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Stäfnerhandel

Gewaltlose, durch die Reaktion der Zürcher Regierung auf das sogenannte Stäfner Memorial provozierte, mehrere Zürcher Gemeinden und Herrschaften erfassende Auflehnungsbewegung gegen die Zürcher Obrigkeit, die von patriotisch gesinnten Exponenten der ländlichen Oberschicht getragen wurde. In der Lesegesellschaft Stäfa trug am 11. November 1794 Heinrich Nehracher den im Wesentlichen von ihm verfassten, schon in mehreren Exemplaren zirkulierenden Entwurf eines Memorials mit dem Titel «Ein Wort zur Beherzigung an unsre theuersten Landesväter» vor. Darin wurde der Staat als Familie angesehen und die zürcherische Verfassung als die denkbar beste dargestellt, die wegen der Ungleichheiten bezüglich der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten sowie in den Aufstiegsmöglichkeiten lediglich gleichmässig «über das ganze Land ausgebreitet» werden müsste. Obwohl die Bittschrift – vermutlich um andere Bevölkerungsgruppen in einen Oppositionskonsens einzubinden – auch Forderungen nach der Abschaffung des Zehnten und der Grundzinsen oder nach der Wiederherstellung alter Freiheiten der Gemeinden enthielt, fokussierte sie damit vor allem auf die Interessen der ländlichen Eliten, welche die wirtschaftliche, rechtliche und politische Gleichsetzung mit dem städtischen Bürgertum anstrebten. Noch vor der Einreichung fing die Regierung ein Exemplar des Memorials ab. Verschiedene Beteiligte, unter ihnen Nehracher, wurden des Landes verwiesen, weitere zu Geld- und Ehrenstrafen verurteilt. Das Memorial wurde durch den Grossweibel verbrannt.

Die überzogene Reaktion der Zürcher Regierung auf die Bittschrift führte nun zu einer Ausweitung der Affäre zu einer Volksbewegung, wobei verschiedene patriotische Sozietäten wie zum Beispiel die Lesegesellschaft Pfäffikon bewusst Öffentlichkeit herstellten. Deputationen anderer Gemeinden rund um den Zürichsee, die sich mit Stäfa solidarisiert hatten, forschten ab Februar 1795 in Kontakt mit diesem in den im Memorial angeführten Dokumenten wie den Waldmann'schen Spruchbriefen (1489) und dem Kappelerbrief (1532) nach alten Freiheitsgarantien, bis die Obrigkeit die – von ihr als revolutionäre Akte interpretierten – öffentliche Vorlesungen dieser Briefe verbot. In Stäfa herrschte im Frühling 1795 ein Klima des zivilen Aufruhrs; das Vorlesungsverbot wurde missachtet. Als die Vertreter der Gemeinden auf eine Vorladung zum Verhör nicht reagierten, untersagte Zürich jeglichen Handel mit Stäfa und stellte diesem ein Ultimatum. Bern setzte Truppen in Bereitschaft, Glarus unternahm erfolglos Vermittlungsversuche. Am 5. Juli 1795 marschierte ein Zürcher Truppenkontingent von 2000 Mann in Stäfa ein, ohne auf Widerstand zu stossen. Die Gemeinde wurde entwaffnet und blieb auf ihre Kosten für neun Wochen besetzt. Am 2. September 1795 ergingen 267 Urteile über die Hauptbeteiligten dieser zweiten Phase. Dank des Einflusses gemässigter Städter wie Johann Kaspar Lavater und Johann Heinrich Pestalozzi unterblieben Hinrichtungen. Die harte Unterdrückung der Bewegung bewirkte, dass die Zürcher Landschaft Anfang 1798 die Truppenaufgebote zur Abwehr des Franzoseneinfalls weitgehend ignorierte.

Quellen und Literatur

  • Memorial und Stäfner Handel 1794/1795, hg. von C. Mörgeli, 1995 (mit Bibl.)
  • GKZ 2, 493-496
  • R. Graber, Zeit des Teilens, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Bruno Schmid: "Stäfnerhandel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.02.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017215/2012-02-27/, konsultiert am 29.03.2024.