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Vormundschaft

Unter Vormundschaft wird die gesetzlich geregelte rechtliche Fürsorge für eine minderjährige Person verstanden, aber auch eine staatliche Massnahme, durch die einer Person zu deren Schutz die rechtliche Handlungsfähigkeit entzogen und einem Vormund übertragen wird. Dieser leistet persönliche Fürsorge, übernimmt als Vertrauensperson die rechtliche Vertretung und besorgt die Vermögensverwaltung.

In den mittelalterlichen Urkunden erscheint der Vormund vornehmlich als advocatus, was im Deutschen mit Vogt, zuweilen mit Tutor oder Curator übersetzt wird, während das Mündel einheitlich als pupillus bezeichnet wird. In deutschsprachigen Urkunden ist Vormund einheitlich als Vogt, die Vormundschaft als Vogtei umschrieben, ab dem 16. Jahrhundert erscheint auch der Begriff Bystand in den Urkunden. Dies ist auf die römisch-rechtliche Unterscheidung zwischen tutela und cura zurückzuführen. Die tutela war die Vormundschaft über Unmündige bis zu deren Mündigkeit (mit 14, später 18 Jahren für Männer, mit 12, später 14 Jahren für Frauen). Danach erhielten der Mann bis zum 25. Altersjahr und die Frau bis zu ihrem Tod einen Beistand, oder sie trat mit der Heirat in die lebenslängliche cura ihres Ehemanns. Starb dieser vor ihr, so trat an ihre Stelle die sogenannte Geschlechtsvormundschaft. Der Begriff Vormund steht in Verbindung mit munt (Schutz): Der Schutzbefohlene, daher Mündel, bedarf wegen des Status der Handlungsunfähigkeit der väterlichen Schutzgewalt. Als schutzbedürftig galten in erster Linie unmündige Waisen, Frauen, Invalide, Kranke und Gebrechliche, Urteilsunfähige und Verschwender.

Reportage mit Fotografien von Paul Senn in der Schweizer Illustrierten Zeitung, 9. Januar 1946 (Zentralbibliothek Zürich).
Reportage mit Fotografien von Paul Senn in der Schweizer Illustrierten Zeitung, 9. Januar 1946 (Zentralbibliothek Zürich). […]

Das germanische Recht betrachtete die Vormundschaft als ein Recht und ausschliessliche Angelegenheit der Familie, weshalb ein Vormund nur ein «geborener Vormund» aus dem Familienverband sein konnte. Dieser hatte das Nutzungsrecht am Vermögen des Mündels, doch galt das Rechtssprichwort, wonach das Mündelgut weder wachsen noch schwinden sollte. Dennoch hatte das Mündel, wenn es volljährig wurde, das Vindikations- oder Revokationsrecht, und Verfügungen über Liegenschaften blieben bis zu dessen Volljährigkeit suspendiert. Mit Aufkommen des Handels erwiesen sich die daraus entstehende Rechtsunsicherheit und Blockierung immer mehr als untragbar, und der Vormund wurde deshalb zum Stellvertreter des Mündels mit entsprechender Ermächtigung. Diese neue Rechtslage barg jedoch die Gefahr der Veruntreuung des Mündelvermögens. Deshalb wurde der Vormund zur Rechnungsstellung verpflichtet, und mit der Ausbildung des neuzeitlichen Staats wurden Behörden zum Einschreiten gegen Missbräuche und zur Reglementierung der Vormundschaft erforderlich. Zur Schaffung von Vormundschaftsbehörden gaben vor allem die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 den Anstoss. Der Rat ernannte den Vormund, wobei eine Ablehnung dieser Pflicht nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig war.

Die Reglementierung der Vormundschaft bewirkte eine Richtungsänderung von der rein familienrechtlichen zur staatlich kontrollierten Vormundschaft. Mit dieser Entwicklung stellte sich die Frage, ob das Vormundschaftsrecht nunmehr in den Bereich des öffentlichen Rechts fiel. Diese Frage beantworteten alle Kodifikationen der Kantone im 19. Jahrhundert sowie das 1912 in Kraft getretene Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) privatrechtlich, indem sie das Vormundschaftsrecht als Bestandteil des Familienrechts abschliessend regelten. Die Bestimmungen des ZGB wiesen neben dem Schutzgedanken einen paternalistisch-disziplinierenden Charakter auf, vor allem gegenüber den Frauen und Randgruppen. Bis weit ins 19. Jahrhundert sind nur mündige Personen männlichen Geschlechts Vormünder, anfänglich ausschliesslich, später prioritär aus der Blutsverwandtschaft des Mündels. Die Mutter blieb von der Vormundschaft ihrer Kinder ausgeschlossen. Ausnahmen hierzu bildeten Genf, Waadt und Neuenburg, wo die Witwe die Vormundschaft über ihre Kinder ausüben konnte, was erstmals in einem Testament von 1256 ersichtlich ist. Bei Kleinkindern übte die Mutter die elterliche Gewalt aus, stand aber selbst unter Kuratel. Am Ende des 20. Jahrhunderts wurde das Vormundschaftsrecht revidiert. Es trat unter dem neuen Namen Erwachsenenschutzrecht, der das Bemühen um Verhältnismässigkeit, besseren Schutz der Individualrechte und Professionalisierung versinnbildlicht, 2013 in Kraft (Artikel 360-456 ZGB).

Quellen und Literatur

  • E. Huber, System und Gesch. des Schweiz. Privatrechts 4, 1893
  • J.-F. Poudret, Coutumes et coutumiers 2, 1998
  • H. Hausheer et al., Das neue Erwachsenenschutzrecht, 2010
  • P. Meier, S. Lukic, Introduction au nouveau droit de la protection de l'adulte, 2011
Weblinks

Zitiervorschlag

Theodor Bühler: "Vormundschaft", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.07.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016103/2013-07-30/, konsultiert am 29.03.2024.