufung der Jesuiten (1844) auf der anderen Seite eine konfessionelle Dimension. Die gemässigten, föderalistischen Katholisch-Konservativen beharrten vor allem auf der Gemeinde- und Kantonsautonomie sowie der Erhaltung der 1815 im Bundesvertrag garantierten Rechte der Kirche und setzten auf Vermittlung. Dagegen verfolgten die restaurativen Konservativen, etwa Konstantin Siegwart-Müller, die Utopie einer durch die Volksfrömmigkeit zusammengehaltenen, geschlossenen katholisch-konservativen Schweiz neben einer verkleinerten reformierten Schweiz und waren mit der Jesuitenberufung zur Provokation und damit zur Eskalation bereit. In Jesuitentum und Klerikalismus, gegen die sich gerade auch die radikalen Katholiken wandten, verfügte der Radikalismus über ein wirksames integratives Feindbild in der Auseinandersetzung mit den katholischen Konservativen. Dies führte im Vorfeld des Sonderbunds von 1847 einerseits die katholischen Konservativen zusammen und verhinderte andererseits ein Zusammengehen der katholischen und der reformierten Konservativen. Verschiedene reformierte Konservative wie der Befehlshaber der Bundestruppen, General Guillaume-Henri Dufour, stellten sich 1847 auf die Seite der späteren Sieger oder blieben wie die Regierungen der Kantone Neuenburg und Basel-Stadt neutral. Durch die konfessionelle Spaltung der Konservativen gewannen die vorerst noch geschlossen auftretenden Liberalen und Radikalen die Oberhand.

Der klassische Konservatismus (1848-1891)

Die militärisch-politische Niederlage des Sonderbunds hatte zur Folge, dass der neue Bundesstaat von den Radikalen und Liberalen dominiert wurde. Während die Altkonservativen unter Führung des Luzerner Regierungs- und Nationalrates Philipp Anton von Segesser und des Schwyzer Regierungs- und Ständerates Nazar Reding ihre Tätigkeit auf die Wiedererrichtung der politischen Herrschaft in den katholisch-konservativen Stammlanden (Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Freiburg und Wallis) ausrichteten, strebte die sogenannte Junge Schule des Studentenvereins (Schweizerischer Studentenverein) über erneuerte Vereins- und Parteiorganisationen die Integration in den Bundesstaat an. Mittelpunkt dieser fortschrittlichen Richtung war in der Frühzeit des Bundesstaates der St. Galler Publizist Josef Gmür mit der "Schwyzer Zeitung".

Porträt von Philipp Anton von Segesser in der "Portrait-Gallerie merkwürdiger Luzerner" um 1850, aus dem Besitz der Bürgerbibliothek Luzern (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).
Porträt von Philipp Anton von Segesser in der "Portrait-Gallerie merkwürdiger Luzerner" um 1850, aus dem Besitz der Bürgerbibliothek Luzern (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).

