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Pfarrerreformiert

Aufnahme von Pfarramtskandidaten ins Ministerium sowie Amtseinsetzung eines Pfarrers. , Radierung von David Herrliberger aus seinem Werk Heilige Ceremonien, Zürich 1750, Tafel X (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Aufnahme von Pfarramtskandidaten ins Ministerium sowie Amtseinsetzung eines Pfarrers. , Radierung von David Herrliberger aus seinem Werk Heilige Ceremonien, Zürich 1750, Tafel X (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Während die Bezeichnung Pfarrer im Deutschen für beide Konfessionen gebräuchlich ist, sind mit dem französischen pasteur meistens reformierte Geistliche gemeint. Im Italienischen wird der Pfarrer als pastore riformato bezeichnet. Ab der Reformation nannten sich die Pfarrer Prediger oder Prädikant, da es ihre Hauptaufgabe war, das Evangelium zu predigen. Von der zentralen Funktion der Predigt zeugt auch die im deutschsprachigen Raum für die ordinierten Pfarrer verwendete Bezeichnung Diener an Gottes Wort (verbi divini minister). Der Pfarrer steht normalerweise einer Kirchgemeinde vor und ist als Einziger befugt, die Sakramente (Taufe, Abendmahl) zu spenden. Üblicherweise gelten nur Abgänger einer theologischen Fakultät, die in einer reformierten Kirche ordiniert wurden, als Pfarrer. Der Titel ist aber weder geschützt noch auf die reformierte Konfession beschränkt: Auch evangelische Gemeindeleiter, die an Bibelschulen studiert haben, nennen sich Pfarrer, und Papst Johannes Paul II. bezeichnete seine Besuche in Übersee als Pastoralreisen.

Ausbildung und Werdegang

Über die Zusammensetzung der Pfarrerschaft nach der Reformation ist wenig bekannt. Die ersten Pfarrer waren meist abtrünnige Mönche oder ehemalige Priester, aber auch gebildete Laien oder Erleuchtete. Allgemein litt die reformierte Schweiz in den ersten Jahrzehnten nach der Reformation an einem Pfarrermangel. Genf, Neuenburg und die Waadt rekrutierten ihre ersten Pfarrer deshalb unter den hugenottischen Exil-Predigern (Protestantische Glaubensflüchtlinge), während die Deutschschweizer Orte gelegentlich Pfarrer aus Süddeutschland und der Pfalz wählten. Die Bündner Täler nahmen italienische Prediger auf. Nach der Durchsetzung der Reformationsmandate wurden die Pfarrer von der weltlichen Obrigkeit ernannt. Die städtischen Kirchgemeinden erhielten als erste einen Pfarrer.

Lateinkenntnisse zählten zu den grundlegenden Anforderungen, die ein Anwärter auf das Pfarramt zu erfüllen hatte. Alle Pfarrer hatten deshalb mindestens die Lateinschule einer kleineren Stadt besucht; ausnahmsweise waren die Anwärter von Privatlehrern ausgebildet worden. Danach studierten sie an einer Akademie, Höheren Schule (Zürich, Bern, Genf, Lausanne) oder an der Universität Basel, wo sie vor allem Griechisch und Hebräisch lernten. Auch im Ausland, zum Beispiel in Saumur oder Leiden, war die Ausbildung möglich. Nach Abschluss des Theologiestudiums mit etwa 22-24 Jahren erlangten sie den Titel eines Expektanten (Anwärters auf eine Pfarrstelle), der sie zur Exegese von Bibelstellen berechtigte. Normalerweise erhielten sie die Ordination in ihrem Heimatland durch Handauflegung. Die Wartezeit auf eine eigene Pfründe konnte für die frisch Ordinierten indes noch lange dauern. Sie mussten sich vorerst mit kirchlichen Hilfsdiensten begnügen als Vikar oder Helfer (Verweser) eines älteren oder kranken Amtskollegen. Einige zogen als Feldprediger in fremde Dienste oder unterrichteten als Privatlehrer bei einer wohlhabenden, meist nord- oder osteuropäischen Familie. Wer mehr Glück hatte, behauptete sich als Diakon (Pfarrhelfer einer städtischen Kirchgemeinde) oder leitete die Lateinschule einer Kleinstadt.

