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Aarau

Politische Gemeinde des Kantons Aargau, Bezirk Aarau, Kantons- und Bezirkshauptort. Aarau umfasst seit 2010 auch die ehemalige politische Gemeinde Rohr (AG). Die Altstadt auf einem Felssporn rechts der Aare dominiert das breite Tal. Ihr Kern besteht aus vier um ein Achsenkreuz angeordneten Quartieren, Stöcke genannt. Vorstädte im Süden und Südosten haben ihren Ursprung im Mittelalter. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Gemeindebann auf Kosten der Gemeinde Suhr erweitert. Älteste Erwähnungen: 1248 Arowe, um 1250 Arowa, 1256 erster Hinweis auf städtische Siedlung.

Die Stadt liegt an einem bereits zur Römerzeit benutzten Flussübergang, der Mittelland und Jura verbindet. Sie ist Station an der Linie Bern-Zürich und Ausgangspunkt der Wynental- und Suhrentalbahn. Aarau ist Sitz der kantonalen Behörden und erfüllt als bedeutendes Verwaltungs-, Handels- und Dienstleistungszentrum sowie als Kern einer wachsenden Agglomeration (1941 30'000, 1990 ca. 60'000 Einwohner) zahlreiche weitere zentralörtliche Funktionen.

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Aarau

Jahr155817641798
Einwohnerca. 1 2001  8682  458
    
Jahr 18501880a19101930195019701990
Einwohner 4 6575 9149 59311 66614 28016 88116 481
SpracheDeutsch 5 8658 69511 11613 39213 90813 459
 Französisch    43 207 200 317 266 165
 Italienisch    10 644 266 4511 888 873
 Andere    26   47   84 120 8191 984
KonfessionProtestantisch 4 8436 8788 48010 05310 1458 183
 Katholisch 1 0292 5482 9673 9896 3545 446
 Andere und konfessionslos   72 167 219 238 3832 852
 davon konfessionslos     1 391
NationalitätSchweizer4 2995 3817 98610 47213 37313 78213 146
 Ausländer 358 5331 6071 194 9073 0993 335

a Einwohner, Nationalität: Wohnbevölkerung; Sprache, Konfession: ortsanwesende Bevölkerung

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Aarau -  Staatsarchiv Aargau; Bundesamt für Statistik

Älteste Siedlungsspuren

Aus neolithischer Zeit sind nur Streufunde bekannt. Reste einer bronzezeitlichen Siedlung (um 1000 v.Chr.) wurden an der Bahnhofstrasse ausgegraben, deren Verlauf mit dem der römischen Hauptstrasse von Salodurum (Solothurn) nach Vindonissa (Windisch) übereinstimmt. Römische Siedlungsreste fanden sich in der Altstadt und auf dem Areal des Kantonsspitals. 1976 entdeckten Taucher im Altlauf der Aare eichene Brückenjoche, die wohl spätrömisch sind und die Existenz eines ca. 7 m breiten Aareübergangs vor der Stadtgründung belegen. Die 1958-1959 in der Telli ausgegrabene Friedhofskirche gehörte vermutlich zu einer der Dorfsiedlungen, die der Stadtgründung vorausgingen. Die beigabenlos Bestatteten waren fast ausschliesslich Angehörige der voralemannischen Bevölkerung.

Vom Hochmittelalter bis zur Helvetik

Stadtgründung und Herrschaft

Um 1200 entstand östlich der späteren Stadt der Wehrturm des "Schlössli". Im Gebiet der Vorstadt, wo sich Nord-Süd- und Ost-West-Route kreuzten, befand sich ein Dorf mit Mühle und Taverne. Auf dem zum Südufer der Aare vorspringenden Felskopf gründeten die Kyburger Grafen Hartmann IV. und Hartmann V. zwischen 1240 und 1250 die Stadt Aarau, die sie aus dem Gebiet des Dorfgerichts Suhr herauslösten, wo sie die hohe und niedere Gerichtsbarkeit besassen. Die mauerumringte kyburgische Anlage wurde von der "Burg in der Stadt" (Turm Rore) beherrscht. Die erste Stadterweiterung  in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts brachte eine Ausdehnung Aaraus nach Süden bis zum Obertor, nach Osten bis zum Laurenzentor und nach Norden bis zum Felsabsturz. Der Ausbau gegen Westen, unter Einbezug der Halde und des dortigen Klosters, folgte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dieser zweite Mauerring enthielt Türme und Doppeltore und wurde durch eine neben der Brücke errichtete Bastion verstärkt. Ein breiter Graben im Süden und Osten trennte die Stadt von der unbefestigten Vorstadt.

