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Krankenkassen

Krankenkassen übernehmen bei Krankheit und anderen in ihren Statuten genannten Risiken wie Invalidität oder Todesfall mindestens teilweise den Verdienstausfall sowie Heilungs- (Arzt, Medikamente, Spital usw.) oder Begräbniskosten (Krankenversicherung, Unfallversicherung). Ursprünglich setzten Krankenkassen eine Gruppe von Menschen voraus, die in Notlagen nicht auf familiäre Versorgung bauen konnten, aber über Finanzen und Qualifikationen zur Führung solcher Institutionen verfügten. Dies traf vor der Industrialisierung auf städtische Handwerker, insbesondere auf Gesellen zu. Schon im Mittelalter existierten meist berufs- bzw. zunftbezogene Kassen, sogenannte Laden, die unter anderem das Krankheitsrisiko abdeckten. Die laut der Erhebung von 1865 älteste dieser Kassen, die der Basler Küfergesellen, wurde 1554 gegründet. Nur ca. zwei Dutzend solcher Kassen überlebten die den Korporationen feindlich gesinnten Revolutionsjahre. Inwiefern im 19. Jahrhundert entstandene sogenannte gegenseitige Hilfsgesellschaften (Hilfsvereine) auf alten Beständen bauten, ist nicht bekannt.

Viele der Krankenkassen-Neugründungen des 19. Jahrhunderts, in der Regel als Vereine oder Genossenschaften der Versicherten organisiert, erwiesen sich als nicht überlebensfähig. Bis zur Jahrhundertwende kritisierten Experten die fehlenden versicherungstechnischen Grundlagen, zum Beispiel die willkürliche Festsetzung von Prämien und Leistungen und beanstandeten insbesondere die sogenannten Frankenkassen, deren Mitglieder bei Krankheit oder Tod eines der Ihren einen festen Betrag (meist 1 Fr.) an die Geschädigten zu zahlen hatten. Die Gründungen fanden – zum Teil initiiert von aussenstehenden Persönlichkeiten wie Unternehmern oder Geistlichen – in einem überschaubaren geografischen und/oder beruflichen Kreis statt, was die Verhinderung von Missbräuchen erleichterte. Nicht selten spielte die Gesinnung, etwa die Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung (z.B. Grütli) oder zum Katholizismus (z.B. CSS Versicherung), eine entscheidende Rolle. Beachtliches Gewicht erreichten die von Beginn des 19. Jahrhunderts an sporadisch auftauchenden, ab den 1830er Jahren stabil wirkenden Fabrik- oder Betriebs-Krankenkassen (1835 Escher, Wyss & Cie., 1845 Gebrüder Sulzer). Die überwiegende Mehrheit der gegenseitigen Hilfsgesellschaften organisierte die verschiedenen Kategorien der Arbeiterschaft. 136 der 1880 erfassten Krankenkassen wurden vor 1840, 232 in der Periode 1840-1859, 272 in den 1860er und 397 in den 1870er Jahren gegründet. Die Erhebung von 1903 verzeichnet ein seither nie mehr übertroffenes Maximum von 2006 Kassen mit insgesamt 494'638 Mitgliedern. Davon richteten 1812 mit 422'209 Versicherten Leistungen bei Krankheit aus, 1345 mit 345'793 im Todesfalle, 150 mit 62'914 bei Alter und Invalidität, 77 mit 30'792 für Hinterbliebene und 4 mit 1604 bei Arbeitslosigkeit. Die meisten Kassen versicherten demnach mehrere Risiken nebeneinander, die überwiegende Mehrheit auch Krankheit, sodass man sie kurz Krankenkassen nannte. Verdienstausfall-Entschädigung überwog die Heilungskosten noch klar (4,0 Mio. Franken Taggelder für Kranke, 2,1 Mio. Franken für Alters- und Invalidenrenten, 1,6 Mio. Franken für Heilungskosten, 1,3 Mio. Franken für Witwen- und Waisenrenten sowie 0,9 Mio. Franken Sterbegelder). Fast die Hälfte der Kassen zählte weniger als 100 Mitglieder, weniger als ein Zehntel verfügte über mehr als 500 Mitglieder. Weil der bei Stellen- oder Wohnortswechsel nötige Übertritt in einen andern Verein mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war, schlossen sich Krankenkassen ab 1876 (Rüti, Wald, Wetzikon, alle ZH) vermehrt zu Freizügigkeitsverbänden zusammen. Der bedeutendste war das 1891 von den Kantonalverbänden Zürich, Thurgau und St. Gallen/Appenzell Ausserrhoden gegründete Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen (KSK), das sich bis zum Ersten Weltkrieg auf die Krankenkassen der gesamten Deutschschweiz ausdehnte. 1893 folgten die Fédération des sociétés de secours mutuels de la Suisse romande, 1921 die Federazione ticinese delle casse malati, die sich beide 1985 mit dem KSK vereinigten (seit 2002 santésuisse).

