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Kapitalmarkt

Unter Kapitalmarkt versteht man den Markt für langfristige Kredite und Kapitalanlagen, im Gegensatz zum Geldmarkt für kurzfristige Kredite (Geldwechsel). Wichtigstes Steuerungselement des Kapitalmarkts ist der Zins als Preis für die Überlassung von Kapital. Der Markt für langfristige Wertpapiere (Kapitalmarkt im engeren Sinne) gliedert sich heute in den Aktienmarkt für Beteiligungspapiere und den Anleihen- oder Rentenmarkt für festverzinsliche Wertpapiere. Die Wertpapiermärkte an der Börse werden auch als organisierter Kapitalmarkt bezeichnet, wogegen unter nicht organisiertem Kapitalmarkt Darlehen, Beteiligungen und Hypotheken verstanden werden, die entweder über Banken oder direkt zwischen Anbietern und Nachfragern gehandelt werden. Ein organisierter Kapitalmarkt bestand in der Schweiz vor der Gründung der Börsen um 1850 einzig für öffentliche Anleihen. Der nicht organisierte (informelle) Kapitalmarkt spielte sich vor 1850 nicht auf dem anonymen Markt ab, sondern auf persönlicher Basis und weitgehend ohne die Beteiligung von Finanzintermediären.

Der Kapitalmarkt vor 1850

Allgemeines

Bereits vor der Reformation waren trotz des Verbots der Zinsnahme Formen des Kredits bekannt; mit der allmählichen Verbreitung der Geldwirtschaft entwickelte sich ab dem Spätmittelalter ansatzweise ein Kapitalmarkt. Obwohl die meisten Kreditgeschäfte direkt zwischen Privatleuten abgewickelt wurden, bestimmten in der frühen Neuzeit oftmals die Obrigkeiten den Zinssatz. Die Reformatoren hielten die vom 15. Jahrhundert an üblichen 5% für langfristige Kredite für einen gerechten Zinsfuss. Im 16. Jahrhundert tendierten die Zinsen nach oben; 5% stellten nun den Mindestzinsfuss dar. Mit der zunehmenden Kapitalakkumulation entstand ein Überangebot an Kapital, wodurch der Zinssatz im 17. Jahrhundert auf 4%, teilweise gar auf 3% sank. Vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis zur Helvetik blieben die Zinsen in der Schweiz tiefer als im Ausland, wobei der Zins für kurzfristige Kredite jeweils bedeutend höher lag als jener des Kapitalmarkts.

Der Bodenkredit diente bereits vor dem Hochmittelalter als Mittel zur längerfristigen Geldbeschaffung. Wichtige Veränderungen auf dem Kapitalmarkt waren ab dem Spätmittelalter nicht nur das zunehmende Kapitalvolumen, sondern auch Innovationen bezüglich der langfristigen Finanzierungsinstrumente und die Herausbildung von grundpfandgesicherten Forderungen (Grundpfandrecht). Der Kapitalmarkt in der Schweiz war vom 17. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmt durch ein Überangebot, das zu tiefen Zinssätzen und einem hohen Kapitalexport führte. Weitgehend getrennt von einem international orientierten, systematischen Kapitalexport durch Privatbanken entstanden regionale Netzwerke, in denen Schuldner und Gläubiger die Erwartungen bezüglich Gewinn und Risiko teilten. Der industrielle Investitionskredit war vor 1850 unbedeutend.

