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Erbauungsliteratur

Unter dem nicht streng definierten Begriff der Erbauungsliteratur versteht man in der Regel volksnahes religiöses Gebrauchsschrifttum, welches der geistigen, gefühlsbetonten Erhebung diente und Bestandteil der Frömmigkeitspraxis (Volksfrömmigkeit) war. Erbauungsliteratur wollte zu einer Vervollkommnung des christlichen Tugendlebens anleiten. Im Gegensatz zur theologischen Literatur verfolgte sie keine dogmatische, exegetische oder polemische Absicht. Viele Werke der Erbauungsliteratur wurden intensiv gelesen, manche wirkten auch über die Konfessionsgrenzen hinweg. In der lesekundigen Bevölkerung war die Erbauungsliteratur neben der Bibel bis ins 19. Jahrhundert oft der einzige Lesestoff (Lektüre).

Zur Erbauung dienten Werke verschiedenster literarischer Gattungen wie Bekehrungsgeschichten, Autobiografien und Heiligenviten. Auch Psalmenübersetzungen, Meditationen über die Passion Christi, Gebet- oder Gesangbücher (Kirchenlied) wurden für die Andacht benützt. Besonders erfolgreich waren das Werk «De imitatione Christi» (etwa 1420-1441) des niederrheinischen Mystikers Thomas von Kempen und die «Vier Bücher vom wahren Christentum» (1605, 1610) von Johann Arndt, der eine asketische Frömmigkeit vertrat. Im 16. und 17. Jahrhundert waren vor allem Liederbücher eine beliebte Gattung. In der französischen Schweiz hatte insbesondere der in Genf entstandene «Psautier huguenot» eine breite Wirkung. Reformierte wie katholische Geistliche publizierten oft Liederbücher mit sprechenden Titeln wie «Octonaires sur la vanité et l'inconstance du monde» (1583) oder «Andacht-Monat» (1697) von Antoine de Chandieu bzw. von Johann Ulrich Bachofen. Der Kapuziner Maurizius Zehnder verfasste die «Marianische Nachtigall» (1713), der Kartäuser Heinrich Murer das mehrfach aufgelegte Heiligenbuch «Helvetia Sancta». Zur Erbauungsliteratur gehörten auch die sogenannten Spiegel: Zu erwähnen sind hier Hieronymus Oertls «Geistlicher Frauenzimmer-Spiegel», der von Johann Ulrich Bachofen bearbeitet wurde (1681, 1700), oder der «Sterbensspiegel» (1650) und der «Christenspiegel» (1657) von Conrad bzw. Rudolf Meyer. Auch publizierte Predigten übernahmen die Funktion der Erbauung, zum Beispiel Alexandre Vinets «Discours sur quelques sujets religieux» (1823).

Im 18. Jahrhundert dienten Dichtungen mit biblischen Themen der Erbauung und Belehrung. So übersetzte Johann Jakob Bodmer ab 1732 John Miltons «Verlorenes Paradies» ins Deutsche und schrieb in dieser Tradition auch selbst biblische Epen («Noah» 1750, «Jakob und Joseph» 1751). Auch Johann Kaspar Lavater verfasste bibelhistorische Erbauungsschriften («Abraham und Isaak» 1776). Einen beispiellosen Erfolg hatte Friedrich Gottlieb Klopstocks Epos «Der Messias», das in der Schweiz von der Kanzel herab angepriesen wurde. Ende des 18. Jahrhunderts erschien die erste, von der Christentumsgesellschaft in Basel (Erweckungsbewegungen) herausgegebene Zeitschrift mit erbaulicher Absicht, die «Sammlungen für Liebhaber Christlicher Wahrheit und Gottseligkeit» (1786-1912).

Erbauungsbüchlein von Friedrich Gerber, herausgegeben 1879 von Christian Friedrich Spittler (Schweizerische Nationalbibliothek).
Erbauungsbüchlein von Friedrich Gerber, herausgegeben 1879 von Christian Friedrich Spittler (Schweizerische Nationalbibliothek).

Mit der Zunahme der Druckerzeugnisse im 19. Jahrhundert und dem Aufkommen der Unterhaltungsliteratur ging der Anteil der Erbauungsliteratur an der Buchproduktion stark zurück. In reformierten Familien wurden jedoch das «Gebetbüchlein» von Johann Habermann, das «Handbuch» von Johann Friedrich Starck und das «Paradiesgärtlein» von Johann Arndt weiterhin gelesen. Sie wurden vom Basler Verleger Christian Friedrich Spittler wieder aufgelegt und häufig von wandernden Verkäufern, sogenannten Kolporteuren (Kolportageliteratur), abgesetzt. In katholischen Gebieten gab es ebenfalls zahlreiche Schriften, die bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil in vielen Haushaltungen benutzt wurden (z.B. Martin Pruggers «Lehr- und Exempelkatechismus», Leonhard Goffinés «Handpostille»). Die Grenzen zwischen Erbauungsliteratur und populärem, religiösem Schrifttum verwischten sich im 19. Jahrhundert zusehends. Im Kampf gegen die sogenannte Schundliteratur riefen Geistliche, Ärzte und Pädagogen zu Sittlichkeit und Fleiss auf. Die von ihnen propagierten Werke sprachen vor allem junge Frauen aus dem Bürgertum an. Eine Reihe deutscher Autorinnen, aber auch Schweizerinnen wie Aline Hoffmann und Marie Walden verfassten Romane der säkularisierten Erbauungsliteratur. Im Zentrum standen die edle Haltung und das soziale Denken der Protagonisten. Das Tessin scheint keine eigenständige Erbauungsliteratur hervorgebracht zu haben.

Quellen und Literatur

  • C. Burckhardt-Seebass, «Woran das Volk sich erbaute», in Totum me libris dedum, 1979
  • TRE 10, 43-80
  • W. Brückner, «Thesen zur Struktur des sog. Erbaulichen», in Literatur und Volk im 17. Jh., hg. von W. Brückner et al., 1985, 499-508
  • R. Schenda, Volk ohne Buch, 31988
  • Killy, Literaturlex. 13, 233-239
  • Francillon, Littérature, 1-2
Weblinks

Zitiervorschlag

Rosmarie Zeller: "Erbauungsliteratur", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.12.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011510/2006-12-14/, konsultiert am 29.03.2024.