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Theater

Theater ist eine künstlerische Form menschlichen Ausdrucksverhaltens, dessen Ausdrucksmittel der eigene Körper (Haltung, Gang, Mimik und Gestik) und die eigene Psyche (Sprechhandlungen und Gefühlsäusserungen) sind. Sie bezieht sich immer auf ein Publikum. Zwischen diesem und den Darstellenden besteht ein Einvernehmen darüber, dass das Vorgeführte nicht die Lebenswirklichkeit selbst, sondern eine eigene künstliche, abbildende oder nachahmende Wirklichkeit vermittelt. Seine institutionelle Form fand das Theater im antiken Griechenland mit eigens errichteten Spielstätten, einem Text als Spielvorlage, Schauspielern mit ausdrucksverstärkenden Masken und Kostümen sowie Bildtafeln, die die Umwelt des Geschehens andeuteten.

Der aus dem Griechischen stammende Begriff Theater bezeichnet sowohl das spezifische Ausdrucksverhalten, die Spielstätte als auch die institutionelle Gemeinschaft von Darstellenden. Während er im Deutschen auch Formen wie Musiktheater und Ballett einschliesst, meint er im Französischen und Italienischen primär Sprech-Theater. Als Sonderformen des Theaters gelten Cabaret, Figurentheater und Festspiel (z.B. die Fête des Vignerons), als verwandte Formen Totentanz, Variété und Zirkus. Im Unterschied zu den medialen Darstellungsformen Film, Hörspiel und Fernsehspiel ist Theater einmalig, unmittelbar und interaktiv.

Römerzeit

Bronzestatuette eines Tragödienschauspielers, Anfang 3. Jahrhundert n. Chr. (AVENTICUM - Site et Musée romains d'Avenches).
Bronzestatuette eines Tragödienschauspielers, Anfang 3. Jahrhundert n. Chr. (AVENTICUM - Site et Musée romains d'Avenches). […]

Die ab dem 1. Jahrhundert auf schweizerischem Gebiet errichteten römischen Amphitheater, belegt sind solche in Nyon, Martigny, Ursins, Avenches, Bern, Augst und Windisch, dienten Tierhetzen und Gladiatorenkämpfen. Theaterbauten wurden in Lausanne, Avenches, Lenzburg und Augst gefunden; in Augusta Raurica sind Bauzustände in der klassischen Form mit differenziert gestalteter Bühnenfront (scaenae frons) und halbkreisförmigem Zuschauerraum nachzuweisen. Das Theater gehörte in den römischen Städten zu den Munifizenzleistungen. Die Figur eines Tragödienschauspielers mit eingeritztem gallischen Namen in Aventicum macht die Aufführung römischer und griechischer Tragödien wahrscheinlich. Mit dem Untergang des Römischen Reichs verschwand auch das römische Theater. In der Spätantike und im Frühmittelalter hinterliess das Theater, wohl aufgrund der Mündlichkeit einer lokalen Überlieferung und improvisierter Spielstätten, keine Spuren.

Mittelalter

Neue Formen eines institutionalisierten Theaters entstanden wie in der griechischen Antike aus dem religiösen Ritus: Der St. Galler Mönch Tuotilo fügte in die Ostermesse einen szenisch dargestellten lateinischen Wechselgesang ein, aus dem die drei Marien an Christi Grab erfahren, dass Jesus auferstanden ist. Aus diesem Kern entwickelten sich ab dem 10. Jahrhundert europaweit Geistliche Spiele, die der weitgehend des Lesens unkundigen Bevölkerung unterhaltend biblische Inhalte vermittelten. Allmählich wurden die lateinischen durch landessprachliche Dialoge ersetzt, die Szenen ausgeweitet und ihre Anzahl vermehrt. Das konnte zu einer Aufführungsdauer von mehr als einem Tag führen. Schliesslich wurde das Dargebotene durch die Einführung komischer Elemente verweltlicht. Dabei ging die Trägerschaft der Spiele von geistlichen auf weltliche Kreise über und der Spielort verlagerte sich aus den Klöstern und Kirchenräumen hinaus auf öffentliche Plätze. Daneben existierten auch die karnevalesken Verkehrungen der geistlichen Spiele in den Eselsfesten, die Fasnachtspiele sowie das Jahrmarktstheater der Gaukler und Spielleute. Dessen ungeachtet brach die Tradition der geistlichen Spiele mit gewandelten Formen und Themenschwerpunkten bis in die Gegenwart nie ab.

