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Waffenproduktion und Waffenhandel

Bedingt durch eine äusserst bescheidene Nachfrage und fehlende politisch-institutionelle Voraussetzungen für eine geordnete Rüstung kam in den eidgenössischen Orten bzw. im Bund bis in die 1860er Jahre keine spezialisierte oder gar manufakturielle Waffenproduktion wie im übrigen Europa auf. Der Import von Waffen dominierte bereits zur Zeit der siegreichen Burgunderkriege (1474-1477). Einzig 1915-1918, 1923-1959, 1972-1977 und 1988 wies die Schweiz eine positive Waffenhandelsbilanz auf. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die inländische Nachfrage so kaufschwach und trat so unregelmässig auf, dass vor 1860 nur sporadisch und dezentral eine kleinhandwerkliche Waffenproduktion für lokale Märkte entstehen konnte. Daran änderten auch das Schützenwesen und die fremden Dienste wenig. Die traditionsbewussten Schützen hatten einen geringen Erneuerungsbedarf; die Militärunternehmer und Reisläufer sparten bei ihrer selbst zu finanzierenden Ausrüstung, die sie ab Mitte des 17. Jahrhunderts ohnehin ausserhalb der Eidgenossenschaft über den Soldherrn zu beziehen hatten. Die (bescheidene) Aus- und Durchfuhr von Waffen wurde im 15.-19. Jahrhundert stark beschränkt, zuerst durch die eidgenössische Tagsatzung, dann durch den Bundesrat.

Vor 1800

Die Herstellung von Harnischen und Blankwaffen erfolgte in den eidgenössischen Orten im Rahmen des Schmiedehandwerks (Metallverarbeitende Handwerke), ohne jemals Bedeutung zu erlangen. Starke Konkurrenz kam ab dem 14. Jahrhundert aus der Lombardei (Mailand), 1470-1600 aus Bayern (Nürnberg, Augsburg, Kempten, Passau) und Solingen (Nordrhein-Westfalen). Solingen lieferte ab dem 18. Jahrhundert die Bajonette. Handfeuerwaffen stammten anfänglich überwiegend aus Brescia, das für die katholischen Orte und Graubünden bis um 1770 bedeutend blieb, als die Flintenlieferungen aus Saint-Etienne einsetzten. Die reformierten Orte bezogen ihre Musketen und Büchsen 1540-1590 meist in Augsburg und Nürnberg, ab 1590 hauptsächlich, 1630-1770 sporadisch in Suhl (Thüringen), bis 1870 überwiegend in Lüttich. Bis um 1600 wurden endgefertigte Büchsen und Musketen eingeführt, dann nur noch die Läufe und Schlösser, die von heimischen Büchsenmachern und Zeughaus-Werkstätten montiert, geschäftet und gerichtet wurden. Diese Arbeit leisteten im Jura auch Uhrmacher, Schlosser, Fein- und Grobschmiede, da dort keine Zunftvorschriften verhinderten, sich bei Bedarf nebenbei als Büchsenmacher zu betätigen. Nach 1710/1720 ging die Nachfrage stark zurück. Die Zeughäuser rüsteten oft nur noch alte Musketen mit Steinschlössern zu Flinten um, die Büchsenmacherei zerfiel. Als einziger eidgenössischer Ort hatte Bern mit der 1713 in Worblaufen errichteten und 1721 liquidierten Gewehrfabrik von Emanuel Wurstemberger erfolglos versucht, Waffenproduktion und Waffenhandel in merkantilistischer Manier aufzubauen. Wichtigster Lieferant von Gewehrläufen für Bern war Mitte des 18. Jahrhunderts Abraham Jaquet von Vallorbe.

Beschreibung des Ladens einer Kanone. Radierung von Johann Melchior Füssli im Neujahrsblatt der Gesellschaft der Constaflern und Feuerwerkern im Zeughause zu Zürich, 1717 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Beschreibung des Ladens einer Kanone. Radierung von Johann Melchior Füssli im Neujahrsblatt der Gesellschaft der Constaflern und Feuerwerkern im Zeughause zu Zürich, 1717 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).

