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Sanatorien

Sanatorien sind medizinische Einrichtungen zur Behandlung chronisch Kranker oder Genesender unter ärztlicher Leitung. Der Begriff Sanatorium wird in der Regel synonym mit Heilanstalt bzw. Heilstätte verwendet. Von ca. 1870 bis 1970 verstand man unter Sanatorien in erster Linie sogenannte Lungensanatorien, d.h. hauptsächlich Anstalten für Tuberkulosekranke. Psychiatrische und andere medizinische Kliniken auf vorwiegend privater Basis werden hier nicht thematisiert.

1841 gründete Luzius Rüedi in Davos eine Anstalt für tuberkulöse und skrofulöse Kinder. Die Tuberkulose (Tbc) galt bis 1854 im Allgemeinen als unheilbar. Damals vertrat der deutsche Arzt Hermann Brehmer die These, wonach an «immunen Orten» keine Tuberkulose vorkomme und eine Heilung mit einer Frischluftliegekur möglich sei, und erbaute in Gröbersdorf (Schlesien) auf 660 m Höhe das erste Privatsanatorium. 1868 gründete Alexander Spengler in Davos das erste Kurhaus in der Schweiz. Seine Therapie basierte auf guter Ernährung, dem Aufenthalt im Freien und kalten Wassergüssen, was auch in der Folge die Grundlage der Sanatoriumsbehandlung bildete. Nun wurden vor allem im Hochgebirge zahlreiche Sanatorien gebaut, die luxuriösen Hotels glichen und sich vor allem an vermögende, an Tuberkulose erkrankte Ausländer richteten. Karl Turban setzte diesem Luxus ein strenges Regime entgegen. Er wurde 1889 in Davos erster Leiter des ersten geschlossenen Tuberkulose-Sanatoriums im Hochgebirge. Disziplin, Keuschheit, Hygiene, sechs bis neun Liegestunden und sechs Mahlzeiten pro Tag bildeten die Basis des Heilkonzepts. Robert Kochs 1882 veröffentlichte Erkenntnis, dass Tuberkulose eine übertragbare Krankheit ist, stellte den Betrieb der Sanatorien erstmals grundsätzlich in Frage, da sich dort Tuberkulosekranke in grosser Zahl aufhielten. Viele Sanatorien reagierten mit strengeren Hygienevorschriften. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs entstanden zahlreiche geschlossene Anstalten in der charakteristischen Bauweise mit Südbalkonen. Peter Dettweiler, ein Schüler Brehmers, eröffnete 1876 die erste deutsche Volksheilstätte. Seine Kur basierte auf ausgedehnten Liegekuren und der Anwendung des von ihm entwickelten Taschenspucknapfs. In der Schweiz propagierte Adolf Vogt 1876 die Idee, Hochgebirgsländer seien für Tuberkulosekranke «natürliche Heilstätten». Ab 1889 formierte sich eine Bewegung für Volkssanatorien, der zahlreiche namhafte Ärzte angehörten. Da die Tuberkulose angeblich vor allem ärmere Bevölkerungsschichten betraf, forderte das 1890 gegründete ärztliche Komitee für die unentgeltliche Behandlung armer Tuberkulosekranker die Einrichtung von Volkssanatorien. 1895 erfolgte im bernischen Heiligenschwendi die Eröffnung der ersten schweizerischen Volksheilstätte mit 45 Betten. Es folgten 1896 die Basler Volksheilstätte in Davos-Dorf, 1897 die Glarner Volksheilstätte in Braunwald und 1898 die Zürcher Heilstätte Wald. Die Entwicklung riss im 20. Jahrhundert trotz erster Einwände nicht ab. 1901 wurde das Sanatorium populaire genevois in Clairmont-sur-Sierre (Gemeinde Crans-Montana) eröffnet, ein Jahr später das Sanatorium populaire vaudois in Leysin. Eine weitere Gründungswelle von Volkssanatorien setzte 1909 mit Knoblisbühl (Gemeinde Walenstadt) und dem Sanatorium Adelheid (Gemeinde Unterägeri) ein. 1910 folgte das Sanatorium Allerheiligen in Solothurn, 1912 die Klinik Barmelweid in Erlinsbach und 1921 das Sanatorium populaire neuchâtelois in Leysin sowie das kantonale Sanatorio popolare in Piotta (Gemeinde Quinto). Verschiedene Städte und Tieflandkantone bauten zudem Sanatorien in höher gelegenen Gegenden, zum Beispiel Basel-Stadt und später Zürich in Davos, Genf in Montana sowie die Kantone Solothurn und Aargau im Jura. Die Sonnenlichtbehandlung (Heliotherapie), die bei Vitamin-D-Mangel heilend wirkte, wurde namentlich von Oskar Bernhard und Auguste Rollier zur Behandlung von Knochentuberkulose propagiert und gehörte zum therapeutischen Angebot der Sanatorien

Kranke bei der Luftkur, auf einer Veranda in einem Sanatorium in Davos. Aufnahme aus dem Fotoatelier Gysi, um 1897 (Stadtmuseum Aarau, Album Gysi/Hergert, Inv. 61'728).
Kranke bei der Luftkur, auf einer Veranda in einem Sanatorium in Davos. Aufnahme aus dem Fotoatelier Gysi, um 1897 (Stadtmuseum Aarau, Album Gysi/Hergert, Inv. 61'728).

Trotz ihrer breiten Anwendung über mehrere Jahrzehnte konnten die klimatische Kuren keine eindeutig positiven Resultate vorweisen. Mit dem erfolgreichen Einsatz erster Tuberkulosestatistiken 1947 in der Schweiz schwand die Rechtfertigung für die aufwendigen, teuren und langen Kuraufenthalte, die für die Betroffenen oft lang anhaltende soziale Folgen hatten. Einige Sanatorien wurden geschlossen, andere in Hotels umgewandelt oder widmeten sich unter anderem der allgemeinen Rehabilitation, der Allergie- und Asthmabehandlung.

Quellen und Literatur

  • B. Rüttimann, «Volkssanatorien in der Schweiz», in Schweiz. Ärzteztg. 81, 2000, Nr. 49, 2821-2824
  • F. Condrau, «Behandlung ohne Heilung», in Medizin, Ges. und Gesch. 19, 2000, 71-93
  • Zauber Berge: Die Schweiz als Kraftraum und Sanatorium, Ausstellungskat. Zürich, 2010
Weblinks

Zitiervorschlag

Iris Ritzmann: "Sanatorien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.05.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014073/2017-05-04/, konsultiert am 29.03.2024.