Meist erst mit über 30 Jahren erhielt der Expektant eine eigene Pfarrpfründe auf dem Land, wo er oft einen Hof bewirtschaftete. Die Verwaltung einer Pfründe verlangte vom Pfarrer also auch ein gewisses ökonomisches Verständnis. Im Kanton Zürich betrug die längste Wartezeit zwischen Ordination und Antritt einer Pfarrstelle im Zeitraum 1770-1775 17 Jahre. Die Versetzung in eine Kleinstadt galt als Beförderung. Die herausragendsten Pfarrer wurden auf eine Lebensstelle an die Akademie berufen oder wirkten als Hauptpfarrer oder Antistes grösserer Städte. Kleine, gut dotierte Landpfarreien waren bei älteren Pfarrherren beliebt, weil sie sich dort dank der höheren Einkünfte von einem Vikar vertreten lassen konnten, falls ihr Gesundheitszustand die Ausübung des Amts nicht mehr zuliess. 1766 entstand im Aargau eine Frühform der Pensionskasse für Pfarrer; allgemein setzten sich Renten aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch. Witwen und Waisen hingegen profitierten schon seit der Anfangszeit von einer Art Sozialversicherung, einer Fortsetzung der Besoldung während dreier Monate, die der Nachfolger den Hinterbliebenen des verstorbenen Pfarrers entrichtete.

Institutionen und Gemeinschaft

Seit Beginn der Reformation waren die Pfarrer bemüht, sich zusammenzuschliessen, um ihre persönlichen sowie die kirchlichen Interessen wahrzunehmen und die reformierte Kirchenlehre zu vereinheitlichen. Ihre Versammlungen nannten sich Kapitel, Kolloquien, Synoden, Konvente oder Pfarrerzünfte (Compagnie des pasteurs in Genf). In grösseren Stadtorten wie Bern bildete das Kolloquium die kleinste, sechs bis zehn Pfarrer aus benachbarten Kirchgemeinden umfassende Einheit. Beraten wurden vor allem Finanzfragen (Erbschaften, Unterhalt der Pfarrhäuser und -güter, Einziehen der Abgaben). Ein Kapitel, in dem der Landvogt oder andere Repräsentanten der weltlichen Gewalt als Beobachter Einsitz hatten, umfasste drei bis vier Kolloquien. Es trat gewöhnlich jeden Frühling zusammen, um Arbeit und Lehre der Pfarrer zu bewerten und die Kirchenzucht zu besprechen (Pfarrkapitel oder -konvent). Ausserordentliche Sitzungen wurden abgehalten, um eine vakante Stelle zu besetzen (Examinatorenkonvent). Die Versammlung bestimmte für die freie Stelle einen Kandidaten, der danach der Obrigkeit vorgeschlagen wurde; nur selten entschied sich diese gegen den Vorschlag des Konvents. Die rätischen Kirchen entsandten ihre Pfarrer regelmässig auf eine Synode der Drei Bünde. Im Kanton Bern hingegen wurde die Praxis, die Kapitel in einer Generalsynode zu versammeln, Ende des 17. Jahrhunderts aufgegeben, was auf eine Unterordnung der Kirche unter die weltliche Macht in den reformierten Orten hinweist. Im 18. Jahrhundert war die Kontrolle der Pfarrer durch die weltliche Obrigkeit am umfassendsten. Die Pfarrer verloren die ihnen von Calvin zugeschriebene Rolle des Propheten, welcher die Aufgabe hatte, sich dem Herrscher zu widersetzen, sofern dieser vom Weg des Evangeliums abwich. Die Pfarrer bemühten sich stets, Beschlüsse einstimmig zu fassen. Die französische Bezeichnung corps für ihre Vereinigungen widerspiegelt dieses Bestreben. In der frühen Neuzeit und bis Mitte des 19. Jahrhunderts verfügten die Pfarrer zwar über eine beträchtliche moralische Autorität, waren aber den politischen Entscheidungsträgern stets untergeordnet. Lange Zeit wirkten sie als verlängerter Arm der Herrschaft, indem sie obrigkeitliche Mandate von der Kanzel verlasen, im Sittengericht sassen und der Obrigkeit als Informanten dienten.