Kreditformen

Die wichtigste Form von Kredit auf dem Kapitalmarkt stellte die gegen Grundpfand gewährte Hypothek dar. War dem mittelalterlichen Rechtsdenken trotz Gütermobilität die Idee eines Bodenmarkts noch fremd, so konnte – gefördert durch Instrumente legaler Protektion – ab dem 14. und 15. Jahrhundert durch den Rentenkauf nichtadliger Stadtbürger ein Hypothekenmarkt als Element rationeller Vermögensverwaltung entstehen. Er wurde insbesondere in Gebieten mit protoindustrieller Produktion und hohem Kommerzialisierungsgrad dank der Möglichkeit einer Kapitalakkumulation für Landbürger zum Medium sozialer Mobilität. Neben Erbkaufbrief und Kaufzahlungsbrief war die Gült die wichtigste Form des Hypothekarkredits. Trotz ihrer rechtlichen Form als Rente wurde sie in der Frühneuzeit zur beidseitig kündbaren Forderung, zum grundpfandgesicherten Bodenkredit, bei dem ausschliesslich die Immobilie haftete. Einzig in der Nordostschweiz existierten Elemente persönlicher Haftung. Das Hypothekargeschäft spielte sich informell auf einer individuell-persönlichen Ebene ab, wobei auch Staaten und lokale Institutionen (Kirchen, Zünfte) als Gläubiger auftraten. Erst im 19. Jahrhundert tauchten erste Intermediäre am Hypothekar-Kapitalmarkt auf.

Die meist von politischen Körperschaften ausgegebenen Leibrenten oder -(ge)dinge waren im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit die gängigste Form von langfristigem Kredit in Europa. Gegen die Bezahlung einer Kapitalsumme erwarb sich der Rentner das Recht auf eine lebenslängliche Zinszahlung, in der Regel 10% des Kapitals. Leibrenten waren als Form des öffentlichen Kredits in der alten Eidgenossenschaft im 16. Jahrhundert verschwunden. Privatbanken, insbesondere in Genf, verkauften ihrer Schweizer Kundschaft im 18. Jahrhundert jedoch fremde Leibrenten, zum Beispiel jene der französischen Krone. Diese weitverbreiteten Renten dienten Wohlhabenden als Altersvorsorge.

Wenn nicht persönliche oder familiäre Beziehungen als Sicherheit ausreichten, standen Privatpersonen für kleinere Darlehen in den meisten Städten ab dem 15. Jahrhundert Pfandleihen zur Verfügung, die – eigentlich kurzfristige, jedoch oft verlängerte – Kredite gegen Hinterlegung von Wertgegenständen, Schuldtiteln oder Waren gewährten. Bei Darlehen zwischen verbündeten politischen Körperschaften wurden unter anderem künftige Steuer- oder Verwaltungseinnahmen sowie das Vermögen einer Körperschaft und ihrer Bürger als Sicherheit akzeptiert. Solche Darlehen handelten Gläubiger und Schuldner direkt aus. Erst die Erfindung der öffentlichen Anleihe durch Emission von Teilschuldscheinen (Obligationen) zu Beginn des 16. Jahrhunderts ermöglichte eine Abwicklung über den Markt und damit die Mobilisierung eines grösseren Investorenkreises. Der Basler Stadtwechsel funktionierte ab 1504 als Drehscheibe für den Kapitalmarkt in einem Einzugsgebiet von mindestens 150 km (Kapitalverkehr).

Andere Kreditformen wie der Wechsel oder der Lombardkredit sind zwar wegen ihres kurzfristigen Charakters nicht dem Kapitalmarkt zuzurechnen, wurden jedoch oftmals durch permanente Verlängerung ihrer Laufzeit zu einer Form langfristiger Darlehen. Verglichen mit dem schwach organisierten Kapitalmarkt und seinen einfachen Finanzierungsinstrumenten stand beim kurzfristigen Handelskredit eine breite Auswahl an hochentwickelten Kreditformen zur Verfügung. Industrielle Beteiligungen hingegen waren vor Erfindung der Aktie nur mit grossen Einschränkungen handelbar und tauchten entsprechend nicht auf dem Kapitalmarkt auf.

Kreditnachfrage

Die Nachfrage nach (proto-)industriellem Investitionskredit vor der Zeit des Eisenbahnbaus lässt sich kaum belegen. Obwohl die Schweiz eines der am stärksten industrialisierten Gebiete war, spielte für die Produktion (v.a. Textil- und Uhrenindustrie) der kurzfristige Handelskredit eine weitaus wichtigere Rolle. Der langfristige Kapitalbedarf der Fabrikanten wurde über Darlehen des Handels oder über Hypothekarkredite finanziert. Daneben kam wie beim lokalen Gewerbe der Selbstfinanzierung durch zurückgelegte Gewinne und familiäre Darlehen eine grosse Bedeutung zu. Vereinzelt profitierte die lokale Wirtschaft von staatlichen Krediten oder Beteiligungen. Einzelne Produzenten fanden jedoch vor der Gründung der Spar- und Leihkassen sowie der Kantonalbanken keinen Zugang zum Kapitalmarkt, was die Mechanisierung ihrer Betriebe verzögerte oder gar verhinderte.

