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Italienischsprachige Literatur

Die italienischsprachigen Schweizer Schriftsteller werden mit vollem Recht zur italienischen Literatur gezählt. Ihre Ausbildung und ihr literarisches Schaffen waren schon immer stark auf Italien und dessen Kulturinstitutionen ausgerichtet, und die Literatur der italienischen Schweiz ist eine der vielen regionalen Stimmen im grossen Chor der italienischen Literatur. So erschien 1986 eine Anthologie zur Literatur der italienischen Schweiz in einer Reihe, die den verschiedenen Regionen Italiens gewidmet ist. Insofern befinden sich die italienischsprachigen Schweizer Autoren in derselben Lage wie die Schweizer Schriftsteller deutscher und französischer Zunge, die ebenfalls in einem umfassenderen Sprach- und Kulturraum wirken (Deutschsprachige Literatur, Französischsprachige Literatur); anders ist die Situation der Rätoromanen (Rätoromanische Literatur). Allerdings ist die Angst vor der Marginalisierung im kleinen Sprachgebiet der italienischen Schweiz, das gleich in mehrfacher Hinsicht eine Minorität darstellt, wohl ausgeprägter als in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz. Zudem bilden die Autoren Italienischbündens eine Minderheit innerhalb der Minderheit. Neben der Orientierung auf einen grösseren Sprachraum lässt sich im Werk vieler italienischsprachiger Autoren der Schweiz jedoch auch eine helvetische Komponente feststellen, die sich in den Inhalten, im politischen und sozialen Engagement, in der Mentalität und zuweilen auch in der Sprache äussert, in der neben norditalienischen Regionalismen auch eigentliche Helvetismen vorkommen (Italienisch).

Von den Anfängen bis Ende des 18. Jahrhunderts

Eine Literatur der italienischen Schweiz bildete sich im 16. Jahrhundert heraus mit zwei Autoren, die gleich die beiden Teilgebiete der Region repräsentieren, nämlich mit dem Luganeser Humanisten Francesco Ciceri, der Euripides und Terenz kommentierte, sowie dem aus Mesocco im italienischsprachigen Gebiet Graubündens stammenden Martino Bovollino, der lateinische und italienische Dichtungen verfasste. Grössere Bekanntheit erlangte im 17. Jahrhundert der Puschlaver Paganino Gaudenzi, Autor gelehrter, historischer, lyrischer und religiöser Werke. Sein Zeitgenosse Giacomo Genora dichtete in lateinischen Hexametern. Literarisches Schaffen war jedoch im 16. und 17. Jahrhundert wie teilweise auch noch im 18. Jahrhundert selten, und so fällt es schwer, Namen von einer gewissen Bedeutung zu nennen.

Für das 18. Jahrhundert sind mehrere Schriftsteller und Drucker zu erwähnen, darunter Gian Pietro Riva, Giuseppe Fossati und Francesco Soave. Letzterer schrieb Novellen, die grossen Erfolg hatten, philosophische Werke, Schulbücher und Petrarca-Kommentare. Er übersetzte auch lateinische und griechische Klassiker sowie Vertreter der neuen europäischen Empfindsamkeit (Edward Young, Salomon Gessner). Auch Riva und Fossati betätigten sich mit beachtlichem Erfolg als Übersetzer: Riva übertrug Molière und Racine, Fossati übersetzte aus der Bibel sowie Werke Albrecht von Hallers. Gian Menico Cetti übersetzte als Erster aus dem Russischen in die italienische Sprache. Übersetzungen waren und blieben auch in den nachfolgenden Jahrhunderten ein wichtiger Teil des literarischen Schaffens in der italienischen Schweiz. Neben diesen und einigen bemerkenswerten Werken religiöser Dichtung (Diego Girolamo Maderni) entstanden im 18. Jahrhundert fast nur Schäferdichtungen, die von insgesamt eher durchschnittlicher Qualität waren (Anton Maria Borga u.a.).