Als Vaterlandsfeinde verfemt, blieben die Katholisch-Konservativen in der Anfangszeit von den Ämtern im Bundesstaat ausgeschlossen. Der 1850 gegründete Schweizer Verein bildete unter der Leitung des reformierten Berners Alexander von Tavel bis 1860 einen Treffpunkt für Konservative beider Konfessionen. Die Katholisch-Konservativen eroberten 1856 in Freiburg und 1871 in Luzern die Regierungsmehrheit zurück und bauten die Stammlandkantone zu Refugien aus. Während der 1850er Jahre bestand im Bundesparlament auch eine überkonfessionelle konservative Fraktion mit dem Berner Eduard Blösch und dem Luzerner Philipp Anton von Segesser als Führer. Eine katholisch-konservative Fraktion bildete sich 1857 unter dem St. Galler Nationalrat Johann Jakob Müller. In den 1860er und zu Beginn der 1870er Jahre organisierten sich die Konservativen unter dem Banner des Föderalismus und verhinderten 1872 in einer Koalition mit den Föderalisten aus der französischen Schweiz die vom Freisinn getragene Bundesrevision. Bei der zweiten Verfassungsabstimmung von 1874 gelang es dem Freisinn, die Katholisch-Konservativen mit kulturkämpferischen Mitteln zu isolieren und die Westschweizer Föderalisten für die Verfassungsrevision zu gewinnen. Doch mit dem neuen Volksrecht des fakultativen Referendums erhielten die Konservativen ein Instrument in die Hand, um in wechselnden Koalitionen von 1875 bis 1885 die radikal-liberale Bundesregierung in die Defensive zu drängen. Die Fraktion, die Zeitungen und zahlreiche katholische Vereine, zum Beispiel der einflussreiche Piusverein, führten auf katholischer Seite die Abstimmungskämpfe. Auf reformierter Seite mobilisierten der 1875 gegründete Eidgenössische Verein und im Kanton Bern die Volkspartei Ulrich Dürrenmatts die Oppositionsbewegung. Zeitweilig nahm die Allianz den Charakter einer populistischen Oppositionsbewegung gegen das freisinnige "Bundessystem" an. Höhepunkt war das siegreiche Referendum gegen den "Schulvogt" 1882. Der konservativen Oppositionsbewegung gelang es jedoch trotz Verankerung in allen vier Sprachregionen nicht, die Abstimmungsallianzen in eine organisierte Partei zu überführen, denn die Unterschiede der konfessionellen Identitäten spielten innerhalb der konservativen Bewegung eine grössere Rolle als im laizistischen Freisinn.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen sich im katholischen Konservatismus ein föderalistischer und ein ultramontaner Kreis gegenüber, wobei die föderalistische Richtung in den Stammlanden der Innerschweiz, die konfessionalistisch-ultramontane Richtung in der französischen Schweiz, insbesondere in Freiburg, ihren Schwerpunkt hatte. Zentrale intellektuelle Vordenker der Ultramontanen stellten der Chorherr Joseph Schorderet, Gründer des katholischen Pressewerks in Freiburg, und Theodor Scherer-Boccard, Mitbegründer und erster Präsident des Piusvereins, dar. Auch im Tessin fanden sich die gleichen Differenzen zwischen einer ultramontanen und einer liberaleren Richtung. Ab dem frühen 19. Jahrhundert beherrschte der politische Gegensatz zwischen dem Liberalismus, der seine Hauptstütze im Bildungsbürgertum der Kleinstädte hatte, und dem Konservatismus, der auf dem Land und in den Tälern verwurzelt war und in der katholischen Kirche einen wichtigen Bündnispartner hatte, die Tessiner Politik. 1877 übernahmen die Tessiner Katholisch-Konservativen erstmals für kurze Zeit die Regierungsgeschäfte der Südschweiz.

Bürgerlicher Konservatismus (1891-1960)

Der bürgerliche Konservatismus war durch die fortschreitende Integration in den vom Freisinn beherrschten Bundesstaat und in die bürgerliche Gesellschaft gekennzeichnet. Mit dem Luzerner Nationalrat Josef Zemp trat 1891 erstmals ein Katholisch-Konservativer in die Landesregierung ein. Um die gleiche Zeit begann der Aufstieg der Sozialdemokraten, gegen die sich die beiden bisherigen Gegner, die Freisinnigen und die Konservativen, im Zeichen des Klassenkampfes zu einer Regierungskoalition zusammenschlossen. Dies hatte Rückwirkungen auf den politischen Konservatismus, der in seiner alten Form auseinanderbrach.

Gonzague de Reynold auf seinem Schloss in Cressier (FR) um 1930 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Gonzague de Reynold auf seinem Schloss in Cressier (FR) um 1930 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).

