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Carl AlbertLoosli

5.4.1877 Schüpfen,22.5.1959 Bümpliz, reformiert (1902 Kirchenaustritt), von Sumiswald. Schriftsteller und politisch intervenierender Intellektueller mit umfassendem belletristischen und publizistischen Werk.

Carl Albert Loosli um 1898. Porträtfotografie aus dem Atelier von Hermann Völlger an der Berner Marktgasse (Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft).
Carl Albert Loosli um 1898. Porträtfotografie aus dem Atelier von Hermann Völlger an der Berner Marktgasse (Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft).

Carl Albert Loosli, der uneheliche Sohn des italienischen Weinhändlers Carlo Bonnacio aus Saint-Imier und der Bauerntochter Sophie Emma Loosli, wuchs bei der Köchin und Stickerin Annemarie Zweiacker in Schüpfen auf. 1889 wurde er unter Vormundschaft der Gemeinde Sumiswald gestellt (gerichtlich erst 1901 aufgehoben) und im Heim Grandchamp bei Boudry untergebracht. Den Schulbesuch dort musste er wegen eines Augenleidens abbrechen. Da er mit seinen Vormündern wegen der ihm verordneten Lehrstellen in Konflikt geriet, wurde er in verschiedene Heime eingewiesen und 1895 schliesslich in der Strafanstalt Trachselwald administrativ versorgt.

1897 freigelassen, führte er ein Leben als Bohemien zwischen Bern, dem Emmental, Neuenburg und Paris. Er entdeckte die Welt der Künste, verfolgte die Affäre Dreyfus aus nächster Nähe, war mit Emile Zola, Ferdinand Hodler und Carl Vital Moor bekannt und machte sich einen Namen als freier Schriftsteller und Journalist. 1903 heiratete er Ida Rosa Schneider, Tochter der Hebamme Rosette Schneider aus Rüegsauschachen (Schwiegervater unbekannt). 1904 liess er sich in Bümpliz nieder.

Carl Albert Loosli als "Der Philosoph von Bümpliz". Karikatur von Frieda Liermann in der Zeitschrift Der Grüne Heinrich, 1907, Nr. 8 (Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft).
Carl Albert Loosli als "Der Philosoph von Bümpliz". Karikatur von Frieda Liermann in der Zeitschrift Der Grüne Heinrich, 1907, Nr. 8 (Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft). […]

Wegen seiner kritischen Stellungnahmen als Homme de lettres, die 1906 im Essayband Bümpliz und die Welt publiziert wurden, bezeichnete ihn Jonas Fränkel als Philosophen von Bümpliz. Loosli gründete 1908 die Bümplizer Arbeiterpartei und wirkte als Redaktor der Berner Tagwacht, trat aber schon 1909 wegen des marxistischen Kurses von Robert Grimm aus der Sozialdemokratischen Partei (SP) aus. 1908-1912 war er Sekretär der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (Künstlervereine). Nach deren Modell und aufgrund seiner urheberrechtlichen Erfahrungen rief Loosli 1912 eine als Gewerkschaft konzipierte Interessenvertretung der Berufsautoren, den Schweizerischen Schriftsteller-Verband (Schriftstellervereine), ins Leben, dessen erster Präsident er wurde. Mit seiner Warnschrift Ist die Schweiz regenerationsbedürftig? stellte er 1912 die Frage nach dem Sinn der Nation, die ihre Ideale zugunsten eines oberflächlichen Materialismus und einer von Sesselkleberei geprägten Parteipolitik aufzugeben drohte. Mit der sogenannten Gotthelf-Affäre kam es zum Eklat: Als Dichter stiess sich Loosli an den Spekulationen um die Authentizität von Shakespeares Werk und er ärgerte sich über den "philologischen Klatsch", der den Blick auf das Werk der Autoren verstelle. In einem wissenschaftlich daherkommenden Beitrag behauptete er 1913, nicht Albert Bitzius, sondern der mit diesem befreundete Landwirt Johann Ulrich Geissbühler sei Autor der Werke von Gotthelf gewesen. Die Fake-Studie wurde in der Deutschschweiz für bare Münze, in der französischsprachigen Schweiz hingegen mit Augenzwinkern zur Kenntnis genommen. Looslis Absicht, die Fachwelt aufs Glatteis zu führen, war gelungen, allerdings zum Preis seiner Ächtung durch die düpierten Kreise, einschliesslich von Teilen der Presse und des Buchhandels. Die Ausgrenzung konnte Loosli allerdings dank der Unterstützung aus der französischen Schweiz sowie seiner politischen und künstlerischen Netzwerke immer wieder durchbrechen.

Der Berner Prozess zu den Protokollen der Weisen von Zion. Fotografien von Carl Jost, 10. Mai 1935 (Staatsarchiv Bern; FN Jost N 9918 und 9895).
Der Berner Prozess zu den Protokollen der Weisen von Zion. Fotografien von Carl Jost, 10. Mai 1935 (Staatsarchiv Bern; FN Jost N 9918 und 9895). […]

Loosli war als Publizist vor allem in drei Richtungen tätig: Er verfasste belletristische Schriften, kunsthistorische Studien und sozialpolitisch-erzieherische Traktate. Literarisch hinterliess er ein reiches Werk an Satiren, Zweizeilern, Gedichten und Kurzgeschichten, hochdeutsch, französisch und im Emmentalerdialekt geschrieben. Er initiierte die Gotthelf-Werkausgabe und wirkte als deren Mitherausgeber, bis er sich mit den Nachkommen des Autors überwarf. Freundschaftlich verbunden war er mit Carl Spitteler (Erinnerungen an Carl Spitteler, 1956) sowie mit zahlreichen bildenden Künstlern, was ihn zu seinen kunsthistorischen Studien motivierte, unter denen das vierbändige Werk Ferdinand Hodler. Leben, Werk und Nachlass (1921-1924) herausragt. Das von ihm erarbeitete Hodler-Archiv, testamentarisch dem Neuenburger Musée des beaux-arts vermacht, bildete später die Grundlage für die Forschungen am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich.