Humanismus, Reformation und katholische Reform

Mit der Umprägung des geistlichen Spiels wurden zunehmend Bürger, Handwerker und Gelehrte zu Trägern des Theaters. Die Spieltruppen der Zünfte und Bruderschaften übernahmen Stoffe mit mythisch-historischem und aktuellem Inhalt. So würdigte das «Urner Tellenspiel», das 1512 in Altdorf (UR) erstmals aufgeführt wurde, nicht allein den Tellen-Mythos, sondern auch die zeitgenössischen Erfolge der Eidgenossen im Schwabenkrieg. Die Verwendung des Worts «Spiel» weist noch darauf hin, dass die Aufführung wichtiger war als der Text, doch zunehmend wurden auch individuelle Autoren fassbar wie Jakob Ruf, der das «Urner Tellenspiel» bearbeitet und zu dem 1545 von der Zürcher Bürgerschaft aufgeführten «Neuen Tellenspiel» erweitert hatte, oder in Basel der Buchdrucker Pamphilus Gengenbach, der mit seinen Dramen die Missstände der Zeit geisselte. In der Reformation wurde das Theater zum Kampfmittel gegen die alte Kirche und für die Glaubenserneuerung. Niklaus Manuel nutzte es in seinen 1523 aufgeführten Fasnachtsspielen «Vom Papst und seiner Priesterschaft» und «Von Papsts und Christi Gegensatz» und publizierte 1525 das polemische Stück «Der Ablasskrämer». In Zürich verstand Heinrich Bullinger das Theater in humanistischer Tradition als Spiegel des menschlichen Lebens.

Über die konfessionellen Grenzen hinweg blühte das Theater im 16. Jahrhundert sowohl in den katholischen wie in den reformierten Orten. Im Schultheater beider Konfessionen beschäftigte man sich zur Schulung des Gedächtnisses, der rhetorischen Ausbildung und der moralischen Erziehung mit griechischen und römischen Dramatikern. Aufführungsorte für das öffentliche Schauspiel waren freie Plätze, Höfe oder Zunftstuben, in Basel zum Beispiel die Pfalz oder der Fischmarkt, in Luzern der Weinmarkt, in Zürich der Münsterhof. Ein Grossteil der Bevölkerung wirkte als Spieler oder Zuschauer mit, doch entstand trotz der Spielfreudigkeit der Bevölkerung kein Berufstheater. Autoren und Spielführer wie Renward Cysat, der 1583 und 1597 das zwei Tage dauernde Luzerner Osterspiel inszenierte, gehörten zur politisch einflussreichen Schicht und gingen einem bürgerlichen Beruf nach.

Im Lauf der katholischen Reform bedienten sich vor allem die Jesuiten des Schultheaters, unter anderem in Luzern, Freiburg und Pruntrut. Dabei ging es ihnen sowohl um die Verkündung der Glaubenslehre wie um die Förderung der Zöglinge in Rhetorik und Persönlichkeitsbildung. Während in den katholischen Landesteilen das Laien- und das Schultheater von kirchlichen und weltlichen Autoritäten weiterhin gefördert wurde, aus den Jesuitenschulen bis ins 18. Jahrhundert Theaterautoren hervorgingen und das öffentliche Theater barocke Züge annahm, setzte die calvinistische und reformierte Orthodoxie mit Berufung auf die Kirchenväter ab 1617 in Genf und ab 1623 in Zürich ein Theaterverbot durch, das dem Schul- und öffentlichen Theater ein Ende setzte und den Auftritt von Wandertruppen für über 100 Jahre stark einschränkte.

