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Abolitionismus (Prostitution)

Die von der Engländerin Josephine Butler ins Leben gerufene Bewegung gegen die staatliche Reglementierung der Prostitution (Bordellgesetzgebung) wandte sich, in bewusster Anlehnung an die amerikanische Antisklavereibewegung, gegen die rechtliche und sexuelle Versklavung der Frauen, insbesondere gegen den als "weissen Sklavenhandel" bzw. traite des blanches bezeichneten Mädchenhandel. Die 1875 in Genf gegründete Fédération abolitionniste internationale (FAI) fand vor allem in der christlichen Erneuerungsbewegung der Westschweizer Oberschicht eine starke Anhängerschaft. Als Generalsekretär und Herausgeber des Verbandsorgans "Bulletin Continental" fungierte der Neuenburger Politiker Aimé Humbert-Droz. Im Anschluss an den 1. internationalen Abolitionistenkongress von 1877 in Genf organisierten sich calvinistisch geprägte Frauen in eigenen Hilfs- und Kollektenvereinen, die die Hebung der Sittlichkeit zum Ziel hatten und durch ein interkantonales Damenkomitee koordiniert wurden. Sie begegneten der Prostitution als vermeintliches Unterschichtsphänomen mit Prävention und Repression. Die in der Folge vor allem auf Initiative von Pfarrersgattinnen gegründete deutschschweizerischen Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit erreichten in Bern und Zürich gemeinsam mit der Sittlichkeitsbewegung der Männer die Schliessung der Bordelle. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lösten sie sich von der FAI und schlossen sich 1901 zum Verband deutschschweizerischer Frauenvereine zusammen, der vor allem auf das ZGB und das Sexualstrafrecht Einfluss nahm und in enger Kooperation mit den Fürsorgebehörden Prostituierte und ledige Mütter in Heimen einer strengen Disziplinierung unterwarf: Kasernierung statt Befreiung und Gleichstellung. Gemeinsam mit der Vereinigung gegen die Schundliteratur forderten sie eine starke Zensur und erreichten deren Ausdehnung auf den Film. Der später in Frauenhilfe umbenannte Verband ging 1947 im Evangelischen Frauenbund der Schweiz auf.

Erster Kongress der Fédération abolitionniste internationale in Genf. Anonyme Fotografie, 1877 (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Erster Kongress der Fédération abolitionniste internationale in Genf. Anonyme Fotografie, 1877 (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann). […]

Quellen und Literatur

  • B. Mesmer, Ausgeklammert – Eingeklammert, 1988
  • A.-M. Käppeli, Sublime croisade, 1990
  • Vergessene Gesch., hg. von M. Gosteli, 2 Bde., 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Elisabeth Joris: "Abolitionismus (Prostitution)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.06.2001. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016498/2001-06-05/, konsultiert am 28.03.2024.