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Entwicklungszusammenarbeit

Wie in den meisten OECD-Ländern setzte die Entwicklungszusammenarbeit auch in der Schweiz erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Ein Jahrzehnt lang lagen die wenig koordinierten Aktivitäten in den Händen privater Hilfsorganisationen und des Bundes. 1960 wurde der Dienst für technische Zusammenarbeit gegründet, 1961 das Amt eines Delegierten des Bundesrates für technische Zusammenarbeit geschaffen. Der Dienst wurde dem Eidgenössischen Politischen Departement (EPD, heute EDA) unterstellt und arbeitete mit der Handelsabteilung, bzw. ab 1968 mit dem Bundesamt für Aussenwirtschaft (Bawi, heute integriert im seco) zusammen. 1977 wurde er in Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH) und 1996 in Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) umbenannt.

Die Entwicklungszusammenarbeit bildet einen festen Bestandteil der schweizerischen Aussenpolitik. Sie dient dazu, die Prinzipien Solidarität, Neutralität und Universalität umzusetzen, welche das Fundament der Beziehungen der Schweiz zum Ausland bilden. Die Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit belegt allerdings, dass auch ein enger Zusammenhang zur Innenpolitik besteht. Neben den bedeutenden, schon früh von Privaten getätigten Investitionen, den aktiven Geschäftsbeziehungen auf allen Kontinenten und der Präsenz zahlreicher Missionare vor allem in Afrika bestehen über 400 private Hilfswerke mit sehr unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten. Die Entwicklungszusammenarbeit steht im Schnittpunkt differierender, mitunter gegensätzlicher Interessen und eignet sich bestens, um die Politik der Schweiz zu analysieren.

Die «Botschaft über die Mitwirkung der Eidgenossenschaft am technischen Hilfsprogramm der Vereinten Nationen» vom Februar 1951, verbunden mit einem Beitrag in der Höhe von 1 Mio. Franken, war die erste offizielle Handlung des Bundes in Sachen Entwicklungszusammenarbeit. Unter der Federführung des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) wurde ab 1952 bilaterale Hilfe in Form von Stipendien für Ausbildungen in der Schweiz und der Bereitstellung von Experten im Ausland geboten. Mitte der 1950er Jahre weiteten bestimmte Hilfswerke wie das Hilfswerk für Evangelische Kirchen der Schweiz (Heks) ihr Tätigkeitsfeld auf die sogenannte Dritte Welt aus: 1955 wurde das Schweizerische Hilfswerk für aussereuropäische Gebiete (SHAG; ab 1965 Helvetas) in Zürich gegründet. Die Privatwirtschaft richtete 1959 eine Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungszusammenarbeit (ab 1974 Swisscontact) ein. So konnte innert weniger Jahre ein Grossteil der Bevölkerung sensibilisiert werden für eine Entwicklungszusammenarbeit, die in erster Linie der Vermittlung von Know-how dienen sollte. Zur Rechtfertigung des Engagements wurden moralische Argumente (Beitrag zur Friedenssicherung), aber auch wirtschaftliche Gründe angeführt. Das Interesse des Parlaments für derartige Fragen blieb jedoch bis 1960 eher gering.

Drei Ereignisse manifestieren den Umschwung, der sich in den frühen 1960er Jahren vollzog: Die Schaffung des Diensts für technische Zusammenarbeit, die Erhöhung des Kredits für Entwicklungszusammenarbeit – ein Kredit in der Höhe von 60 Mio. Franken über drei Jahre wurde 1961 angenommen – und die Aufstockung der bilateralen Hilfe (neu 60% der Verpflichtungen gegenüber den bisherigen 20%). Der Bundesrat bezog jetzt die Aktivitäten der privaten Hilfswerke in seine Politik ein, ohne dabei die Bedeutung der privatwirtschaftlichen Kreise zu verkennen. Damals herrschte die Meinung vor, dass es den Entwicklungsländern vor allem an Kapital fehle. Aus der Schweizer Privatwirtschaft flossen im Jahr 1960 schätzungsweise 1600 Mio. Franken als Entwicklungsbeitrag in die Dritte Welt. Gleichzeitig setzte der Bund seine humanitäre Hilfe fort, etwa durch Abgabe von Pulvermilch, was zum Abbau der Milchschwemme beitrug. Ausserdem arbeitete er insbesondere mit den internationalen Organisationen IKRK, UNHCR, Unicef und der Flüchtlingsorganisation UNRWA zusammen. 1967 kam mit der multilateralen finanziellen Unterstützung ein weiterer Bereich dazu, der stetig an Bedeutung gewann. Die Schweiz trat der Asiatischen Entwicklungsbank bei und leistete einen Beitrag von 52 Mio. Franken an die Internationale Entwicklungsorganisation IDA.