Umschlag von Carl Albert Looslis "Administrativjustiz" und Schweizerische Konzentrationslager, Bern-Bümpliz 1939 (Privatsammlung).
Umschlag von Carl Albert Looslis "Administrativjustiz" und Schweizerische Konzentrationslager, Bern-Bümpliz 1939 (Privatsammlung). […]

Mit dem Traktat Anstaltsleben (1924) eröffnete Loosli seinen Feldzug gegen die wie Kasernen geführten Heime und Verwahrungsanstalten (Anstaltswesen) sowie für eine grundlegende Schulreform. Später engagierte er sich auch erfolgreich für die Verdingkinder. 1939 erschien "Administrativjustiz" und Schweizerische Konzentrationslager, aber es gelang ihm nicht, die zur Überwindung der Zwangsversorgungspraxis erforderliche politische Koalition zusammenzubringen. Mit seiner vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund unterstützten Schrift Die schlimmen Juden! (1927) bekämpfte Loosli den Antisemitismus, in Die Juden und wir (1930) distanzierte er sich von seiner früheren Forderung nach Assimilierung der Juden. 1934-1935 war er Experte des Gerichts im Berner Prozess um die Protokolle der Weisen von Zion und nach dem Krieg Wegbereiter christlich-jüdischer Arbeitsgemeinschaften. Mit Publikationen wie Umschalten oder Gleichschalten? (1934) und Demokratie und Charakter (1936) sowie der gezielten Veröffentlichung geheimer nationalsozialistischer Dokumente während des Abstimmungskampfs um die faschistische Initiative gegen die Freimaurerei von Arthur Fonjallaz 1937 stärkte er den Abwehrwillen der demokratischen Kräfte gegen das Dritte Reich.

Carl Albert Loosli in seinem Arbeitszimmer in Bümpliz. Fotografie von Walter Studer, 1954 © Peter Studer, Bern.
Carl Albert Loosli in seinem Arbeitszimmer in Bümpliz. Fotografie von Walter Studer, 1954 © Peter Studer, Bern.

Die Rezeption Looslis fokussierte sich lange hauptsächlich auf seine Dialektliteratur (z.B. Mys Ämmitaw!, 1911) und seinen Justiz- und Kriminalroman Die Schattmattbauern (1926 verfasst, 1932 erstmals als Buch erschienen). Erst die lange nach seinem Tod veröffentlichte Biografie und die siebenbändige Werkausgabe rückten das enorme Spektrum seines Denkens und Schaffens allmählich wieder ins Blickfeld. Die 2001 gegründete Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft hält die Erinnerung an Loosli wach und zeigt die vielfältigen Gegenwartsbezüge seines visionären Gedankenguts in ihrem seit 2010 erscheinenden Bulletin auf. 

Quellen und Literatur

  • Lerch, Fredi; Marti, Erwin (Hg.): Werke. Carl Albert Loosli, 2006-2009.
  • Lenz, Pedro: Loosli für die Jackentasche. Geschichten, Gedichte und Satiren, 2010.
  • Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich.
  • Musée d'art et d'histoire Neuchâtel.
  • Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Nachlass Carl Albert Loosli.
  • Killy, Walther (Hg.): Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 7, 1990, 344-345.
  • Marti, Erwin: Carl Albert Loosli 1877-1959, 4 Bde., 1996-2018.
  • Marti, Erwin: "Die Kunstmacht. Ferdinand Hodler, Carl Albert Loosli und die GSMBA", in: Bätschmann, Oskar; Frehner, Matthias; Heusser, Hans-Jörg (Hg.): Ferdinand Hodler. Die Forschung, die Anfänge, die Arbeit, der Erfolg, der Kontext, 2009, S. 217-230.
  • Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft (Hg.): Carl Albert Loosli aktuell, Nr. 1-, 2010- .
  • Spuhler, Gregor (Hg.): Anstaltsfeind und Judenfreund. Carl Albert Looslis Einsatz für die Würde des Menschen, 2013.
  • Komorowski, Dariusz: Ein Intellektueller im Narrenhabitus. Carl Albert Looslis Publizistik in der nationalen Identitätsdebatte der Schweiz um 1900, 2014.
  • Hagemeister, Michael: Die "Protokolle der Weisen von Zion" vor Gericht. Der Berner Prozess 1933-1937 und die "antisemitische Internationale", 2017.
Weblinks
Weitere Links
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Kurzinformationen
Variante(n)
Peter Lämmergeier (Pseudonym)
Peter Schöps (Pseudonym)
Carl Trebla (Pseudonym)
Lebensdaten ∗︎ 5.4.1877 ✝︎ 22.5.1959

Zitiervorschlag

Erwin Marti: "Loosli, Carl Albert", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.07.2019. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012084/2019-07-11/, konsultiert am 28.03.2024.