18. Jahrhundert

Die Erneuerung des Theaters im 18. Jahrhundert kam von aussen. Schon im 17. Jahrhundert bereisten zunehmend englische, französische, italienische und deutsche Wandertruppen die Schweiz. Auf deren Spielplänen tauchten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch Stücke auf, in denen das Theater als ein Mittel zur Bildung und Erziehung, als «moralische Anstalt» aufgefasst wurde. Damit hofften die Theaterprinzipale auch, die in reformierten Orten aufrecht erhaltenen Theaterverbote zu unterlaufen. In verschiedenen Deutschschweizer Städten feierte etwa zur Zeit des Siebenjährigen Kriegs die Truppe von Konrad Ernst Ackermann Erfolge. Den Zürcher Literaturreformer Johann Jakob Bodmer liessen diese gleichgültig, weil er sich nicht vorstellen konnte, was der Vorteil eines gespielten gegenüber einem gelesenen Drama sein sollte. Voltaire gelang es, dem Genfer Konsistorium 1766 den Bau eines Theaters abzuringen, nachdem er auf französischem und savoyischem Boden nahe der Grenze zu Genf ab 1756 vier Theater errichtet und unter anderem mit Schauspielern der Comédie française vor grossem Publikum aus Genf seine Stücke aufgeführt hatte. Publizistisch wurde er dabei von Jean le Rond d'Alembert unterstützt, der im Artikel Genf der «Encyclopédie» die Einrichtung eines tugendhaften Theaters gefordert hatte. Dagegen bestand Jean Jacques Rousseau im «Brief an d'Alembert über das Schauspiel» auf Festspielen, in denen das Volk zugleich Akteur und Zuschauer ist.

Die professionellen Wandertruppen, die in allen Landesteilen auftraten, schlugen ihre Bühnen zum Teil in Zunftsälen, zum Teil in den seit dem 17. Jahrhundert entstandenen Ballhäusern auf oder brachten ihre eigenen Schaubuden mit, die sie auf Plätzen oder vor den Stadttoren errichteten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden erste Theatergebäude, so zum Beispiel 1769 das Maison du Concert in Neuenburg, 1782-1783 das Théâtre des Bastions in Genf und 1767-1770 das Hôtel de Musique in Bern, dessen Theatersaal erst ab 1798 auf Dekret der französischen Besatzungsmacht bespielt werden konnte. Auch das Volkstheater erlebte im 18. Jahrhundert einen erneuten Aufschwung. Das Ordenstheater hatte zwar seinen Höhepunkt überschritten, doch vermittelten einzelne Autoren wie Josef Ignaz Zimmermann ihren Schülern die zeitgenössische Dramenliteratur und brachten von den Ideen der Aufklärung geprägte vaterländische Dramen auf die Bühne.

19. und 20. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert war vom Dualismus eines vor allem ausländisch bestimmten professionellen Theaters und des einheimischen Laienspiels geprägt. Nach den napoleonischen Kriegen erlebte das Laientheater eine neue Blüte: Auf dem Land führten die Dorfjungmannschaften Szenen aus den alten Schweizerschlachten auf, wie sie in Gottfried Kellers Roman «Der grüne Heinrich» beschrieben werden, in den katholischen Gebieten lebten sowohl das geistliche Spiel als auch das alte Volkstheater weiter, während in den Städten Theatervereinigungen entstanden, die sich an die Aufführung der dramatischen Literatur der Klassik und Romantik sowie der zeitgenössischen Erfolgsstücke wagten und zum Teil sogar Opern auf die Bühne brachten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch auf dem Land zunehmend die Theater-, Gesangs-, Musik- und Turnvereine zu Trägern eines vielfältigen Theaterlebens, das sich teilweise unter freiem Himmel, aber auch in den Sälen der Dorfgasthöfe abspielte.