1267 werden Bürger von Aarau erwähnt, 1270 mit der Nennung von Schultheiss, Rat und Gemeinde erstmals Konturen einer städtischen Rechtsordnung sichtbar. 1273 erwarb der spätere König Rudolf I. von Habsburg die Stadt und verlieh ihr am 4. März 1283 das Stadtrecht nach dem Vorbild Winterthurs. Darin erneuerte er das Marktrecht und umschrieb die Grenzen des Marktrechtsbezirks, des sogenannten Friedkreises. Die Bürger erhielten das Privileg, Lehen anzunehmen, blieben aber habsburgische Eigenleute. Im 14. Jahrhundert erwarben die Bürger, die sich 1301 autonome Satzungen gegeben hatten, das Recht der freien Schultheissenwahl und erreichten 1337 die Abschaffung der Steuervorrechte der Adligen; einzig der Turm Rore blieb steuerfrei. Die Bürgerschaft setzte sich aus ländlichen Adligen, Grundbesitzern und gehobenen Handwerkern zusammen, die früh zu einem ständisch durchlässigen Patriziat verschmolzen. Zur unteren Schicht gehörten Handwerker, Krämer, Pächter und Taglöhner. Die Einsassen hatten dieselben Pflichten wie die Bürger, waren aber nicht regimentsfähig.

Aarau als bernische Munizipalstadt

Als Bern mit Hilfe Solothurns 1415 den unteren Aargau eroberte, kapitulierte Aarau nach kurzem Widerstand. 1418 hatte die Stadt dem Reich als Reichsstadt und danach Bern und Solothurn zu schwören. Ab 1461 war Bern alleiniger Landesherr. Aarau behielt frühere Privilegien wie die freie Schultheissenwahl und den Blutbann, doch fehlten Kraft und Wille, ein eigenes Territorium zu bilden: 1453 verkaufte Aarau die 1417 erworbene Herrschaft Königstein an die Johanniterkommende Biberstein, 1576 den seit 1411 aarauischen Twing Unterentfelden an Bern. Aarau verblieb nur der Steckhof Roggenhausen, der im Stadtbann aufging.

Das Bürgerrecht haftete zunächst am Grundbesitz. Gemäss der Satzung von 1510 leisteten Zuzüger Einzugsgeld, ab 1569 zusätzlich eine Militärsteuer. Im 16. Jahrhundert gelang es der Oberschicht, die politischen Rechte der Bürgerschaft zugunsten des Magistrats abzuschaffen. Dieser setzte sich im 18. Jahrhundert aus dem Amtsschultheissen und 45 Bürgern zusammen; sie bildeten "Rät und Burger", aus denen 18 Männer für den Mittleren und von diesen 9 für den Kleinen Rat ausgewählt wurden.

Kirche, soziale Einrichtungen und Schule

Die 1275 erwähnte Marienkirche am Altstadtrand, die schon im 13. Jahrhundert Tauf- und Begräbnisrecht besass und 1471-1479 von Sebastian Gisel aus Laufen neu erbaut wurde, war Filialkirche von Suhr. Im 14. Jahrhundert errang die Stadt von Herzog Leopold I. von Österreich das Recht, den Geistlichen zu wählen. 1400 inkorporierte der römische Papst Bonifaz IX. die Pfarrkirche Suhr samt der Filiale Aarau dem Stift Beromünster. An der Berner Disputation von 1528 setzte sich Pfarrer Schilling aus Aarau für Zwinglis Lehre ein; am 1. März 1528 entschieden sich die Bürger mit 146 gegen 125 Stimmen für die Annahme des neuen Glaubens. Vom Zweiten Kappelerkrieg (1531) an fanden in Aarau häufig Tagsatzungen der reformierten Stände statt. 1568 löste sich Aarau kirchlich von Suhr und wurde selbstständige Pfarrei.