In der reformierten Schweiz blieben konservative Intellektuelle wie der Basler Historiker Jacob Burckhardt prominente Einzelpersönlichkeiten. Parteipolitisch schlossen sich die reformierten Konservativen mehrheitlich dem Freisinn an. Nach dem Ersten Weltkrieg ging im Kanton Bern ein Teil der Konservativen zur neu gegründeten Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) über, die neben wirtschaftspolitischen Zielsetzungen auch allgemein konservative Ziele vertrat. Der katholische Konservatismus hatte sich im Zuge des Kulturkampfes weiter konfessionalisiert. In den 1920er und 1930er Jahren verstärkten Antisozialismus und Antikommunismus die politische Stellung der Katholisch-Konservativen, die nach dem Landesstreik von 1918 und den Proporzwahlen von 1919 mit zwei Bundesratssitzen zum Juniorpartner in der freisinnig dominierten Landesregierung aufgestiegen waren. Innerparteilich stiess der gouvernementale Mehrheitskurs auf den Widerstand einer rechtskatholisch-integralistischen Oppositionsgruppe um den Bündner Nationalrat Caspar Decurtins, den Freiburger Theologen Josef Beck, den Oltner Verleger Otto Walter und den Basler Pfarrer Robert Mäder.

Im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewann die katholische Soziallehre durch ihre Kapitalismuskritik an Bedeutung und manifestierte sich unter dem Einfluss der päpstlichen Enzykliken "Rerum Novarum" (1891) und "Quadragesimo Anno" (1931) in den korporativistischen Ideen eines dritten Wegs. Ab den späten 1920er Jahren vertraten vorab die Jungkonservativen um Paul Kubick und Hermann Cavelti ständestaatlich-autoritäre Ideen. In der Zwischenkriegszeit verfolgten am Rande des katholischen Milieus auch der Freiburger Publizist Gonzague de Reynold und die Bewegung Das Aufgebot um Jacob Lorenz rechtskonservatives Ideengut (Frontenbewegung). 1929 wurde Rudolf Minger als erster Vertreter der BGB in den Bundesrat gewählt. Praktisch gleichzeitig entstand die Jungbauern- bzw. Bauernheimatbewegung, welche unter Hans Müller eine staatssozialistische Richtung einschlug und sich 1935 von der BGB abspaltete. Nach der im gleichen Jahr erfolgten Niederlage in der Volksabstimmung über die Verfassungsrevision wandte sich die grosse Mehrheit der katholisch-konservativen Politiker unter der Leitung des Luzerner Nationalrats und Fraktionschefs Heinrich Walther mit der publizistischen Hilfe Karl Wicks, Redaktors des "Vaterlands", von den utopischen Ideen eines rückwärtsgewandten Antimodernismus ab. Während der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und des Zweiten Weltkriegs nahm der politische Konservatismus in der Geistigen Landesverteidigung eine Schlüsselstellung ein, wobei der Zuger katholisch-konservative Bundesrat Philipp Etter eine führende Rolle spielte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab der Aufschwung der europäischen Christlichdemokraten den konservativen Kräften um Parteisekretär Martin Rosenberg Auftrieb. Die BGB verfolgte bis zu ihrer Umbenennung von 1971 in Schweizerische Volkspartei (SVP) vorab bäuerlich-mittelständische Interessen. 1971 nannte sich die katholisch geprägte Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei in CVP um, womit sie unter dem Eindruck des Zeitgeistes Distanz zum politischen Konservatismus markierte.

Nationalkonservatismus (seit Mitte der 1960er Jahre)

