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Rittertum

Rittertum ist ein vieldeutiger Begriff der Sozial-, Militär-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Es wird darunter die soziale Gruppe der zu Pferd kämpfenden Krieger verstanden, die sich im Hochmittelalter stark ausweitete und in den niederen Adel aufstieg. Rittertum war auch eine Würde, die durch ein Ritual (Schwertleite, Ritterschlag) verliehen wurde. Nicht nur Edelleute des niederen Adels, sondern auch Hochadlige und Könige wurden zu Rittern erhoben, später auch nichtadlige Stadtbürger. Nicht Ritter zu sein galt vom 13. Jahrhundert an im ganzen Adel als Mangel, weshalb der Rittertitel allein kaum etwas über den Rang innerhalb der Oberschicht aussagt. Rittertum war schliesslich Verhaltensnorm und Ideal ― das Ideal des edlen Ritters als Beschützer der Schwachen und Kämpfer gegen die «Ungläubigen». Es stand meist in schroffem Gegensatz zur Wirklichkeit, wurde aber gerade deswegen propagiert. An den Fürstenhöfen Frankreichs und der Niederlande bildete sich eine differenzierte ritterlich-höfische Kultur aus, die als erste Laienkultur des europäischen Mittelalters gilt und bald auch auf die übrigen Gebiete Europas ausstrahlte.

Rittertum als soziale Gruppe und Ideologie

Durch die Heeresreform Karls des Grossen wurden die berittenen Krieger als sozial und ökonomisch herausragende Schicht abgehoben vom Volksheer, das durch alle Freien gebildet war. Im 10. Jahrhundert leisteten nur noch berittene Vasallen Kriegsdienst, die Bauern waren davon ausgeschlossen worden. Zum alten adligen Normenkatalog des Kriegers ― Tapferkeit im Kampf und Ruhmsuche ― kamen durch die Feudalisierung die Vorstellungen des Dienstes im Gefolge eines hochadligen Herrn und der Herrschaftsausübung dazu (Vasallität, Lehnswesen). Vom 11. Jahrhundert an erweiterte sich im Reich die Ritterschaft durch den Aufstieg der Ministerialen (Ministerialität) und verfestigte sich zu einem allerdings heterogenen Stand. Zu Pferd, Rüstung und Bewaffnung als Ausdruck adligen Selbstverständnisses kam die Burg hinzu, als neuartiges Herrschaftszentrum und Repräsentationssymbol (Burgen und Schlösser). Weil die königliche Macht schwach war, übten lokale Herren ritterlicher Herkunft wichtige Schutz- und Schirmfunktion für die Bauern aus, die aber leicht in Gewalt und Unterdrückung umschlagen konnte. Die ländliche Bevölkerung litt unter den mit Plünderungen und Verwüstungen verbundenen Fehden, welche die Ritter untereinander austrugen.

Zweikampf, dargestellt auf einer Seite des "Konstanzer Kästchens", um 1320 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, IN-6957.4).
Zweikampf, dargestellt auf einer Seite des "Konstanzer Kästchens", um 1320 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, IN-6957.4). […]

Die Idee des Rittertums erfuhr einen ersten tiefgreifenden Wandel durch den Einfluss der Kirche, die vor allem im königsfernen Südfrankreich den Schutz von unbewaffneten Personen und kirchlichen Einrichtungen durch die Ausrufung von Gottesfrieden zu einem Anliegen der Ritterschaft zu machen suchte. Die gewalttätigen Ritter sollten zivilisiert und ihre Kampfeslust gegen äussere «Feinde» gerichtet werden. Diese Vorstellung fand im Ideal des christlichen Ritters durch die Verbindung mit dem alten apostolischen Begriff der militia Christi eine klare Ausformung. Der Widerspruch zwischen Kriegertum und dem christlichen Tötungsverbot wurde ausser Kraft gesetzt, der christliche Ritter wenigstens im Sinne einer Idealvorstellung zum Gottesstreiter und Träger eines christlich-ritterlichen Ethos. Konkrete Umsetzung dieses Ideals waren die Kreuzzüge und die Gründung der geistlichen Ritterorden.

