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Privilegien

Privilegien sind eine typische Rechtsquelle einer Zeit, die keine allgemeine rechtliche Gleichheit und Freiheit kennt. In formaler Hinsicht handelt es sich um einen Rechtserwerb durch eine vom Herrscher bzw. Gesetzgeber eigens ausgestellte Urkunde. Materiell geht es um die Gewährung einer einzelnen Rechtsposition, die vom allgemeinen Recht abweicht. Die altständische Gesellschaft baute auf gebundenem Privatrecht und rechtlicher Ungleichheit auf. Durch den Erwerb von Privilegien war es möglich, punktuell zahlreiche Freiheiten zu erwerben, ohne dass damit eine allgemeine Freiheit verbunden war. Dies galt sowohl für Städte als auch für Einzelpersonen.

Reichsprivileg von Kaiser Sigismund für Luzern. Urkunde mit Goldsiegel vom 31. Oktober 1433 (Staatsarchiv Luzern).
Reichsprivileg von Kaiser Sigismund für Luzern. Urkunde mit Goldsiegel vom 31. Oktober 1433 (Staatsarchiv Luzern). […]

Im Mittelalter konnte in erster Linie der König Privilegien erteilen (Reichsprivilegien), da er Inhaber der Regalien war. So verlieh er als Stadtherr den reichsunmittelbaren Städten – meist auf deren Bitte (u.a. Solothurn, Bern) hin – eigene Stadtrechte (Handfeste, Freiheitsbrief, charte de franchises). Die Freiheitsbriefe für Uri (1231) und Schwyz (1240) sicherten den Urkantonen Reichsunmittelbarkeit zu, und durch ein Gerichtsstandsprivileg von 1309 befreite König Heinrich VII. Uri, Schwyz und Unterwalden von jeder auswärtigen Jurisdiktion. Das Bewusstsein für die eigenen Freiheiten überdauerte die Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich. So liess sich Basel bei seinem Beitritt zur Eidgenossenschaft 1501 die Fortgeltung seiner bisherigen Privilegien ausdrücklich zusichern, Unterwalden sogar noch 1541.

Neben den Reichsprivilegien gab es zahlreiche von anderen Herrschern gewährte Sonderrechte. So genossen die Kaufleute der eidgenössischen Orte Handelsprivilegien in Nachbarterritorien, vor allem in Frankreich ab 1516 und im Herzogtum Mailand ab dem 15. Jahrhundert (Mailänder Kapitulate). Ab 1481 gewährte der französische König seinen Schweizer Söldnern Steuerprivilegien, und noch im 18. Jahrhundert wurden Straftaten der Schweizer Söldner in Frankreich nach der Carolina geahndet. Innerhalb der Orte und Herrschaften waren die an bestimmte Gebäude gebundenen Ehaften vom Landesherrn oft mit dem Gewerbemonopol (Monopole) privilegiert. Auch die Konzessionspflicht für bestimmte Berufsgruppen wie etwa Buchdrucker (in Berner Landstädten erst 1767 abgeschafft) war der Sache nach ein Druckprivileg. Diese wirtschaftsrechtlichen Privilegien endeten erst mit der Einführung der Handels- und Gewerbefreiheit. Die inhaltliche Bandbreite von Privilegien umfasste das gesamte Sozial-, Rechts- und Wirtschaftsleben und ist in der "Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen" gut greifbar. Allein die Bände zum Kanton Waadt bieten nicht nur Beispiele für die franchises der Städte Lausanne, Montreux und Aigle, sondern ebenso für Salzmonopole, Freiheiten der Hutmacher, Müller, Fleisch- und Wäscheklopfer, für die Konzession von städtischen Öfen sowie für Marktprivilegien für Leinenweber.

In der neuzeitlichen Diskussion wurde das Privileg als Gesetz angesehen, das vom Herrscher durch einen Gnadenakt erlassen wurde und sich zumeist an einen individuellen Adressaten richtete. Je stärker sich die Auffassung durchsetzte, dass der Einzelne auf den Erlass einen Anspruch habe, desto mehr nahm das Privileg als blosser Gesetzesvollzug den Charakter eines Verwaltungsaktes (Verfügung) an. Die Konzessionen für Fabriken und Kapitalgesellschaften fielen in diese Übergangsphase, die teilweise bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte.

Der Weg zum modernen, negativ besetzten, aber juristisch nichtssagenden Sprachgebrauch des Begriffs deutete sich bereits im 19. Jahrhundert an. In der Helvetik wurden das Gemeindebürgerrecht und die verfassungsrechtliche Besserstellung bestimmter Bevölkerungsgruppen für ein ungerechtfertigtes Privileg gehalten. Ganz in diesem Sinne forderte Napoleon 1803 in einer Stellungnahme zur Mediationsakte (Kapitel 20, Artikel 3) die patrizischen Familien in der Schweiz auf, freiwillig auf ihre Privilegien zu verzichten. Im Bundesvertrag von 1815 hiess es, politische Rechte dürften nicht das "Privileg einer Klasse" sein. Noch 1865 wurde in den Beratungen zum Entwurf eines schweizerischen Handelsrechts der Vorwurf laut, die Kodifikation sei ein "Privilegium der Kaufleute". Hier wurde der Privilegienbegriff bereits in seiner heutigen umgangssprachlichen Bedeutung benutzt. Im Gegensatz zum alten, rechtlich umrissenen Begriff wird in der neueren politischen Diskussion teilweise bereits jede grosse tatsächliche, vor allem wirtschaftliche Bevorteilung als Privileg bezeichnet. Freilich entfalten auch die früheren Privilegien, insbesondere Nutzungsrechte, als wohlerworbene Rechte unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch Rechtswirkungen und sind als Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinn gegen Entzug und Beeinträchtigung geschützt.

Quellen und Literatur

  • HRG 2, 2005-2011; 3, 1999-2005
  • Peyer, Verfassung
  • K. Klett, Verfassungsrechtl. Schutz „wohlerworbener Rechte“ bei Rechtsänderungen anhand der bundesgerichtl. Rechtsprechung, 1984
  • Das Privileg im europ. Vergleich, 2 Bde., hg. von B. Dölemeyer, H. Mohnhaupt, 1997-99
  • Gente ferocissima, hg. von N. Furrer et al., 1997
  • P. Henry et al., Des chartes de franchises à la nouvelle Constitution, 2003
  • J.-D. Morerod, «Les franchises „vaudoises“ et Fribourg, réflexions sur le concept de droit autochtone», in Die Freiburger Handfeste von 1249, hg. von H. Foerster, J.-D. Dessonnaz, 2003, 269-280
  • P. Brun, «Vom Sinn und Unsinn königl. Privilegien», in Wege zur Urk. – Wege der Urk. – Wege der Forsch., hg. von K. Hruza et al., 2005, 169-179
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Oestmann: "Privilegien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013696/2013-12-17/, konsultiert am 28.03.2024.