Anzahl Krankenkassen und Versicherte 1865-2000

JahrKassenVersichertea
1865489ca. 75'000 (81%)
1880919ca. 160'000 (78%)
19031'812422'000 (77%)
1920b946968'748 (52%)
19401'1472'104'112 (41%)
19601'0884'413'220 (40%)
19805556'811'581 (41%)
19902467'611'689 (43%)
20001107'636'563 (39%)

a in Klammern: Anteil der erwachsenen Männer (Altersgrenze variabel)

b ab 1920 nur anerkannte Krankenkassen

Anzahl Krankenkassen und Versicherte 1865-2000 -  Statistik über die Krankenversicherung, 1934-; Autor

Das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (KUVG) von 1911 schuf mit der Festlegung von Mindestanforderungen an Krankenkassen eine neue Ausgangslage. Die diesen genügenden Krankenkassen wurden staatlich anerkannt und subventioniert. Versicherungstechnische Grundlagen verbreiteten sich in der Folge rasch. Wegen der steigenden Heilungskosten wandten sich im 20. Jahrhundert auch ökonomisch besser gestellte Schichten der Krankenversicherung zu. Ihren speziellen Bedürfnissen dienten ab der Jahrhundertwende entstandene Mittelstands-Krankenkassen (Ärzte-Krankenkassen, Krankenkassen der Techniker usw.) sowie Angebote privater Versicherungsgesellschaften, die allerdings seit Ende der 1990er Jahre nur noch Zusatzversicherungen anbieten. Mitte der 1930er Jahre begann ein sich in den 1960er Jahren beschleunigender Konzentrationsprozess, der die Zahl der Krankenkassen bis heute ständig sinken, diejenige ihrer Mitglieder dagegen ansteigen liess. 2007 waren die wichtigsten Krankenkassen 12 zentralisierte Gross-Krankenkassen mit je über 100'000 Versicherten. Die meist im 20. Jahrhundert entstandenen Öffentlichen Krankenkassen und die 34 Betriebs-Krankenkassen verfügten zusammen nicht einmal über ein Zehntel der Mitgliedschaft der Gross-Krankenkassen. Weil immer mehr Krankenkassen gesamtschweizerisch tätig wurden und die Betriebs-Krankenkassen zunehmend auch Nicht-Betriebsangehörige versicherten, wurde die Unterscheidung der Krankenkassen Mitte der 1990er Jahre aufgegeben. Der Wandel zeigt sich auch in einer Professionalisierung der inneren Struktur: 1981 verwalteten 6933 Angestellte im Nebenamt insbesondere kleine und Sektionen grosser Krankenkassen, während 4333 Angestellte vollamtlich tätig waren. 2000 waren es 10'697 hauptamtlich Angestellte gegenüber 1395 nebenamtlichen.