1270 schenkte Aarau einer Schwesternschaft in der Halde eine Hofstatt zum Bau eines Klosters, das 1315 eine Kapelle erhielt. Die ersten Schwestern stammten aus der Gegend von Schänis, die späteren aus Aarauer Bürgerfamilien. Der Konstanzer Bischof Nikolaus von Frauenfeld (1334-1344) erlaubte den Schwestern, die Augustinerregel anzunehmen und sich der Leitung der Dominikaner in Zürich zu unterstellen. Deshalb wurden sie zuweilen als "Dominikanerinnen" bezeichnet. Im frühen 15. Jahrhundert sind sie auch als Schwestern der heiligen Ursula belegt. Über weitere drei Schwesternhäuser und einige Bruderschaften, die um 1530 abgingen, ist wenig bekannt. 1283 besass Aarau ein Sondersiechenhaus, 1344 ein Spital in der Vorstadt. Um 1270 bestand eine Lateinschule, seit 1528 zudem eine deutsche Schule, die bis zur Eröffnung eigener Schulen im 17. Jahrhundert auch aus Nachbardörfern besucht wurde. 1622 wurden Knaben- und Mädchenunterricht getrennt. 1784-1787 vollzog Aarau in aufklärerischem Geist eine tiefgreifende Schulreform.

Wirtschaft und Gesellschaft

Ansicht der Stadt Aarau von Norden. Öl auf Papier von Hans Ulrich Fisch, um 1612 (Stadtmuseum Aarau, Inv. 2004.10.07.S007).
Ansicht der Stadt Aarau von Norden. Öl auf Papier von Hans Ulrich Fisch, um 1612 (Stadtmuseum Aarau, Inv. 2004.10.07.S007). […]

Aarau gehörte zu den grösseren der aargauischen Kleinstädte. Das im späten 16. Jahrhundert einsetzende Bevölkerungswachstum führte zu einer allmählichen Aufstockung der Häuser und zu einer dichteren Bebauung des inneren Mauerrings. Aaraus Wirtschaftsraum blieb über Jahrhunderte eng begrenzt. Die benachbarten Juradörfer waren von 1426 an durch Brückenzolltarife begünstigt. Einzig die Metallverarbeitung erlangte überregionale Bedeutung. Für das 14. Jahrhundert ist der heute noch praktizierte Glockenguss bezeugt; im 16.-18. Jahrhundert florierte die Waffenproduktion. Das Gewerbe der Messerschmiede zählte im 17./18. Jahrhundert etwa 80 Meister. Wohl gab es Handwerksordnungen und Bruderschaften, zur Entstehung von Zünften kam es jedoch nie.

Im 18. Jahrhundert etablierte sich auch in Aarau eine Textilindustrie. 1703 wurde eine Wolltuchfabrik errichtet; wenig später nahm die Bedeutung von Baumwollhandel und Baumwollweberei zu. Nach 1755 fassten Indienne-Druckereien und die Seidenfabrikation Fuss. Einheimische Handelsherren und eingeheiratete Zuwanderer wie die Frey aus Lindau am Bodensee und die Herosé aus Speyer trugen zum wachsenden Wohlstand bei.

Zahlreiche Aarauer besetzten Pfarrstellen im bernischen Gebiet. Zusammen mit den Handelsherren und Angehörigen anderer akademischer Berufe bildeten sie eine Schicht von reichen Bürgern, die Kapital ausliehen und von den Ideen der Aufklärung fasziniert waren.