Dank der Theaterbegeisterung der Stadt- und Kleinstadtbürger entstanden in verschiedenen Städten sogenannte Aktientheater, unter anderem 1804 in St. Gallen, 1834 in Basel und Zürich, 1839 in Luzern, 1846 in Bellinzona und 1856 in Solothurn. Sie bezogen entweder bestehende Theaterbauten oder liessen neue errichten. Diese kopierten architektonisch die Hoftheater, bei denen die Sicht auf die gegenüberliegende Loge besser war als auf die Bühne. In den grösseren Städten etablierten sich Theaterunternehmer mit festen Ensembles, die einen Abonnementsbetrieb aufzogen und den Besitzern des Theaters für die Benutzung einen Pachtzins ablieferten. In den kleineren Theatern organisierten die Besitzer einen Gastspielbetrieb. Die Theater standen auch den Vereinen und Liebhabertheatergesellschaften offen sowie gegen entsprechendes Entgelt den Schaustellern. Trotz geringfügiger Subventionen von staatlicher Hand, zum Teil noch in Naturalien, konnten sich die festen Theaterensembles meist nicht lange halten. So blieb zum Beispiel die Schauspielerin und Dramatikerin Charlotte Birch-Pfeiffer trotz des Einsatzes eigener Geldmittel nur 1837-1843 Theaterdirektorin in Zürich. Die Ensembles konnten nur auf ein kleines Stammpublikum zählen und mussten sich zudem auf einem freien Markt behaupten, auf dem sie der Konkurrenz der Zirkusse und Schausteller ausgesetzt waren. Um sich längere Zeit an einem Ort halten zu können, waren die Truppen genötigt, innerhalb weniger Tage mehrere Stücke zur Aufführung zu bringen und sich bei der Stückauswahl am Publikumsgeschmack zu orientieren. Die Schauspieler eigneten sich daher ein breites Rollenrepertoire an und traten oft in eigenen Kostümen auf. Für die Stücke verfügten die Theaterdirektoren nur über Standarddekorationen und bei der Stückauswahl zollten sie dem Genius loci ihren Tribut, indem sie lokalpatriotische Stücke aufführten oder zirzensische Attraktionen in die Theaterstücke integrierten.

Eine grössere künstlerische Autonomie erlangten die Theater erst, als sie den Schritt von Pacht- zu Regiebetrieben machten. Dieser Übergang spielte sich in den einzelnen Städten unterschiedlich ab, aber meist ging er mit dem zunehmenden Einfluss städtischer Theaterkommissionen und der finanziellen Privilegierung des Theaters gegenüber Schaustellern und Zirkussen einher. Damit verbunden war auch ein Bildungsauftrag. Die allmähliche Zunahme der Subventionen ermöglichte eine sorgfältigere Einstudierung der Stücke und führte so zu grundsätzlichen Reformen des Schauspielbetriebs. Anstelle des Ensembleprinzips mit seinen vorgegebenen Rollenfächern trat nach und nach das Regietheater mit einem leitenden Regisseur, der den Text in ein Aufführungs- und Ausstattungskonzept umsetzte und dabei unter anderem von Choreografen, Bühnen- und Maskenbildnern unterstützt wurde. Brauchte die Einstudierung eines Stücks im Ensembletheater des 19. Jahrhunderts nur wenige Tage, so sind am Ende des 20. Jahrhunderts Probenzeiten von mindestens sechs Wochen die Regel. Dadurch reduzierte sich zwar die Zahl der aufgeführten Stücke, doch erhöhte sich deren Laufzeit.

Bis weit ins 19. Jahrhundert spielten Laien- und Berufstheater weitgehend die gleichen Repertoires. Mit den Fest- und Heimattheatern sowie der künstlerischen Reform des Berufstheaters begannen sie sich aber immer mehr zu unterscheiden: Auf der Laienbühne wurden mit einheimischen Kräften mundartliche Volksstücke gespielt, auf den Berufsbühnen führten meist ausländische Schauspieler die Theaterklassiker und internationale Theatererfolge aus Wien, Berlin und Paris auf. Allerdings bestand vor allem in der französischen Schweiz kein unüberwindbarer Graben zwischen Volks- und Berufstheater, lebten doch auch die Festspiele von der engagierten Teilnahme professioneller Theaterleute wie Emile Jaques-Dalcroze und des Genfer Bühnenreformers Adolphe Appia.

Proben am Schauspielhaus zur Aufführung von Friedrich Schillers romantischer Tragödie Die Jungfrau von Orléans im Jahr 1939. Fotografie von Richard Schweizer (Stadtarchiv Zürich, VII.200.).
Proben am Schauspielhaus zur Aufführung von Friedrich Schillers romantischer Tragödie Die Jungfrau von Orléans im Jahr 1939. Fotografie von Richard Schweizer (Stadtarchiv Zürich, VII.200.). […]

