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Carl JacobBurckhardt

Carl Jacob Burckhardt an einer Sitzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Mai 1945 (Schweizerisches Nationalmuseum, Actualités suisses Lausanne).
Carl Jacob Burckhardt an einer Sitzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Mai 1945 (Schweizerisches Nationalmuseum, Actualités suisses Lausanne).

10.9.1891 Basel, 3.3.1974 Vinzel, reformiert, von Basel. Sohn des Carl Christoph. Elisabeth de Reynold, Tochter des Gonzague de Reynold. Carl Jacob Burckhardt absolvierte das Gymnasium in Basel und Glarisegg. Während des Geschichtsstudiums in Basel, Zürich, München und Göttingen prägten ihn vor allem Ernst Gagliardi und Heinrich Wölfflin. 1922 schloss Burckhardt sein Studium mit dem Doktorat ab. Seiner Jugend, die von den Werten des Basler Grossbürgertums durchdrungen war, setzte die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein Ende. Als Mitglied der Schweizer Gesandtschaft in Wien wurde Burckhardt 1918-1922 mit dem Chaos konfrontiert, das den Zusammenbruch der Mittelmächte kennzeichnete. Dieses kollektive Drama hätte ihn leicht veranlassen können, seiner literarischen Berufung zu folgen, die durch die enge Freundschaft mit Hugo von Hofmannsthal gefördert wurde. Burckhardt nahm jedoch seinen ersten Auftrag für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) an, der ihn 1923 nach Kleinasien führte. Hier beteiligte er sich nach der griechischen Niederlage im Türkisch-Griechischen Krieg an der Organisation der Umsiedlung der Griechen, die aus der türkischen Republik Mustafa Kemals (später Kemal Atatürk) ausgewiesen wurden. Anschliessend widmete er sich der Universitätslaufbahn: An der Universität Zürich wurde er 1927 Privatdozent und 1929 ausserordentlicher Professor für neue Geschichte. Es folgten 1932-1937 und 1939-1945 das Ordinariat am neuen Institut universitaire de hautes études internationales, das in Genf unter der Ägide des Völkerbunds gegründet worden war, und der Eintritt in das IKRK. 1935 erschien der erste Band seines Opus magnum über Kardinal Richelieu, das er 30 Jahre später abschloss.

1937 trat Burckhardt für mehrere Jahre in den Vordergrund der internationalen politischen Bühne. Er wurde Hochkommissar des Völkerbunds für die Freie Stadt Danzig. Bis zum Zweiten Weltkrieg bemühte er sich, den Status Danzigs als Freie Stadt durchzusetzen und gleichzeitig zu verhindern, dass dieser zum Ausbruch des Krieges beitrug. Die Kontakte, die Burckhardt zu führenden Vertretern des nationalsozialistischen Deutschland knüpfte und pflegte, gaben dieser Mission eine unvorhergesehene Bedeutung, über die er später dann auch schrieb. Aus seiner Sicht bestand seine Rolle in Danzig in einer Gratwanderung zwischen dem, was er verhindern konnte, und dem, wofür er verantwortlich blieb, eine Haltung, die er auch in Bezug auf den sogenannten Anschluss Österreichs sowie der Tschechoslowakei vertrat.

Während des Zweiten Weltkriegs war Burckhardt in leitenden Funktionen für das IKRK tätig und unternahm mehrere Dienstreisen nach Deutschland. 1945 wurde er Präsident des IKRK. Auf institutioneller Ebene gelang es ihm, die obersten Organe und die nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften enger miteinander zu verbinden und damit die Handlungsmöglichkeiten im Einsatz zu vergrössern. Nach dem Vorbild seiner Vorgänger billigte Burckhardt die Beschränkung auf die herkömmlichen Pflichten. Als private Organisation verzichtete das IKRK demgemäss auf die öffentliche Verurteilung der Rassenmorde und gab sich mit Beschwichtigungen zufrieden, die den Abgrund zwischen der internationalen Moral und der Realität der Konzentrationslager nicht überbrücken konnten. Jüngere geschichtswissenschaftliche Arbeiten haben sich wiederholt mit der Frage befasst, weshalb das IKRK in diesen schwierigen Jahren seiner Mission nicht gerecht wurde. Dabei wurden auch Burckhardts Schweigen, seine zwiespältige Haltung gegenüber dem Antisemitismus sowie seine Ablehnung von kleinbürgerlichem Denken und Demokratie untersucht. Sein Hass auf den Kommunismus trieb ihn so weit, den Nationalsozialismus als das kleinere Übel zu betrachten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Burckhardt 1945-1949 Schweizer Gesandter in Paris. 1954 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Sein Leben bewegte sich zwischen drängender literarischer Neigung und diplomatischer Karriere, deren Risiken viele andere abgeschreckt hätten. Die akademische Laufbahn, der Burckhardt trotz Unterbrechungen treu blieb, wie auch die Persönlichkeiten, denen er begegnete und über die er urteilte, spiegeln das prekäre Gleichgewicht eines unruhigen Menschen. Er war Ehrendoktor der Universitäten Basel (1939), Lille, Grenoble.

Quellen und Literatur

  • Der Berner Schultheiss Charles Neuhaus, 1925
  • Richelieu, 4 Teile, 1935-1967 (französisch 1970-1975, italienisch 1941)
  • Gestalten und Mächte, 1941 (51984)
  • Reden und Aufzeichnungen, 1952
  • Meine Danziger Mission, 1937-1939, 1960 (31980, französisch 1961)
  • Gesammelte Werke, 6 Bde., 1971
  • Memorabilien, 1977
  • Briefe: 1908-1974, 1986
  • Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich, Zürich, Teilnachlass
  • Staatsarchiv Basel-Stadt, Basel, Teilnachlass
  • Universitätsbibliothek Basel, Basel, Teilnachlass
  • J.-C. Favez, Das Internationale Rote Kreuz und das Dritte Reich: war der Holocaust aufzuhalten?, 1989 (französisch 1988)
  • P. Stauffer, Carl J. Burckhardt, zwischen Hofmannsthal und Hitler, 1991
  • P. Stauffer, «Grandseigneuraler "Anti-Intellektueller"», in Intellektuelle von rechts, hg. von A. Mattioli, 1995, 113-134
  • P. Stauffer, "Sechs furchtbare Jahre ...": auf den Spuren Carl J. Burckhardts durch den Zweiten Weltkrieg, 1998
Weblinks
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VIAF

Zitiervorschlag

Roland Ruffieux: "Burckhardt, Carl Jacob", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.10.2019, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011624/2019-10-24/, konsultiert am 19.03.2024.