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Landwirtschaftliche Genossenschaften

Die landwirtschaftlichen Genossenschaften sind als bäuerliche Selbsthilfeorganisationen Teil der im 19. Jahrhundert aufblühenden Genossenschaftsbewegung. Die Agrarkrise der 1880er Jahre löste eine Gründungswelle von Bezugs- und Absatzgenossenschaften aus, die bald als landwirtschaftliche Genossenschaften bezeichnet wurden (Konsumvereine). Der gemeinsame Bezug von Geräten und Hilfsstoffen wie Kunstdünger, Kraftfutter und Samen, der gemeinsame Absatz und zum Teil die Verarbeitung von Produkten dienten in diesen schwierigen Zeiten als Selbsthilfe und zugleich als Anpassung an die zunehmende landwirtschaftliche Marktintegration, die sich in rationeller Produktion und Ausschaltung des Zwischenhandels äusserte.

Werbeplakat für das Saatgut der genossenschaftlichen Detailhandelsorganisation Volg, 1969 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Werbeplakat für das Saatgut der genossenschaftlichen Detailhandelsorganisation Volg, 1969 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Der moderne Genossenschaftsgedanke, der sich auf die Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch stützte, konnte an die Tradition der Wald- und Alpkorporationen sowie an die Sennereigenossenschaften anknüpfen, die sich als Milch- und Käsereigenossenschaften im Lauf des 19. Jahrhunderts von den Berggebieten ins Flachland ausgedehnt hatten (Genossenschaft). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es etwa 2000 von diesen Genossenschaften, die sich mehrheitlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Verbänden zusammenschlossen. In den 1890er Jahren entstanden auch im Bereich der Viehzucht Genossenschaften, nach der Jahrhundertwende im Kreditwesen (Raiffeisenkassen).

Die erste moderne Landwirtschaftsgenossenschaft wurde 1874 von Conrad Schenkel in Elsau ins Leben gerufen. Daraus entwickelte sich der 1886 gegründete Verband Ostschweizerischer Landwirtschaftlicher Genossenschaften (Volg), der als Pionier der Genossenschaftsverbände gilt. Er stärkte die lokalen Genossenschaften entscheidend. Schon nach zehn Jahren umfasste der Volg 102 Sektionen, vor allem in den Kantonen Zürich und Aargau. Er stand als kämpferische, klein- und mittelbäuerliche Selbsthilfebewegung in gewissem Gegensatz zu den traditionellen landwirtschaftlichen Vereinen und strebte – wenn auch vergeblich – die Gründung einer Bauernpartei an. Sein Einstieg ins Konsumgeschäft, in erster Linie mit Kolonialwaren, brachte den Volg nicht nur in Konflikt mit Handels- und Gewerbekreisen, sondern auch mit anderen, landwirtschaftlichen Vereinen nahestehenden Genossenschaftsverbänden.

Erfolgreich etablierten sich die landwirtschaftlichen Genossenschaften zunächst in den Mittellandkantonen der deutschen Schweiz, vor allem in industrialisierten Gegenden; es folgte das französischsprachige Mittelland, während die landwirtschaftlichen Genossenschaften in den Berggebieten keine grosse Bedeutung erlangten. Die weitaus grössten der neun Verbände waren und blieben der Volg, der sich in den Thurgau und nach Graubünden ausdehnte, und der 1889 gegründete Verband Landwirtschaftlicher Genossenschaften von Bern und benachbarter Gebiete (VLG Bern). Beide zusammen stellten mehr als die Hälfte der Mitglieder aller schweizerischen landwirtschaftlichen Genossenschaften. Gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 400 lokale landwirtschaftliche Genossenschaften mit etwa 30'000 Mitgliedern, so stieg deren Zahl in den 1940er Jahren auf über 1000; die Mitgliederbestände erhöhten sich bis um 1950 auf 100'000. Dass die Zahlen trotz des Rückgangs der Landwirtschaftsbetriebe erst ab 1970 zu sinken begannen, zeigt auf, dass nicht alle Mitglieder der landwirtschaftlichen Genossenschaften in landwirtschaftlichen Berufen tätig waren und sind.

1993 schlossen sich sechs der neun Verbände, darunter die grössten, zur fenaco, der sogenannten Unternehmensgruppe der Schweizerischen Agrarwirtschaft, zusammen, die Anfang des 21. Jahrhunderts als grösster Futtermittelhersteller galt. Mit der Modernisierung des Agrarsektors übernahmen die landwirtschaftlichen Genossenschaften neue Aufgaben. Beim Bezug von Produktionsmitteln wurden Pflanzenschutzmittel und Treibstoffe immer wichtiger. Die Übernahme und Verwertung der Erzeugnisse wurde ausgebaut; beim Brotgetreide und beim Ölraps erfüllen die landwirtschaftlichen Genossenschaften die vom Bund aufgestellte Übernahmepflicht. Neue Dienstleistungen kamen dazu, zum Beispiel die Trocknung und Lagerung von betriebseigenem Futtergetreide oder das Spritzen der Obstkulturen. Die Genossenschaftsverbände gründeten Zweckgesellschaften für spezielle Aufgaben wie Einkauf, Vermarktung und Finanzierung. Damit erhielt der Komplex der landwirtschaftlichen Genossenschaften ein beträchtliches wirtschaftliches Gewicht im Agrarsektor.

Quellen und Literatur

  • H. Löffel, Die Entstehung, Entwicklung und Funktion der Verbände landwirtschaftl. Bezugs- und Absatzgenossenschaften in der Schweiz, 1939
  • F. Schmidt, Die landwirtschaftl. Genossenschaftsbewegung der Schweiz, 1944
  • I primi 40 anni di cooperazione agraria nel cantone Ticino, hg. von B. Lanini, 1945
  • J. Janin, La coopérative agricole au défi, 1973
  • H. Brugger, Landwirtschaftl. Vereinigungen 1910-1980, 1989
Weblinks

Zitiervorschlag

Werner Baumann: "Landwirtschaftliche Genossenschaften", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.11.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016413/2008-11-13/, konsultiert am 19.03.2024.