Eine Sonderstellung nahm das Deutschschweizer Theater zur Zeit des Nationalsozialismus ein: Theaterschaffende aus Deutschland und Österreich, unter ihnen zahlreiche Spitzenkräfte, emigrierten in die Schweiz und fanden an Schweizer Bühnen Engagements. Das Schauspielhaus Zürich avancierte, obwohl unter der Leitung von Ferdinand Rieser als Emigranten-Juden-Marxisten-Theater verketzert, zur wichtigsten deutschsprachigen Bühne mit Uraufführungen unter anderem von Ferdinand Bruckner, Georg Kaiser und Bertolt Brecht. Ab 1938 wurde es unter der Intendanz von Oskar Wälterlin zum Theater der Geistigen Landesverteidigung. Von diesem Ruf zehrte es auch nach 1945, als dort unter der Regie von Wälterlin und Kurt Hirschfeld die frühen Stücke Friedrich Dürrenmatts und Max Frischs uraufgeführt wurden. Die Bühnen der deutschen und französischen Schweiz orientierten sich auch in der Nachkriegszeit am Theaterrepertoire der jeweiligen Sprachregion. Eine Vermittlerrolle spielten die aus der Schule des Berliner Ensembles stammenden Regisseure Benno Besson und Matthias Langhoff, die über die Theater von Lausanne und Genf die Stücke von Brecht im französischen Sprachraum bekannt machten.

Ab den 1960er Jahren suchten sich Theaterschaffende mit wachsender Tendenz den Sachzwängen grosser Häuser zu entziehen und gründeten freie Truppen und Kellertheater, die den von vielen Besuchern geschätzten Vorteil der Intimität und Nähe zum Dargestellten brachten. Diese freie Szene beeinflusste künstlerisch die Stadttheater und lief ihnen, wie etwa das Neumarkttheater unter der Intendanz Horst Zankls (1971-1975) und Volker Hesses (1993-1999) dem Schauspielhaus in Zürich, gar den Rang ab. Sie befruchteten auch das Theaterleben in den Kleinstädten und ländlichen Regionen. Im Tessin löste etwa das Teatro Dimitri, das aus der stark von Pantomime, Tanz und Musik beeinflussten italienischen Tradition kam, einen eigentlichen Boom an Experimentiergruppen aus, deren Mitglieder zum Teil ihre Ausbildung in Verscio gemacht hatten.

Zur Theatersituation zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Die sprachkulturell unterschiedlichen Theatersysteme haben ihre Wurzeln zum Teil im 19. Jahrhundert. Die deutsche Schweiz kennt bei den mittleren und grösseren Häusern vier Typen: Stadttheater mit Mehrspartentheater in Basel, Bern, Biel-Solothurn, Luzern und St. Gallen, reine Sprechbühnen in Bern und Zürich, reines Musiktheater in Zürich sowie Tourneetheater (Theater Kanton Zürich, dem in der französischen Schweiz das Théâtre Populaire Romand entspricht) und Gastspieltheater unter anderem in Baden, Grenchen und Winterthur. Die in der deutschen Schweiz an grösseren Häusern entstehenden Eigenproduktionen verbleiben während einiger Zeit nebeneinander im Spielplan (Repertoirebetrieb). Kleinere Häuser, die freien Bühnen und Laientheater zeigen jeweils nur eine aktuelle Produktion (En-suite-Betrieb). In der französischen Schweiz ist das En-suite-Prinzip auch für die grossen Häuser in Genf und Lausanne typisch, die dort auch als reine Musiktheater oder Schauspieltheater produzieren. Viele mittlere und kleinere Städte in der französichen und italienischen Schweiz wie Monthey, Vevey, Yverdon, Lugano und Locarno beherbergen in ihren Theatern Gastspiele. Wie in der deutschen Schweiz wuchs dort die Zahl freier Theatertruppen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an, sodass die Schweiz zu Beginn des 21. Jahrhunderts neben Finnland die höchste Theaterdichte in Europa aufweist. Die professionellen Bühnen kämpfen mit massiv steigenden Personal- und Betriebskosten. So bezahlte die Stadt Zürich 2010 35,5 Mio. Franken an das Schauspielhaus. Die hochbelasteten Städte mit Zentrumsfunktionen versuchen daher mehr oder weniger erfolgreich, die von ihrem Kulturangebot profitierende Agglomeration in die Theaterfinanzierung einzubinden.