Soziale Herkunft und Stellung

Vom ausgehenden 16. Jahrhundert an sicherten die Ausbildungsstätten den einheimischen Nachwuchs und die Zahl fremder Pfarrer sank. Wegen des Dreissigjährigen Kriegs gelangten im 17. Jahrhundert einige pfälzische Pfarrer nach Schaffhausen und erwarben dort das Bürgerrecht. Die Hugenotten-Verfolgungen zwangen erneut französische Pfarrer zur Auswanderung, doch blieb die Mehrheit nur vorübergehend. Sie waren meist zwei bis drei Jahre als Vikar tätig und nur wenige liessen sich im 18. Jahrhundert definitiv nieder, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die Gemeinden vom 17. bis ins 19. Jahrhundert gegenüber Zuzügern immer mehr abschlossen und die Einbürgerungskriterien verschärften. Erst seit der Berufungskrise der 1960er Jahre wurden wieder mehr Schweizer Kirchgemeinden von ausländischen Pfarrern geleitet, die aus Nachbarländern und sogar von anderen Kontinenten stammten.

Studien zur sozialen Herkunft der Pfarrer im 18. Jahrhundert zeigen, dass in Zürich 41% der Pfarrer Pfarrerssöhne (47% im Broyetal) und 17% Söhne hoher Beamter waren. 27% stammten aus einer Handwerker- und 4% aus einer Händlerfamilie. 6% der Pfarrer waren Söhne niederer Beamten, während in 5% der Fälle der Vater als Lehrer oder in einem medizinischen Beruf tätig war. Dank der relativen Aufgeschlossenheit der Akademie Lausanne kamen im Broyetal ca. 15% der Pfarrer aus wohlhabenden Bauernfamilien, es waren also weit mehr Pfarrer bäuerlicher Herkunft als in anderen Kantonen, die ebenfalls über eine Akademie verfügten. In den reformierten ländlichen Kantonen Glarus und Appenzell Ausserrhoden, in Graubünden sowie im Toggenburg war der Anteil der aus Bauernfamilien stammenden Pfarrer höher. In Zürich gab es regelrechte Pfarrdynastien, noch häufiger als im Pfarramt übernahmen jedoch in Handwerk (78%) und Handel (64%) die Söhne den väterlichen Beruf. Auf der Berner und Zürcher Landschaft mussten die Pfarrer Bürger der Hauptstadt sein, in der Waadt nicht.

Im Broyetal heirateten die Pfarrer erst mit durchschnittlich 34 Jahren, nachdem sie ihre lange Ausbildung abgeschlossen hatten und die Zeit der Vikariate ohne geregeltes Einkommen nach der Ordination vorüber war. Ihre Lebenserwartung lag mit 65 Jahren überdurchschnittlich hoch. Noch im 17. Jahrhundert starben die Pfarrer früher, laut einigen Studien auch als Folge von Krankheiten, mit denen sie sich bei der unumgänglichen Seelsorge der Schwerkranken ansteckten (Pest). Wider gängige Meinung waren Pfarrfamilien nicht kinderreicher als andere. Sie hatten fünf bis acht Kinder.

Die Pfarrer waren vom Militärdienst befreit. Sie erhielten Bürgerprivilegien und ihre Kinder seit der Reformation das Bürgerrecht ihrer Geburtsgemeinde. Obwohl die Einkünfte je nach Kirchgemeinde stark variierten, verfügten die Pfarrer allgemein über ein ausreichendes Einkommen, mit dem sie bis zu zwei weibliche Hausangestellte, seltener einen Bediensteten entlöhnen konnten. Die sehr reichen Pfarrer, die Investitionen oder Darlehen tätigten, verdankten ihr Vermögen weniger ihrem Beruf als einer Erbschaft oder profitablen Heirat.

Die Reformatoren waren beim Aufbau der christlichen Gemeinschaft bestrebt, dass jeder Christ Zugang zur Heiligen Schrift erhielt. Den Pfarrern kam demnach als Leiter der Kirchgemeinde und bei der Beaufsichtigung des Unterrichtswesens in der Stadt wie auf dem Land eine herausragende Rolle zu. Im 19. Jahrhundert präsidierte der Pfarrer als Dorfgelehrter die Schulkommission. Anfang des 21. Jahrhunderts ist er in einzelnen Kantonen noch in dieser Institution präsent. Ab 1798 übernahmen Pfarrer gelegentlich politische Ämter in der Legislative. Auch begrüsste nach 1848 ein Grossteil der Pfarrer die Öffnung der kirchlichen Institutionen gegenüber Laien, deren Einfluss seither stetig zugenommen hat.

