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Mellingen

Ansicht von Nordosten aus der Topographia Helvetiae von Matthaeus Merian, Ausgabe von 1655 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Ansicht von Nordosten aus der Topographia Helvetiae von Matthaeus Merian, Ausgabe von 1655 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Politische Gemeinde des Kantons Aargau, Bezirk Baden. Die beidseits der Reuss gelegene Gemeinde mit markant geschlossenem mittelalterlichem Altstadtkern und den beinahe vollständig erhaltenen Wehrbauten bildet mit den zahlreichen Aussenquartieren der Neuzeit das Zentrum der Kleinregion Unteres Reusstal. 1045 Mellingen (Kopie 16. Jh.), 1217-1239 Menelingen. Um 1600 ca. 400 Einwohner; 1755 325; 1803 586; 1850 746; 1900 899; 1950 1634; 1970 3211; 2000 4239.

Im Gheid zahlreiche mesolithische, im Ebereich neolithische Funde. Die Römerstrasse Baden-Suhr überquerte vermutlich 500 m unterhalb der nachmaligen Altstadt als Furt die Reuss. Eine Brücke wird 1253 erwähnt. Ein rechtsufriges Dorf Mellingen (ab Spätmittelalter meist Trostburger Twing genannt) bestand schon im Frühmittelalter (Gräberfunde u.a. im Brand) und führte bis 1798 rechtlich ein gesondertes Dasein. Die Stadt Mellingen, am linken Ufer der Reuss errichtet, wurde vermutlich um 1230 von Graf Hartmann dem Älteren von Kyburg als strategische Brückensiedlung zwischen den kyburgischen Zentren Baden und Lenzburg gegründet. 1242 erstmals als Stadt erwähnt, ging Mellingen 1273 durch Kauf an Habsburg über. 1296 verlieh Herzog Albrecht Mellingen das Stadtrecht. 1415 eroberten Zürich und Luzern die Stadt zuhanden der eidgenössischen Orte. Landesherren waren von nun an bis 1712 die acht alten Orte, nachher nur noch Zürich, Bern und Glarus. Verwaltungstechnisch gehörte Mellingen zur Grafschaft Baden, verstand es aber, auch nach 1415 seine Rechte als Stadt zu wahren: Markt, gerichtliche Autonomie mitsamt der um 1400 erworbenen Blutgerichtsbarkeit, Wahl der Behörden (über 100 öffentliche Ämter), eigene Gesetzgebung und Verwaltung unter der Leitung eines Schultheissen. 1364 erwarb die Stadt Mellingen von den Herren von Trostberg die niedere Gerichtsbarkeit im Trostburger Twing. Wahrscheinlich bis zum Alten Zürichkrieg bildete der Trostburger Twing eine selbstständige politische Körperschaft mit eigenem Dorfrecht. Die Stadt war Königsfelden zehntpflichtig, der Twing dem Spital Baden. Verwaltungstechnisch gehörte er weiterhin zum Amt Rohrdorf, kirchlich zur Pfarrei Rohrdorf. Erst in der Helvetik wurde der Trostburger Twing politisch endgültig Mellingen zugeschlagen, kirchlich sogar erst 1896. Mellingen war eine der wenigen aargauischen Städte, die Gerichtsherrschaften zu erwerben verstanden. Ausser im Trostburger Twing übte Mellingen von 1415-1494 auch in Stetten und von 1543-1798 in Tägerig die niedere Gerichtsbarkeit aus. Das von den katholischen Orten dominierte, strategisch wichtige Mellingen war der bedeutendste Brückenort zwischen den beiden reformierten Hauptmächten Zürich und Bern. Von der Einführung der Reformation 1528 bis zum Villmergerkrieg 1712 wurde die Stadt zwölfmal besetzt. Während des Bauernkrieges erlitt ein Bauernheer vor den Toren von Mellingen eine Niederlage. Der ausgehandelte Friedensschluss, der sogenannte Mellinger Friede vom 4. Juni 1653, widerspiegelt den für die Bauern ungünstigen Verlauf. 1798 beschloss Mellingen, seine städtische Verfassung aufzugeben. Es wurde dem Distrikt Bremgarten im helvetischen Kanton Baden zugeschlagen. Die am 19. Februar 1803 abgehaltene erste Gemeindeversammlung nach neuer Rechtsordnung bildet den Ausgangspunkt der heutigen modernen Gemeinden als Bestandteil des Bezirks Baden im neu geschaffenen Kanton Aargau.

