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Hexenwesen

Unter dem Begriff Hexenwesen werden hier die Hexenverfolgungen (bzw. der Hexenwahn) des 15. bis 18. Jahrhunderts verstanden, von denen Männer und Frauen betroffen waren, die der Magie bzw. der Ketzerei bezichtigt wurden. Die Hexenverfolgungen beruhten auf der Vorstellung, dass die sogenannten Hexen – die Bezeichnung trat zu Beginn des 15. Jahrhunderts auf – mit Hilfe des Teufels Schadenzauber (maleficium) anrichten konnten.

Im westeuropäischen Kontext ist die historische Hexe hauptsächlich durch gelehrte Traktate und Prozessakten überliefert. Die Hexe ist damit in den seltensten Fällen eine Person, die bestimmte magische Handlungen vollzieht, sondern entsteht in einem sozialen Prozess der Etikettierung, sodass die Forschung vor allem Hexenprozesse und Hexenverfolgungen kennt. Erstere setzten in grösserem Umfang im 15. Jahrhundert ein, erfuhren hinsichtlich Anzahl und Verbreitung zwischen dem späten 16. und der Mitte des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt und verschwanden ab dem frühen 18. Jahrhundert weitgehend. Für die westeuropäische Hexenverfolgung ist in dieser Ära das sogenannte kumulative Hexenkonzept nach Brian P. Levack kennzeichnend: Hexen wurde Schadenzauber an Mensch (Verursachen von Krankheit, Tod, Impotenz, Unfruchtbarkeit), Tier (Verursachen des Todes von Kühen bzw. des abnormalen Verhaltens von Arbeitstieren), Arbeitsgegenständen (v.a. Misserfolg bei der Milchverarbeitung) und Gemeinschaft (Verursachen von Hagelwettern, Lawinen usw.) vorgeworfen. Ausserdem wurde ihnen Häresie (Ketzer) unterstellt, konkret die Mitgliedschaft in einer teuflischen Sekte. In regionalen Variationen anzutreffende stereotype Elemente dieses Glaubens waren der Hexensabbat, die Aufnahme in die Sekte des Teufels durch Teufelsbuhlschaft, Blutentnahme und Teufelsmal sowie die Ausstattung der Hexe mit Mitteln für den Schadenzauber (Salbe, Pulver).

Die Schweiz liegt im Zentrum einer Zone zwischen Oberdeutschland und Südostfrankreich, in der die frühneuzeitlichen Hexenprozesse von Anfang an in grösserem Ausmass einsetzten, das kumulative Hexenkonzept massgeblich formuliert wurde und die Hexenverfolgung am intensivsten war. Gemäss einer groben Schätzung fanden in Westeuropa rund 110'000 Hexenprozesse statt, etwa 10'000 davon im Raum der heutigen Schweiz. Seit den 1970er Jahren zählt die historische Hexenforschung zu einem bedeutenden interdisziplinären Forschungsfeld unter anderem der historischen Anthropologie, der Geschlechter-, Kultur- und Rechtsgeschichte.