Plakat der Zürcher Demokratischen Partei für die Wahlen 1967 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat der Zürcher Demokratischen Partei für die Wahlen 1967 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Verstärkt durch die Modernisierungskrisen der Nachkriegsgesellschaft förderten Proporz- und Konkordanzpolitik (Zauberformel 1959) ab den 1960er Jahren den Aufstieg rechtspopulistischer Oppositionsbewegungen (Rechtsradikalismus). 1967 wurde der Zürcher Publizist James Schwarzenbach als erster Vertreter der Nationalen Aktion in den Nationalrat gewählt (Schweizer Demokraten). 1971 eroberten die nationalistischen Rechtsparteien unter dem Schlagwort der Überfremdung bei den Nationalratswahlen 7,5% der Stimmen. 1979 wurde die rechtsbürgerliche Zeitung "Schweizerzeit" gegründet. 1986 entwickelte sich aus dem Schweizerischen Aktionskomitee gegen den UNO-Beitritt die der SVP nahestehende Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). In den 1990er Jahren bewegte sich die SVP unter der Führung des Zürcher Flügels mit Nationalrat Christoph Blocher an der Spitze nach rechts und sog in den eidgenössischen Wahlen von 1999 die kleinen nationalistischen Rechtsaussen-Parteien weitgehend auf. Die weltpolitischen Veränderungen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, die Beschleunigung der europäischen Integrationsbewegung und die weltweiten Migrationsströme gaben in der Schweiz wie in anderen europäischen Ländern einer nationalkonservativen Opposition Auftrieb. Unter der Führung der SVP entstanden im rechten politischen Spektrum Bewegungen, die rückwärtsgewandte Gesellschaftsbilder vertreten, Aversionen gegen die "politische Klasse" schüren und die Mitwirkung der Schweiz in internationalen Organisationen wie der UNO und der EU bekämpfen. Der nationalkonservativen Bewegung, in der vermehrt auch intellektuelle Exponenten der Neuen Rechten auftreten, gelang es, die innenpolitischen Auseinandersetzung auf Themen wie die Frage der Identität und Neutralität der Schweiz und die aussenpolitische Öffnung sowie den Kampf gegen die Immigration und die sogenannte "Überfremdung" zu konzentrieren.

Quellen und Literatur

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  • U. Altermatt, Der Weg der Schweizer Katholiken ins Ghetto, 1972 (31995)
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  • E. Gruner, Die Parteien in der Schweiz, 21977
  • U. Altermatt, «Conservatism in Switzerland: A Study in Antimodernism», in Journal of Contemporary History 14, 1979, 581-610
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  • H.U. Jost, Die reaktionäre Avantgarde, 1992
  • L. Rölli-Alkemper, Die Schweiz. Konservative Volkspartei 1935-1943, 1993
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  • M. Hodel, Die Schweiz. Konservative Volkspartei 1918-1929, 1994
  • A. Mattioli, Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur, 1994
  • Intellektuelle von rechts, hg. von A. Mattioli, 1995
  • Rechtsextremismus in der Schweiz, hg. von U. Altermatt, H. Kriesi, 1995
  • Im Zeichen der Revolution, hg. von T. Hildbrand, A. Tanner, 1997
  • B. Wigger, Die Schweiz. Konservative Volkspartei 1903-1918, 1997
  • Revolution und Innovation, hg. von A. Ernst et al., 1998
  • Widerstand und Proteste z.Z. der Helvetik, hg. von C. Simon, 1998
  • P. Niggli, J. Frischknecht, Rechte Seilschaften, 1998
  • U. Altermatt, D. Skenderovic, «Die rechtsextreme Landschaft in der Schweiz», in Österr. Zs.f. Politikwissenschaft 28, 1999, 101-109
  • R. Roggen, "Restauration", 1999
  • C. Longchamp, «Die nationalkonservative Revolte in der Gestalt der SVP», in Das österr. Wahlverhalten, hg. von F. Plasser et al., 2000, 393-423
  • F. Metzger, Die "Schildwache", 2000
  • H. Kitschelt, A. McGann, «Die Dynamik der schweiz. Neuen Rechten in komparativer Perspektive», in Schweizer Wahlen 1999, hg. von P. Sciarini et al., 2003, 183-216
Von der Redaktion ergänzt
  • Guzzi, Sandro: «Widerstand und Revolten gegen die Republik. Grundformen und Motive», in: Schluchter, André; Simon, Christian (Hg.): Helvetik – neue Ansätze. Referate des Helvetik-Kolloquiums vom 4. April 1992 in Basel, 1993, S. 84-104 (Itinera, 15).
  • Guzzi, Sandro: Logiche Della Rivolta Rurale. Insurrezioni Contro La Repubblica Elvetica Nel Ticino Meridionale (1798-1803), 1994.
Weblinks

Zitiervorschlag

Urs Altermatt; Martin Pfister: "Konservatismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 28.10.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017458/2010-10-28/, konsultiert am 28.03.2024.