Hauptstadt der Helvetischen Republik

In Aarau fand am 27. Dezember 1797 die letzte Tagsatzung und am 25. Januar 1798 der letzte Bundesschwur der alten Eidgenossenschaft statt. Am 9. Januar 1798 liess sich der französische Gesandte Joseph Mengaud in Aarau nieder, der mit einer ansehnlichen Zahl einheimischer "Patrioten" für den Umsturz agitierte. Die Diskrepanz zwischen erreichtem Wohlstand (Textilindustrie) sowie hohem Bildungsniveau (Schulreform 1787) einerseits und dem Status einer Untertanenstadt andererseits wurde zunehmend augenfälliger. Aarau wurde zu einem der frühesten revolutionären Herde der Eidgenossenschaft und weigerte sich unter anderem, Soldaten zum Schutz der bernischen Grenzen auszuheben. Mitte März 1798 besetzten die Truppen General Guillaume Brunes die Stadt, die am 26. März 1798 zur Hauptstadt der Helvetischen Republik ernannt wurde. Die gesetzgebende Versammlung tagte im städtischen Rathaus, das Direktorium im Haus zum Schlossgarten. Obwohl Aarau durch Johann Daniel Osterrieth ein grosszügiges Regierungsviertel konzipieren liess, zogen die helvetischen Behörden im September 1798 nach Luzern um. Bis 1803 blieb Aarau Hauptort des neugeschaffenen helvetischen Kantons Aargau (Unteraargau östlich der Wigger) sowie des Distrikts Aarau.

Aarau seit 1803

Politisch-administrative Entwicklung

Die Mediationsakte bestimmte Aarau zur Hauptstadt des neuen Kantons Aargau und damit zum Sitz der kantonalen Behörden. Die dadurch hervorgerufene Raumnot wurde durch eine rege Bautätigkeit gemeistert (v.a. in der Laurenzenvorstadt im Osten). Nach der Revolutionsbegeisterung zeigten sich auch in Aarau restaurative Tendenzen. Acht der zwölf Gemeinderäte mussten Ortsbürger sein, deren Zahl 1819-1831 von 354 auf 607 zunahm. Der Stadtammann war nur Vollzugsorgan der kantonalen Regierung. Die schlechte Finanzlage besserte sich erst Ende der 1820er Jahre; nun stieg auch der Einfluss der Einwohnerschaft auf die Ratsgeschäfte. Die wichtigste kommunale Änderung bestand in der bereits während der Helvetik kurzzeitig realisierten Trennung von Ortsbürger- und Einwohnergemeinde. Durch die verstärkte Migration verloren die Ortsbürger allmählich ihr zahlenmässiges und politisches Übergewicht (1850: 394 Ortsbürger, 354 Einsassen). 1908 bereits verlangt und 1963 durch ein kantonales Gesetz ermöglicht, wurde die Einwohnergemeindeversammlung 1970 durch einen 50-köpfigen Einwohnerrat abgelöst, in dem FDP und SP dominieren. Die Ortsbürgergemeinde, die seit 1949 der Einwohnergemeinde grosse Land- und Geldschenkungen zukommen liess, zog ihre Erträge aus einer Kiesgrube in der Gemeinde Staufen, aus 537 ha Wald sowie 100 ha offenem Land. In ihrem Besitz befinden sich zahlreiche Liegenschaften, so die Waldwirtschaft Roggenhausen mit Wildgehege.

Die zentralörtlichen Funktionen Aaraus nahmen stufenweise zu. Nach 1848 wurde Aarau zur Garnisonsstadt, indem der Bund den Waffenplatz im Schachen übernahm. 1849 wurde eine Infanteriekaserne errichtet, 1850-1973 zusätzlich die Kavallerie ausgebildet. Da die Kantonsverfassung von 1885 dem Staat vor allem im sozialen und wirtschaftlichen Bereich neue Aufgaben zuwies, wurde Aarau Sitz weiterer Institutionen. So liessen sich die Kantonale Krankenanstalt (Kantonsspital, 1887 eröffnet), das Versicherungsamt (1905), die Kantonalbank (1913 durch Verstaatlichung der 1854 gegründeten Aargauischen Bank entstanden) sowie das Aargauische Elektrizitätswerk (1916) in Aarau nieder. Auch eidgenössische Verwaltungsstellen wie Fabrikinspektion, Zollamt und Kreispostdirektion erhielten ihren Sitz in Aarau. Seit dem Zweiten Weltkrieg werden in der Agglomeration Aarau viele Aufgaben durch Gemeindeverbände gelöst. 1948 wurde die 14 Gemeinden umfassende, kantonsübergreifende Regionalplanungsgruppe Aarau (Repla) gegründet. Aarau ist seit 1966 Standort einer Abwasserreinigungsanlage. Es besitzt grosszügige Sportanlagen, so eine Pferderennbahn, ein Frei- und ein Hallenbad sowie eine Kunsteisbahn. 1985 entstand eine private "Klinik im Schachen".

