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Illegitimität

Der Begriff Illegitimität als rechtliche Eigenschaft wird hier in Bezug auf die Institution der Ehe dargestellt. Er wird gebraucht für Geburten, die aus einem nicht als ehelich angesehenen Verhältnis hervorgehen. Bei den Kindseltern handelt es sich um nicht Verheiratete oder mit anderen Partnern verheiratete Personen.

Römische wie auch germanische Rechtsauffassungen unterschieden bei der Rechtsstellung der Unehelichen verschiedene Stufen, so unter anderem aus einer konkubinatären Verbindung stammende Kinder, von einer Prostituierten geborene oder aus Ehebruch oder Inzest hervorgegangene Kinder. Die Christianisierung, besonders die Ausbildung des Ehesakraments im 12. bis 13. Jahrhundert, führte zur stärkeren Diskriminierung aller Unehelichen. Die Benachteiligungen zeigten sich zum Beispiel beim Erbrecht oder beim Ausschluss von Ämtern, von der Berufsausübung, von der Heirat mit Angehörigen der sogenannten ehrlichen Handwerksberufe oder vom Empfang höherer kirchlicher Weihen. Die Rechtsstellung eines unehelich Geborenen konnte durch kirchliche Dispens oder eine römischrechtliche Legitimation verbessert werden, wobei eine erbrechtliche Gleichstellung verwehrt blieb.

In den Kantonen war das Zivilrecht in Bezug auf die Illegitimität – mit Ausnahme der kurzen Phase der Helvetik – unterschiedlich geregelt. In einzelnen, meist katholischen Kantonen der Deutschschweiz galt das Paternitätsprinzip: Das Kind erhielt Name und Bürgerrecht des Vaters, sofern dieser bekannt war. Dieses Prinzip wurde Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend vom Maternitätsprinzip abgelöst: Das Kind folgte der Mutter und hatte dem Vater gegenüber, mit dem keine rechtliche Verwandtschaft bestand, nur einen Alimentenanspruch. Die französischsprachigen Kantone richteten sich nach dem Code Napoléon, der die Erforschung der Vaterschaft völlig verbot. In den meisten kantonalen Gesetzgebungen hatte sich eine nicht verheiratete schwangere Frau bei einer Amtsstelle selbst anzuzeigen oder musste bei der Geburt von der Hebamme angezeigt werden. Die Eltern wurden verhört, meist jedoch nur die Mutter. In mehreren Kantonen musste sich die Frau dem während der Geburt stattfindenden Geniessverhör unterziehen. Daraufhin folgten Gerichtsverfahren wegen Unzucht und Zusprechung bzw. Unterhalt des Kindes.

Das 1912 eingeführte Schweizerische Zivilgesetzbuch kannte eine freiwillige Anerkennung des Kindes durch den Vater und unterschied zwei Klagen: Die Alimentationsklage und die Klage auf Standesfolge in väterlicher Linie. Erst mit der zweiten Etappe der Revision des Kindesrechts 1978 erreichten ausserhalb der Ehe gezeugte Kinder eine weitgehende rechtliche Gleichstellung, sodass man zwar noch von nichtehelichen Geburten sprechen kann, der Begriff der Illegitimität aber nicht mehr angebracht ist. Im katholischen Kirchenrecht erfolgte die Gleichstellung nichtehelicher mit ehelichen Kindern 1983.

Im traditionellen Rechtsbewusstsein der Bevölkerung galt nicht nur die Ehe als Legitimation zur Aufnahme sexueller Kontakte, sondern auch die Verlobung, ein Eheversprechen, der Kiltgang oder ähnliches. Der gesetzlich und kirchlich festgelegte Zwang zur sexuellen Enthaltsamkeit vor der Ehe wurde nur insofern wirksam, als das Paar nach erfolgter Konzeption so schnell wie möglich heiraten musste. Zur unehelichen Geburt kam es, wenn die Eltern an einer Eheschliessung gehindert wurden, etwa durch gesetzliche Ehebeschränkungen bzw. Mittellosigkeit – besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten –, wenn der Vater bereits verheiratet war oder als Auswärtiger oder Abwesender nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Letzeres kam relativ häufig vor, da viele Väter mobilen Gruppen angehörten, also Dienstboten (Gesinde), Handwerksgesellen oder Soldaten waren und meist keinen eigenen Haushalt hatten. Eine Ausnahme betreffend den Status bildeten die sogenannten Brautkinder, die als legitim anerkannt wurden, obwohl ihre Eltern nicht verheiratet waren. In einigen Kantonen der Deutschschweiz (v.a. Zürich) wurde diese Praxis Ende des 18. Jahrhunderts angewandt, wenn bei der Zeugung ein gültiges Eheversprechen der Eltern vorgelegen hatte, der Staat jedoch die Ehe nicht wollte und das Paar zur Trennung zwang.

Die Furcht der Mutter vor den Gesetzesstrafen, aber auch vor Ehrverlust und gesellschaftlicher Ächtung zeigte ihre Auswirkungen vor allem in den Fällen von Kindesaussetzungen und Kindesmorden. Die höhere Säuglingssterblichkeit und die schlechteren Sozialisationsbedingungen beeinträchtigten die Lebenschancen unehelich geborener Kinder zusätzlich.

