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Gesinde

Dienstmädchen

Als Gesinde wird eine heterogene und quantitativ gewichtige Gruppe der Kategorie der Lohnarbeiter (Arbeiter) bezeichnet. Meist im Hausdienst und in der Landwirtschaft als Knechte und Mägde beschäftigt, standen sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Auch verdingte Kinder (Verdingung) gehörten zum Teil zum Gesinde.

Gesinde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Die gesellschaftliche und ökonomische Situation des Gesindes war je nach Geschlecht, Alter und Aufgabenkreis verschieden. Während ein Teil nur den Lebensabschnitt bis zur Heirat und Gründung eines eigenen Haushalts in dieser Stellung verbrachte, blieben andere ein Leben lang oder phasenweise im Gesindedienst, unter anderem ausgesteuerte Bauernsöhne oder – vor allem in den Städten – Frauen von Handwerkern und Taglöhnern. Ab dem Spätmittelalter war diese Lebensform zunehmend typisch für unverheiratete Personen der ländlichen und städtischen Unterschichten, denen die Eheschliessung durch Erbsitten und restriktive Zulassungsbedingungen des Handwerks verwehrt blieb. Norm und Realität wichen insofern voneinander ab, als im Gesinde sowie unter Taglöhnern und Gesellen die Lebensform des Konkubinats verbreitet war.

In Privat- und in Grosshaushalten (Haushalt) wie Spitälern, die mehrere Mägde und Knechte beschäftigten, bildeten sich innerhalb des Gesindes Hierarchien heraus, die an den entsprechend abgestuften Löhnen feststellbar waren. Bei Frauen lautete die Rangfolge zum Beispiel Kellerin (Haushälterin), Oberjungfrau, Unterjungfrau, bei Männern Diener, Knecht, Knabe. Mägde und Knechte waren, anders als die Gesellen, in der Vertretung ihrer Interessen gegenüber dem Arbeitgeber auf sich gestellt, da keine Berufsorganisationen ähnlich wie Gesellenverbände und Bruderschaften bestanden. Im Unterschied zu den Handwerksgesellen gab es für das Gesinde keine Regelung der Freizeit. Eine enge (emotionale) Einbindung in die Arbeitgeberfamilie war nicht generell vorhanden. Das Gesinde wurde vielerorts auf städtischen Dienstbotenmärkten ausgesucht; die Anstellungsdauer währte bei schnellem Personalwechsel höchstens zwei bis drei Jahre. Die Aufdingtermine, an denen das Gesinde die Anstellung erhielt, wurden gewohnheitsrechtlich festgelegt, zum Beispiel zweimal jährlich, jeweils am 24. Juni und an Weihnachten. Für die Entlöhnung des Gesindes kam in der Regel ein Mischlohn zur Anwendung; er setzte sich aus Kost und Logis, Kleidung nach Bedarf und Barlohn zusammen. In der Regel lag der Lohn der Frauen erheblich tiefer als jener der Männer. Erparnisbildung war nur bedingt möglich. Arbeitgeber sahen in ihren Testamenten mitunter Legate für ihr Gesinde vor, so erhielten Mägde zum Beispiel eine Aussteuer für die Hochzeit. Ab dem 15. und 16. Jahrhundert sahen Stiftungen – etwa die Erasmusstiftung in Basel – die Finanzierung von Mitgiften für arme Mädchen vor, die sich verheiraten wollten. In vermögenden Bürgerhaushalten beliefen sich die Lohnkosten für das Gesinde im 15. Jahrhundert auf nur rund 5% des Haushaltsbudgets.

In den Städten gab es vergleichsweise mehr Haushalte mit Gesinde als auf dem Land. Die Städte erneuerten ihre durch Seuchen periodisch dezimierte Bevölkerung durch ländliche Zuzüger, die bei Adligen, Kaufleuten und Handwerkern in Stellung gingen oder als Taglöhner arbeiteten. Für jugendliches Gesinde aus ländlichen, zumeist unterbäuerlichen Schichten stellten die Städte einen Arbeitsmarkt dar. Je nach örtlicher Gewerbestruktur unterschied sich das Zahlenverhältnis zwischen weiblichem und männlichem Gesinde. Die vom Nationalökonomen Karl Bücher formulierte Theorie des geburtsbedingten sogenannten «Frauenüberschusses» in mittelalterlichen Städten wurde in der neueren Forschung widerlegt. Die Erklärung für ein demografisches Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern ist im Migrationsverhalten der Zuzüger vom Lande und aus den Kleinstädten zu suchen. Städte wie Freiburg oder Zürich verzeichneten im Spätmittelalter einen Frauenüberhang. Kamen 1467 in Zürich in der erwachsenen Bevölkerung 127 Frauen auf 100 Männer, lag die Zahl der Frauen in den Bevölkerungskreisen der unteren Vermögensschichten noch bedeutend höher (184 Frauen pro 100 Männer in Zürich). Vermutlich ist der Frauenüberhang teilweise der Zuwanderung von Mägden zuzuschreiben. In Freiburg zum Beispiel gab es mit rund 9% der Gesamtbevölkerung fast doppelt so viele weibliche Dienstboten wie männliche. In den Städten verteilte sich das Gesinde ungleich auf die Quartiere. In der Stadt Freiburg (Burg-, Au- und Spitalquartier) kamen auf je 100 Knechte 106 bzw. 129 und 174 Mägde. 73% aller Freiburger Haushalte kamen ohne Gesinde aus, 18,5% verfügten über einen und nur 7,5% über zwei bis sechs Dienstboten (Bevölkerungszählung von 1447). Ländliche Haushalte beschäftigten tendenziell mehr Knechte als städtische. So wurden in Freiburg Mitte des 15. Jahrhunderts in zehn ländlichen Haushaltungen durchschnittlich 2 Knechte, in zehn städtischen Haushaltungen jedoch nur 1,5 gezählt. Auf der Basler Landschaft waren zwei Drittel des in den Steuerlisten von 1497 erfassten Gesindes Knechte; in nur einem Viertel aller Haushalte lebte Gesinde. Je nach Familiengrösse, der Form des Haushalts und der Wirtschaft variierte der Bedarf an Gesinde auch auf dem Land.