Mittelalter

Die mittelalterlichen Wurzeln der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung finden sich neben der Dauphiné im Gebiet der heutigen Westschweiz. Die frühen Verfolgungen in diesem Landesteil erklären sich unter anderem dadurch, dass es hier nach den Freiburger Waldenserprozessen von 1399 und 1430 (Waldenser) eine funktionierende Inquisition mit Sitz im Lausanner Dominikanerkonvent gab. Ein weiterer Grund war die politische Zerstückelung der Westschweiz, in der Hexenprozesse durchgeführt wurden, um Herrschaftsansprüche zu begründen und durchzusetzen (so nachweisbar 1465 in Châtel-Saint-Denis). Die ersten Hexenverfolgungen fanden um 1430 im Wallis statt, gefolgt von Verfolgungen in Freiburg und Neuenburg (um 1440), in Vevey (1448), in den Territorien des Bischofs von Lausanne (um 1460), wiederum am Genfersee (um 1480) und schliesslich in Dommartin (1498 und 1524-1528). Aus den 1430er Jahren und aus dem gleichen, etwas weiteren geografischen Kontext stammen auch die ersten theoretischen Texte, welche die imaginäre teuflische Sekte und ihre Versammlungen auf dem Hexensabbat in Wechselwirkung mit der Prozesswirklichkeit beschreiben. Lange bevor der «Hexenhammer» (1487) des Dominikaners Henricus Institoris dazu aufrief und lange vor der Aufhebung des Lausanner Dominikanerkonvents (1536), wurden vermeintliche Hexer und Hexen auch von den weltlichen Obrigkeiten verfolgt, so um 1430 im Wallis und um 1440 in Freiburg. Während der Anteil der Frauen an den Verfolgten in der frühen Neuzeit rund zwei Drittel ausmachte, betrug er im 15. Jahrhundert lediglich ein Drittel, auch wenn die Frauen bereits 1448 in Vevey anders bzw. sexistischer befragt worden waren als die Männer; das häretische Substrat, das in der Westschweiz vorhanden war, verhinderte, dass mehrheitlich Frauen von den Prozessen betroffen waren. Dies verhielt sich anders bei den Verfolgungen, die im 15. Jahrhundert im Gebiet der Deutschschweiz (v.a. Luzern) stattfanden. Sie waren reine Malefizprozesse, denen kein Konzept von Hexensekte und -sabbat zu Grunde lag. Dagegen glichen die Prozesse in der Leventina 1432 und 1457-1459 wieder stärker denen in der Westschweiz.

Frühe Neuzeit

Wie anderswo nahm die Anzahl der Hexenprozesse im Raum der heutigen Schweiz sowohl in den katholischen wie auch in den reformierten Landesteilen im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts stark zu und verringerte sich erst gegen Mitte des 17. Jahrhunderts wieder. In Graubünden stammt allerdings der überwiegende Anteil der überlieferten Prozesse erst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Aus dem 18. Jahrhundert sind kaum mehr Prozesse überliefert. Die Glarnerin Anna Göldi gilt als letzte verurteilte Hexe (1782). Zwar gab es in der Schweiz kein eigentliches Verbot der Hexenprozesse, aber die Obrigkeiten zögerten nach 1700 vermehrt bei der Annahme von Klagen wegen Hexerei, und das Risiko einer Verurteilung sank.

Was mit zwei Hexen der Berner Landschaft in der Mitte des 16. Jahrhunderts geschah. Illustration aus der Chronik des Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 18, Fol. 146v).
Was mit zwei Hexen der Berner Landschaft in der Mitte des 16. Jahrhunderts geschah. Illustration aus der Chronik des Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 18, Fol. 146v). […]

Regionale Schwerpunkte waren die Waadt (1580-1655, ca. 1700 Verurteilungen) und Graubünden (insgesamt mindestens 1000 Prozesse), beides Territorien mit einer regional stark zersplitterten Blutgerichtsbarkeit. Durch eine zentralisierte Blutgerichtsbarkeit gekennzeichnete Orte wiesen dagegen weniger Prozesse auf (z.B. Zürich ca. 80). Wie anderswo war somit die Hexenverfolgung umso intensiver, je näher das zuständige Gericht bei der klagenden Bevölkerung angesiedelt war. Die gering entwickelte Zentralstaatlichkeit stellt eine wichtige Erklärung für die Häufigkeit von Hexenprozessen in der Schweiz dar.

In der frühen Neuzeit wurden Hexenprozesse fast immer von weltlichen Gerichten geführt. Die Anklage kam in der Regel aus der Bevölkerung und lautete primär auf Schadenzauber. Mit Hilfe eines Inquisitionsverfahrens suchten die Gerichte nicht nur ein Geständnis für den Schadenzauber, sondern auch für die Teilnahme am Hexensabbat und den Beitritt zur Hexensekte zu erlangen. Hierbei wurde durchwegs die Folter eingesetzt. Spezifisch für die schweizerischen Hexenprozesse ist die geringe Beachtung der Vorschriften der Reichsordnung für die Strafgerichtsbarkeit von 1532 (Carolina). Eine glaubhafte Zeugenaussage zu einem Schadenzauber reichte zur Konstituierung eines Corpus delicti während langer Zeit aus. Die zur Anordnung der Folter vorgeschriebene vorgängige Aktenversendung an eine juristische Fakultät oder eine vorgesetzte Behörde war in der Schweiz nicht üblich. Auch sah die Carolina nur den Schadenzauber als justiziabel an. Neben der schwachen Entwicklung der Zentralstaatlichkeit wirkte sich für die Angeklagten auch die Reichsferne negativ aus. Die Chance, ein Geständnis zu vermeiden und freigesprochen oder wenigstens nur verbannt zu werden, lag vermutlich allgemein unter 50%, vielerorts unter 25%. Die Hinrichtung erfolgte nur zum Teil mit Feuer – was das Verstossen aus der Gesellschaft bedeutete -, verbreitet war auch der Tod durch das Schwert.

