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Twing und Bann

Twing und Bann (mittelhochdeutsch twinc = Zwang, Gewalt; ban = Gebot, Verbot; lateinisch districtus et bannus) bezeichnen seit dem 13. Jahrhundert als rechtssprachliche Paarformel die herrschaftliche Gebots- und Zwangsgewalt im Bereich der Niedergerichtsbarkeit (Gerichtswesen), davon abgeleitet auch den Gerichtsbezirk. Die Formel blieb im schwäbisch-oberrheinischen und schweizerischen Raum bis ins 19. Jahrhundert geläufig. Die frühneuhochdeutsche Lautverschiebung von Twing zu Zwing (ab 15. Jahrhundert) setzte sich westlich der Napf-Reuss-Linie nur zum Teil durch.

Herkunft

Rechtshistoriker, unter anderem Friedrich von Wyss, Ulrich Stutz, Hermann Rennefahrt und Karl Siegfried Bader, suchten die Herkunft von Twing und Bann für das Gebiet der heutigen Schweiz zu ergründen. Die Auffassungen blieben kontrovers. Die ältere Meinung sah Wurzeln im bäuerlich-genossenschaftlichen Bereich bzw. in der öffentlichen Richtergewalt des Königs. Neuere Untersuchungen vermuten eine Herkunft aus zwei Wurzeln: der (ursprünglich gräflichen) Vogtei über Freie und der (privaten) Leib- und Grundherrschaft. In ihrer spätmittelalterlichen Erscheinungsform nach 1300 umfassten Twing und Bann neben dem Gericht alle Herrschaftsrechte im Dorfbereich bzw. auf Einzelhöfen (Hofrecht). Als Zwangs- und Richtergewalt auf unterer Stufe (Niedergericht) lagen Twing und Bann meist beim Grundherrn, konnten aber auch, verselbstständigt, nur Gerichtsherrschaft sein. Sie stellten einen teil-, vererb- und veräusserbaren Vermögenswert mit dem Charakter von Privateigentum dar.

"Geometrische Verzeichnus des Schlosses Wildenstein sambt den datzu gehörigen Güetteren Baslerischer Jurisdiction". Plan der Schlossgüter von Wildenstein mit den dazu gehörenden Rechten der Stadt Basel, von Georg Friedrich Meyer, 1681 (Staatsarchiv Basel-Landschaft, Liestal, KP 5001 0071).
"Geometrische Verzeichnus des Schlosses Wildenstein sambt den datzu gehörigen Güetteren Baslerischer Jurisdiction". Plan der Schlossgüter von Wildenstein mit den dazu gehörenden Rechten der Stadt Basel, von Georg Friedrich Meyer, 1681 (Staatsarchiv Basel-Landschaft, Liestal, KP 5001 0071). […]

Inhalt von Twing und Bann, Kompetenzen

Vom 13. Jahrhundert an erscheinen Twing und Bann in Handänderungsverträgen um Herrschaften formelhaft als «volle Herrschaft bis an den Tod». Der Inhalt bleibt unerläutert und wird höchstens gegen die Hochgerichtsbarkeit (Dieb und Frevel) abgegrenzt. Was volle Herrschaft ohne Richtergewalt über das Leben bedeutete, schien den Zeitgenossen somit bekannt zu sein. Streitfälle vom 15. Jahrhundert an zeigen indes, dass die Rechtslage keineswegs so klar war, zumal der Inhalt von Twing und Bann je nach Herrschaft variieren konnte, vor allem im Grenzbereich von Nieder- und Hochgerichtsbarkeit.

In der Regel bedeuteten Twing und Bann Dorfherrschaft (Dorf). Diese umfasste das Richteramt mit dem Recht zu strafen (büssen), die Herrschaft über die Flur und die Schirmgewalt über die Herrschaftsleute, d.h. Elemente der Vogtei, der Leib- und Grundherrschaft. Der Twingherr richtete über die kleineren Vergehen seines Gerichtsbezirks (Twing) und war dort Zivilrichter bei Klagen um Güter (Erb und Eigen) und um Geldschuld. Kraft seiner Rechte über Allmenden und Gewässer konnte er diese den Dorfbauern zur Nutzung überlassen oder verbieten (bannen). Er nutzte die Fischerei selbst oder lieh das Recht dazu Einzelnen oder der Gemeinde. Gestützt auf seinen Gewerbebann, konnte er grundherrliches Gewerbe (Ehaften) wie Gasthäuser, Mühlen, Schmieden und Kelter eröffnen oder konzessionieren, an grösseren Orten auch Bäckereien, Metzgereien, Gerbereien und Färbereien, und seine Herrschaftsleute zu deren Benützung zwingen (Zwingmühle). Mehrere Eigentümer an Twing und Bann eines Ortes partizipierten anteilmässig an den Rechten und der Nutzung.

