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Tarasp

Mittelalterliche Herrschaft, Burg und ehemalige politische Gemeinde des Kantons Graubünden, Kreis Sur Tasna, Bezirk Inn, seit 2015 mit Ardez, Ftan, Guarda und Sent Teil der Gemeinde Scuol. Die rechts des Inns gelegene Gemeinde (ab 1803) umfasste zehn Fraktionen rund um den Burghügel. 1089-1096 in castro de Taraspes (Abschrift von 1365). 1630 242 Einwohner; 1835 403; 1850 357; 1900 278; 1950 307; 2000 328.

Prähistorische Schalensteine ("Hexensteine"). Vor dem 11. Jahrhundert sind keine Siedlungen nachgewiesen. Den Burgbau und die erste Rodungstätigkeit begannen die aus Oberitalien stammenden Herren von Tarasp im 11. Jahrhundert. Ein intensiver Landesausbau mit Rodungen, Trockenlegungen von Sümpfen und Ableitungen kleiner Seen erfolgte im 12. und 13. Jahrhundert. Ein zentrales Dorf ist indessen nicht entstanden, sondern allmählich die zehn Weilersiedlungen Aschera, Vallatscha, Chaposch, Fontana, Sparsels, Florins, Sgnè, Chants, Vulpera und Avrona. Der schon im Mittelalter angelegte Taraspersee diente dem Fischfang sowie als Löschwasserreserve.

Herrschaft und Burg

Der Herrschaftsbereich der Herren von Tarasp umfasste bedeutende Güter sowie Leute und Rechte unter anderem in Scuol, Ftan, Ardez, Sent, Ramosch, im Paznaun, im Oberinntal, in Bayern, in Nauders und im Vinschgau. Das von Eberhard von Tarasp und seinen Brüdern Ulrich, Gebhard sowie Egino gegründete Kloster in Scuol wurde schon 1146 nach St. Stephan und 1150 nach Marienberg, beide oberhalb Burgeis im Vinschgau verlegt. Nach dem Erlöschen der Herren von Tarasp 1177 gingen Herrschaft und Burg zunächst ans Bistum Chur, vor 1200 an die Herren von Reichenberg und dann an die Grafen von Tirol. Nach 1273 amteten die Herren von Matsch als tirolische Vögte. Diese übernahmen 1363 die Herrschaft als Lehen von den Herzögen von Österreich, den Nachfolgern der Grafen von Tirol, traten es 1422 für kurze Zeit an Friedrich VII. von Toggenburg ab und hatten es noch einmal 1436-1464 inne, bevor sie es an Österreich verkauften. 1464-1803 war Tarasp im Besitz Österreichs. Spannungen mit der Unterengadiner Bevölkerung waren häufig, zum Beispiel wegen der am Schloss angebrachten Wappen und Schriften (1624 "Hie Esterreich"). Angehörige der Familien von Stampa, von Mohr, von Porta oder Jecklin waren Kastellane. 1687 übergab Kaiser Leopold I. die Herrschaft Tarasp den Fürsten von Dietrichstein als erbliches Reichslehen. Diese hatten somit landesfürstliche Gewalt und Reichsunmittelbarkeit, doch behielt Österreich die Militär- und Steuerhoheit. Der Reichsdeputationshauptschluss zu Regensburg überliess die Herrschaft Tarasp 1803 der Helvetischen Republik und entschädigte die von Dietrichstein mit der fürstäbtisch-sankt-gallischen Herrschaft Neuravensburg. Noch im selben Jahr wurde Tarasp in den Kanton Graubünden integriert.

Die Burg ist eine bedeutende, das Unterengadin dominierende Anlage mit einem befestigten Zugang, einer Unterburg mit Wachthaus, Pulvertürmen, Torhaus, Kapelle und Campanile sowie einer Oberburg mit um einen Innenhof gruppierten Wohnbauten, dem Haupthaus, Wehrgängen und einer Zisterne. Die ältesten Teile stammen wohl aus der Zeit nach 1050. Der Hauptbau und die Kapelle dürften um 1200 entstanden sein. Gegen 1900 befand sich die Burg in einem bedenklichen Zustand. Die heutige Einrichtung ist teils neu, teils aus fremden Beständen ergänzt, die Installationen entsprechen dem Spitzenstandard um 1915. Bemerkenswert ist die grosse pneumatische Orgel.

