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Kuhreihen

Eine 1710 von Theodor Zwinger in Basel veröffentlichte Seite aus einem Nachdruck des Werks Dissertatio medica de Nostalgia oder Heimwehe von Johannes Hofer aus dem Jahr 1688 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Eine 1710 von Theodor Zwinger in Basel veröffentlichte Seite aus einem Nachdruck des Werks Dissertatio medica de Nostalgia oder Heimwehe von Johannes Hofer aus dem Jahr 1688 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Der Kuhreihen ist 1545 zuerst als Instrumentalmelodie belegt, später mehrheitlich als gesungenes Lied («Har Chueli, ho Lobe»), mit dem die Kühe (auch Lobe genannt) auf der Weide eingetrieben, in einer Reihe angelockt und beim Melken beruhigt werden. Der Begriff Kuhreihen stammt vom Verb kuoreien, das sich erstmals 1531 in einem Volkslied findet. Bis um 1800 sind bereits mehrere Melodien und Liedtexte schriftlich überliefert, wie die Kuhreihen aus dem Emmental, Oberhasli, Entlebuch und Simmental sowie der Ranz des vaches von Jorat (1810) und Les Ormonts (1812). Der Ranz des vaches von Freiburg bzw. Greyerz wird an der heutigen Fête des Vignerons noch im alten Brauch des Liauba-Singens des armailli (Senn) angestimmt. Eine erste Variante des «Appenzeller Kureien Lobe lobe» wurde bereits 1545 durch den deutschen Komponisten Georg Rhau in einem zweistimmigen Satz seiner «Bicinia Gallica, Latina et Germanica» überliefert. Die bislang älteste Version des textierten Appenzeller Kuhreihens findet sich im Liederbuch (1730) der Maria Josepha Barbara Broger. Johannes Hofer berichtete in seiner medizinischen Dissertation «De Nostalgia vulgo Heimwehe oder Heimsehnsucht» (1688) von der Heimsehnsucht. In dem durch Theodor Zwinger um die «Cantilena Helvetica» bzw. um den «Kühe-Reyen» erweiterten Nachdruck unter dem Titel «De Pothopatridalgia» (1710) wird erwähnt, dass die Schweizer Söldner beim Hören des Kuhreihens dem delirium melancholicum verfallen und zum Desertieren veranlasst würden (Heimweh). Unter Todesstrafe war es deshalb verboten, in fremden Diensten Kuhreihen zu spielen oder zu singen. Aus literarischem Interesse suchte Johann Jakob Bodmer nach Kuhreihen, war sich um 1724 aber noch nicht gewiss, ob es sich bei diesem «Sennenspruch» nicht etwa nur um eine wortlose Melodie handle. Der Kuhreihen inspirierte viele Komponisten, die ihre Werke mit diesem pastoralen Stimmungsbild zu bereichern suchten. Über André Ernest Modeste Grétrys und Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» (1791 und 1804) fand der Kuhreihen Eingang in Kompositionen von Ludwig van Beethoven, Hector Berlioz, Robert Schumann, Felix Mendelssohn, Gioacchino Rossini, Franz Liszt, Richard Wagner und anderen. In der Gegenwart wird der Kuhreihen nur noch als einfacher Viehlöckler (Chuereiheli) gerufen und gejodelt oder als Instrumentalstück auf dem Alphorn bzw. Büchel geblasen (Frutt-Chuereihe).

Der Kuhreihen aus dem Greyerzerland (Ranz des vaches de la Gruyère) auf einer Kakaowerbung von Suchard aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Privatsammlung).
Der Kuhreihen aus dem Greyerzerland (Ranz des vaches de la Gruyère) auf einer Kakaowerbung von Suchard aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Privatsammlung).

Quellen und Literatur

  • Schweizer Kühreihen und Volkslieder, hg. von J.R. Wyss, 1826 (21979)
  • M.P. Baumann, Musikfolklore und Musikfolklorismus, 1976, 117-146
  • M.P. Baumann, Bibl. zur ethnomusikolog. Lit. der Schweiz, 1981, Nr. 1292-1342, 1927-1960
  • G.S. Métraux, Le ranz des vaches, 1984 (21998)
  • A. Tunger, «Appenzeller Kuhreihen», in SAVk 93, 1997, 169-198
  • A. Cernuschi, «De quelques échos du ranz des vaches dans les Encyclopédies du dix-huitième siècle», in Schweizer Töne, hg. von A. Gerhard, A. Landau, 2000, 45-63
Weblinks

Zitiervorschlag

Max Peter Baumann: "Kuhreihen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.11.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011889/2011-11-30/, konsultiert am 19.03.2024.