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Haartracht

Dem Haar wurde dank seines lebenslänglichen Wachstums von alters her eine besondere Bedeutung beigemessen. Volksglaube und Magie vermuteten in ihm gar den Sitz des Lebens und der Kraft. Die bewusste Gestaltung dieses natürlichen Schmuckes diente ― ebenso wie die Kopfbedeckung und Kleidung ― dazu, die soziale Stellung und Geschlechtszugehörigkeit zu markieren. In der ständischen Gesellschaft des Mittelalters war kurzes oder geschorenes Haar ein Zeichen für Untertänigkeit, für eingeschränkte persönliche Freiheit (z.B. Kahlscheren als schandbare Strafe für Sträflinge oder Ehebrecherinnen) oder für freiwillige Unterwerfung (z.B. Tonsur). Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert galt die Sitte, dass verheiratete Frauen das Haar unter einer Haube aufsteckten, während die Ledigen ihre Haarfülle unverhüllt tragen konnten.

Erneuerung der Allianz zwischen Ludwig XIV. und den Eidgenossen in der Notre-Dame von Paris am 8. November 1663. Ausschnitt aus dem sogenannten Allianzteppich, einem Gobelin von Charles Le Brun (Schweizerisches Nationalmuseum).
Erneuerung der Allianz zwischen Ludwig XIV. und den Eidgenossen in der Notre-Dame von Paris am 8. November 1663. Ausschnitt aus dem sogenannten Allianzteppich, einem Gobelin von Charles Le Brun (Schweizerisches Nationalmuseum).

Die Haartracht untersteht der wechselnden Mode, die nicht nur Länge und Farbe, sondern auch die Vorliebe für gelocktes oder gerades Haar bestimmt. Vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert entsprach helles Blondhaar dem Schönheitsideal. Sebastian Brant schilderte im «Narrenschiff» (1494) die dazu notwendigen Vorkehrungen: Die Frauen färbten das Haar mit Schwefel, bleichten es an der Sonne und kräuselten es, indem sie die mit Eiweiss getränkte Frisur unter einem geflochtenen Korb trockneten. Im 17. Jahrhundert war die Modefarbe für Männer und Frauen schwarz, im 18. Jahrhundert dagegen wurde das Haar weiss gepudert oder gefärbt. Für jede Haarmode galt das Diktat, mehr Haarfülle als von Natur gegeben vorzutäuschen. Dies konnte durch starkes Toupieren der Haare, durch Einfügen falscher Zöpfe und Haarteile, durch Einflechten von Bändern oder gepolsterten Tressen oder mit Perücken erreicht werden. Für die Haarpflege wurde im Mittelalter der Bader (Handwerkschirurgen) aufgesucht, von der Barockzeit an waren Coiffeure verantwortlich für Frisuren und Perücken.

In der Schweiz orientierte sich die Haarmode an Stilvorgaben aus den führenden europäischen Metropolen. An zwei Beispielen kann gezeigt werden, dass eingreifende Veränderungen nur langsam oder mit Widerständen aufgenommen wurden: 1663 erschienen die schweizerischen Gesandten zur Besiegelung des Allianzvertrages mit Frankreich in der Notre-Dame von Paris barhäuptig vor König Ludwig XIV. Ihr schütteres Haupthaar und die langen weissen Bärte kontrastierten mit den glattrasierten Gesichtern und üppigen Allongeperücken der Franzosen im königlichen Gefolge. Dies hat Charles Le Brun auf dem sogenannten «Allianzteppich» treffend festgehalten.

In den 1960er Jahren ― nach fast 150 Jahren gepflegter Kurzhaarfrisur ― liessen sich die jungen Männer das Haar wie die Mitglieder der englischen Musikgruppe The Beatles in die Stirn und den Nacken wachsen. Darauf erliessen das eidgenössische Militär, verschiedene Jodler-, Schwinger-, Trachten- und Turnvereine strenge Vorschriften gegen diese Mode, die sie als Zeichen staatsfeindlicher Gesinnung verstanden.

Frau und Mädchen in Beckenried 1814. Aquarellzeichnung von Ludwig Vogel (Schweizerisches Nationalmuseum).
Frau und Mädchen in Beckenried 1814. Aquarellzeichnung von Ludwig Vogel (Schweizerisches Nationalmuseum).

In den regionalen Trachten verrieten vor allem Form, Grösse und Dekor des Haarschmuckes die soziale Stellung der Trägerin. Als zuverlässige Quelle für die Trachten des 19. Jahrhunderts dienen die exakten Detailstudien von Ludwig Vogel. In Nidwalden schmückten zum Beispiel die ledigen Frauen ihre aufgebundenen Zöpfe mit roten Stofflitzen und befestigten ihre Frisur mit einem langen silbernen Haarpfeil, dessen Zierplatte mit Filigran und bunten Glassteinen besetzt war. Die Verheirateten hingegen steckten einen der Kopfform angepassten Doppelschild in ihre Zopffrisur. Eine aussergewöhnliche Haartracht ist aus Mendrisio überliefert. Die Mädchen steckten sich dort mehr als 20 silberne Nadeln mit durchbrochener Zierplatte fächerförmig ins Haar und hielten diesen Kopfputz im Nacken mit einer weiteren Nadel fest.

Werbeplakat für einen Coiffeursalon in Biel, 1993 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Werbeplakat für einen Coiffeursalon in Biel, 1993 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Quellen und Literatur

  • J. Heierli, Die Volkstrachten der Schweiz, 5 Bde., 1922-32
  • A. Rapp, «Trachtenschmuck aus dem Schweiz. Landesmuseum», in Heimatleben 50, 1977, 2-25
Weblinks

Zitiervorschlag

Anna Rapp Buri: "Haartracht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.08.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016309/2006-08-09/, konsultiert am 18.04.2024.