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Fédération jurassienne

Die Fédération jurassienne war eine revolutionäre Bewegung, die von Uhrenarbeitern im Berner und Neuenburger Jura im Rahmen der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) gebildet wurde (Internationale) und aus der die erste anarchistische Strömung der Schweiz hervorging (Anarchismus). Auslöser für ihre Gründung waren die Auseinandersetzungen um die unterschiedlichen Positionen, die Michail Bakunin und Karl Marx in der Ersten Internationale vertraten. In der Fédération jurassienne vereinigte sich die Mehrheit der Westschweizer Sektionen, die den kollektivistischen, antistaatlichen und föderalistischen Thesen anhing und sich gegen die Beschlüsse der Londoner Konferenz vom September 1871 auflehnte.

Blattkopf des Publikationsorgans der Fédération jurassienne. Ausgabe vom 28. September 1873 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).
Blattkopf des Publikationsorgans der Fédération jurassienne. Ausgabe vom 28. September 1873 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich).

Am 12. November 1871 versammelten sich die Abgeordneten von acht jurassischen Sektionen des Bezirks Courtelary und des Kantons Neuenburg in Sonvilier. Sie verabschiedeten die Statuten ihrer Föderation, eines Musterbeispiels für eine antiautoritäre Organisation. Der Kongress richtete ein Rundschreiben an alle Verbände der IAA, das die diktatorische Haltung des Generalrats anprangerte und libertäre Ideen vertrat. Die Internationale als «Embryo der künftigen menschlichen Gesellschaft» müsse «schon heute das Abbild unserer Prinzipien von Freiheit und Vereinigung sein und jedes Prinzip, das nach Autorität und Diktatur strebt, aus ihrem Innern verbannen». Damit wurde die Fédération jurassienne zur Bannerträgerin aller Gegner des Generalrats in den Reihen der IAA. Die Anhänger von Bakunin und James Guillaume, die beide nach dem Kongress von Den Haag aus der Internationale ausgeschlossen worden waren, versammelten sich am Kongress von Saint-Imier (15.-16. September 1872). Sie schufen die Grundlagen für eine neue Organisation, welche den italienischen und spanischen Verband sowie die französischen, amerikanischen, belgischen, niederländischen und englischen Sektionen umfasste. Die Fédération jurassienne war die Triebfeder der föderalistischen und antiautoritären Internationale, die während ihres fünfjährigen Bestehens vier Generalversammlungen abhielt: 1873 in Genf, 1874 in Brüssel, 1876 in Bern und 1877 in Verviers (Belgien). Das «Bulletin de la Fédération jurassienne de l'Association internationale des travailleurs» (1872-1878) zählte etwa 600 Abonnenten in rund zehn Ländern.

Die internationale Bedeutung der Fédération jurassienne steht im Gegensatz zu ihrer geringen regionalen Verankerung. Auf ihrem Höhepunkt 1873-1874 gehörten ihr nur gerade 300 bis 400 Aktivisten an, die sich in der Westschweiz auf rund zwanzig Sektionen verteilten. Die aktivsten Gruppen wirkten in Neuenburg, Le Locle, La Chaux-de-Fonds, Sonvilier, Saint-Imier und Genf. Deren Mitglieder waren vor allem Uhrmacher, Graveure und Guillocheure, Uhrenschalen- und Federmacher. Darunter fanden sich auch viele politische Flüchtlinge, verbannte Anhänger der Pariser Kommune und russische Revolutionäre. 1876 beschloss der Kongress von Bern mit der sogenannten Propaganda der Tat eine neue Strategie, welche die Völker durch Handstreiche, Aufstandsversuche und Attentate wachrütteln sollte. Nach der anarchistischen Demonstration vom 18. März 1877 in Bern verkörperten Paul Brousse und Pjotr Kropotkin die Radikalisierung der Fédération jurassienne, deren Niedergang durch James Guillaumes Emigration nach Paris (1878) beschleunigt wurde. Die neue anarchistische Ausrichtung entsprach den Vorstellungen der jurassischen Arbeiter, die mit der Krise und Restrukturierung der Uhrenindustrie konfrontiert waren, nicht mehr. 1880 fand der letzte Kongress der Fédération jurassienne statt. Einige Aktivisten hielten am Anarchismus fest. Die meisten andern, darunter auch Adhémar Schwitzguébel, trugen zum Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung in der Uhrenindustrie und zum Erstarken des Reformsozialismus bei.

Quellen und Literatur

  • AEN, Nachlass James Guillaume
  • Internat. Inst. für Sozialgesch., Archiv Max Nettlau, Amsterdam
  • L'Almanach du Peuple, 1871-1875
  • Bulletin de la Fédération jurassienne de l'Association internationale des travailleurs, 1872-1878
  • J. Guillaume, L'Internationale, 4 Bde., 1905-1910 (Neudr. 1985)
  • A. Schwitzguébel, Quelques écrits, 1908
  • La Première Internationale, hg. von J. Freymond, 1962-1971
  • Gruner, Arbeiter
  • M. Enckell, La Fédération jurassienne, 1971 (21991)
  • «La Première Internationale et le Jura», in Actes SJE, 1972, 331-402
  • M. Vuilleumier, «James Guillaume, sa vie, son œuvre», in L'Internationale, 1985, I-LVII
  • M. Vuilleumier, Horlogers de l'anarchisme, 1988
Weblinks

Zitiervorschlag

François Kohler: "Fédération jurassienne", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.10.2014, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017400/2014-10-01/, konsultiert am 19.03.2024.