Rittertum und ritterliche Kultur in der Schweiz

Kontakte zum höfisch geprägten Rittertum pflegten im Gebiet der Schweiz vor allem Familien des habsburgischen und savoyischen Landesadels sowie die städtische Ritterschaft. Otto III. von Grandson (1397), Vasall der Herzöge von Savoyen, gilt als der bedeutendste mittelalterliche Lyriker der Westschweiz. Aus den Reihen der deutschsprachigen Minnesänger seien genannt: der mit der provenzalischen Kultur verbundene, aber deutsch dichtende Rudolf II. von Neuenburg, der Thurgauer Walther von Klingen, der dem oberrätischen Hochadel entstammende Heinrich von Frauenberg und Johannes Hadlaub, ein Zürcher nichtritterlicher Herkunft. Beispiele ritterlicher Standesrepräsentation aus dem Bereich der Sachgüter und Bildquellen sind unter anderem: die Wappenmalereien im Turm von Erstfeld, im Haus Zum Loch in Zürich, in den Schlössern Chillon, Maienfeld und Rhäzüns; die Zürcher Wappenrolle von ca. 1340; bei Grabungen gefundene Waffen (z.B. auf der Burg Küssnacht, SZ), ritterliche Rüstungen, Brettspiele, Schmucktruhen, Tapisserien, Minne-, Jagd- und Turnierdarstellungen auf Ofenkacheln, Prunkgeschirr aus Edelmetall.

Der Minnesänger Jakob von Warte in seinem Bad. Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Fol. 46v).
Der Minnesänger Jakob von Warte in seinem Bad. Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Fol. 46v). […]

Die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts einsetzende Abschliessung des Ritterstandes ― Ritterbürtigkeit wurde zur Voraussetzung für die Erlangung des Rittertitels ― führten im Reich zu einer Spaltung des Begriffs Rittertum: Einerseits wurde er zur ständischen Bezeichnung für den niederen Adel, andererseits bezeichnete er das ritterliche Ideal, das vom gesamten Adel und auch vom städtischen Patriziat weitergepflegt wurde. Zwei neue Erscheinungen lassen sich mit dieser Entwicklung verbinden. Zum einen entstanden vom zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts an Ritterbünde als Kampfbündnisse des Ritteradels zur Verteidigung der zunehmend bedrohten eigenen Interessen (für die schwäbisch-schweizerische Ritterschaft wichtig war vor allem der 1407 gegründete Ritterbund vom St. Jörgenschild), zum anderen wurde das Ritterideal in nur dem hohen Adel zugänglichen weltlichen Ritterorden (z.B. Orden vom Goldenen Vlies, Hosenbandorden) noch weit über das Spätmittelalter hinaus hochgehalten. Das Scheitern der Kreuzzüge, Änderungen in der Kriegstechnik und das Aufkommen von Söldnerheeren führte zum Verlust der militärischen Funktion der Ritter (Kriegführung). Auch der Aufbau der Territorialherrschaft verstärkte den Selektionsdruck innerhalb der Ritterschaft und trug zu einer weiteren sozialen Differenzierung bei. Die Auswirkungen der für die Eidgenossenschaft spezifischen Entwicklung ― endgültiger Rückzug Habsburgs als Ordnungsmacht und Mittelpunkt einer ritteradligen Entourage im 15. Jahrhundert ― auf den habsburgischen Landesadel ist noch kaum erforscht. Im 14. Jahrhundert löste sich die höfische Kultur von der ursprünglichen Trägerschaft und ging allmählich in ein allgemeines Ideal über. Höfische Dichtung wurde zum Gegenstand antiquarischen Interesses stadtadliger und bürgerlicher Oberschichten, in denen das Rittertum gesellschaftliches Leitbild blieb. Herausragendes Zeugnis für diese Entwicklung ist für das Gebiet der Schweiz vor allem die Sammelhandschrift des zürcherisch-konstanzischen Kreises um die Zürcher Stadtritter Rüdiger II. und Johannes Manesse (Manessische Handschrift). Ab dem 15. Jahrhundert spielte die ritterliche Ideologie bei den neuen eidgenössischen Eliten als Rechtfertigung von Gewaltanwendung (Rittertum als Kriegertum) und Legitimation sozialer und politischer Führungsansprüche eine Rolle. Die Diskrepanz zwischen den realen Lebensumständen ritterlicher Existenz und literarisch ausgestaltetem Ethos in der höfischen Dichtung war auf jeden Fall gross.

Quellen und Literatur

  • Sablonier, Adel
  • La maison de Savoie en Pays de Vaud, Ausstellungskat. Lausanne, 1990
  • W. Meyer, «Siedlung und Alltag», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 2, 1990, 237-305, v.a. 299-303
  • Die Maness. Liederhs. in Zürich, Ausstellungskat. Zürich, 1991
  • W. Paravicini, Die ritterl.-höf. Kultur des MA, 1994 (mit Bibl.)
  • J. Flori, Chevaliers et chevalerie au Moyen Age, 1998
Weblinks

Zitiervorschlag

Franziska Hälg-Steffen: "Rittertum", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.11.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017434/2011-11-25/, konsultiert am 16.04.2024.