Stadtentwicklung und Verkehr

Die neue Infanteriekaserne in Aarau, um 1850 (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung; Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf).
Die neue Infanteriekaserne in Aarau, um 1850 (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung; Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf).

Die bis dahin kaum veränderte mittelalterliche Stadtanlage erfuhr erste grössere Erweiterungen nach der Ernennung Aaraus zur Hauptstadt der Helvetischen Republik. Der Traum einer klassizistischen Idealstadt zwischen Laurenzenvorstadt, Kasino- und heutiger Bahnhofstrasse war durch den Wegzug der helvetischen Behörden nach Luzern zwar bald ausgeträumt, doch waren die ersten sogenannten Neuen Häuser bereits erstellt. 1812-1813 wurde das Laurenzentor abgebrochen, ab 1820 die Stadtmauern geschleift und der Graben zugeschüttet. Die Entwicklung zu einem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zentrum spiegelt sich in der Errichtung verschiedener Grossbauten: Regierungs- und Grossratsgebäude 1826 bzw. 1828, Kaserne 1849, Kettenbrücke 1851, Rathausumbau 1858. Ein neuer Siedlungsschwerpunkt mit einer Konzentration von Geschäfts- und Verwaltungsgebäuden entstand um den 1858 erbauten Bahnhof, dem 1867 die Hauptpost gegenübergestellt wurde.

Ein Stadtplan von 1879 zeigt den Versuch, rund um die Altstadt grosszügige Wohnquartiere zu schaffen. 1916-1953 erwarb die Einwohnergemeinde ca. 10% des Gemeindebanns und gab Parzellen zu günstigen Preisen ab. Nach Überbauungen im Gönhard und im Zelgli erfolgte die planmässige Besiedlung der Telli, und 1971 beschloss die Einwohnergemeinde, die untere Telli zur Satellitenkleinstadt umzugestalten.

Vom Mittelalter an versorgten Sodbrunnen sowie der Stadtbach, der zudem zahlreiche Wasserräder antrieb, die Stadt mit Wasser. 1860 erstellte Aarau eine leitungsgebundene Wasserversorgung und baute ab 1900 ein Hochdrucksystem, das die Einführung von Hydranten ermöglichte. 1917 wurde erstmals Grundwasser eingespeist. 1990 bezogen sieben Gemeinden Aarauer Wasser. Private erbauten 1858 am Flösserplatz eine Gasanstalt, die 1947 von der Stadt übernommen wurde; 1968 schloss sich Aarau dem Gasverbund Mittelland an. 1852 erfolgte die Einführung des Telegrafen, 1886 des Telefons. Elektrisches Licht erstrahlte erstmals 1882. Ein Elektrizitätswerk nahm 1892 in der oberen Mühle den Betrieb auf. 1893 und 1912 wurden die Kraftwerke an den Aarekanälen erbaut.

Telefonistinnen bei der Arbeit, 1924 (Museum für Kommunikation, Bern).
Telefonistinnen bei der Arbeit, 1924 (Museum für Kommunikation, Bern). […]