"Die neuen Idyllen von Gessner in italienischen Versen mit einem Brief dieses Autors über die Landschaftsmalerei, Übersetzung von Pater Francesco Soave, zweite Auflage, erweitert um einige Idyllen des Übersetzers", Vercelli, 1784 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
"Die neuen Idyllen von Gessner in italienischen Versen mit einem Brief dieses Autors über die Landschaftsmalerei, Übersetzung von Pater Francesco Soave, zweite Auflage, erweitert um einige Idyllen des Übersetzers", Vercelli, 1784 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Vom 16. bis 18. Jahrhundert kam es im Tessin, damals Untertanengebiet der eidgenössischen Orte, und in Italienischbünden zur Gründung von Verlagen, die das literarische und kulturelle Leben ergänzten und belebten. In Poschiavo nahm 1547 die Druckerei Landolfi ihre Tätigkeit auf, die bei der Verbreitung der protestantischen Glaubensschriften vor allem in Norditalien eine wichtige Rolle spielte. Ebenfalls in Poschiavo erschien in der Druckerei Ambrosioni 1782 die erste italienische Übersetzung von Goethes "Werther". Grosse Bedeutung hatte die Druckerei Agnelli in Lugano, die von 1746 bis 1799 bestand und mit verschiedenen Veröffentlichungen dazu beitrug, dass sich die Ideen der Aufklärung, der jesuitenfeindlichen Kreise und der französischen Revolution in Italien verbreiten konnten.

Das 19. Jahrhundert

Die Entstehung der Kantone Tessin und Graubünden 1803 und – in noch stärkerem Ausmass – die Gründung des Bundesstaats 1848, der die Anerkennung des Italienischen als Landessprache mit sich brachte, festigten die Bindungen der italienischen Schweiz mit den übrigen Landesteilen. Sie verstärkten aber auch das Bedürfnis, die eigene kulturelle Identität zu unterstreichen (Svizzera italiana). Dieses Bedürfnis äusserte sich unter den gegebenen Umständen vor allem als Neigung zur Lombardei, d.h. zu jener neuen Kultur, die vom Realismus und den Wertvorstellungen der lombardischen Aufklärung geprägt war. Die Italien entgegengebrachte Aufmerksamkeit wurde auch stark von der Sympathie der italienischsprachigen Schweizer für das Risorgimento getragen. Dabei spielten die Tessiner Druckereien wie etwa die Tipografia elvetica in Capolago und die Tipografia della Svizzera italiana erneut eine massgebliche Rolle, ebenso die Emigranten, die im Tessin ihr schriftstellerisches Werk fortsetzten (Carlo Cattaneo u.a.).

Der Einfluss der lombardischen Aufklärung sowie die organisatorischen Herausforderungen der Kantonsbildung hatten zur Folge, dass politisch-administrative und soziale Probleme das intellektuelle Leben des Kantons Tessin beherrschten. Im 19. Jahrhundert verdankt die Literatur der italienischen Schweiz deshalb Autoren von politischen Texten ihre besten Werke: Die bedeutendsten waren Stefano Franscini, Vincenzo Dalberti und später Carlo Battaglini und Romeo Manzoni. Sie waren nicht Schriftsteller von Beruf, verstanden aber sehr wohl mit der italienischen Sprache umzugehen. Ein hohes Niveau erreichten auch die Verfasser naturwissenschaftlicher Werke, allen voran Luigi Lavizzari und Silvio Calloni. Herausragende Autoren wies zudem die Geschichtsschreibung mit Pietro Peri, Angelo Baroffio und gegen das Jahrhundertende mit Emilio Motta auf. Die Linguistik war mit Carlo Salvioni, der auch in Italien zu den führenden Vertretern seines Fachs gehörte, ebenso prominent vertreten wie die Theologie mit Giocondo Storni, Giambattista Torricelli und dem Bündner Giovanni Luzzi, der als Übersetzer und Bibelkommentator ein beeindruckendes Werk schuf. Die Philologie erreichte ihren Höhepunkt mit dem Bündner Giovanni Andrea Scartazzini, der sich als hervorragender Danteforscher einen Namen machte.

