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Arbeitsmedizin

Die Arbeitsmedizin ist die Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen Arbeit und Beruf einerseits, sowie dem Menschen, seiner Gesundheit (Gesundheitswesen) und seinen Krankheiten andererseits. Sie beruht auf dem Studium der physischen und psychischen Reaktionen des Menschen auf Arbeit und Arbeitsumwelt. Aufgabe der Arbeitsmedizin ist es, durch Prävention und Hygiene Schäden an Leben und Gesundheit zu verhüten sowie arbeitsbedingte gesundheitliche Störungen möglichst früh zu erkennen.

Die spezifische Berufsgefährdung der Handarbeiter – besonders im Bergbau, im Hüttenwesen und in der Metallbearbeitung – ist seit dem Altertum bekannt und in zahlreichen Schriften erwähnt. Erst mit dem Aufkommen der Zünfte im Mittelalter entwickelte sich ein gewisser Arbeiterschutz, der sich vorerst vorwiegend auf wirtschaftliche und soziale, weniger auf medizinische Massnahmen erstreckte. Das erste umfassende, auch in der Schweiz rezipierte Werk über die Krankheiten der Handwerker stammt vom italienischen Arzt Bernardino Ramazzini (1633-1714). Systematische Bemühungen um den Gesundheitsschutz mit vermehrtem Einsatz von hygienisch-technischen Einrichtungen und vereinzelt von Ärzten begannen erst im 18. Jahrhundert. In der Frühphase der Industrialisierung galt der Arbeiter in erster Linie als Produktionsfaktor. Arbeitskräfte, darunter auch zahlreiche Kinder, kamen unter primitivsten Bedingungen zum Einsatz. Entsprechend häufig waren Krankheiten und Unfälle. Bis das Verantwortungsbewusstsein bei Fabrikanten und Politikern um die Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte (Arbeitsrecht), fielen Hunderttausende diesen Verhältnissen zum Opfer.

1864 erliess der stark industrialisierte Kanton Glarus als Erster ein Fabrikgesetz. Das erste eidgenössische Fabrikgesetz trat 1877 in Kraft. Darin wurde der Grundsatz festgelegt, wonach in jeder Fabrik alle Massnahmen zu treffen seien, um Leben und Gesundheit der Arbeiter bestmöglich zu sichern. Unter anderem wurde der Fabrikant für berufsbedingt auftretende Körperverletzungen und Todesfälle haftpflichtig.

Die Haftpflichtregelung des eidgenössischen Fabrikgesetzes wurde durch den zweiten Titel des 1912 angenommenen Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (KUVG) ersetzt (Krankenversicherung, Unfallversicherung). Für einen grossen Teil der Arbeitnehmer brachte das KUVG die obligatorische Betriebsunfallversicherung durch den Arbeitgeber und auferlegte diesem erneut die Verpflichtung, die notwendigen Massnahmen zum Schutz der Arbeiter vor Unfällen und Berufskrankheiten vorzukehren. Durch das KUVG wurde auch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ins Leben gerufen. Seither wurde die Gesetzgebung schrittweise ausgebaut. 1914 und 1919 wurde das Fabrikgesetz erneuert. An seine Stelle trat das Arbeitsgesetz von 1964, das die Regelungen über die Arbeitszeiten und die Massnahmen für den Gesundheitsschutz mit Ausnahme der in der Landwirtschaft Beschäftigten auf alle Arbeitnehmer ausdehnte. Neu hatten die Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei der Durchführung der Massnahmen für den Gesundheitsschutz zu unterstützen. 1984 trat das Bundesgesetz über die Unfallversicherung mit der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) und der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) in Kraft. Die VUV wurde 1995 revidiert und schreibt den Betrieben nun zwingend den Beizug von Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit vor, wobei der Arbeitnehmer jedoch Mitwirkungspflicht und Mitspracherecht hat. Die Beizugspflicht richtet sich nach dem Berufsunfall- und Berufskrankheitsrisiko, der Beschäftigtenzahl und dem im Betrieb erforderlichen Fachwissen betreffend Arbeitssicherheit. Die Arbeitsärzte können vom Betrieb angestellt oder aus der freien Praxis beigezogen werden.

Parallel zu den wirtschaftlichen und gesetzgeberischen Fortschritten hat sich die Arbeitsmedizin als Spezialität entwickelt. 1998 waren in der Schweiz in Grossbetrieben der Chemie und des Metallbaus, in Flugunternehmen, einigen Grossspitälern, der Bundesverwaltung, bei der SUVA, an der Universität Lausanne (Lehrstuhl am Institut universitaire romand de santé au travail) und, bei steigender Tendenz, in der freien Praxis rund 50 vollamtliche Arbeitsärzte beschäftigt. An den Universitäten Basel, Bern und Zürich ist die Arbeitsmedizin in die Institute für Sozial- und Präventivmedizin eingegliedert. An der ETH Zürich existiert ein Lehrstuhl für Arbeitshygiene und Arbeitsphysiologie. Einige Betriebe (u.a. Metallurgie und Maschinenbau) haben in den letzten Jahren ihre betriebsärztlichen Dienste abgebaut und basieren nun auf Arbeitsärzten in freier Praxis.

Quellen und Literatur

  • H. Buess, «Anfänge des Umweltschutzes und der Betriebsmedizin in der Basler chem. Industrie», in Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Präventivmedizin 9, H. 11, 1974, 252-260
  • J.-P. Forney, 75 Jahre Bahnärztl. Dienst der SBB, 1916-1991, Diss. Bern, Ms., 1993
Weblinks

Zitiervorschlag

Rudolf Schütz: "Arbeitsmedizin", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.02.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016126/2008-02-12/, konsultiert am 29.03.2024.