Neben der relativ unbedeutenden Nachfrage nach Hypothekarkrediten für den privaten städtischen Wohnungsbau benötigte in der frühen Neuzeit vor allem die Landwirtschaft fremde Kapitalien. Der Agrarkredit wurde jedoch weniger für produktive Investitionen als zur Überwindung von Notsituationen und zur Ausbezahlung der Geschwister bei der Erbteilung verwendet. Die regional variierende Agrarverschuldung war in der Schweiz ausserordentlich hoch.

Anders als im übrigen Europa existierte eine staatliche Nachfrage nach Kredit auf dem Schweizer Kapitalmarkt ab dem 17. Jahrhundert nicht mehr. Im Spätmittelalter hatten noch viele Orte ihre Expansion unter anderem mit Anleihen finanziert; im 16. und 17. Jahrhundert bauten diese ihre Schulden dann durch Steuereinnahmen, Bündnisgelder sowie teilweise durch die Säkularisation von Kirchenbesitz ab und gerieten selber in eine Gläubigerposition auf dem Kapitalmarkt. Die gegenseitige Gewährung von Darlehen führte ab dem 15. Jahrhundert zu einer immer stärkeren Kapitalverflechtung und zu einer Vervielfachung des Kreditvolumens, vor allem zwischen den Städten.

Kreditangebot

Infolge des Fehlens von Intermediären zeichnete sich das Angebot auf dem Kapitalmarkt durch eine Vielzahl privater und institutioneller Akteure aus. Die Grundlage für das Überangebot an langfristigem Kapital in der Schweiz bildeten die seit dem 16. Jahrhundert kaum unterbrochene, massive Kapitalkumulation in den Händen von Gemeinwesen und Privaten durch Protoindustrie, Handel, fremde Dienste sowie Zinseinnahmen aus Auslandinvestitionen.

Das staatliche Kreditangebot fand über direkte Darlehen an Private, Handel, Gewerbe, Gemeinwesen und Institutionen statt, aber auch über staatliche Intermediäre wie Staatsbanken (Stadtwechsel) oder Finanzämter (z.B. Säckelmeisteramt). Daneben traten die Staaten auf dem Hypothekar-Kapitalmarkt auf und finanzierten sowohl den städtischen Wohnungsbau als auch den Agrarkredit der Landschaft. Mit Letzterem verbanden sich oft auch politische Ambitionen (Klientelismus, Stadt-Land-Beziehungen). Lokale Institutionen wie Zünfte oder Klöster boten auf eine ähnliche Art Kredit an.

Neben dem Staat waren Private die wichtigsten Anbieter von Kapital in Form von Darlehen und Hypotheken. Die arbeitsfreien, profitablen und sicheren Einkommen des Kapitalmarkts bildeten eine ideale Altersvorsorge für städtische Notabeln und Kaufleute, aber auch für eine ländliche Mittel- und Oberschicht. Durch den stark informellen Charakter des Kapitalmarkts entstand ein engmaschiges Kontaktnetz zwischen Gläubigern und Schuldnern, wobei die Kreditbeziehungen mit anderen Verhältnissen familiärer, klientelistischer oder geschäftlicher Natur einhergingen.