Das 20. Jahrhundert

In Anlehnung an die Formulierung, die der Ökonom Angelo Rossi für die Schweizer Wirtschaft südlich der Alpen geprägt hat, könnte man das literarische Schaffen in der italienischen Schweiz des 20. Jahrhunderts – von einigen bedeutenden Ausnahmen abgesehen – als "Literatur im Schlepptau" etikettieren. Im Einflussbereich der Instanzen, die im kulturellen Nährboden Italiens wirkten, gelang es den Schweizer Autoren aber doch, bemerkenswerte Werke hervorzubringen, auch wenn diese selten absolute Geltung erreichen sollten.

Viele Autoren der italienischen Schweiz begannen als Lyriker. Das gilt namentlich für Francesco Chiesa ("Preludio" 1897), den Vater der modernen italienischsprachigen Literatur der Schweiz, der das Tessiner Kulturleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beherrschte. Die oft unterstrichene Überlegenheit des Lyrikers Chiesa über den Prosaautor hinderte Eugenio Montale 1952 nicht daran, ihn als Künstler zu bezeichnen, der sich wenig um die Tendenzen der modernen Lyrik kümmerte; Montale räumte 1961 aber dennoch ein, dass Chiesa der "grösste Schriftsteller war, den das Tessin Italien je geschenkt hat". Die Verdienste und Grenzen der anderen Lyriker lassen sich daran erkennen, dass man in Werken von nicht sehr hoher Qualität herausragende Verse oder Kompositionen findet. Das gilt namentlich für den heute vor allem als Prosaautor bekannten Giuseppe Zoppi, dessen Gedichte gelegentlich nicht ohne Anmut, dann aber doch wieder eher bescheiden sind. Mit seiner umstrittenen "Antologia della letteratura italiana ad uso degli stranieri" (1939-1943) erwies sich Zoppi als Leser mit einem veralteten Geschmack und als verschlossen gegenüber den Neuerungen der zeitgenössischen Literatur Italiens.

Die Gesamtausgabe von Zoppis lyrischem Werk (1944) fiel in eine Zeit, als sich im Tessin bereits ein literarischer Aufbruch abzeichnete: Die ersten Gedichte Giorgio Orellis erschienen, auch Giovan Battista Angioletti (1941 Begründer des Circolo italiano di lettura) und Gianfranco Contini wirkten im Bereich der Lyrik anregend und innovativ, während Felice Filippini als Prosaschriftsteller entdeckt wurde. Hellhöriger als Zoppi war der wenig bekannte Valerio Abbondio, dessen Gedichte sich durch ein feines Gespür und eine gleichmässige Metrik auszeichnen. Ein besonderer Platz gebührt dem mundartlichen Schaffen (Dialektliteratur): 1900 erschien in Bellinzona die "Antologia meneghina", und das wissenschaftliche Interesse an den lokalen Dialekten konkretisierte sich, auf Initiative von Carlo Salvioni, in der Gründung des "Vocabolario dei dialetti della Svizzera italiana", das 1907 seine Arbeit aufnahm. So bildete sich nach und nach ein hochstehendes Schaffen heraus, das von Persönlichkeiten wie etwa Giovanni Bianconi geprägt war. Die Prosa war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend von Chiesa und Zoppi beherrscht, wobei namentlich Chiesas "Tempo di marzo" (1925) und Zoppis "Il libro dell'alpe" (1922) zu erwähnen sind. Diese Werke, die sprachlich einen gewissen Konformismus aufweisen und ideologisch mit ihrem Lob auf eine idealisierte Natur und Landschaft, den wehmütigen Jugenderinnerungen und der Liebe zur kleinen Heimat konservativ sind, haben die gefühlsmässige Erziehung mehrerer Generationen von Lesern der italienischen Schweiz beeinflusst. Weniger erfolgreich war der Roman "Cip" (1924) des Locarnesers Angelo Nessi. Ebenfalls aus Locarno stammte der ab den 1930er Jahren tätige, vielseitige Schriftsteller Piero Bianconi, der sich trotz seiner starken Verwurzelung im Tessin auch von der Literatur anderer europäischer Länder (v.a. der französischen Literatur) anregen liess und der mit "Albero genealogico" (1969) sein bestes Buch schrieb.

