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Tujetsch

Politische Gemeinde des Kantons Graubünden, Kreis Disentis, Bezirk Surselva. Talgemeinde am Aufgang zum Oberalppass im Quellgebiet des Vorderrheins. Tujetsch umfasst am linken Rheinufer den Hauptort Sedrun, die Fraktionen Tschamut, Selva, Rueras/Dieni, Camischolas/Zarcuns, Gonda sowie Bugnei, am rechten Surrein und Cavorgia. Bis 1920 gab es keine direkte Verbindung über den Rhein. 1237 Thiuesch, deutsch Tavetsch (offizieller Name bis 1976). 1850 979 Einwohner; 1900 810; 1950 1122; 1960 1855 (Kraftwerkbau); 2000 1525.

Der Oberalp- und der Chrüzlipass hatten für das Tujetsch bis im Spätmittelalter dieselbe Bedeutung. Tujetsch wurde im 9. und 10. Jahrhundert von Disentis aus kolonisiert und gehörte zur Cadi. In den romanischen Siedlungen im Talgrund lebten neben Freien und Eigenleuten der Abtei Disentis um 1300 auch solche des Klosters Wettingen. Ab dem 12. Jahrhundert wanderten Walser über die Oberalp zu und siedelten am linken Rheinufer, im Spätmittelalter kamen sie vom Val Medel in den Raum Surrein/Cavorgia. Sie assimilierten sich, doch blieben zahlreiche deutsche Orts-, Flur- und Familiennamen erhalten. Die im 15. und 16. Jahrhundert dokumentierten 66 Siedlungen gingen auf elf zurück, die meisten verschwanden im 18. Jahrhundert.

Im 13. und 14. Jahrhundert amtierten die von Pontaningen als Ministeriale der Abtei. 1325 sind die vicini de Tuvez urkundlich bezeugt, 1371 wurde ein Bauer aus Cavorgia erster Landammann der Cadi. Im Gericht der Cadi war Tujetsch der zweite Hof. 1380 wurden die ersten Alpkorporationen gegründet. 1390 fand der Auskauf des klösterlichen Schafzinses, 1622 der Zehnten auf die Güter denter auas (zwischen den Wassern) und 1745/1755 aller Zehnten statt. Die letzten Abgaberechte der Abtei verfielen 1866.

Tujetsch war bis um 1950 eine Bauerngemeinde. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit war die Zucht des 1940 verschwundenen sogenannten Tavetscher Schafs wirtschaftlich bedeutend. Die Tujetscher Klosteralpen wurden ab dem Spätmittelalter auch von Bauern aus der Leventina und Ursern genutzt. Für das 17. Jahrhundert ist Erzabbau dokumentiert, ab Mitte 18. Jahrhundert setzte die Produktion von Specksteinöfen ein, 1863-1920 war die Töpferei ein Wirtschaftszweig. Tujetsch hat eine lange Abwanderungstradition, unter anderem reisten 1850 200 Personen in die USA und 119 nach Bayern aus. Hinzu kam im 19. Jahrhundert die landwirtschaftliche Saisonarbeit der Kinder in süddeutsche Gebiet (Schwabengängerei). Einen ersten, bescheidenen Tourismus brachten 1863-1865 die neue Oberalpstrasse und 1925-1926 die Furka-Oberalp-Bahn. Mit der Eröffnung der Skischule 1929 und dem Bau von Skiliften 1956-1962 entwickelte sich Tujetsch zur Tourismusdestination. Im Fremdensverkehrsjahr 2001-2002 wurden in der Val Tujetsch 216'090 Logiernächte registriert, davon 36'306 in Hotels. Weitere Erwerbsmöglichkeiten boten im 20. Jahrhundert das Baugewerbe und eine Klingenfabrik. 1957-1967 entstanden die Wasserkraftwerke im Val Nalps und im Val Curnera mit Zentrale bei Sedrun. Seit 1964 existiert eine Gemeindebauordnung, seit 1972 eine Ortsplanung und 1982 wurde die Güterregulierung in Angriff genommen. Die Schulen sind seit 1968 in Sedrun und Rueras zentralisiert.

Quellen und Literatur

  • J.C. Muoth, «Die Thalgem. Tavetsch», in BM 1898, 33-47
  • Kdm GR 5, 1943 (19612), 151-176
  • Tujetsch – igl andament da sia historia, 1987
  • D. Schönbächler, «Tujetsch», in Disentis 4, 1994, 74-78
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Zitiervorschlag

Adolf Collenberg: "Tujetsch", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.11.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001618/2013-11-05/, konsultiert am 29.03.2024.