Die Privatbanken spielten auf dem einheimischen Kapitalmarkt keine bedeutende Rolle. Ihr Hauptgeschäft blieb der systematische Kapitalexport für wohlhabende Privatleute und Institutionen. Neben der Gewährung von kurzfristigem Handelskredit finanzierten Marchand-Banquiers vereinzelt die Mechanisierung der (Proto-)Industrie. In einigen Regenerationskantonen wurden Leih- und Bodenkreditbanken gegründet, um dem lokalen Handwerk und Gewerbe das nötige Fremdkapital in Form von Hypothekar- und Handelskrediten, selten auch von Investitionskrediten, zur Verfügung zu stellen (Bank Leu). Der Nachfrage nach einer sicheren Anlageform für kleinere Vermögen des städtischen und ländlichen Proletariats kamen die Sparkassen entgegen, die ihre Depositen auf dem lokalen Hypothekarmarkt ausliehen.

Der Kapitalmarkt nach 1850

Allgemeines

Am 6. Dezember 1852 in St. Gallen ausgegebene Inhaberaktie der Gesellschaft Lake Constance and Basle Railway im Wert von 500 Franken für den Streckenabschnitt zwischen Wil (SG) und Rorschach (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Am 6. Dezember 1852 in St. Gallen ausgegebene Inhaberaktie der Gesellschaft Lake Constance and Basle Railway im Wert von 500 Franken für den Streckenabschnitt zwischen Wil (SG) und Rorschach (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

Die Gründung des Bundesstaats und der Beginn des Eisenbahnbaus beschleunigten die Entwicklung des schweizerischen Kapitalmarkts, der sich bis dahin durch eine bescheidene Binnennachfrage und eine starke regionale Abschottung ausgezeichnet hatte. Der Eisenbahnbau und die Finanzierung der aus der sogenannten zweiten Industriellen Revolution hervorgegangenen Branchen, besonders der Elektrizitätswirtschaft, trugen zu einer erheblichen Steigerung der privaten Nachfrage bei, doch erst die wachsenden Interventionen des Staates und vor allem die Übernahme der wichtigsten privaten Bahngesellschaften (Eisenbahnen) durch die Eidgenossenschaft ab 1898 führten zur Entstehung eines eigentlichen Markts für Staatsanleihen. Das Auftreten neuer Finanzintermediäre zwischen 1850 und 1870, darunter die zukünftigen grossen Handelsbanken, die gleichzeitige Eröffnung der wichtigsten Börsen des Landes (die erste 1855 in Genf), der Aufschwung der Finanzierungsgesellschaften und die Betriebsaufnahme der Schweizerischen Nationalbank 1907 förderten die Vernetzung des schweizerischen Kapitalmarkts auf nationaler Ebene. Diese Tendenz zur Vereinheitlichung beseitigte zwar die noch heute feststellbaren Besonderheiten der damals wichtigsten Zentren Zürich, Basel und Genf nicht, doch ging sie – begleitet von fiskalischen Erleichterungen sowie der Entwicklung neuer Aufgaben im Bereich der Vermögensverwaltung und des Treuhandwesens – von der ersten Vorkriegszeit an mit einer beachtlichen Stärkung der Rolle des schweizerischen Kapitalmarkts auf internationaler Ebene (Finanzplatz) einher.

Am 15. November 1920 in Täuffelen ausgegebene Obligation der Seeländischen Wasserversorgungs-Genossenschaft zu 10 Franken (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Am 15. November 1920 in Täuffelen ausgegebene Obligation der Seeländischen Wasserversorgungs-Genossenschaft zu 10 Franken (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