Auch die Verkehrserschliessung verdankt viel dem jungen Kanton Aargau. Mit der Staffelegg- und der Suhrentalstrasse schuf dieser in seinen ersten Jahrzehnten gute Verbindungen ins Fricktal und Richtung Luzern. Der Verkehr nach Norden wickelte sich ausschliesslich über die "lange Brücke" ab, den einzigen Aareübergang in Aarau. Er wurde unter anderem 1813, 1831 und 1843 bei Überschwemmungen zerstört und schliesslich 1851 durch die Kettenbrücke ersetzt. Dieses Wahrzeichen der Stadt wich 1949 einer Eisenbetonbrücke. Die 1856 in Betrieb genommene Bahnlinie Aarau-Olten-Emmenbrücke (ab 1859 bis Luzern), eine Zweiglinie der Schweizerischen Centralbahn, integrierte Aarau ins Eisenbahnnetz (Stationsgebäude im Schachen). Nach Fertigstellung der Strecke nach Brugg wurde 1858 der durchgehende Bahnverkehr Olten-Aarau-Zürich aufgenommen und der heutige Bahnhof eröffnet. In der Folge entwickelte sich Aarau zum regionalen Bahnknotenpunkt: 1877 Verbindung mit der Nationalbahn über Suhr, 1882 Eröffnung der Südbahn nach Rotkreuz und damit Anschluss an die Gotthardlinie, 1901 und 1904 Inbetriebnahme der elektrischen Schmalspurbahnen nach Schöftland (Suhrentalbahn) und Reinach (AG)/Menziken (Wynentalbahn, 1958 Fusion zur Wynental- und Suhrentalbahn). Ab 1952 erfolgte der Ausbau des innerstädtischen öffentlichen Verkehrs. Die 1956 gegründeten Busbetriebe Aarau (BBA) verbanden die Stadtquartiere sowie Buchs (AG), Rohr und Suhr mit dem Zentrum. 1976 übernahmen sie von der PTT die Linien nach Küttigen, Erlinsbach und Biberstein sowie die private Linie nach der Heilstätte Barmelweid (Gemeinde Erlinsbach) und eröffneten eine Verbindung nach Schönenwerd und Gretzenbach.

Wirtschaft und Gesellschaft

Trotz früher Industrie war Aarau um 1800 noch vom Handwerk geprägt, auch wenn die Handwerksgesellschaften von geringer Bedeutung waren. Im 19. Jahrhundert dominierte vorerst weiter die Textilindustrie, nun teilweise mechanisiert. Johann Herosé führte nach 1800 als Erster den Walzendruck ein, Regierungsrat Johannes Herzog eröffnete 1810 am Stadtbach die erste mechanische Spinnerei im Kanton. Die bedeutende Seidenfabrik des Johann Rudolf Meyer ging Ende der 1820er Jahre an Friedrich Feer über, der sie zu neuer Blüte führte. Manche Firmen, so das Baumwollunternehmen der Hunziker, beschäftigten in weitem Umkreis Hunderte in Heimarbeit. Die protektionistische Zollpolitik der Nachbarstaaten, insbesondere Deutschlands, bewirkte den Zusammenbruch der Textilindustrie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, den nur das Feersche Unternehmen bis 1898 überstand.

Zementfabrik Albert Fleiner. Plakat von Emil Friedrich Graf, Lithografie von J. Müller, um 1880 (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/01059-4).
Zementfabrik Albert Fleiner. Plakat von Emil Friedrich Graf, Lithografie von J. Müller, um 1880 (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/01059-4).

Inzwischen waren andere Branchen entstanden. Karl Herosé nahm 1832 als Erster im Kanton die Zementfabrikation auf. Das Unternehmen ging 1856 an Albert Fleiner über, der es zu einem der grössten Betriebe der schweizerischen Zementindustrie ausbaute. 1882 eröffnete Rudolf Zurlinden im Rüchlig eine weitere Zementfabrik mit Kraftwerk (1929 stillgelegt). 1803 brachte der Strassburger Mechanicus Louis Esser die Reisszeugfabrikation nach Aarau. 1819 eröffnete sein Nachfolger Jakob Kern einen Betrieb und bezog 1857 die Fabrik am Ziegelrain (Kern). 1880 richtete die Schuhfirma Bally in Aarau einen Produktionsbetrieb ein; 1894 wurden die Eisen- und Stahlwerke Oehler & Co. gegründet. Die Elektrifizierung förderte die Branchendurchmischung. 1900 eröffneten Carl Sprecher und Hans Fretz eine Fabrik für elektrische Apparate, die 1908 in die Firma Sprecher + Schuh umgewandelt wurde. Die 1889 gegründete Firma Kummler & Matter (seit 1941 Elcalor AG) stellte elektrothermische Apparate her, die 1913 gegründete Firma Maxim elektrische Kleingeräte. Im grafischen Gewerbe wie in der Metall- und Schuhindustrie kam es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu Streiks gegen das patriarchalische Unternehmertum. 1906 wurde erstmals ein Sozialdemokrat in den Stadtrat gewählt. Zwischen den Weltkriegen expandierte die lokale Wirtschaft unter wechselhaften Bedingungen. Die Krisen dieser Zeit führten zu Konkursen und Arbeitslosigkeit. Handel und Gewerbe erlebten mit der Einführung des "Marktes Aarauer Gewerbetreibender" (MAG) 1937 einen Neubeginn. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors, der seit den 1960er Jahren den industriellen Sektor an Bedeutung übertrifft, repräsentierte sich in den stattlichen Bauten an der Bahnhofstrasse.