Hexenprozesse wurzelten häufig in nachbarschaftlichen Konflikten um reziproke Beziehungen, konkret um das zur Verfügung stellen von Arbeitsgeräten, um ungleichen Arbeitserfolg sowie um freundschaftlichen Umgang im Nachbarschafts- und Verwandtenverband. Das Risiko, ins Gerede zu kommen, war besonders für Personen mit auffälligen körperlichen oder sozialen Merkmalen (z.B. Schielen, Schweigsamkeit, hohe Konfliktbereitschaft, seltener Kirchgang) beträchtlich, denn die Wahrscheinlichkeit, dass zufällige Koinzidenzen eines auffälligen Verhaltens mit Schadenfällen eintraten, war bei ihnen überdurchschnittlich hoch. Ein derartiges Zusammentreffen konnte eine persönliche Feindschaft erzeugen oder verstärken und später erfolgte Bezichtigungen – viele Zeugenaussagen beriefen sich auf zehn und mehr Jahre zurückliegende Ereignisse – wegen Schadenzaubers hervorrufen. Häufungen von Klagen traten entsprechend in Situationen auf, in denen nachbarschaftliche Beziehungen der Reziprozität unter Druck gerieten, insbesondere in Hungerkrisen. Dieser Sachverhalt erklärt teilweise auch den Höhepunkt der Hexenprozesse in den Jahrzehnten um 1600, die in die kleine Eiszeit fielen und als Spätphase eines langfristigen Bevölkerungswachstums bei sinkendem Reallohn bekannt sind. Innere und äussere politische Konflikte dämpften dagegen die Intensität der Hexenverfolgung.

Die Verbindung des frühneuzeitlichen Hexenglaubens mit Häresie stellt eine Kehrseite der vielfach noch unsicheren konfessionell geprägten Orthodoxie des 16. und 17. Jahrhunderts dar und steht in Verbindung mit der Dämonisierung nicht kirchlicher Glaubensformen. Das Element unkontrollierter Körperlichkeit (Tanz, Sexualität, übermässiges Essen) in Vorstellungen des Hexensabbats verweist auf eine Inversion des noch unsicheren Prozesses der Zivilisation. Sowohl die Konfessionalisierung als auch der Zivilisationsprozess wurden ausschliesslich von Männern vorangetrieben, sodass deren Inversion vor allem Frauen zugeschrieben werden konnte. Dies stellt eine mutmassliche Erklärung des hohen Frauenanteils (in der Schweiz 65%-95%) der Angeklagten dar. Ausserdem machten die Obrigkeiten im 17. Jahrhundert im Zuge der vermehrten Erziehungsanstrengungen auch Kindern den Prozess wegen Hexerei oder verfolgten sie mit anderen der Hexerei bezichtigten Familienangehörigen. In den einzelnen Kantonen nahmen die Hexenprozesse im 17. und frühen 18. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeitpunkten ab und verschwanden schliesslich. Hierfür scheint in erster Linie die Stabilisierung der Konfessionskirchen massgeblich gewesen zu sein. Diese verstärkten das Kirchenleben durch Kirchenzucht, Visitationen und Katechisation und verbesserten damit ihre Fähigkeit zur Regelung der nachbarschaftlichen Konflikte, die häufig am Anfang von Hexenprozessen standen. Ergänzend ist auf den Einfluss zu verweisen, den das Aufkommen der rationalistischen Philosophie auf die Rechtsdogmatik – vor allem hinsichtlich der Produktion gerichtsrelevanter Evidenz – ausübte.

Quellen und Literatur

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Weblinks

Zitiervorschlag

Ulrich Pfister; Kathrin Utz Tremp: "Hexenwesen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011450/2014-10-16/, konsultiert am 29.03.2024.