Zwischen dem Ersten Weltkrieg und den frühen 1950er Jahren stieg der schweizerische Markt zu einer der wichtigsten Finanzdrehscheiben des Kontinents auf; diese Zeitspanne brachte allerdings keine institutionellen Innovationen hervor, die an Bedeutung jenen der vorausgegangenen Phase vergleichbar gewesen wären. Bezüglich der Nachfrage stellten vor allem während der Kriegs- und Krisenzeit der Bund, die SBB und die Kantone die zentralen Akteure dar. Der von einem starken Zustrom ausländischer Gelder angeregte Kapitalexport, dessen wachsende Bedeutung vom Ersten Weltkrieg an intensive Debatten auslöste, zeugt vom Fortgang des Internationalisierungsprozesses. Die Krise der 1930er Jahre unterbrach diesen Aufschwung und veranlasste den Staat, für den Bankensektor beträchtliche Unterstützungsgelder freizumachen; auch zwang sie die Eidgenossenschaft, die seit Kriegsende die Stempelsteuer auf Emission und Coupons von Wertschriften erhob, 1934 zum Erlass des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen. Dieses war sehr liberal, auch wenn es die Nationalbank im Prinzip mit einem Vetorecht bei Kapitalexporten ab der Höhe von 10 Mio. Franken (Artikel 8) und einem Kontrollrecht bei jeder Erhöhung der Zinssätze von Bank-Kassenobligationen (Artikel 10) ausstattete. Ein ergänzender Bundesgesetzentwurf über die Börsen wurde hingegen fallen gelassen zugunsten der Schaffung einer paritätischen Instanz (1938), die über die Zulassung ausländischer Wertpapiere zur Börsennotierung entschied. Während der beiden Weltkriege trugen die Möglichkeiten, die der schweizerische Kapitalmarkt den Kriegführenden bot, zum Erhalt seiner Rolle als internationale Finanzdrehscheibe bei – zum Preis von fragwürdigen und manchmal betrügerischen Gefälligkeiten.

Anleihen auf dem Schweizer Kapitalmarkt 1900-1980
Anleihen auf dem Schweizer Kapitalmarkt 1900-1980 […]
Anleihen auf dem Schweizer Kapitalmarkt 1978-2006
Anleihen auf dem Schweizer Kapitalmarkt 1978-2006 […]

Der Beginn der 1950er Jahre leitete eine lange Expansionsphase ein, in deren Verlauf der schweizerische Kapitalmarkt seine Rolle konsolidierte und in bestimmten Bereichen weltweit Gewicht erlangte. Während der ganzen Zeitspanne setzte sich der Konzentrationsprozess bei den Finanzinstituten fort. Am meisten profitierten davon die Grossbanken, die den Kapitalmarkt schon vor dem Ersten Weltkrieg dominiert hatten. Ab den 1980er Jahren bauten diese zudem ihre Stellung im Ausland erheblich aus, indem sie in den wichtigsten internationalen Zentren Niederlassungen eröffneten, bestimmte Geschäftszweige verlagerten und sich zusätzlich spezifisches Know-how verschafften. Gleichzeitig stieg die Zahl der ausländischen Niederlassungen, die auf dem schweizerischen Markt tätig waren, markant an, unter anderem weil die Erleichterungen auf dem Gebiet der Investmentfonds das Interesse der institutionellen Anleger weckten. Auch wenn die 1970-1980 erfolgte Deregulierung auf den internationalen Märkten einige der Wettbewerbsvorteile des schweizerischen Kapitalmarkts minderte, profitierte dieser doch über die ganze Periode hinweg von einer sehr liberalen Gesetzgebung und einer im internationalen Vergleich nur mässigen Steuerbelastung (Steuern). So wurden die Massnahmen, die in den 1960er und 1970er Jahren von den für die Geld- und Wirtschaftspolitik zuständigen Instanzen zur Regulierung der Kapitalimporte und der Kapitalexporte ergriffen worden waren, schon im folgenden Jahrzehnt wieder gelockert. Seither wurden fiskalische Erleichterungen gewährt, um – so lautet die Begründung – die Wettbewerbsfähigkeit der Finanzakteure zu stärken. 1993 erfolgte die Zentralisierung der Schweizer Börsen als Teil des Konzentrations- und Modernisierungsprozesses in diesem Sektor, während die Annahme eines Bundesgesetzes über die Börsen 1995 der mitunter bizarr anmutenden Vielfalt der kantonalen Gesetzgebungen ein Ende machte. Der schweizerische Markt ist weltführend auf dem Gebiet der Emission internationaler Anleihen. Seine von allen Beobachtern festgestellte grosse Anlagekapazität ist in hohem Mass auf die Anziehungskraft zurückzuführen, die von der Kombination einer starken Währung (Geld, Geld- und Währungspolitik) mit einem vorteilhaften Steuersystem trotz relativ niedriger Zinssätze auf die internationalen Sparguthaben ausgeht. In dieser Hinsicht hat die Positionierung der schweizerischen Finanzintermediäre auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung – sie legten in den 1990er Jahren schätzungsweise zwischen einem Drittel und der Hälfte des grenzüberschreitenden Offshorevermögens von Privatpersonen an – das Aufnahmevermögen des nationalen Marktes während langer Zeit verstärkt.