Die hausrechtliche Stellung des Gesindes war in der patriarchalischen Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit durch die Unterordnung unter die Befehls- und Strafgewalt des Hausherrn definiert (Hausrecht). Im weiblichen Arbeitsbereich der Hauswirtschaft wirkten die Mägde, im oberdeutschen Sprachraum «Jungfrauen» genannt, die von der Hausfrau angewiesen wurden. Hausvater und Hausmutter oblag als christliches Amt die Glaubensunterweisung des Gesindes und der Kinder. Sie trugen die Verantwortung für die christliche Lebensführung aller Mitglieder der Hausgemeinschaft. Gestützt auf die Bibel (Epheser 6,5-8) interpretierten die Reformatoren das Gehorsamsgebot für den niedrigen, verachteten Stand der Mägde und Knechte nicht als blosse Verpflichtung gegenüber dem Hausvater und der Hausmutter, sondern in der erweiterten Bedeutung des Dienstes für Gott den Herrn. In Predigten, Haus- und Traktatliteratur der frühen Neuzeit kam die Pflicht des Gesindes zu Gehorsam und Treue zur Sprache. Das negative Stereotyp der dreisten, faulen Magd entwickelte sich zu einem literarischen Topos.

Bündelis-Tag in Bern, um 1800. Holzschnitt aus dem Almanach Hinkender Bote von Bern, 1803 (Schweizerisches Institut für Volkskunde, Basel).
Bündelis-Tag in Bern, um 1800. Holzschnitt aus dem Almanach Hinkender Bote von Bern, 1803 (Schweizerisches Institut für Volkskunde, Basel). […]

In der ländlichen Familienwirtschaft des Ancien Régime spielte das Gesinde je nach Wirtschaftsform eine unterschiedliche Rolle. In den Zonen vollbäuerlicher, diversifizierter Intensivlandwirtschaft (mit Weinbau) wurde viel männliches Gesinde beschäftigt, das sich zum Teil aus den kinderreichen Familien unterbäuerlicher Schichten der Heimarbeiterregionen rekrutierte (Binnenwanderung). In den Heimarbeiterhaushalten war der Bedarf an weiblichen Arbeitskräften (Spinnerinnen) höher, weshalb die Söhne den elterlichen Haushalt früher verliessen als die Töchter. In den Weinbaugemeinden am rechten Zürichseeufer nahmen die Betriebe im Winter für die Flachsverarbeitung Wanderspinnerinnen aus den reformierten Berggebieten auf. Im 17. und 18. Jahrhundert zeichnete sich im Zuge der Protoindustrialisierung eine allmählichen Auflösung des Gesindestatus und der Übergang zur Kostgängerei ab. Die Bindung der familienfremden Mitglieder an den Haushalt wurde lockerer, da diese lediglich in der Hochsaison Bauernarbeit verrichteten, im Übrigen aber nur noch Inwohner und Kostgänger waren. So verschmolzen in der Zürcher Landschaft der Gesinde- und der Inwohnerstatus. In Genf kam der langsame Bevölkerungsaufschwung nach der Niedergangsperiode in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch eine positive Wanderungsbilanz zustande; der Zuzug von Frauen erfolgte überwiegend aus dem Genfer Hinterland. Im 18. Jahrhundert stammte mehr als die Hälfte der unteren Schichten von auswärts, wobei der Anteil unverheirateter Frauen im Gesindedienst nicht genau zu beziffern ist. In diesen Schichten lag das durchschnittliche Heiratsalter höher als im Bürgertum. Nur 45-50% der Frauen im gebärfähigen Alter waren verheiratet. Der Bevölkerungszuzug nach Genf, der ein geschlechtsspezifisches Einwanderungsmuster widerspiegelt, hatte einen relativ höheren Anteil von Frauen aus dem Nahbereich (bis 25 km) zur Folge.