Was die Populärliteratur betrifft, seien zumindest Francesco Alberti, Vittore Frigerio und Orlando Spreng erwähnt. In die frühen 1940er Jahre fällt der Durchbruch von Felice Filippini, der 1943 mit "Signore dei poveri morti" den von Polemiken begleiteten ersten Premio Lugano gewann. Der Roman ist eine luzide Aufarbeitung eines Schuldgefühls, das mit einer von Elio Vittorini übernommenen Technik blossgelegt wird. Filippini widmete sich in der Folge vor allem der bildenden Kunst, hinterliess aber auch den Roman "Ragno di sera" (1950) und verschiedene Erzählungen. Pio Ortelli gelang es in "La cava della sabbia" (1948) – ebenfalls eine tragische, auf dem Land angesiedelte Geschichte – ein traditionelles Erzählgefüge mit genuin modernen Motiven zu verknüpfen. Um eine schmerzliche Erfahrung geht es auch im Roman "Gli ostaggi" (1954), für den der Kritiker und Schriftsteller Giovanni Bonalumi 1955 den Veillon-Preis erhielt. Neben Filippini und Bonalumi, Autoren der bedeutendsten Romane des Jahrzehnts, seien Piero Scanziani und Guido Calgari erwähnt, der heute als Erzähler fast vergessen ist, während von seinem Wirken als Dozent an der ETH Zürich, als Historiker und Literaturkritiker oft (und auch in negativem Sinn) die Rede ist, insbesondere im Zusammenhang mit der "Storia delle quattro letterature della Svizzera" (1958) und der darin angestrebten Synthese. In der Diskussion um die Italianità, die von den intellektuellen Kreisen der italienischen Schweiz in der Zeit des Faschismus geführt wurde, war Calgari einer der unermüdlichen Verteidiger des Helvetismus gewesen. Maria Boschetti-Alberti hinterliess pädagogische Schriften von beachtlichem Niveau.

Nachdem Giorgio Orelli die Gedichtsammlung "Né bianco né viola" (1944) in Lugano veröffentlicht hatte – in einer Reihe, in der auch Gedichte von Eugenio Montale und Umberto Saba erschienen waren –, wurde er zu einem festen Bezugspunkt; er gewann an Schaffenskraft und wurde immer bekannter. Orelli ist sicher der grösste Autor unter den bemerkenswerten Schriftstellerpersönlichkeiten, die in der breit angelegten Anthologie "Cento anni di poesia nella Svizzera italiana" (1997) einen Platz fanden. Genannt seien zumindest Amleto Pedroli und der Bündner Remo Fasani, ein gelehrter, feinfühliger Dichter, der ein umfangreiches Werk geschaffen hat ("Le poesie" 1941-1986, 1987), sowie der etwas ältere Priester Felice Menghini, dessen Gedichte von seltener Sensibilität sind. Viel schwankender ist die dem breiten Publikum bekanntere Lyrik von Grytzko Mascioni, Verfasser etlicher mit Preisen ausgezeichneter Gedichtsammlungen und Prosawerke. Auf eine der Bedeutung Giorgio Orellis entsprechende Stimme wird man einige Jahre warten müssen: Fabio Pusterla gilt heute als einer der besten Lyriker italienischer Sprache. Biografisch nahe steht ihm Antonio Rossi, dessen dichterische Ausdrucksformen aber abstrakter sind als diejenigen Pusterlas. Alle erwähnten Lyriker seit Chiesa haben auch in Italien in bedeutenden Verlagen (Vallecchi, Mondadori) publiziert, was ihre über die Region hinausgehende Resonanz bezeugt. Die Übersetzungen sowohl von Lyrik wie auch von Prosa aus der italienischen Schweiz ins Deutsche und Französische sprechen für ihre Bekanntheit auf gesamtschweizerischer Ebene. Besonders aktiv ist seit 1974 die sogenannte CH-Reihe, in der zeitgenössische literarische Werke in die Landessprachen übersetzt werden.