Quantitative Angaben zur Illegitimität sind erst seit der Einführung der Pfarr- und Kirchenbücher ab Ende des Spätmittelalters möglich. Die im Spätmittelalter unter Laien wie Klerikern vergleichsweise verbreitete konkubinatäre Lebensweise führte vermutlich zu einer relativ grossen Unehelichenquote. Diese ging im späten 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation und der Katholischen Reform zurück (Sittengerichte). Ab dem 18. Jahrhundert nahm sie besonders in den Unterschichten stark zu, dies vor allem aufgrund der malthusianischen Praxis, die darauf abzielte, jene Personen von der Ehe auszuschliessen, deren Reproduktion unerwünscht war (Ehehindernisse). Sowohl katholische Kantone (Luzern, Solothurn) als auch reformierte (Basel-Landschaft, Bern, Aargau) wandten entsprechende Massnahmen an. Wo hohe soziale und rechtliche Hürden und andere, zum Beispiel ökonomische Faktoren eine Eheschliessung erschwerten, konnte diese erst spät oder gar nicht stattfinden. Eine wichtige Rolle spielte hier der an den Ledigenstatus gebundene Gesindedienst, der zu einem höheren Heiratsalter führte. Vor allem in den Städten und in Gebieten, in denen viele Haushalte Gesinde beschäftigten, blieb jungen Erwachsenen das Ausleben ihrer Sexualität mehr oder weniger erfolgreich verwehrt. Die Zahl illegitimer Geburten erreichte ihren Höhepunkt Mitte des 19. Jahrhunderts und verkleinerte sich dann kontinuierlich. 1874 trat das Recht auf freie Eheschliessung in Kraft. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der Eheschliessungen zu, Geburtenplanung und die Einführung der Antibabypille in den 1960er Jahren reduzierten die Illegitimitätsrate zusätzlich. Sie bzw. seit 1978 der Anteil ausserehelicher Geburten stieg ab 1975 wieder an (Familie).

Aussereheliche Geburten 1800-1900
Aussereheliche Geburten 1800-1900 […]
Aussereheliche Geburten 1900-2005
Aussereheliche Geburten 1900-2005 […]

Die Schweiz hatte im europäischen Vergleich eine relativ niedrige Illegitimitätsrate, die im 17. bis 18. Jahrhundert oft unter 1%, selten über 2% lag. Im 19. Jahrhundert stieg sie zwar an, doch war sie hinter jenen Irlands und der Niederlande die tiefste. Regional differierte sie jedoch erheblich. Starken Einfluss hatten Unterschiede zwischen Land und Stadt – wobei es auch zwischen Landkantonen grosse Differenzen gab, wie die Beispiele Glarus und Luzern zeigen –, aber auch die Durchsetzung kirchlicher Normen, der Moralvorstellungen und rechtlicher Ehehindernisse.

Aussereheliche Geburten nach Kantonen 1960-2000
Aussereheliche Geburten nach Kantonen 1960-2000 […]

Die historische Erforschung der Illegitimität wird seit den 1970er Jahren durch ein verstärktes Interesse an der Sozialgeschichte der Unterschichten, der historischen Familienforschung und der Frauen- und Geschlechtergeschichte gefördert. Verschiedene Erklärungsmuster wurden dabei teilweise sehr kontrovers diskutiert: Mentalitätsgeschichtliche Ansätze erachten die Zunahme der Illegitimität zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Hinweis auf eine erste sexuelle Revolution, auf eine Emanzipation der Jugendlichen oder der Frauen oder als Symptom für den Zerfall der traditionellen Autoritäten und Werte in der Gesellschaft. Eine stärker sozioökonomisch orientierte Forschung fragt nach den wirtschaftlichen Veränderungen, die einen gesellschaftlichen Wandel bedingen. Erhöhte Illegitimitätsraten werden vor dem Hintergrund der früher eintretenden ökonomischen Selbstständigkeit der jungen Leute und der erhöhten Mobilität der Bevölkerung gesehen und erscheinen damit als Folgen von Industrialisierung und Urbanisierung. Die institutionengeschichtliche Forschung verweist auf rechtliche Neuerungen, etwa strengere Heiratsbeschränkungen und erschwerte Vaterschaftssuche.

Quellen und Literatur

  • B. Schnegg, «Illegitimität im ländl. Bern des 18. Jh.», in BZGH 44, 1982, 53-86
  • M. Mitterauer, Ledige Mütter, 1983
  • L. Hubler, La population de Vallorbe du XVIe au début du XIXe siècle, 1984, 203-224
  • M. Alt, E. Sutter, «"Bethört, verführt, gefallen ..."», in Itinera, 1985, 2/3, 120-148
  • LexMA 5, 1143
  • Illegitimität im SpätMA, hg. von L. Schmugge, B. Wiggenhauser, 1994
  • U. Gleixner, "Das Mensch" und "der Kerl", 1994
  • C. Pfister, Bevölkerungsgesch. und hist. Demographie, 1994
  • A. Ryter, Als Weibsbild bevogtet, 1994
  • L. Schmugge, Kirche, Kinder, Karrieren, 1995
  • E. Sutter, "Ein Act des Leichtsinns und der Sünde", 1995
  • HRG 5, 452-456
  • I. Spinelli, "Grossesses illégitimes" devant la justice criminelle du bailliage de Mendrisio sous l'Ancien Régime, Liz. Genf, 2002
Von der Redaktion ergänzt
  • Guzzi-Heeb, Sandro: Passions alpines. Sexualité et pouvoirs dans les montagnes suisses (1700-1900), 2014.
  • Guzzi-Heeb, Sandro: «The Uses of Kin. Kinship, Social Networks and Identities in the Swiss Alps (18th-19th Centuries)», in: Albera, Dionigi; Lorenzetti, Luigi; Mathieu, Jon (Hg.), Reframing the History of Family and Kinship: From the Alps towards Europe, 2016, S. 388-407.
  • Guzzi-Heeb, Sandro: «Sexe, parenté et politique dans une vallée alpine au XIXsiècle», in: Annales de démographie historique, 119/1, 2010, S. 115-137.
Weblinks

Zitiervorschlag

Markus Lischer: "Illegitimität", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.01.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016112/2008-01-22/, konsultiert am 28.03.2024.