de fr it

Scuol

Politische Gemeinde des Kantons Graubünden, Kreis Suot Tasna, Bezirkshauptort des Bezirks Inn. Bekannter Bade- und Ferienort, wirtschaftliches Zentrum des Unterengadins. Grosses Dorf links des Inns, mit der Fraktion Pradella, der alten Bergbausiedlung S-charl sowie seit 2015 mit Ardez, Ftan, Guarda, Sent und Tarasp. 1095 Schulles, bis 1943 Schuls, 1943-1970 Scuol/Schuls, deutsch Schuls. 1835 989 Einwohner; 1850 912; 1900 1117; 1950 1384; 2000 2122.

Ur- und Frühgeschichte

Im Gemeindegebiet wurden zwei bedeutende Fundkomplexe ausgemacht. Auf dem Munt Baselgia (Kirchhügel) lag eine bronze- und eisenzeitliche Siedlung. Die 1965-1968 vorgenommenen Ausgrabungen konzentrierten sich vorwiegend auf das Südplateau des Hügels und fassten zahlreiche prähistorische Gebäude und Gebäudeteile, die zum Wohnen oder auch für handwerkliche Tätigkeiten dienten. Eine kontinuierliche Besiedlung ist über fast 1500 Jahre nachgewiesen. Die ältesten Holzhütten datieren in die Mittelbronze- und die frühe Spätbronzezeit (ca.15.-13. Jh. v.Chr., Horizont I). Anschliessend folgen mehrere Siedlungsphasen mit typischer Laugen-Melaun-Keramik (ca. 1200-500 v.Chr., Horizonte II-V), welche einen starken Bezug zum benachbarten Südtirol und Trentino hat. Daneben finden sich auch zwei Siedlungsphasen der entwickelten Eisenzeit mit Fritzens-Sanzeno-Keramik (ca. 5.-3. oder 2. Jh. v.Chr., Horizont VII), die gute Parallelen im Nord- und Südtirol kennt und die auch schon einem rätischen Kulturkreis zugewiesen wurde. Die Bewohner der Siedlung von Scuol-Munt Baselgia waren Bauern, die sich von Ackerbau und Viehzucht ernährten.

Auf der Hangterrasse Russonch wurde bei Grabungen 1953, 1959-1960 und 2008 eine Kulturschicht mit Brandresten, Feuerstellen und stark zerschlagenen und verbrannten Knochen entdeckt. Bei der Fundstelle handelt es sich um einen sogenannten Brandopferplatz, eine spezifische Form des Kultplatzes im "rätischen Raum". Die Funde datieren zu einem bedeutenden Teil in die fortgeschrittene bis späte Eisen- (ca. 5.-2. oder 1. Jh. v.Chr.) und in die Römerzeit.

Mittelalter und Neuzeit

"Der Kurort Tarasp-Schuls im Unterengadin". Holzstich von Theodor Volz aus der 1885 in Stuttgart veröffentlichten Zeitung Über Land und Meer (Fundaziun Capauliana, Chur).
"Der Kurort Tarasp-Schuls im Unterengadin". Holzstich von Theodor Volz aus der 1885 in Stuttgart veröffentlichten Zeitung Über Land und Meer (Fundaziun Capauliana, Chur). […]

Ende des 11. und im 12. Jahrhundert waren die Herren von Tarasp in Scuol begütert. 1095/1096 gründete die Familie von Tarasp ein Marienkloster in Scuol und dotierte es reich. Der Standort des Klosters ist nicht geklärt; auf dem markanten Munt Baselgia dürfte damals schon eine Vorgängerin der St. Georgskirche gestanden haben. Nach einem Brand wurde 1131 ein Klosterneubau eingeweiht. 1146 wurde das Kloster zuerst nach St. Stephan und schliesslich 1150 nach Marienberg bei Burgeis im Vinschgau verlegt. 1178 bestätigte Papst Alexander III. dem Kloster Marienberg alle Besitzungen in Scuol, darunter auch die Georgskirche. Anfang des 14. Jahrhunderts unterstand diese dem Churer Bischof. Im Spätmittelalter besassen auch die Grafen von Tirol, das Kloster Müstair und die Herren von Matsch ausgedehnte Güter in Scuol. Im Schwabenkrieg 1499 wurde das Dorf zerstört; 1516 baute Bernardo da Poschiavo ein neues Gotteshaus. Um 1533 setzte sich die Reformation durch. In einem Vergleich über Grenzen, Brücken, Weidgang usw. zwischen Scuol und Tarasp erfolgte Mitte des 16. Jahrhunderts auch die kirchliche Trennung. 1621/1622 wurde Scuol durch österreichische Truppen schwer verwüstet. Der Loskauf der österreichischen Rechte erfolgte 1652. Von 1660 bis 1791 bestand in Scuol eine Druckerei, die rätoromanische Literatur meist religiöser Art verbreitete, darunter die grosse ladinische Bibel von Jacob Anton Vulpius, die Jachen Dorta 1679 druckte. In der Gemeinde wurde auch eine Papiermühle betrieben. Um 1735 erschütterte der sogenannte Marniahandel Scuol und die Nachbarorte. Die aristokratischen Planta von Zernez entledigten sich in bürgerkriegsähnlichen Unruhen der emporgekommenen Kaufmanns- und Wirtsfamilie Marnia. In der Helvetik wurde Scuol Distriktshauptort.

Um 1860 begann die Nutzung der Heilquellen im grösseren Stil und die eigentliche Zeit des Bädertourismus. Fast gleichzeitig wurde die Engadiner Tal- und die Flüelapassstrasse ausgebaut. Die folgenden Jahrzehnte brachten die Errichtung des Badehauses und zahlreicher Hotels am Stradun zwischen den beiden alten Dorfteilen. Die Eröffnung der Linie Bever-Scuol-Tarasp der Rhätischen Bahn 1913 brachte weiteren Aufschwung. Mit dem Aufkommen des Wintersports Mitte des 20. Jahrhunderts begann die zweite Epoche des Tourismus in Scuol; nach der Gondelbahn nach Motta Naluns (1956) wurden zahlreiche Ski- und Sessellifte erstellt. Mit der Eröffnung des Bogn Engiadina mit dem ersten römisch-irischen Bad der Schweiz lebte 1993 die Bädertradition wieder auf. Scuol ist mit über 3800 Gästebetten und mehr als 400'000 Logiernächten nicht nur unbestritten das touristische, sondern auch das gewerbliche und administrative Zentrum des Unterengadins. 2000 sprachen 53% der Bevölkerung Rätoromanisch und 42% Deutsch.

Quellen und Literatur

  • JbSGUF 48, 1960/61, 138-141
  • M. Gaudenz, Nos cumün da Scuol in temps passats, 1982
  • L. Stauffer-Isenring, Die Siedlungsreste von Scuol-Munt Baselgia (Unterengadin GR), 1983
Von der Redaktion ergänzt
Weblinks
Weitere Links
e-LIR
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Jürg Rageth; Paul Eugen Grimm: "Scuol", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.12.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001530/2016-12-08/, konsultiert am 29.03.2024.