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Hebammen

Während Jahrhunderten standen sogenannte Matronen, erfahrene ältere Frauen, die mit Zustimmung der religiösen Autorität von der Gemeinschaft der Frauen ausgewählt wurden, den Gebärenden im Moment der Niederkunft bei (Geburt).

Entwurf einer Hebammentracht. Abbildung aus dem Schnittmusterbuch von Salomon Erb von 1730 (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).
Entwurf einer Hebammentracht. Abbildung aus dem Schnittmusterbuch von Salomon Erb von 1730 (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen). […]

Ab dem Ende des Mittelalters und vermehrt noch ab dem 16. Jahrhundert stellten die Städte Frauen als Hebammen an. Sie wurden vereidigt und erhielten eine Pension; 1538 zählte zum Beispiel Lausanne deren sechs auf eine Bevölkerung von 4000 bis 5000 Einwohnern. Da sie ein öffentliches Amt bekleideten, trugen die bernischen Hebammen eine Berufstracht. Um die Ausbildung dieser Frauen kümmerten sich die Behörden seltener. Ein offizieller, von Ärzten erteilter Unterricht fand erstmals 1554 in Zürich statt, wo Jakob Ruf einen amtlich genehmigten Führer für Geburtshelferinnen herausgab, der 1697 durch Johannes von Muralt überarbeitet wurde. Aber nur die Hebammen der Stadt erwarben ein paar anatomische Kenntnisse, im übrigen Kantonsgebiet hatten sie keinerlei professionelle Anleitung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts übernahmen einige Regierungen das Ausbildungskonzept, das in Frankreich seit 1759 durch Madame du Coudray verbreitet wurde: Die Behörden organisierten Kurse, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden. 1771 eröffnete die Stadt Basel die erste Schule für Hebammen, doch trotz des Ansehens des zuständigen Arztes Johann Rudolf Hess bestand sie nur zwei Jahre lang. In Bern wurde 1781 ein Lehrgang ins Leben gerufen, der für Geburtshelferinnen aller Deutschschweizer Kantone bestimmt war. Aber die meisten dieser Kurse, mit Ausnahme desjenigen von Jean-André Venel in Yverdon (1778-1791), hatten eine kurze Lebensdauer.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts organisierten die meisten Kantone theoretische Kurse; die praktische Übung erfolgte am Modell und fand nicht am Bett der Frauen statt. Während die traditionellen Matronen verheiratete Frauen waren, die selbst Kinder geboren hatten, waren die Kurse nun auf junge, des Schreibens und Lesens kundige und noch ledige Frauen ausgerichtet. Die dreimonatige Ausbildungsdauer stieg 1893 auf neun oder zwölf Monate an. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden insgesamt sechs spezielle Hebammenschulen. 2003 bestand in Bern, St. Gallen und Chur eine dreijährige, in Genf eine vierjährige sowie, im Anschluss an die Krankenpflegeschule, in Lausanne und Zürich eine eineinhalbjährige Ausbildung. Der Unterricht enthält heute ebenso viel Praxis wie Theorie und nimmt die medizinische Fortschritte laufend auf. Es gibt aber auch Hebammen, die zur Schulmedizin auf Distanz gehen und alternative Ansätze verfolgen, die sie in sogenannten Geburtshäusern anbieten (Geburt im Wasser, ganzheitlicher Ansatz der Geburt).

Die Matrone spielte im gesellschaftlichen Leben eine bedeutende Rolle. Sie war von der Kirche beauftragt, an Neugeborenen in Lebensgefahr die Nottaufe vorzunehmen (was in reformierten Gebieten nach der Reformation verboten wurde). Bei der Taufe wirkte sie oft als Patin. Im Ancien Régime versprach sie unter Eid, sowohl den Reichen wie den Armen zu dienen und heimliche Schwangerschaften und Geburten sowie Kindsaussetzungen anzuzeigen. Im Verlaufe der Geburt eines unehelichen Kindes musste sie sich bemühen, den Namen des Vaters herauszufinden, und ihn nachher der Justiz weiterleiten; in den reformierten Gebieten war dies eine Aufgabe der Mitglieder des Konsistoriums. Sowohl die Matronen als auch die ausgebildeten Hebammen genossen in der Gesellschaft hohes Ansehen. Ihr Status änderte sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg beträchtlich: Mit zunehmender Medizinalisierung und Hospitalisierung der Geburt verloren die Hebammen nach und nach ihre Unabhängigkeit und wurden zu einer Hilfskraft der verantwortlichen Ärzte. Einige Hebammen haben eine Vereinigung von Selbstständigen mit eigener Praxis gegründet. 2010 zählte man in der Schweiz 3000 Hebammen, von denen 2200 im Spital angestellt und 800 freiberuflich tätig waren. Der Schweizerische Hebammenverein (1998 in Schweizerischer Hebammenverband umbenannt) existiert seit 1894 und zählte 2010 2500 Mitglieder.

Aimée Darbellay bei sich zu Hause in Chandonne (Gemeinde Liddes). Fotografie von Dany Gignoux, 1990 (Bibliothèque de Genève).
Aimée Darbellay bei sich zu Hause in Chandonne (Gemeinde Liddes). Fotografie von Dany Gignoux, 1990 (Bibliothèque de Genève). […]

Quellen und Literatur

  • K. Meyer, Zur Gesch. des Hebammenwesens im Kt. Bern, 1985
  • E. Thorens-Gaud, Cueillir le fruit, Liz. Genf, 1986
  • M. Degginger, Zur Gesch. der Hebammen im alten St. Gallen, 1988
  • J. Ferrari-Clément, Marguerite, sage-femme vaudoise, ou la naissance autrefois, 1988
  • C. Balmer-Engel et al., 100 ans de l'Association suisse des sages-femmes, 1994
  • M.-F. Vouilloz Burnier, L'accouchement entre tradition et modernité, 1995
  • M. Vuille, Accouchement et douleur, 1998
  • M. Tanner, Début d'une profession, 2001
  • A. Favre, Ich, Adeline, Hebamme aus dem Val d'Anniviers, 102002 (franz. 1981)
  • M.-F. Vouilloz Burnier, V. Barras, Vom Hospiz zum Gesundheitsnetz: Gesundheitswesen und Spitalsysteme im Wallis, 19./20. Jh., 2006 (franz. 2004)
Von der Redaktion ergänzt
  • Huguenin-Virchaux, Mélanie: Les sages-femmes de Suisse romande au coeur d'une politique de contrôle. Une intrusion masculine dans un domaine féminin (1750-1850), 2022.
Weblinks

Zitiervorschlag

Marie-France Vouilloz Burnier: "Hebammen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.10.2014, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016397/2014-10-06/, konsultiert am 28.03.2024.