Geschützrohre wurden im 15. Jahrhundert vorab erbeutet. Eidgenössische Städte beschafften sie vereinzelt auch in der Lombardei und in Nürnberg, oder sie erteilten den Auftrag fahrenden Stückgiessern aus diesen Gebieten, später auch heimischen Glockengiessern. In dieser Funktion konnte sich nur die Familie Füssli dauerhaft halten, die vorab im 16.-17. Jahrhundert auch Geschütze und Mörser goss. Im 18. Jahrhundert erwarben sich eidgenössische Geschützgiesser zwar europaweit Ruhm, so die Zürcher Gebrüder Johann Jakob und Johann Balthasar Keller in Frankreich, der Schaffhauser Andreas Schalch in Frankreich und England sowie fünf Generationen der aus Burgdorf stammenden Familie Maritz in Frankreich, den Niederlanden und Spanien. In den eidgenössischen Orten aber fristete das Geschützwesen ein Randdasein. Die Giesserei Schalch in Schaffhausen schloss 1752 die Tore. Der aktivste eidgenössische Stand, Bern, liess bei Samuel Maritz, der ab 1744 in Genf arbeitete, sowie von der Glocken- und Stückgiesserei Friedrich Jakob Bärs in Aarau alte Geschütze auf neue Systeme umgiessen. Ab den 1770er Jahren gingen Umgussaufträge von Bern, Zürich, Freiburg, Schaffhausen und Obwalden nach Strassburg, die übrigen eidgenössischen Orte verzichteten auf Erneuerungen.

Nach 1800

Die Helvetik, die napoleonischen Kriege und die 1815 errichtete eidgenössische Kriegskasse änderten nichts an der äusserst geringen Rüstungsnachfrage. Zuschüsse für Waffenkäufe bewilligte die eidgenössische Tagsatzung nur 1831 für neue Stutzer und 1841 für die Umänderung alter Flinten in Perkussionsgewehre. Die eidgenössischen Orte deckten ihren geringen Waffenbedarf weiterhin vorab durch Importe. Büchsenschmiede und Zeughäuser montierten eingeführte Gewehrläufe und -schlösser oder führten Änderungen und Reparaturen aus. Vorübergehend fertigte die Manufacture d'armes du Pont-d'Able bei Pruntrut 1817-1833 für Bern ganze Flinten. 1844 lehnte die eidgenössische Militärgesellschaft auf Empfehlung des späteren Bundesrats Friedrich Frey-Herosé die Errichtung einer eidgenössischen Waffenfabrik ab zugunsten des kostengünstigeren Waffenimports. Für Zündhütchen verlieh die Tagsatzung aber einem 1842 errichteten Betrieb in Deisswil bei Stettlen (ab 1849 in Köniz) ein Bundesmonopol. Die 1848 dem Eidgenössischen Finanzdepartement unterstellte Werkstätte fertigte ab 1856 auch Zündkapseln, stellte 1867 auf Patronenhülsen um, verlor aber 1869 die Selbstständigkeit. Geschütze wurden vereinzelt von Glocken- und Metallgiessereien gefertigt, vorab von der Glocken- und Stückgiesserei Bär in Aarau. Sie ging 1824 an Jakob Rüetschi über und lieferte bis 1845 210 Geschütze aus, kämpfte danach aber mit wachsenden Qualitätsproblemen. 1867 beschaffte der Bund vorübergehend Geschütze bei der Gebrüder Sulzer AG in Winterthur, dann meist in Deutschland und Schweden. Die private Artilleriefertigung hörte in der Schweiz auf, abgesehen von unbedeutenden Aufträgen an Sulzer und Von Roll. 1848-1849 versuchten sich die Maschinenfabriken Escher, Wyss & Cie. in Zürich und Rieter in Töss ohne Erfolg in der industriellen Gewehrfertigung. 1854 und 1856 lehnten das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) und die Räte erneut die Errichtung einer eidgenössischen Waffenfabrik ab zugunsten dezentral-gewerblicher Endmontage importierter Teile in kantonalen Zeughäusern, der Zofinger Werkstätte von Jules Manceau und der Firma von Erlach & Co. (später Waffenproduktion und Waffenhandel von Steiger) in Thun.