Nach Jahrzehnten allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs begann in den 1980er Jahren ein starker Strukturwandel die Aarauer Industrie zu erfassen. So wurde das Grossunternehmen Sprecher + Schuh in verschiedene Teile zerlegt und die renommierte Reissfabrik Kern 1991 geschlossen. Neue Firmen etablierten sich, so 1992 in den ehemaligen Kern-Gebäuden ein Kunststoff-Technologiezentrum. Auch die ehemaligen Textilfabriken im Hammer wurden zwischen 1970 und 1995 restauriert und umgenutzt. 1970 bot Aarau 18'407 Arbeitsplätze; 1990 waren es 21'122. Die Zahl der Wegpendler stieg zwischen 1970 und 1990 von 1754 (20,2%) auf 3528 (40,1%), die der Zupendler von 11'499 (61,9%) auf 15'990 (75,7%).

Kultur und Bildung, Kirche und religiöses Leben

Das Eidgenössische Schützenfest 1849 im Schachen mit dem Ehrentempel. Lithografie von Alexandre Zschokke (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/01042-1).
Das Eidgenössische Schützenfest 1849 im Schachen mit dem Ehrentempel. Lithografie von Alexandre Zschokke (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung, GS/01042-1). […]

In einem kultur- und bildungspolitisch günstigen Klima gründeten Private 1802 trotz wirtschaftlicher Ungunst die spätere Kantonsschule, das erste Gymnasium der Schweiz, dessen Lehrer nicht mehr dem geistlichen Stand angehörten. Durch Kauf der umfangreichen Handschriftensammlung des Generals Beat Fidel Zurlauben legte der Kanton 1803 den Grundstein zur Kantonsbibliothek. 1811 gründeten Heinrich Zschokke, Heinrich Remigius Sauerländer, Johann Nepomuk von Schmiel und andere die "Gesellschaft für vaterländische Kultur", die sich vor allem der innerkantonalen Solidarität im neuen Staatsgebilde widmete. Der ab 1804 von Zschokke herausgegebene "Schweizerbote", die 1814-1821 von Paul Usteri redigierte "Aarauer Zeitung" sowie andere Presseerzeugnisse aus dem Verlag Sauerländer sorgten dafür, dass Aarau den Ruf einer aufklärerisch-liberalen Hochburg erhielt und in den 1820er Jahren Zufluchtsort für politische Flüchtlinge wurde. In der Regeneration war Aarau ein Zentrum der Radikalen, die auf eine Bundesreform hinarbeiteten. Nicht zufällig war die Stadt Schauplatz identitätsstiftender Veranstaltungen: 1824 erstes Eidgenössisches Schützenfest, 1832 erstes Eidgenössisches Turnfest, 1842 Gründung des Eidgenössischen Sängervereins.

Jugendfest und Kadettenlager in Aarau im Juli 1833. Lithografie von Kaspar Belliger (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung; Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf).
Jugendfest und Kadettenlager in Aarau im Juli 1833. Lithografie von Kaspar Belliger (Staatsarchiv Aargau, Aarau, Grafische Sammlung; Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf). […]