Theaterorganisation, Forschung und Ausbildung

Der 1920 in Zürich entstandene Schweizerische Bühnenkünstlerverband schloss sich 1933 mit dem 1921 in Basel gegründeten Schweizerischen Chorsänger- und Balletverband dem Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste an und vertrat als Sozialpartner des 1920 gegründeten Bühnenverbands, der sich zum Dachverband der subventionierten Berufstheater in der Schweiz entwickelte, die gewerkschaftlichen Interessen aller Bühnenangestellten. In den 1930er Jahren geriet er mit der «Verschweizerungspolitik» anderer Kulturverbände in Konflikt, weil ihm auch gewerkschaftlich organisierte Emigranten angehörten. 1995 konstituierte er sich als selbstständiger Verband. In der Nachkriegszeit entstanden mehrere Verbände der freien Szene, so der 1983 gegründete Berufsverband der freien Theaterschaffenden der Schweiz, die 1997 gegründete Teatri Associati della Svizzera italiana sowie das 1992 gegründete Bureau Arts de la Scène des Indépendants Suisse. Zudem bildeten sich verschiedene Organisationen für das Laientheater, örtliche Theatervereine für die Theaterbegeisterten sowie Fördervereine einzelner Theater und Verbände einzelner Berufssparten.

Plakat für das Stück Les Voisins von Michel Vinaver, 1989 gestaltet von Erika Stump, produziert von der Druckerei Marsens in Lausanne (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für das Stück Les Voisins von Michel Vinaver, 1989 gestaltet von Erika Stump, produziert von der Druckerei Marsens in Lausanne (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur (SGTK), 1927 gegründet als Gesellschaft für Innerschweizer Theaterkultur, unterstützte zunächst eine nationale Freilichttheaterkultur, die sich auf die schweizerische Volkstheatertradition berief und sich an der völkischen Freilichttheaterbewegung orientierte. Das schon in den Gründungsstatuten formulierte Ziel, eine Theatersammlung aufzubauen, wurde schliesslich 1944 mit der Eröffnung der Schweizerischen Theatersammlung in Bern realisiert. Die SGTK regte auch den 1957 von Hans Reinhart gestifteten wichtigsten Theaterpreis der Schweiz an, den Hans-Reinhart-Ring, und verleiht ihn seither. Ihr zweites Hauptziel, die Gründung einer schweizerischen Theaterakademie, wurde unter gänzlich veränderten Bedingungen 1992 realisiert, als an der Universität Bern das erste theaterwissenschaftliche Institut unter der Leitung von Andreas Kotte entstand. Diese beinahe um ein Jahrhundert verspätete Etablierung der Theaterwissenschaften in der Schweiz erklärt auch die bisher bloss punktuelle Erforschung der Geschichte des schweizerischen Theaters.

Auch die Institutionalisierung der Schauspielausbildung erfolgte in der Schweiz relativ spät. Die Theaterhochschule Zürich, die 1997 Fachhochschulstatus erhielt, ging auf das 1937 gegründete private Bühnenstudio Zürich zurück. Die Hochschule für Musik und Theater in Bern entwickelte sich aus dem Konservatorium Bern. Die Ausbildungsstätten in Bern und Zürich sind heute Fachbereiche innerhalb der dortigen Kunsthochschulen. Die Haute école de théâtre de Suisse romande (sogenannte Manufacture) in Lausanne gehört seit 2008 zur Haute école specialisée de Suisse occidentale. Die 1971 als selbstständige Abteilung des Genfer Konservatoriums entstandene Ecole supérieure d'art dramatique wurde 2003 in den Lausanner Fachbereich integriert. Die von Dimitri 1975 gegründete Scuola teatro Dimitri in Verscio erhielt 2004 Fachhochschulstatus und ist seit 2006 eine Abteilung der Fachhochschule der italienischen Schweiz. Daneben existieren weiterhin private Theaterschulen.

Quellen und Literatur

  • Schweiz. Theaterslg. Bern
  • E. Müller, Schweizer Theatergesch., 1944
  • Schweizer Theaterjb., 1951- (1951-70 mit Dok. und Bibl.)
  • Szene Schweiz, 1974- (ab Nr. 8, 1980/81 mit Dok. und Bibl.)
  • S. Gojan, Spielstätten der Schweiz, 1998
  • B. Schläpfer, Schauspiel in der Schweiz, 21999
  • TLS, 2005
  • P. Lepori, Il teatro nella Svizzera italiana, 2008
Weblinks

Zitiervorschlag

Martin Dreier: "Theater", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011895/2013-12-18/, konsultiert am 29.03.2024.