Neben Gilberto Isella und Aurelio Buletti verdienen Donata Berra, Pietro De Marchi und Pierre Lepori Aufmerksamkeit, die sich in den letzten Jahren Gehör verschafft haben. Um die Mundartdichtung hat sich vor allem die Zeitschrift "Il Cantonetto" von Mario Agliati verdient gemacht, die in den ersten Jahren ihres Bestehens (ab 1953) einige bemerkenswerte lokale Lyriker entdeckte. Erinnert sei insbesondere an Alina Boriolis "Ava Giuana d'Altenchia". Auch Giovanni Orelli, der seine italienische Prosa mit ausgewählten Mundartausdrücken und Mundartformen belebt, hatte in seinen Anfängen als Lyriker den Dialekt des Bedrettotals verwendet. Diese Gedichte fanden später in die Sammlung "Sant'Antoni dai padü" (1986) Eingang, denen weitere Bändchen mit Gedichten in der Standardsprache folgten. Zu nennen sind auch Ugo Canonica, der dem Dialekt meist treu geblieben ist, sowie Pino Bernasconi, Gabriele Quadri, Giancarlo Bullo und Fernando Grignola.

In der Prosa sind in den 1960er Jahren zumindest zwei herausragende Werke zu erwähnen: "L'anno della valanga" von Giovanni Orelli (1965) und "Albero genealogico" von Piero Bianconi (1969). In "L'anno della valanga" wird die wachsende Schneedecke als lähmende Metapher erlebt und interpretiert, welche die Sehnsüchte der Menschen auf grausame Weise blockiert. "Albero genealogico" von Bianconi hingegen ist eine fesselnde Lesart und Zusammenstellung des Briefwechsels unter den Vorfahren des Autors, die nach Australien und nach Amerika ausgewandert sind; die Komposition ist gekonnt in einen Rahmen eingefügt, der die Probleme von gestern aktualisiert. In den 1960er Jahren erschienen zudem die dichten Prosatexte von Remo Beretta unter dem Pseudonym Martino della Valle (1964) sowie die bewundernswerten Erzählungen seines früh verstorbenen Bruders Sandro. Der Erzähler Giorgio Orelli offenbarte sich im Buch "Un giorno della vita" (1960), das ihm die ehrenvolle Bezeichnung eines "Toskaners des Tessins" (Gianfranco Contini) eintrug.

In den 1970er Jahren eroberte der Erzähler Plinio Martini, ebenfalls eine Stimme aus einer Bergregion, mit seinem Roman "Il fondo del sacco" (1970) das Publikum im Tessin und darüber hinaus. Das aus einem wachen Bewusstsein heraus entstandene Werk verstand sich als Rebellion, als Ablehnung der idealisierten ländlichen Darstellungen des aus demselben Tal stammenden Giuseppe Zoppi. Auf "Il fondo del sacco" folgte das kleine Juwel "Requiem per zia Domenica" (1976). Die in den Romanen Martinis geäusserte Kritik an Politik und Gesellschaft fand wichtige (und andersartige) Entsprechungen und Zusätze in den Werken von Alberto Nessi und in den eindringlichen Büchern von Giovanni Orelli, die zu den herausragendsten Beispielen der Schweizer Prosa gehören. In diesem fast rein männlichen Panorama, in dem auch Guglielmo Volonterio und Giuseppe Curonici zu erwähnen sind, seien abschliessend zwei Frauen genannt, die durch ihre stark experimentellen Werke zu überzeugen vermochten: Anna Felder ("La disdetta" 1974) und Alice Ceresa ("La figlia prodiga" 1967). Das Schaffen dieser beiden Autorinnen ist eng mit der Schweiz verbunden, während Fleur Jaeggys schriftstellerische Laufbahn ausschliesslich in Italien erfolgte. Die Werke der erwähnten Prosaautoren erschienen – seit Giovanni Orelli, den Mondadori und Einaudi verlegten –  in Italien und wurden, wie schon die Werke Chiesas und Zoppis, in die anderen Landessprachen übersetzt.