Marktstruktur, Kapitalangebot und Kapitalnachfrage

Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmte die Kapitalnachfrage die Organisation des Angebots und demzufolge auch die Strukturierung des schweizerischen Kapitalmarkts in zwei Segmente. Das erste, hervorgegangen aus dem immensen Geldbedarf für den Eisenbahnbau und andere Investitionen in dessen Umfeld, ist sowohl national als auch international ausgerichtet; es befriedigt hauptsächlich die Bedürfnisse der Grossunternehmen, des Zentralstaats sowie der grossen internationalen Kreditnehmer, öffentlicher oder privater, und wird von den Grossbanken dominiert. Das andere Marktsegment, das zum Teil als Reaktion auf die wachsende Macht der grossen Finanzinstitute entstand, ist von eher regionaler Dimension. Die durch die jeweiligen Regierungen unterstützten Kantonalbanken spielten darin lange eine zentrale Rolle, indem sie insbesondere zur Stabilisierung der Zinssätze beitrugen. Darauf stützten sich die Kantone, die öffentlichen Kreditnehmer geringeren Zuschnitts sowie die kleine und mittlere Geschäftskundschaft aus kleinindustriellen, gewerblichen und agrarischen Kreisen. Diese schon vor dem Ersten Weltkrieg festgelegte bipolare Struktur blieb während des ganzen 20. Jahrhunderts bestehen. Erst infolge der in den 1960er Jahren einsetzenden Konzentrationsbewegung und vor allem der Schwierigkeiten, in welche die meisten Kantonalbanken ab Ende der 1980er Jahre gerieten, büssten die kleineren Finanzinstitute zugunsten der Grossbanken und Versicherungsgesellschaften (Versicherungen) an Einfluss ein. Sie verloren besonders bei der Mittelbeschaffung in Form von Spargeldern und dadurch auch auf dem Hypothekarmarkt an Boden.

Trotz dieser dualistischen Struktur ist der Schweizer Kapitalmarkt stark kartellisiert. So bildeten die grossen Banken 1897 das Kartell schweizerischer Banken und die Kantonalbanken 1907 den Verband Schweizerischer Kantonalbanken; 1911 taten sich die beiden Organisationen zur Bildung des Emissionssyndikats der Schweizer Banken zusammen, um alle öffentlichen Anleihen, die einen gewissen, trotz einiger späterer Revisionen relativ niedrigen Betrag überschritten, unterzubringen und zu platzieren. Ursprünglich errichtet, um der ausländische Konkurrenz Stand zu halten und die entsprechende Kapazität der Grossbanken gegenüber den öffentlichen Kreditnehmern zu verbessern, sicherten diese Organisationen ihren Mitgliedern eine Monopolstellung auf diesem Geschäftssektor, auch wenn die öffentlich-rechtlichen Körperschaften ab dem Ersten Weltkrieg einen Teil ihrer Anleihen direkt bei den Versicherungsgesellschaften und den Pensionskassen unterbrachten. Zudem boten diese Organisationen, insbesondere im Falle des Kartells, die Gelegenheit, permanente Syndikate zu errichten, die sich mit den Anleihen grosser Privatemittenten sowie den internationalen Grossemissionen befassten. Der in den frühen 1990er Jahren erfolgte Abbau der diversen Wettbewerbsabreden und Zusammenschlüsse, die aus dem weitgehend von den Grossbanken dominierten Emissionssyndikat hervorgegangen waren, beeinträchtigte allerdings deren Hegemonie in diesen Geschäftssegmenten in keiner Weise.