1045 ist in Mellingen erstmals eine Kirche im Besitz des Stifts Schänis erwähnt. Die Kollatur lag ab Ende des 13. Jahrhunderts bei Habsburg, ab dem 15. Jahrhundert bei der Stadt. Im Mittelalter war die Kirche Johannes dem Evangelisten geweiht, ab dem 14. Jahrhundert zusätzlich Johannes dem Täufer und in den letzten Jahrhunderten nur noch dem Letzteren. 1529 trat Mellingen zur Reformation über, wurde aber 1532 von den Siegern der Kappelerkriege zwangsweise rekatholisiert. 1675 wurde die heutige frühbarocke Stadtkirche errichtet. Der gotische Kirchturm mit Fresken aus dem 14. Jahrhundert blieb erhalten. 1910 erfolgte der Bau einer reformierten Kirche für die 1894 gegründete evangelisch-reformierte Genossenschaft Mellingen und Umgebung.

Obwohl Mellingen wegen der vielen umliegenden Städte wirtschaftlich gesehen eine Fehlgründung war, ist ab ca. 1600 trotzdem ein vielfältiges Gewerbe (im 17. Jh. über 20 Berufsgattungen) feststellbar. Im 19. Jahrhundert blieb der Aufschwung bescheiden. Kleingewerbe und Landwirtschaft prägten weiterhin das Leben. Der seit dem Mittelalter blühende Weinbau verschwand um 1900 vollends. Fabriken siedelten sich erst Ende des 19. Jahrhunderts an, so eine Ziegelei, Textilfabriken, Strohflechterei. Diese Betriebe gingen im 20. Jahrhundert wieder ein. Industrie, Handel und Gewerbe haben sich stark diversifiziert. Mit Alters- und Pflegeheim (hervorgegangen aus dem 1313 gegründeten Spital), Bezirksschule (gegründet 1862), vier Schulhäusern und grossen Sportanlagen nimmt Mellingen heute die Funktionen eines Schul-, Kultur- und Sozialzentrums des Unteren Reusstales wahr. Im Verkehrsknoten Mellingen bündeln sich neun teils stark befahrene Strassen. Sechs Postautolinien erschliessen Mellingen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die SBB-Linie Aarau-Wettingen (Teilstück der 1877 eröffneten Nationalbahn) wurde in den letzten Jahrzehnten für den Personenverkehr beinahe bedeutungslos, nicht aber für das in den 1960er Jahren in der Nähe der Station gebaute grösste Öl- und Benzintanklager der Schweiz. Das starke finanzielle Engagement der Gemeinde beim Bau der Bahn hatte Mellingen nach deren Konkurs 1878 in eine schwere politische Krise (fast vollständige Verarmung der Bürgergemeinde) gestürzt.

Quellen und Literatur

  • H. Rohr, Die Stadt Mellingen im MA, 1947
  • Kdm AG 6, 1976, 382-433
  • R. Stöckli, Gesch. der Stadt Mellingen von 1500 bis zur Mitte des 17. Jh., 1979
  • Mellinger Städtlichronik 1991-
  • R. Stöckli, 950 Jahre Kirche Mellingen, 1995

Zitiervorschlag

Rainer Stöckli: "Mellingen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.10.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001644/2008-10-23/, konsultiert am 19.03.2024.