Von den Autoren und Autorinnen der nachfolgenden Generationen seien zumindest Mattia Cavadini, Sergio Roic und Anna Ruchat genannt. Schliesslich sei auch an einige Verfasser von Sachtexten erinnert, an den bereits erwähnten Carlo Salvioni, Virgilio Gilardoni (Begründer des "Archivio storico ticinese") und Giuseppe Martinola. Der literarische Essay ist durch zwei grosse Persönlichkeiten vertreten: Romano Amerio und Giovanni Pozzi, hochangesehene Gelehrte, welche die schöpferische und verlegerische Tätigkeit in der italienischen Schweiz oft entscheidend und positiv beeinflussten.

Titelseite der ersten Nummer der Literaturzeitschrift Idra, die zwischen 1990 und 2000 zweimal im Jahr erschien (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Titelseite der ersten Nummer der Literaturzeitschrift Idra, die zwischen 1990 und 2000 zweimal im Jahr erschien (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

1944 wurde in Lugano der noch immer aktive Verband der Schriftsteller der italienischen Schweiz (Associazione degli scrittori della Svizzera italiana) gegründet, dessen Ziel es ist, die italienischsprachige Kultur auf dem Gebiet der Literatur und der intellektuellen Tätigkeit zu verbreiten. Während mehrerer Jahre bestand auch eine Tessiner Sektion der Gruppe Olten, die 1970 ins Leben gerufen wurde als Reaktion auf den starken Konservatismus, der damals den Schweizerischen Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverband (Schriftstellervereine) beherrschte. In der italienischen Schweiz erschienen und erscheinen verschiedene Zeitschriften, die sich ganz oder in wichtigen Rubriken mit Literatur, sowohl der lokalen wie auch der internationalen, beschäftigen, darunter "Quaderni grigionitaliani" (gegründet 1931), "Svizzera italiana" (1941-1962), "Cenobio" (seit 1952), "Il Cantonetto" (seit 1953), "Bloc notes" (seit 1979) und "Idra" (1990-2000).

Quellen und Literatur

  • Scrittori della Svizzera italiana, 2 Bde., 1936
  • G. Calgari, Die vier Literaturen der Schweiz, 1966 (ital. 1958)
  • P. Fontana, Arte e mito della piccola patria, 1974
  • C. Castelli, A. Vollenweider, Südwind: Zeitgenöss. Prosa, Lyrik und Essays aus der ital. Schweiz, 1976
  • G. Orelli, Svizzera italiana, 1986
  • G. Orelli, «La Svizzera italiana», in Letteratura italiana. Storia e geografia 3, hg. von A. Asor Rosa, 1989, 887-918
  • Lingua e letteratura italiana in Svizzera, hg. von A. Stäuble, 1989
  • Lex. der Schweizer Literaturen, hg. von P.-O. Walzer, 1991
  • A. Nessi, Scrittori ticinesi, hg. von R. Martinoni, C. Caverzasio Tanzi, 1997
  • G. Bonalumi et al., Cento anni di poesia nella Svizzera italiana, 1997
  • Scrittori del Grigioni Italiano, hg. von A. und M. Stäuble, 1998
  • Scarpe e polenta: un viaggio letterario nella Svizzera italiana del Novecento, hg. von R. Martinoni, A. Pelli, 2001
Weblinks

Zitiervorschlag

Antonio Stäuble; Guido Pedrojetta: "Italienischsprachige Literatur", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.11.2009, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011203/2009-11-18/, konsultiert am 29.03.2024.