Endmontage der amerikanischen F/A-18 in Emmen, 1994 (Fotografie Heinz Dieter Finck).
Endmontage der amerikanischen F/A-18 in Emmen, 1994 (Fotografie Heinz Dieter Finck). […]

Nach 1860 setzte der neue EMD-Vorsteher Jakob Stämpfli eine importsubstituierende Rüstungspolitik durch. Zunächst profitierte die 1856 in Neuhausen gegründete Schweizerische Industrie-Gesellschaft (SIG) davon, so 1869-1873 mit dem Vetterli-Gewehr. Stämpfli und der eidgenössische Waffenkontrolleur Rudolf Schmidt setzten eine staatliche Gewehrfertigung durch und errichteten 1871 in Bern die Eidgenössische Waffenfabrik. Rüstungsbetriebe erstellte der Bund zudem in Thun, Altdorf (UR) und Wimmis. Daneben gab es in der Schweiz bis in die 1920er Jahre fast keine Waffenindustrie, Waffenexporte waren nahezu unbekannt. Nur im Ersten Weltkrieg fertigten Uhrenbetriebe für die Entente-Mächte vorübergehend Munitionsbestandteile. Bedingt durch das Verbot von Waffenproduktion und Waffenhandel in Deutschland und eine aktive Industriepolitik des Bundes kam in den 1920er Jahren deutsche Rüstungstechnologie in die Schweiz, die zum Aufbau exportorientierter Betriebe führte, so ab 1923 der späteren Oerlikon-Bührle, ab 1924 von Steigers Patronenfabrik Solothurn (ab 1929 als Waffenfabrik Solothurn Tochter des deutschen Rheinmetall-Konzerns), ab 1921 Claude Dorniers Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein. Das Aufkommen von Schweizer Waffenexporten führte nach 1930 zu heftigen politischen Debatten. Ausgelöst durch das Scheitern der Abrüstungskonferenz (Abrüstung) und durch eine Volksinitiative, welche die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie forderte, erhielt der Bund 1938 in Artikel 41 BV erstmals die Kompetenz zur Kontrolle der privaten Rüstungsproduktion und Kriegsmaterialausfuhr. Im Zweiten Weltkrieg exportierte die Schweiz für rund 1 Mrd. Franken Kriegsmaterial, überwiegend nach Deutschland. Der Bund errichtete 1943 in Emmen ein Flugzeugwerk.

Plakat für die Abstimmung über die Volksinitiative betreffend vermehrte Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot, gestaltet von Stephan Bundi, 1972 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für die Abstimmung über die Volksinitiative betreffend vermehrte Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot, gestaltet von Stephan Bundi, 1972 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

1946-1949 galt ein totales Waffenausfuhrverbot. Dann setzten mit dem Kalten Krieg wieder Kriegsmaterialexporte nach westlich gesinnten Ländern ein, vorab durch Oerlikon-Bührle und die 1972 von Bührle gekaufte Hispano Suiza (Fliegerabwehrgeschütze), durch die Mowag (Schützenpanzer, Walter Ruf) und die SIG (Handfeuerwaffen). Der Versuch zur Entwicklung von Kampfflugzeugen scheiterte in den 1950er Jahren, die staatliche Fertigung von Kampfpanzern endete in den 1970er Jahren. Nach dem Bührle-Skandal verfehlte 1972 eine Waffenausfuhrverbotsinitiative mit 49,7% Ja-Stimmen knapp die Annahme. Im selben Jahr löste ein Kriegsmaterialgesetz (1996 total revidiert) den Bundesbeschluss von 1949 ab. 1992 und 1997 regelte der Bund den Export zivil und militärisch nutzbarer Güter. Eine erneute Initiative für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr scheiterte 1997 mit nur 22,5% Jastimmen deutlich.

Quellen und Literatur

  • Unheiml. Geschäfte, hg. von W.L. Bernecker, T. Fischer, 1991
  • P. Hug, Zur Gesch. des Kriegsmaterialhandels, 1996
  • Rüstung und Kriegswirtschaft, 1997
  • S. Hauert, Abraham Jaquet (1724-1773), Liz. Lausanne, 1999
  • Veröff. UEK 11.
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Hug: "Waffenproduktion und Waffenhandel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.12.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013982/2014-12-27/, konsultiert am 28.03.2024.