Kalter Krieg

Der Kalte Krieg bezeichnet den Ost-West-Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR, Russland) und deren jeweiligen Verbündeten nach dem Zweiten Weltkrieg, einen aktiv betriebenen Nicht-Frieden, der in der sogenannten Dritten Welt auch in der Form konventioneller militärischer Auseinandersetzungen geführt wurde und mit dem Zerfall des Ostblocks 1985-1991 ein Ende fand. Der Wegfall der bipolaren Ordnung offenbarte aber gleichzeitig den Verlust einer identitätsstiftenden Bedrohungskonzeption. Das Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ideologischer Systeme wirkte sich auf zahlreiche Bereiche der schweizerischen Innen- und Aussenpolitik aus.

Aussenpolitik und Aussenwirtschaft

Der Ausbruch des Ost-West-Konflikts erleichterte der Schweiz zunächst, sich aus der Isolation zu lösen, in die sie Ende des Zweiten Weltkriegs geraten war, und – langfristig – an der bewaffneten Neutralität als aussenpolitische Maxime festzuhalten, die einerseits durch das ergänzende Prinzip der Solidarität eine neue Nuancierung, andererseits eine ideologische Überhöhung erfuhr.

Sowohl die USA wie auch die UdSSR bewerteten 1945 die schweizerische Neutralität negativ; beide Supermächte waren aber auch bestrebt, sich mit der Schweiz zu arrangieren, was sich 1946 im Abschluss des Washingtoner Abkommens und in der Wiederaufnahme der formellen diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und der Schweiz äusserte. Bis Anfang der 1970er Jahre war der Bundesrat überzeugt, dass die Grossmächte die Weltpolitik bestimmten und die Einflussmöglichkeiten der Schweiz als Kleinstaat gering seien. Die Neutralitätspolitik und die aus ihr resultierenden Pflichten sollten so wenig wie möglich definiert werden, um den Supermächten keine Angriffsflächen für Kritik und Ansprüche zu bieten. Ausserdem verzichtete der Bundesrat darauf, von den USA und der UdSSR eine Anerkennung der schweizerischen Neutralität einzufordern. Ideologisch, wirtschaftlich, geografisch und staatspolitisch zählte die Schweiz sich aber eindeutig zum Westen. Völkerrechtlich hingegen plädierte der Bundesrat für die Universalität der diplomatischen Beziehungen. In diesem Sinne wurden schon 1950 – also lange vor den USA – Beziehungen mit der Volksrepublik China aufgenommen. Bei den geteilten Staaten (Deutschland, Korea, Vietnam) erfolgte die Anerkennung der westlich orientierten Teile aufgrund von Eigeninteressen und den bereits vorhandenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen um Jahre früher als diejenige der jeweiligen kommunistischen Gegenparts.

Die Nützlichkeit der schweizerischen Neutralität wurde der internationalen Staatenwelt 1953 mit der Beteiligung an der neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Korea und der neutralen Repatriierungskommission für Kriegsgefangene bewiesen, wobei die Schweiz als sogenannter westlicher Neutraler galt. Die Genfer Konferenzen von 1954 und der österreichische Staatsvertrag von 1955, der auf die Vorbildfunktion der schweizerischen Neutralität verwies, werteten diese weiter auf. In der Eskalationsphase des Kalten Kriegs übernahm die Schweiz 1961 die Interessenvertretung der USA in Kuba (Gute Dienste).

Kundgebung für Ungarn und Panzerabwehrkurse. Schweizer Filmwochenschau, Ausgabe Nr. 764 vom 29. März 1957 (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#764-1#2* und …#764-1#3*) © Cinémathèque suisse, Lausanne und Schweizerisches Bundesarchiv, Bern.
Kundgebung für Ungarn und Panzerabwehrkurse. Schweizer Filmwochenschau, Ausgabe Nr. 764 vom 29. März 1957 (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#764-1#2* und …#764-1#3*) © Cinémathèque suisse, Lausanne und Schweizerisches Bundesarchiv, Bern. […]

