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Grauer Bund

Oberer Bund

Der Graue Bund – vorerst Oberer Bund genannt – entstand im Wesentlichen durch den Zusammenschluss von 21 Gerichtsgemeinden aus den Talschaften des Vorder- und Hinterrheintals. Am 14. Februar 1395 schlossen drei «Hauptherren» des Vorderrheintals, nämlich der Abt des Klosters Disentis, Johannes von Ilanz, als Hauptinitiant, Freiherr Ulrich II. von Rhäzüns und Freiherr Albert von Sax-Misox, zusammen mit Abgeordneten der Gerichtsgemeinden in Ilanz ein ewiges Bündnis. Weil ihre Herrschaften vorwiegend im Oberland lagen, wurde das Bündnis Part Sura (Oberer Teil) genannt. Ihnen schloss sich fünf Tage später Graf Johann von Werdenberg-Sargans mit den Freien ob dem Flimserwald an.

Ursache für diese Vereinigung war eine Reihe von Fehdekriegen unter den Herren von Belmont, Werdenberg, Rhäzüns und dem Bischof von Chur, aber auch zwischen Exponenten des niederen Adels. Gewerbe, Handel und Verkehr hatten darunter stark gelitten. Mit dem Ilanzer Bund sollte die Sicherheit auf den Strassen und der freie Handel und Wandel wieder hergestellt und dem gemeinen Mann vor Gericht zu seinem Recht verholfen werden. Harte Strafen gegen Mord, Totschlag, Raub und Brandschatzung gehörten zum Katalog der Landfriedensbestimmungen (Landfrieden) jener Zeit. Am 4. April 1399 stiess die Herrschaft Hohentrins, die den Grafen von Werdenberg-Heiligenberg unterstand, mit ihren Leuten von Trin und Tamins und dem Brückenzoll zu Reichenau zum Oberen Bund. Dieser nunmehr das gesamte Vorderrheintal einschliessende Bund ging am 24. Mai 1400 mit Glarus ein Bündnis ein, das zum Ziel hatte, die Passstrassen nach Süden (Panixerpass, Lukmanier, Valserberg) für die Glarner Viehhändler und Kaufleute zu sichern.

Plakat von Otto Baumberger zur 500-Jahrfeier des Grauen Bunds in Trun im Juni 1924 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Plakat von Otto Baumberger zur 500-Jahrfeier des Grauen Bunds in Trun im Juni 1924 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Der Obere Bund erfuhr am 16. März 1424 eine Neubeschwörung, Vertiefung und Erweiterung zu Trun unter einem legendären Ahornbaum und wurde fortan allgemein Grauer Bund genannt. Grau soll gemäss der Überlieferung die Farbe des wollenen Lodentuchs gewesen sein, aus dem die Kleidung des gemeinen Mannes bestand; der Name übertrug sich in der Folge auf alle Bündner (Grischuns) und auf den Stand Graubünden. In Trun waren nun neben den drei Hauptherren die Gemeinden und die Freien stärker vertreten. Die Bestimmungen von 1395 wurden um solche der Mahnung und Hilfeleistung, der Gewährleistung von Eigentum und der besseren Rechtsprechung ergänzt. Trun wurde als Sitz eines unparteiischen Bundesgerichts bezeichnet, das als oberste zivile Appellationsinstanz fungierte und zuerst zwölf, später fünfzehn Richter (sogenanntes Fünfzehner Gericht) umfasste. Von den drei rätischen Bünden besass nur der Graue Bund richterliche Zentralgewalt, er war auch der einzige, der eine einheitliche Zivilgesetzgebung einführte. 1424 wurden zu Trun auch die Talschaften am Hinterrhein, Heinzenberg-Thusis, Schams und Rheinwald, voll in den Grauen Bund integriert. Damit erlangte dieser Bund eine erhöhte strategische Bedeutung, da von ihm aus – neben dem Lukmanier – auch die Transitpässe Splügen und San Bernardino nach Süden führten. Am 23. April 1480 trat das obere Misoxertal mit Erlaubnis des Grafen Johann Peter von Sax und 1496 der übrige Teil des Tals dem Grauen Bund bei. Durch ein Netz von Verbindungen verstärkte der Graue Bund die Zusammenarbeit im rätischen Alpenraum: mit Teilen des Gotteshausbunds 1406 bzw. 1425, mit Chur und den Vier Dörfern (Fünf Dörfer) 1440, mit dem Zehngerichtenbund 1471. Der Graue Bund wurde die führende Kraft bei gesamtbündnerischen aussenpolitischen Unternehmungen (1486-1487 Veltliner Feldzüge, 1496 Soldvertrag mit Frankreich, 1497 Bündnis mit der Eidgenossenschaft, 1512 Mailänder Feldzüge). Ein Streit mit dem Gotteshausbund um den Vorrang endete 1550 mit einem Kompromiss: Bei Auftritten im Ausland und bei kriegerischen Feldzügen stand der Graue Bund an erster Stelle, beim Siegeln waren sie einander grundsätzlich gleichgestellt, in der Praxis gewann aber der Gotteshausbund mit seinem Präsidenten hierin einen Vorsprung, weil Chur der häufigste Treffpunkt der ausländischen Gesandten war. Innerhalb des Grauen Bundes besassen die Gebiete der einstigen Hauptherren (Cadi, Lugnez-Gruob-Flims, Waltensburg-Obersaxen-Rhäzüns) politisch ein starkes Übergewicht, indem seit jeher nur Leute aus diesen drei Regionen im zweijährigen Turnus das höchste Bundesamt des Landrichters (cau-derschader) erklimmen konnten. Dies führte nicht selten dazu, dass Familien aus anderen Gebieten ihren Wohnsitz in die «amtsfähigen» Gebiete transferierten. Als Teil des alten Freistaats der Drei Bünde ging der Graue Bund 1798 unter, hingegen funktionierte er noch von 1803 bis 1854 als Bestandteil der politischen Organisation des Kantons Graubünden.

Quellen und Literatur

  • StAGR, Landesakten
  • P.A. Vincenz, Der Graue Bund, 1924
  • HbGR 1-2
  • R.C. Head, Demokratie im frühneuzeitl. Graubünden, 2001 (engl. 1995)
Weblinks
Weitere Links
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Zitiervorschlag

Martin Bundi: "Grauer Bund", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.01.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017158/2010-01-14/, konsultiert am 29.03.2024.