Dienstmädchen im bürgerlichen Haushalt des 19. und 20. Jahrhunderts

Im Zeitalter der Industrialisierung entwickelte sich der weibliche Gesindedienst zum Beruf des Dienstmädchens. Gemäss der eidgenössischen Volkszählung von 1888 waren nur 8,5% des Hauspersonals männlichen Geschlechts. Töchter ländlicher und vor allem städtischer Unterschichten zogen häufig die Fabrikarbeit einer Stellung im Privathaushalt vor. «Dienen» galt in Arbeiterkreisen als wenig respektierter Frauenberuf, wurden Dienstmädchen doch häufig schlecht bezahlt und behandelt. Dienstboten zu beschäftigen war jedoch in der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur ein Ausdruck des finanziellen Wohlstands, sondern auch eine Frage des Sozialprestiges. Innerhalb des bürgerlichen Haushalts nahm das Dienstmädchen ab dem 18. Jahrhundert eine neue Position ein. Sein niederer Status als «Fremde im Haus» stand im Widerspruch zum bürgerlichen Ideal der Intimität des Familienkreises. Die Herkunft vieler Dienstmädchen aus ländlichen Gebieten der Schweiz und aus Städten und Dörfern im angrenzenden Ausland liessen die soziale Distanz zum Bürgertum noch spürbarer zum Vorschein treten. Sie zeigte sich symbolisch bis ins 20. Jahrhundert im Duzen der Angestellten. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde zunehmend ein Mangel an Dienstboten beklagt. Zwar verzeichnete man 1910 in der Schweiz 88'000 weibliche Dienstboten (davon 27% Ausländerinnen), was gegenüber 1888 einen Zuwachs um 13% bedeutete, doch lag die Wachstumsrate tiefer als die der Gesamtbevölkerung. Der sogenannten «Dienstbotennot» suchte vor allem die bürgerliche Frauenbewegung durch verschiedene Massnahmen wie Treueprämien oder die Schaffung von Dienstbotenschulen zu begegnen. Auch wurde jungen Frauen die Tätigkeit als Dienstmädchen im Sinn einer Vorbereitung auf ihre späteren Aufgaben als verheiratete Frau angepriesen. Schliesslich entlastete die in der Zwischenkriegszeit einsetzende Rationalisierung der Hausarbeit den Mittelstand von der Dienstbotennot.

Karikatur aus dem Nebelspalter, 1924, Nr. 48 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica).
Karikatur aus dem Nebelspalter, 1924, Nr. 48 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica).

Bis ins 20. Jahrhundert hinein genossen die Hausangestellten keinen wirksamen gesetzlichen Schutz. Mit der Einführung des Obligationenrechts (OR) 1883 wurden die kantonalen Dienstbotenverordnungen von einer allerdings nur summarisch gehaltenen, gesamtschweizerischen Regelung abgelöst. An den mangelnden Rechtsbestimmungen über Fragen wie Arbeitszeit, Freizeit- und Feiertagsansprüche, Unterkunft und Verköstigung änderte auch die Revision des OR von 1912 nichts. Versuche, kantonale Arbeitszeitregelungen und Ruhetagsgesetze einzuführen, scheiterten zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Widerstand der bürgerlichen Frauenvereine. Auf Betreiben der bürgerlichen, sozialistischen und christlichen Dienstbotenvereine trat 1923 der erste schweizerische Normalarbeitsvertrag für Dienstmädchen in Kraft, der für die Städte Zürich und Winterthur galt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg war die Entwicklung von einem patriarchalischen zu einem obligationenrechtlichen Hausangestelltenverhältnis vollzogen.

Quellen und Literatur

  • M. Mitterauer, «Fam. und Arbeitsorganisation in städt. Gesellschaften des SpätMA und der frühen Neuzeit», in Haus und Fam. in der spätma. Stadt, hg. von A. Haverkamp, 1984, 1-36
  • R. Bochsler, S. Gisiger, Dienen in der Fremde, 1989
  • A.-M. Piuz, L. Mottu-Weber, L'économie genevoise, de la Réforme à la fin de l'Ancien Régime, 1990
  • U. Pfister, Die Zürcher Fabriques, 1992
  • L. Felici, «The Erasmusstiftung and Europe», in History of Universities 12, 1993, 25-64
  • Gesinde im 18. Jh., hg. von G. Frühsorge et al., 1995, v.a. 83-107
  • R. Dürr, Mägde in der Stadt, 1995
  • D. Rippmann, «"Frauenwerk" und Männerarbeit», in BZGA 95, 1995, 5-42
  • R. Lampert, Die Schwabengängerin, 1996
  • D. Rippmann, «Das Gesinde im Basler Heiliggeist-Spital», in Arbeit - Liebe - Streit, 1996, 123-150
  • R. Dürr, «Die Ehre der Mägde zwischen Selbstdefinition und Fremdbestimmung», in Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit, hg. von S. Backmann et al., 1998, 170-184
  • A. Head-König, L. Mottu-Weber, Femmes et discriminations en Suisse, 1999
  • G. Signori, Vorsorgen - Vererben - Erinnern, 2001
  • K. Simon-Muscheid, Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze, 2004
Weblinks

Zitiervorschlag

Dorothee Rippmann: "Gesinde", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.06.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016376/2011-06-30/, konsultiert am 19.03.2024.