Die Kodifikation des mündlich tradierten Twingrechts fand ab dem Spätmittelalter dann statt, wenn sich ein Twingherr der Übergriffe von oben (Landesherr) oder unten (bäuerliche Dorfgemeinde) zu erwehren hatte. Diesen Offnungen zufolge war das Twinggericht zuständig für leichtere bis mittelschwere Körperverletzung (u.a. Knochenbrüche, blutende und unblutige Wunden durch Stechen, Werfen, Kratzen und Schlagen, Messertragen, Hausfriedensbruch), für Ehrverletzung und unsittliches Verhalten, für Grenzzwiste und Flurvergehen (Waldfrevel, Flurschäden, Übertreten von Flurregeln usw.) sowie für Pfändungen. Bei Frevel (mittelschwere Vergehen) unterschied man leichteren und schweren: So verfolgte der Twingherr «Trostungsbruch (d.h. Brechen des beschworenen Friedens) mit Worten», der Hochrichter aber «Trostungsbruch mit bewaffneter Hand». Den Vorsitz im Gericht, einem Laiengericht von meist zwölf Gerichtssässen, hatte gewöhnlich ein Beamter (Ammann, Untervogt, Weibel) des Twingherrn inne. Zeichen seiner Richterwürde war der Richterstab. Die Bussenkompetenz lag im Spätmittelalter in der Regel bei drei Schilling für Flurvergehen oder dem Mehrfachen im Wiederholungsfall sowie bei drei Pfund oder dem Mehrfachen für schwerere Vergehen wie Körper- und Ehrverletzung.

Als Entgelt für das Amt genoss der Twingherr Vorrechte wie den Anspruch auf Frondienste der Twingangehörigen, auf Fischerei und Holzhau. Er bezog Gebühren für Weide- und Waldnutzung (Twing-, Holz-, Futterhafer usw.), Einkünfte aus Ehaften sowie Gerichtsbussen. Oft umstritten waren Ansprüche auf entlaufenes Vieh (Maulvieh), entflogene Bienenschwärme (Impen) und die Vogeljagd.

Gebotsrechte und Flurpolizei, auch die Einsetzung von Dorfbeamten (Bannwart, Hirt usw.) gingen im Einverständnis der Twingherren zum Teil an die genossenschaftlich organisierte Dorfgemeinde über. Vom 16. Jahrhundert an erwarben Gemeinden oder einzelne Bauern Twingherrschaften selbst, vor allem um sich ihrer Feudallasten zu entledigen. Das Richteramt verkauften sie der Obrigkeit.

Entwertung von Twing und Bann im Obrigkeitsstaat

Im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts hatte der Adel seine Herrschaften sukzessive durch Verpfändung, Verkauf oder nach Eroberungen verloren. Eigentümer waren nun neben Klöstern neu auch Landstädte, reiche Stadtbürger und vor allem die grossen Städte, die in den erworbenen Territorien sukzessive ihre Territorialherrschaft aufbauten. Zur Durchsetzung ihrer Oberherrschaft griffen sie von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an zunehmend in die Rechte der lokalen Twingherren ein. Als spektakulärste Kampfansage an die lokale Twinggewalt gilt der bernische Twingherrenstreit.

Der Obrigkeitsstaat des Ancien Régime beschnitt Herrschaftsrechte und Gerichtskompetenzen der Twingherren. Er beanspruchte die Oberhoheit über Hochwälder, Allmenden, Gewässer und Reisgründe (Flussbett und Auen) und den Gewerbebann schliesslich generell. Als Folge der Kompetenzkämpfe zwischen Obrigkeit und Twingherr verlor das Twinggericht an Ansehen. Seinen Lebensnerv aber traf das im 15. Jahrhundert aufkommende Mandat: Die Obrigkeit regelte das Leben ihrer Untertanen zunehmend mit Mandaten (Erlassen) und lief damit der Gesetzgebung des Twingherrn im Dorfbereich den Rang ab. Sie umging mit höheren Mandatbussen die Kompetenz seines Gerichts und dekretierte zuletzt die alleinige Ahndung von Mandatdelikten. Nach der Reformation erstreckte sich dieses obrigkeitliche Regiment auch auf das Kirchen-, Schul- und Armenwesen, wobei Sittengerichte immer mehr Fälle an sich zogen, die Sache von Twing und Bann gewesen waren.

Der Obrigkeitsstaat regelte zwar im 16. Jahrhundert den Instanzenzug – die Appellation vom Twinggericht an den Twingherrn und erst in letzter Instanz an die Obrigkeit –, doch umging die Bevölkerung je länger desto mehr das diskreditierte lokale Gericht und gelangte direkt an das regionale Amtsgericht oder an die Obrigkeit. Den letzten Schlag gegen Twing und Bann führte die Helvetische Republik, als sie diese mit den «Personal-Feudal-Rechten» abschaffte (Gesetz vom 4. Mai 1798). Die Mediation stellte Twing und Bann nicht wieder her. Eine Entschädigung der Eigentümer unterblieb zumeist.

Quellen und Literatur

  • Dt. Rechtswb. 1, 1914, 1202-1204
  • H. Rennefahrt, «Twing und Bann», in Schweizer Beitr. zur Allg. Gesch. 10, 1952, 22-87
  • J.J. Siegrist, Beitr. zur Verfassungs- und Wirtschaftsgesch. der Herrschaft Hallwil, 1952, 101-117
  • K.S. Bader, «Nochmals: Über Herkunft und Bedeutung von Zwing und Bann», in Fs. Guido Kisch, 1955, 33-52
  • K.S. Bader, Stud. zur Rechtsgesch. des ma. Dorfes 2, 1962 (21974), (mit Bibl.)
  • A. Bickel, Willisau 1, 1982, 27-48
  • HRG 5, 1862.
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Twing und Bann", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.01.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013697/2014-01-07/, konsultiert am 28.03.2024.