Von Advico, Young & Rubicam gestaltete Werbung für die Wirtschaftszeitung Cash, 1989 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Von Advico, Young & Rubicam gestaltete Werbung für die Wirtschaftszeitung Cash, 1989 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Mittel- und langfristiges Kapital wurde je nach Bestimmung der Geldmittel, Qualität des Schuldners, Marktbedingungen und untersuchter Zeitspanne in Form von speziellen Bankkrediten (darunter der Kontokorrentkredit und das Hypothekardarlehen), durch die Ausgabe von sogenannten Notes (Schuldverschreibungen, die auf dem Markt handelbar sind und ausserhalb der Bilanz ausgewiesen werden) und von Anleihen (Obligationen- und Aktienmarkt) zur Verfügung gestellt. Es ist anzunehmen, dass der Bankkredit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, d.h. bis zur Entstehung eines eigentlichen nationalen Kapitalmarkts, für die einheimische Nachfrage durch Private eine wichtige Rolle gespielt hat. Wenn er in der Folge auch an Bedeutung einbüsste, blieb der Bankkredit vermutlich die wichtigste Quelle für die Fremdfinanzierung, auch für Schuldner, deren wirtschaftliches Gewicht gross genug war, um die Emission einer Anleihe zu rechtfertigen. Von den 1980er Jahren an führte die Bewegung der sogenannten Verbriefung des Kreditmarktes bzw. der Desintermediation (die Unternehmen bringen direkt, ohne Vermittlung der Banken, Titel auf den Markt) auf internationaler Ebene zur Ablösung der traditionellen Bankkreditformen durch die Emission von handelbaren Wertpapieren – darunter die Notes und andere neue Finanzinstrumente –, die einen immer grösseren Anteil am Kapitalexport der Banken ausmachen.

Der Hypothekarmarkt stellt in Anbetracht seines Alters, der Vielfältigkeit der Sektoren, die ihn in Anspruch nehmen, sowie seines relativen Anteils am gesamten Angebot seit langem eine sehr wichtige Komponente des schweizerischen Kapitalmarkts dar. Er war zeitweise auch eine nicht unbedeutende Quelle für Kapitalexporte, insbesondere auf dem Weg über die spezialisierten Filialen der Grossbanken. Obwohl die Versicherungsgesellschaften und die Pensionskassen in diesem Bereich seit dem Zweiten Weltkrieg eine wachsende Rolle spielen, halten die Banken an der Schwelle zum 21. Jahrhundert noch immer mehr als drei Viertel der Anteile am schweizerischen Hypothekarmarkt.

Quellen und Literatur

Vor 1850
  • H. Lüthy, La banque protestante en France, 2 Bde., 1959-61
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  • M. Körner, Luzerner Staatsfinanzen, 1415-1798, 1981
  • B. Veyrassat, Négociants et fabricants dans l'industrie cotonnière suisse, 1760-1840, 1982
  • Staatsfinanzierung und Sozialkonflikte (14.-20. Jh.), hg. von S. Guex et al., 1994
  • U. Pfister, «Le petit crédit rural en Suisse aux XVIe-XVIIIe siécles», in Annales 49, 1994, 1339-1357
Nach 1850
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  • K. Stocker, Bedeutung der ausländ. Emissionen für den schweiz. Geld- und Kapitalmarkt, 1958
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  • Monatsber. / SNB, 1980-2005
  • B.V. Christensen, Switzerland's Role as an International Financial Center, 1986
  • H. Hämmerli, Aspekte des schweiz. Emissionsgeschäftes, 1986
  • S. Guex, La politique monétaire et financière de la Confédération suisse, 1993
  • H.B. Meier, J.E. Marthinsen, Switzerland: a Guide to the Capital and Money Markets, 1996
  • Bankenstatist. Monatsh. / SNB, 1998-
  • J. Jung, Von der Schweiz. Kreditanstalt zur Credit Suisse Group, 2000
  • Veröff. UEK 13
  • M. Mazbouri, L'émergence de la place financière suisse (1890-1913), 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Stefan Altorfer; Malik Mazbouri: "Kapitalmarkt", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.02.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013913/2010-02-18/, konsultiert am 28.03.2024.