Plakat der SEC Werbeagentur in Luzern für die Öffentlichen Krankenkassen der Schweiz, 1986 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat der SEC Werbeagentur in Luzern für die Öffentlichen Krankenkassen der Schweiz, 1986 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Mit dem Ausbau des Gesundheitswesens und sozialpolitischen Verbesserungen (z.B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) verlor das Taggeld gegenüber den Heilungskosten ständig an Gewicht und lag 1923 mengenmässig erstmals tiefer. Damit gewann die Krankenversicherung für Frauen und Kinder an Attraktivität, sodass die Männer in den frühen 1920er Jahren erstmals weniger als die Hälfte der Versicherten stellten und die Mitgliedschaft von Frauen während des Zweiten Weltkriegs fast den Gleichstand erreichte. Die 1995 noch bestehende Übervertretung der Männer gründet vor allem in den Nur-Taggeldversicherten, stellten doch die Frauen in der Krankenpflegeversicherung bereits die Mehrheit. Das per 1. Januar 1996 in Kraft getretene Krankenversicherungsgesetz (KVG), das das Versicherungsobligatorium mit Einheitsprämie einführte, glich die zuvor um 10% höheren Prämien der Frauen denjenigen der Männer an. Das KVG mit vom Bundesamt für Sozialversicherungen zu bewilligenden Einheitsprämien und einer einheitlichen Grundversicherung machte für die Versicherten den Vergleich zwischen den einzelnen Krankenkassen transparenter, verkleinerte allerdings zusammen mit der Kostenexplosion im Gesundheitswesen und dem Altern der Gesellschaft den Handlungsspielraum der Krankenkassen. Mit dem sogenannten Risikoausgleich gelang es nicht, die zum Teil beträchtlichen Unterschiede bezüglich der Versichertenstruktur zu kompensieren. Ende der 1990er Jahre gehören die Krankenkassen, dank Zusammenschlüssen über mehr Marktmacht verfügend, zu den dominierenden Kräften in der Gesundheitspolitik, insbesondere gegenüber den Ärzten.

Die grössten Krankenkassen (Stand 2000)

KasseGründungsjahrAnzahl VersicherteBemerkungena
Helsana19971'470'315Zusammenschluss von Helvetia (1900) und Artisana (1952)
CSS18991'247'592Frühere Namen: 1899 Krankenkasse des kath. Arbeitervereins (St. Gallen), 1905 Christlichsoziale Kranken- und Unfallkasse der Schweiz, 1987 CSS Versicherung (Christlich-Soziale Schweiz)
Visana1996755'847Zusammenschluss der Krankenkasse für den Kt. Bern (1870), der Grütli (1872) und der Evidenzia (1990; Nachfolgeorganisation der Bern. Kranken- und Unfallkasse [1914])
Swica1992652'414Zusammenschluss der Ostschweizer Kranken- und Unfallkasse (1870), der Zentralostschweiz. Kranken- und Unfallkasse (1922), der Schweiz. Betriebskrankenkasse (1943) sowie der Panorama (1989)
Concordia1895616'794Frühere Namen: 1895 Zentralverband der kath. Krankenkassen der Schweiz, 1903 Krankenkassen-Verband des Schweiz. kath. Volksvereins, 1913 Konkordia, 2000 Concordia
Groupe Mutuel1890425'237Frühere Namen: 1890 Fédération valaisanne des Sociétés de Secours Mutuels, 1951 Mutuelle Valaisanne, 1993 Groupe Mutuel. 2000 waren 16 juristisch voneinander unabhängige Krankenkassen unter dem Dach der Groupe Mutuel vereint.
Sanitas1958419'228-
Intras1964406'757-
KPT/CPT1890312'740Früherer Name: Krankenkasse des Personals der schweiz. Transportunternehmungen
ÖKK1934319'662Vollständiger Name: Verband Öffentl. Krankenkassen der Schweiz

a in Klammern: Gründungsjahr

Die grössten Krankenkassen (Stand 2000) -  Geschäftsbericht und Pressestellen der Kassen

Quellen und Literatur

  • Die gegenseitigen Hilfsgesellschaften in der Schweiz im Jahr[e] 1865, 1868; 1880, 1887; 1903, 1907
  • Statistik über die Krankenversicherung, 1934-
  • 50e anniversaire de la Fédération des sociétés de secours mutuels de la Suisse romande, 1893-1943, 1943
  • P. Biedermann, Die Entwicklung der Krankenversicherung in der Schweiz, 1955
  • T. Erni, Die Entwicklung des schweiz. Kranken- und Unfallversicherungswesens, 1980
  • J. Schurtenberger, 100 Jahre Konkordat der Schweiz. Krankenkassen, 1991
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Krankenkassen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016619/2011-03-30/, konsultiert am 28.03.2024.