Anbauschlacht

Appell an die Jugend, sich an der Anbauschlacht zu beteiligen. Plakat von Noël Fontanet (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Appell an die Jugend, sich an der Anbauschlacht zu beteiligen. Plakat von Noël Fontanet (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Als Anbauschlacht bezeichnet wird die planmässige Förderung des agrarischen Mehranbaus und der Ertragssteigerung zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung bzw. zur Umstellung auf Selbstversorgung während des Zweiten Weltkriegs. Eine erste Ausweitung der Ackerfläche um 25'000 bzw. 12'500 ha war vom Bund für 1939 und 1940 noch im Rahmen der Krisenbewältigung und Kriegsvorsorge verfügt worden. Die eigentliche Anbauschlacht setzte erst mit dem sogenannten Plan Wahlen ein. Am 15. November 1940 brachte Friedrich Traugott Wahlen, der Chef der Abteilung für landwirtschaftliche Produktion und Hauswirtschaft im Eidgenössischen Kriegsernährungsamt (Wirtschaftliche Landesversorgung) in einem Vortrag, ohne Wissen seiner Vorgesetzten, seinen seit 1935 vorbereiteten, erweiterten Anbauplan vor eine breitere Öffentlichkeit. Angeregt unter anderem durch die sogenannte Getreideschlacht der 1930er Jahre im faschistischen Italien und gestützt auf umfangreiche Berechnungen über landwirtschaftliche Produktionskapazitäten, hatte Wahlen auch die Möglichkeiten der Schweiz untersucht, die landwirtschaftliche Produktion auf vermehrten Ackerbau umzuorientieren und sich bei völligem Versiegen der Einfuhren selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Um dies zu erreichen, stellte er vier Grundforderungen auf: sparsame Bewirtschaftung der Vorräte (Vorratshaltung), Ausnützung aller Ressourcen in Anbau und Wiederverwertung, organisierter Einsatz der Produktionsmittel wie der menschlichen Arbeitskraft «unter rücksichtsloser Einschränkung aller nicht lebenswichtigen Tätigkeiten».

Feldarbeit im Rahmen der Anbauschlacht auf dem Sechseläutenplatz in Zürich. Fotografie von Hans Staub, 1942 (Fotostiftung Schweiz, Winterthur) © Fotostiftung Schweiz.
Feldarbeit im Rahmen der Anbauschlacht auf dem Sechseläutenplatz in Zürich. Fotografie von Hans Staub, 1942 (Fotostiftung Schweiz, Winterthur) © Fotostiftung Schweiz.

Der positive Widerhall auf diese Forderungen in weiten Kreisen der von Unsicherheiten über die Zukunft geplagten Bevölkerung bewirkte, dass sich auch die zunächst widerstrebenden Führungskräfte in Staat und Wirtschaft vom neuen Plan überzeugen liessen. Die breite Zustimmung war jedoch mit ganz unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Motiven und Hoffnungen verknüpft: Die Linke deutete den Plan als Sieg der Planwirtschaft und als eine Möglichkeit, die drohende Arbeitslosigkeit zu überwinden. Bäuerliche Stimmen glaubten, er bringe die Schweiz auf den schon lange geforderten Weg zurück «zur Scholle», und rechte Kreise erhoben ihn zum Symbol der «Erneuerung». Exportorientierte Unternehmerkreise sahen ihn lediglich als ein kriegswirtschaftliches Notprogramm (Kriegswirtschaft). Für die jüngere Agrarelite (neben Wahlen u.a. Ernst Feisst, Oskar Howald) bildete die Anbauschlacht jedoch den Anfang der «neuen Agrarpolitik»; sie verfolgte damit eine langfristige und letztlich weit über die Kriegszeit hinaus erfolgreiche Strategie zur Sanierung und Modernisierung der Landwirtschaft. Die unmittelbar gesetzten Ziele erreichte die Anbauschlacht nur teilweise. Zwar gelang es durch Umwandlung von Wiesen zu Äckern, Rodungen und Meliorationen sowie durch die Industriepflanzwerke und die Förderung der Kleinpflanzer, die Anbaufläche von 183'000 ha bis 1945 auf 352'000 ha auszuweiten. Das Ziel von 500'000 ha wurde jedoch verfehlt. Widerstände in den Viehwirtschaftsregionen, Anbaumüdigkeit und Arbeitskräftemangel, das Ausbleiben von Arbeitslosigkeit und die trotz Blockaden nie völlig versiegenden Zufuhren waren die wichtigsten Gründe dafür, dass der Impuls der Anbauschlacht nach der fünften Anbauetappe von 1942 gebremst wurde. Von der Selbstversorgung blieb die Schweiz weit entfernt. Immerhin stieg der Selbstversorgungsgrad von 52% auf 59%, verbunden allerdings mit einer Senkung der durchschnittlichen Kalorienmenge pro Person von 3200 auf 2200 kcal.

Spezialnummer: Plan Wahlen. Schweizer Filmwochenschau, Ausgabe Nr. 42 vom 16. Mai 1941 (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#42-1#1*) © Cinémathèque suisse, Lausanne und Schweizerisches Bundesarchiv, Bern.
Spezialnummer: Plan Wahlen. Schweizer Filmwochenschau, Ausgabe Nr. 42 vom 16. Mai 1941 (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#42-1#1*) © Cinémathèque suisse, Lausanne und Schweizerisches Bundesarchiv, Bern. […]

Der Nutzen der Anbauschlacht ging indes weit über die Sicherung der Ernährung hinaus. Mit ihrer Unterordnung aller unter ein gemeinsames Ziel förderte sie die gesellschaftliche Integration nachhaltig. Obwohl die Opfersymmetrie auch während des Zweiten Weltkriegs keineswegs spielte und die Lohnabhängigen grosse Einschränkungen in Kauf nehmen mussten, wurde die Anbauschlacht doch zum Symbol für die Volksgemeinschaft, den Widerstandswillen und die Selbstbehauptung der Schweiz ― nicht zuletzt wegen einer gut organisierten Propaganda, besonders von Seiten des Gotthardbundes. Diese deutete den Kampf gegen Hunger und für Selbstversorgung nie als Selbstzweck, sondern setzte ihn immer mit dem Kampf für Vaterland und Unabhängigkeit gleich und stellte damit das Anbauwerk auf die gleiche Stufe wie die militärische Landesverteidigung. Dies führte nach 1940 zu permanenten Konflikten zwischen selbstversorgender Landwirtschaft, exportorientierter Industrie und militärischer Dienstpflicht um Arbeitskräfte.

Quellen und Literatur

  • Wahlen, Friedrich Traugott: Die Anbauschlacht. Aus einem Vortrag über die Aufgaben unserer Landwirtschaft in der Kriegszeit, bearbeitet von Willy Schweizer-Hug, 19412.
  • Wahlen, Friedrich Traugott: Unser Boden heute und morgen. Etappen und Ziele des schweizerischen Anbauwerks, 1943.
  • Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirtschaft: Die schweizerische Kriegswirtschaft, 1939/1948, 1950.
Weblinks

Zitiervorschlag

Albert Tanner: "Anbauschlacht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013783/2021-01-07/, konsultiert am 28.03.2024.