Im Gegensatz zu den anderen neutralen Staaten wie Schweden und Österreich hielt die Schweiz bis in die 1970er Jahre an ihrer aussenpolitischen Zurückhaltung fest; der spektakuläre, aber erfolglose Aufruf zum Frieden mit einem Angebot der klassischen Disponibilität während der Doppelkrise in Ungarn und am Suez 1956 blieb die Ausnahme. Die Multilateralisierung der Weltpolitik und des Welthandels in den 1960er Jahren führte 1973-1975 bei den schweizerischen Verantwortungsträgern zu einer offensiveren Aussenpolitik im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE). Nach anfänglichem Zögern nahm die Schweiz in den Verhandlungen und bei der Festlegung der Helsinki-Schlussakte eine aktive Rolle ein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die Schweizer Wirtschaft, möglichst viele Märkte für ihre Exporte zu gewinnen. Den Anschluss an die westlichen Volkswirtschaften sicherte 1948 der Beitritt zu der von den USA abhängigen Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (später Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD). Die Schweiz trachtete auch nach einem Ausbau des Handels mit den kommunistischen Staaten; dem standen aber der osteuropäische Dirigismus auf der einen Seite und der amerikanische Embargodruck (Hotz-Linder-Agreement) auf der anderen entgegen. Trotz zahlreicher Handels- und Zahlungsabkommen sank der Anteil des Osthandels in den schweizerischen Aussenhandelsstatistiken von rund 8% Ende der 1940er Jahre auf unter 4% 1953. Die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 und der Bau der Berliner Mauer 1961 führten zu Boykottforderungen von Parteien und Verbänden. Die schweizerische Wirtschaft und der Bundesrat zeigten zwar Verständnis für diese Reaktionen; sie waren aber nicht bereit, den Osthandel, der in ihren Augen zu einer glaubwürdigen Neutralitätspolitik beitrug, auszusetzen. Im Zug der Entspannungspolitik Mitte der 1960er Jahre förderten die Spitzenverbände, unterstützt vom Bundesrat, den Handel mit den kommunistischen Staaten wieder; zu diesem Zweck schloss die Schweiz zwischen 1971 und 1975 mehrere neue Wirtschaftsabkommen ab. Der Anteil des Osthandels stieg dadurch auf eine Rekordhöhe, fiel dann aber aufgrund der Krise der osteuropäischen Staaten bis Anfang der 1990er Jahre wieder auf rund 3%.

Das Ende des Kalten Kriegs vergrösserte den aussenpolitischen Handlungsspielraum der Schweiz. Mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Staatensystems entfielen aber auch die günstigen Bedingungen, die der Schweiz die überaus erfolgreiche Kombination einer aktiven Aussenhandelspolitik, einer eng ausgelegten Neutralitätspolitik und dem Abseitsstehen von den wichtigsten internationalen Organisationen ermöglicht hatten. Die innenpolitischen Richtungskämpfe über eine allfällige Integration der Schweiz in die bestehenden supranationalen Organisationen waren zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen.

Innen- und sicherheitspolitische Aspekte

Der kommunistische Prager Umsturz von 1948 löste in der Schweiz umfassende Reaktionen aus (Tschechoslowakei). So führte die neue Bedrohung zu einer Neulancierung der wirtschaftlichen Landesverteidigung. Die Sicherung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern fand mit dem Ende des Koreakriegs 1953 ihren ersten vorläufigen Abschluss (Wirtschaftliche Landesversorgung). 1957 wurde das Gesetz über den Aufbau des Zivilschutzes verabschiedet.

Sicherheitspolitisch verfolgte der Bund das Ziel, die bewaffnete Neutralität durch Aufrüstung der Luft- und Panzerstreitkräfte zu garantieren (Armee). Daran änderte sich bis zum Ende des Kalten Kriegs wenig, obschon die sich 1973 durchsetzende Strategie der Gesamtverteidigung zivile Mittel wie Aussenpolitik, Zivilschutz, wirtschaftliche Vorsorge, Staatsschutz und Information (Nachrichtendienste) zur Ergänzung der militärischen Landesverteidigung vorsah. In den 1990er Jahren erweiterte sich das Sicherheitsverständnis und bezog die Wahrung der internationalen Sicherheit mit ein (Sicherheitspolitik). Der An- und Verkauf von Rüstungsgütern wickelte sich fast ausnahmslos über das westliche Lager ab, was sich gerade bei massiven schweizerischen Lieferungen in die USA Anfang der 1950er Jahre als problematisch erwies. Die 1958 vom Bundesrat formulierte Option der Atombewaffnung wurde von der Sowjetunion als mit der Neutralität unvereinbar betrachtet (Atomwaffen).