1803 übernahm der Kanton Graubünden die Burg mit der Herrschaft. Er plante zunächst die Einrichtung einer Strafanstalt, zeigte indessen an der Erhaltung wenig Interesse und veräusserte sie dann. Nach mehreren Besitzerwechseln erstand 1900 der Dresdner Fabrikant Karl August Lingner die ganze Anlage und liess sie umfassend restaurieren. Nach seinem Tod 1916 kam das Schloss an den Grossherzog von Hessen und bei Rhein; es befand sich 2010 noch im Besitz dieser Familie. Im gleichen Jahr wurde die Stiftung Chastè da Tarasp gegründet, die mit der Gemeinde einen Kauf und eine öffentliche Nutzung des Schlosses anstrebte.

Gemeinde

Das Gemeindegebiet von Tarasp war von Scuol aus kolonisiert worden und gehörte bis nach der Reformation auch kirchlich zu diesem. 1559 erfolgte die wirtschaftliche (Weiderechte, Holznutzung usw.) und kirchliche Trennung, 1567 erhielt Tarasp eine eigene Pfarrkirche im Weiler Fontana. Im Gegensatz zum übrigen Engadin blieb die Gemeinde katholisch. Eine dauernde Germanisierung fand trotz zeitweiliger Zuwanderung aus dem Tirol nicht statt, auch wenn an den Bauten zahlreiche tirolische Einflüsse zu bemerken sind. Bei der Eingliederung der Herrschaft in den Kanton Graubünden 1803 kam Tarasp zur Gerichtsgemeinde Obtasna und 1851 dann zum gleichnamigen Kreis. Die Mineralquellen wurden schon im 16. Jahrhundert von Paracelsus untersucht. Mit der Gründung der Tarasp-Schulser Gesellschaft 1860 begann die Ära des Kurortes Tarasp-Vulpera. 1863 wurden 27'000 Flaschen Mineralwasser verkauft. Schon 1843 war in Vulpera das Hotel zu den Salzwasserquellen entstanden, 1864 wurde das Grand Hotel Kurhaus und 1876 die Trinkhalle am Inn eröffnet. Um die Jahrhundertwende wurden die Jugendstilhotels Waldhaus (1989 abgebrannt) und Schweizerhof in Vulpera sowie ein Schwimmbad, Tennisplätze, ein Golfplatz, Villen und ein Elektrizitätswerk erbaut. Führend war die Hoteliersfamilie Pinösch. Die Glaubersalzquellen Luzius und Emerita, der Eisensäuerling Bonifazius und die Stahlwasserquelle Carola wurden weithin bekannt. 1912-1913 wurde ein Badehaus erstellt. Der Bau der Linie Samedan-Scuol-Tarasp der Rhätischen Bahn 1913 und die Restauration der Burg förderten die wirtschaftliche Entwicklung weiter. In den 1930er Jahren begann die Krise des Bädertourismus. Tarasp-Vulpera erlebte erst in den 1970er Jahren einen Wiederaufschwung dank Wintersport und Parahotellerie, seit etwa 1990 auch als Kongresszentrum. Während Vulpera erneut umgebaut und den Bedürfnissen des modernen Sporttourismus angepasst wurde, bewahrten die anderen Fraktionen ihre Ursprünglichkeit weitgehend. 2000 waren 56% der Bevölkerung deutsch- und 41% romanischsprachig.

Quellen und Literatur

  • I. Müller, Die Herren von Tarasp, 1980
  • J.T. Stecher, Tarasp, 21982
  • O.P. Clavadetscher, W. Meyer, Das Burgenbuch von Graubünden, 1984
  • W.A. Büchi, Karl August Lingner, 2006
Von der Redaktion ergänzt
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Zitiervorschlag

Paul Eugen Grimm: "Tarasp", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.07.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001524/2017-07-12/, konsultiert am 19.03.2024.