Ein Berufsstand in der Krise

Im ausgehenden 20. Jahrhundert verloren Pastoraltätigkeit und -amt an Prestige. Der Einfluss der Humanwissenschaften auf das Theologiestudium bewirkte, dass sich die Pfarrer stärker der Seelsorge zuwandten. Die meisten Pfarrer tun sich schwer mit dem traditionellen Berufsbild des 19. Jahrhunderts, dem Nüchternheit und Strenge anhaftet, und weigern sich, die teils anerkannte, teils verschrieene moralische Autorität zu sein. Der tiefgreifende Wandel des Selbstverständnisses der Pfarrer wird an äusseren Kennzeichen sichtbar. Die Pfarrer kleiden sich im Alltag so, dass sich ihr Beruf daran nicht ablesen lässt, sie verzichten auf den schwarzen Talar im Gottesdienst oder auf die Wohnung im Pfarrhaus. Auch das Engagement der Pfarrfrauen für die Kirchgemeinde (Sonntagsschule, Nähkränzchen, Kirchenchor) lässt nach, da sie oft einer eigenen Tätigkeit ausserhalb der Kirche nachgehen.

Das Gefühl wirklicher Berufung wird seltener, und viele Pfarrer geben ihr Amt einige Jahre nach der Ordination auf. Der 1837 gegründete Schweizerische Pfarrverein zählte 2008 2780 Mitglieder. In den Kantonen Genf und Neuenburg, wo Kirche und Staat getrennt sind, wird die Finanzierung der Pfarrstellen problematisch. Pastorale Spezialaufgaben, zum Beispiel die Gassenseelsorge, sind seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Teil auf Kosten der herkömmlichen Pfarrstellen zunehmend ausgebaut worden. Die Zulassung der Frauen zum Pfarramt setzte sich nur langsam durch. Was 1918 in Zürich und 1935 in der Freikirche des Kantons Waadt noch aussergewöhnlich war, ist mittlerweile so häufig, dass Frauen in gewissen Kantonen rund einen Viertel der Pfarrer ausmachen. Seit 2000 haben die kirchlichen Institutionen mehrerer Kantone (u.a. Bern) auch erklärte Homosexuelle zum Pfarramt zugelassen, was von den Gläubigen aber kaum akzeptiert wird. In der Schweizer Literatur (Jeremias Gotthelf, Edouard Rod, in neuerer Zeit Yves Velan und Jacques Chessex) erscheint der Pfarrer als eine für die traditionelle Gesellschaft wichtige Persönlichkeit. In der Realität des 21. Jahrhunderts jedoch hat der Pfarrer seine neue Rolle noch nicht gefunden.

Quellen und Literatur

  • K. Gauss, Basilea reformata, 1930
  • J.R. Truog, Aus der Gesch. der evang.-rät. Synode, 1537-1937, 1937
  • H.M. Stückelberger, Die evang. Pfarrerschaft des Kt. St. Gallen, 1971
  • W. Pfister, «Die ref. Pfarrer im Aargau seit der Reformation 1528-1985», in Argovia 97, 1985, 5-269
  • Gem. ohne Pfarrer am Ort, 1987
  • D. Gugerli, Zwischen Pfrund und Predigt: Die prot. Pfarrfam. auf der Zürcher Landschaft im ausgehenden 18. Jh., 1987
  • G. Marion, Paroisses et pasteurs de la Broye au XVIIIe siècle, 1990
  • 450 ans, la Compagnie des pasteurs de Genève: 1541-1991, 1992
  • Encyclopédie du protestantisme, hg. von P. Gisel, 1995, 1126-1138 (22006)
  • M. Haag, Frauen im Pfarramt gleichgestellt?, 1998
Weblinks

Zitiervorschlag

Gilbert Marion: "Pfarrer (reformiert)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.02.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011522/2011-02-01/, konsultiert am 29.03.2024.