Die Tradition als Druckereistandort blieb bestehen; 1856 wurden in Aarau fünf Tageszeitungen gedruckt. 1847 hatte Samuel Landolt das "Aarauer Tagblatt" gegründet, das die Nachfolger 1880 zum "Aargauer Tagblatt" (AT) ausbauten. Seit den 1960er Jahren hat das AT mehrere Regionalblätter übernommen und Regionalausgaben geschaffen. 1996 fusionierte es mit dem "Badener Tagblatt" zur "Aargauer Zeitung". Von den anderen Blättern konnten sich die jungliberale "Neue Aargauer Zeitung" bis 1956 und der 1906 gegründete, ab 1912 täglich erscheinende sozialdemokratische "Freie Aargauer" bis 1987 halten.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde das städtische Bildungs- und Kulturangebot durch zahlreiche neue Institutionen erweitert. 1873 gründete der Kanton ein Lehrerinnenseminar (heute Neue Kantonsschule), 1895 erfolgte nach Plänen von Karl Coelestin Moser ein Neubau für Kantonsschule und Gewerbemuseum, 1922 richtete die Naturforschende Gesellschaft das Aargauische Naturmuseum ein. Aarau beherbergt neben zwei Kantonsschulen die Kantonale Schule für Berufsbildung, eine Gewerbeschule und eine kaufmännische Berufsschule. 1986 wurde in einer ehemaligen Fabrik im Hammer die Kaderschule für die Krankenpflege des Schweizerischen Roten Kreuzes eröffnet. Das 1989 eingerichtete Didaktikum und private Institutionen dienen der Weiterbildung. Die vom Aargauischen Kunstverein zusammengetragene Sammlung hat nationale Ausstrahlung. Seit 1776 existiert eine Stadtbibliothek, seit 1930 eine historische Sammlung im Schlössli. In der ehemaligen Tuchlaube ist seit 1974 ein Kleintheater eingerichtet, in einer Fabrik die alternative Institution KIFF (Kultur in der Futterfabrik). In den 1990er Jahren wurde der 1883 errichtete Saalbau für Theater und Konzerte um- und ausgebaut.

Die katholische Pfarrei Aarau (seit 1970 Kreiskirchgemeinde) wurde 1803 als erste Diasporapfarrei im Kanton gegründet. Sie erstreckt sich vom Jurafuss bis zur luzernischen Grenze und ist in fünf Ortskirchgemeinden gegliedert. Zur Zeit des Kulturkampfs (1876) bekannte sich die Mehrheit der katholischen Kirchgemeinde Aarau zum Altkatholizismus, dessen Anhängern der Chor der Stadtkirche zur Verfügung gestellt wurde. 1882 konnten die römisch-katholischen Aarauer ein eigenes Gotteshaus (Peter und Paul) beziehen, das 1940 durch einen Neubau ersetzt wurde. Bislang hatten sie die gotische Pfarrkirche gemeinsam mit den Reformierten benutzt. Diese Kirche ging 1971 von der Stadt in das Eigentum der reformierten Kirchgemeinde über. Von dieser hatte sich 1854 die evangelisch-reformierte Minoritätsgemeinde abgespalten und 1874 eine eigene Kapelle errichtet. Verschiedene weitere Glaubensgemeinschaften besitzen in Aarau Gotteshäuser.

Der Bezirk Aarau

Der 1803 geschaffene Bezirk Aarau umfasste dreizehn Gemeinden. Er entsprach im Wesentlichen dem helvetischen Distrikt Aarau von 1798, wobei die Gemeinden Thalheim, Oberflachs (heute Gemeinde Schinznach), Veltheim und Auenstein an den Bezirk Brugg gelangten. Neu zugeteilt wurde ihm die Gemeinde Hirschthal. 1990 zählte der Bezirk 62'384 Einwohner, davon 10'583 Ausländer (17%), 56% der Einwohner gehörten der reformierten Konfession an.

Quellen und Literatur

  • StadtA Aarau
  • StAAG (u.a. Nachlässe zahlreicher Aarauer)
  • SSRQ AG I/1
  • Die Jahrzeitbücher der Stadt Aarau, hg. von Walther Merz, 2 Bde., 1924-26
  • Urk. der Stadt Aarau, 1942
  • Aarauer Njbl. 1, 1910; NF 1-, 1927-
  • Kdm AG  1, 1948 (19822), 17-134
  • A. Lüthi et al., Gesch. der Stadt Aarau, 1978 (mit Bibl.)
  • INSA 1, 79-169
  • T. Elsasser, Aarauer Stadtbilder aus fünf Jahrhunderten, 1983 (21994)
  • M. Pestalozzi, 100 Jahre EWA 1893-1993, 1993
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Alfred Lüthi: "Aarau", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.11.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001620/2016-11-25/, konsultiert am 19.03.2024.