Tafel der Aktionsgruppe «Frei sein», die 1956 in der Nachbarschaft des Hauses von Konrad Farner, einem ab 1944 leitenden Mitglied der Partei der Arbeit, in der Mühlebachstrasse in Thalwil aufgestellt wurde (Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich, IB SAD-Dokumentation / 702).
Tafel der Aktionsgruppe «Frei sein», die 1956 in der Nachbarschaft des Hauses von Konrad Farner, einem ab 1944 leitenden Mitglied der Partei der Arbeit, in der Mühlebachstrasse in Thalwil aufgestellt wurde (Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich, IB SAD-Dokumentation / 702). […]

Die Staatsschutzmassnahmen, die zur Bekämpfung der ideologischen Unterwanderung ergriffen wurden, dienten oft auch der Disziplinierung gesellschaftlicher Dissidenz. Der Bundesrat schränkte 1948 die Redefreiheit von Ausländern jeglicher Couleur ein, um auf Schweizer Boden öffentliche Angriffe ausländischer Repräsentanten auf ihre jeweiligen ideologischen Gegner zu unterbinden. Dieser Redebeschluss, der 1966 auch auf Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg zur Anwendung kam, wurde 1998 aufgehoben. Die Bundesanwaltschaft konfiszierte ausländisches Propagandamaterial und rügte publizistische Angriffe osteuropäischer Gesandtschaften in der Schweiz auf westliche Staaten. Der Staatsschutz wurde 1950 durch eine Teilrevision der Strafgesetzbestimmungen verschärft. In den folgenden Jahren fanden Prozesse gegen Mitglieder der Partei der Arbeit oder dem Kommunismus nahestehende schweizerische Persönlichkeiten statt. 1950 erliess der Bundesrat Weisungen gegen «vertrauensunwürdige Beamte». Ohne rechtliche Grundlagen agierende (para-)staatliche Überwachungsorganisationen waren während der ganzen Periode des Kalten Kriegs tätig. Nach der Fichenaffäre wurde der Staatsschutz in den 1990er Jahren reorganisiert.

Schweigeminuten auf dem Bahnhofplatz in Bern am 20. November 1956, aus Solidarität mit den Opfern der brutalen Unterdrückung des Ungarnaufstands © KEYSTONE/Photopress.
Schweigeminuten auf dem Bahnhofplatz in Bern am 20. November 1956, aus Solidarität mit den Opfern der brutalen Unterdrückung des Ungarnaufstands © KEYSTONE/Photopress.

Der Antikommunismus erreichte 1956 nach der Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn seinen Höhepunkt. Grosse Teile der Bevölkerung, der Presse und des Parlaments verurteilten den Einmarsch sowjetischer Truppen und zeigten grosse Bereitschaft, Flüchtlinge aus dem kommunistischen Machtbereich aufzunehmen, so nach 1956 rund 12'000 Ungarn, nach 1959 1200 Tibeter, nach 1968 12'000 Tschechen und Slowaken und zwischen 1975 und 1983 8200 Südvietnamesen. Boykottaufrufe gegenüber osteuropäischen Gütern, die Nichtteilnahme an sportlichen Grossanlässen wie etwa an den Olympischen Spielen von Melbourne 1956 sowie die Einschränkung des kulturellen und sportlichen Austausches mit dem Osten bildeten das Instrumentarium von Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen und die systematische politische Unterdrückung hinter dem Eisernen Vorhang.

Quellen und Literatur

  • Ooyen, Robert Christian van: Die schweizerische Neutralität in bewaffneten Konflikten nach 1945, 1992.
  • Bretscher-Spindler, Katharina: Vom heissen zum kalten Krieg. Vorgeschichte und Geschichte der Schweiz im Kalten Krieg 1943-1968, 1997.
  • Mantovani, Mauro: Schweizerische Sicherheitspolitik im Kalten Krieg (1947-1963). Zwischen angelsächsischem Containment und Neutralitäts-Doktrin, 1999.
  • Fanzun, Jon A.; Lehmann, Patrick: Die Schweiz und die Welt. Aussen- und sicherheitspolitische Beiträge der Schweiz zu Frieden, Sicherheit und Stabilität, 2000.
  • Spillmann Kurt R. et al.: Schweizer Sicherheitspolitik seit 1945. Zwischen Autonomie und Kooperation, 2001.
  • Altermatt, Claude: La politique étrangère de la Suisse pendant la guerre froide, 2003.
  • Fischer, Thomas: Die Grenzen der Neutralität. Schweizerisches KSZE-Engagement und gescheiterte UNO-Beitrittspolitik im kalten Krieg 1969-1986, 2004.
Von der Redaktion ergänzt
  • Buomberger, Thomas: Die Schweiz im Kalten Krieg, 1945-1990, 2017.
  • Dommann, Monika; Marti, Sibylle: Kriegsmaterial im Kalten Krieg. Rüstungsgüter in der Schweiz zwischen Militär, Industrie, Politik und Öffentlichkeit, 2020.
Weblinks

Zitiervorschlag

Eric Flury-Dasen: "Kalter Krieg", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017344/2021-01-14/, konsultiert am 28.03.2024.