Zwischen 1960 und 1970 fand die Entwicklungszusammenarbeit breite Unterstützung. Anfänglich stellte der Bundesrat sie als notwendige und apolitische solidarische Verpflichtung dar, während sie in anderen Ländern als Kampfmassnahme gegen den Kommunismus begriffen wurde. Insbesondere nach 1967 galt sie hinsichtlich der konvergenten Interessen der Länder des Südens und des Nordens als Aufgabe von nationalem Interesse. Nach 1970 belebte sich die Diskussion auf internationaler Ebene (Dependenztheorie, Self-Reliance-Politik, Verkündung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung, Strategien zur Deckung der Grundbedürfnisse usw.). In der Schweiz geriet die Entwicklungszusammenarbeit von zwei Seiten ins Kreuzfeuer. Einerseits prangerten rechte Kreise die Verschwendung von Hilfsgeldern an und sprachen sich vor allem gegen eine multilaterale Zusammenarbeit aus. Sie drohten, die Kreditvergabe per Referendum zu bekämpfen. Andererseits akzeptierte die Linke die Investitionen von Privaten nicht als Entwicklungshilfe und verurteilte die Profite der multinationalen Unternehmen in der Dritten Welt. Gegensätze prägten die 1973 einsetzende Debatte, die der Verabschiedung des Bundesgesetzes über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe im März 1976 vorausging. Für das Zustandekommen verschiedener Projekte waren zwei Ereignisse von Bedeutung: Die Ölkrise 1973, mit der sich die Stellung der Dritten Welt innerhalb der Staatenwelt eindeutig zu verlagern schien, und die Veröffentlichung des Berichts «Entwicklungsland Welt – Entwicklungsland Schweiz» (1975), herausgegeben von einer Kommission der privaten Entwicklungsorganisationen. Mit dem Gesetz wurden Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe gekoppelt und der Begriff Entwicklungshilfe durch Entwicklungszusammenarbeit offiziell ersetzt. Das Gesetz schrieb weiter vor, dass «in erster Linie die ärmsten Entwicklungsländer, Regionen und Bevölkerungsgruppen» unterstützt werden sollen. 1978 wurde das neue Instrument erstmals in Form eines vom Bawi verwalteten Kredits eingesetzt.

Eine Mitarbeiterin von Helvetas in Bhutan. Fotografie, April 1993 (Interfoto, Genf).
Eine Mitarbeiterin von Helvetas in Bhutan. Fotografie, April 1993 (Interfoto, Genf).

Von 1991 an investierte der Bund jährlich rund 1300 Mio. Franken in die Entwicklungszusammenarbeit. Über drei Viertel dieser Summe wurden von der Deza verwaltet (technische Zusammenarbeit, finanzielle und humanitäre Hilfe). Das Bawi betreute ein Achtel des Gesamtbetrags (gemischte Kredite, Unterstützungsbeiträge an die Zahlungsbilanz und Entschuldungsmassnahmen). Der Rest verteilte sich auf verschiedene Bundesämter. Schätzungsweise drei Viertel der Gelder wurden für die bilaterale Zusammenarbeit aufgewendet. Nach 1990 wurde das Tätigkeitsfeld auf die osteuropäischen Länder und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion ausgedehnt. Rechtliche Grundlage für derartige Operationen bildete der allgemeine Bundesbeschluss von 1994 betreffend die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas. Mit der Verwaltung der vom EDA gewährten Beträge wurde die Deza betraut.

Plakat für die Dezembersammlung der Caritas von 1991, gestaltet vom Atelier René Villiger ASG (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für die Dezembersammlung der Caritas von 1991, gestaltet vom Atelier René Villiger ASG (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Die Deza wendet ca. 60% ihrer Kredite für die rund 17 (im Jahr 2003) sogenannten Schwerpunktländer auf, von denen über die Hälfte in Afrika liegen. Knapp ein Drittel dieser Summe wird treuhänderisch von privaten Organisationen verwaltet, die in der Regel der Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Hilfswerke angehören (Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas) und eng mit der Deza zusammenarbeiten, ohne immer den gleichen politischen Standpunkt zu vertreten. Die Grundsätze der Zusammenarbeit, die 1976 gesetzlich geregelt wurden, gaben immer wieder Anlass zu politischen Debatten, die massgeblich von der 1968 gegründeten Erklärung von Bern (EvB) geprägt wurden. Nach dem Willen des Volkes ist die Schweiz 1992 den Abkommen von Bretton Woods beigetreten. Die privaten Organisationen verlangen seither, dass die Schweiz ihre Positionen im Sinne des Gesetzes von 1976 sowohl gegenüber der Weltbank als auch im IWF klar vertritt.

Seit den 1960er Jahren verlangt die UNO, dass die Industrieländer 0,7% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) für die Entwicklungszusammenarbeit aufwenden. Ende der 1990er Jahre belief sich diese Zahl für die Schweiz auf 0,34% gegenüber 0,25% in den OECD-Ländern. Die Entwicklungszusammenarbeit stellt denn auch einen wichtigen Aspekt in den Auslandsbeziehungen der Schweiz dar. In seinem Bericht vom März 1994 forderte der Bundesrat mehr Kohärenz zwischen Entwicklungszusammenarbeit, Handels-, Asyl-, Umwelt- und Finanzpolitik. Vor allem sollte laut dem Bericht nicht ausser Acht gelassen werden, welche Rolle der Schweizer Finanzplatz für Fluchtgelder aus der Dritten Welt spielt.

Quellen und Literatur

  • Entwicklungsland Welt - Entwicklungsland Schweiz, 1975
  • Jb. Schweiz-Dritte Welt, 1981- (dt. ab 1982)
  • J.-J. de Dardel, La coopération au développement, 1981
  • Leitbild der DEH, 1991
  • A. Matzinger, Die Anfänge der schweiz. Entwicklungshilfe 1948-1961, 1991
  • Von der Entwicklungshilfe zur Entwicklungspolitik, hg. von P. Hug, B. Mesmer, 1993
  • R. Gerster, Nord-Süd-Politik, 1995
  • G. Rist, Le développement: histoire d'une croyance occidentale, 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Gilbert Rist: "Entwicklungszusammenarbeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.10.2009, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017354/2009-10-22/, konsultiert am 28.03.2024.