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Scholastik

Unter Scholastik wird eine spezifische Art des Denkens, Lehrens und des Abfassens von Texten verstanden, die sich vom 12. Jahrhundert an entwickelte und bis zur sogenannten Neuscholastik im 20. Jahrhundert Bestand hatte. Die Scholastik kann theologisch (Anwendung der Vernunft auf die Offenbarungsinhalte), historisch (mittelalterliche Gestalt von Wissenschaft) oder methodisch (als System von Begriffen, logischen Techniken und Disputationsweisen) beschrieben werden. Charakteristika sind die Schulgebundenheit, insbesondere an die mittelalterliche und frühneuzeitliche Universität, der Umgang mit normativen Texten in Form von Kommentaren sowie Disputationen als spezifische Formen der Diskussion.

Die geschichtliche Entwicklung der Scholastik hängt mit der Verlagerung der Wissensvermittlung von der klösterlichen Welt in die Städte im 11. und 12. Jahrhundert zusammen. Das noch in einem monastischen Kontext von Anselm von Canterbury (1109) entworfene Programm, den christlichen Glauben vernünftig zu erklären (fides quaerens intellectum), wurde nun unter Berücksichtigung vor allem der sogenannten logica vetus an den Kathedralschulen aktualisiert. Stellvertretend dafür kann das philosophische und theologische Werk des Petrus Abaelardus (1079-1142) erwähnt werden, der für eine Verwendung der Dialektik, d.h. der Logik, in der Behandlung theologischer Probleme plädierte.

Zwei Faktoren veränderten diese ersten Ansätze tiefgreifend und ermöglichten die Entwicklung der Hoch- und Spätscholastik: die Entstehung der Universität Bologna, Paris und Oxford sowie die um 1150 einsetzende und bis ca. 1250 dauernde Übersetzung arabischer, griechischer und hebräischer Texte. Die Berücksichtigung neuer logischer, naturphilosophischer und ethischer Texte des Aristoteles, aber auch die Beschäftigung mit den Schriften von Avicenna (1037), Averroes (1198) und Moses Maimonides (1204) beeinflussten das Rationalitätsverständnis und das Methodenbewusstsein stark. Nicht nur Thomas von Aquin (1274) und Bonaventura (1274), sondern auch Meister Eckhart (um 1327), Johannes Duns Scotus (1308) und Wilhelm von Ockham (um 1349) waren die wichtigsten Zeugen dieser Form scholastischen Denkens, das durch die kritische Konfrontation von christlichen Lehrinhalten mit Ansprüchen der natürlichen Vernunft und wissenschaftstheoretischen Diskussion gekennzeichnet war.

Wiewohl wegen der relativ späten Gründung der Universität Basel 1460 in der Schweiz für das scholastische Denken keine institutionelle Grundlage existierte, besitzt die Universitätsbibliothek Basel eine überaus wichtige Sammlung von Texten der mittelalterlichen Scholastik. Die Büchersammlungen von Friedrich von Amberg und Jean Joly in der Franziskanerbibliothek Freiburg sowie von Jakob Lauber und Johannes Heynlin in der Universitätsbibliothek Basel belegen die internationalen akademischen Verbindungen während des Spätmittelalters.

Titelseite des ersten von dreizehn Bänden der Theologiae scholasticae des Benediktinerpaters Augustin Reding, veröffentlicht von der Druckerei des Klosters Einsiedeln, 1687 (Schweizerische Nationalbibliothek).
Titelseite des ersten von dreizehn Bänden der Theologiae scholasticae des Benediktinerpaters Augustin Reding, veröffentlicht von der Druckerei des Klosters Einsiedeln, 1687 (Schweizerische Nationalbibliothek).

Trotz der scharfen Kritik sowohl der Humanisten wie auch der Reformatoren erlebte die Scholastik nicht nur in den katholischen Ländern (v.a. Spanien), sondern auch in protestantischen Gebieten des Reichs im 16. und 17. Jahrhundert eine neue Blüte. Die wichtigste Figur der Spätscholastik in der Schweiz ist zweifellos der Benediktiner Augustin Reding, Fürstabt von Einsiedeln, der eine dreizehnbändige «Theologia scholastica» (1687) verfasst hat, ein Werk, das vom Überleben eines streng orthodoxen Thomismus im 17. Jahrhundert zeugt. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Scholastik findet sich dagegen beim Genfer Professoren François Turrettini oder beim Basler Theologen Samuel Werenfels, der sich in seiner Schrift «De logomachiis eruditorum» (1688) mit der Terminologie der Scholastiker auseinandersetzte. Nach der heftigen Kritik der Aufklärung erfuhr die Scholastik im 19. Jahrhundert eine Erneuerung, die von Papst Leo XIII. stark gefördert wurde und in deren Zusammenhang die Gründung der Universität Freiburg steht. An dieser Hochschule entwickelte sich eine eigene Prägung des Thomismus, als deren wichtigster Vertreter Gallus Maria Manser zu betrachten ist. 1924 wurde die Redaktion der Zeitschrift «Divus Thomas» an die Universität Freiburg verlegt und dort bis in die 1960er Jahre eine der Neuscholastik verpflichtete Philosophie und Theologie gelehrt.

Quellen und Literatur

  • P. Chenaux, «La renaissance thomiste en Suisse romande dans les années 1920», in ZSK 85, 1991, 119-138
  • R. Schönberger, Was ist Scholastik?, 1991
  • C.H. Lohr, Aristotelica Helvetica, 1994
  • U.G. Leinsle, Einführung in die scholast. Theologie, 1995
  • LThK 9, 446 f.
  • E. Habsburg-Lothringen, Das Ende des Neuthomismus, 2007
Weblinks

Zitiervorschlag

Ruedi Imbach: "Scholastik", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.11.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011414/2012-11-21/, konsultiert am 29.03.2024.