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Italienisch

Italienisch ist zusammen mit Deutsch, Französisch und Rätoromanisch eine der vier Landessprachen. Die ersten drei sind in der Helvetischen Republik (1798-1803) de facto als gleichwertige Amtssprachen betrachtet worden; ihre Gleichheit wurde in der Bundesverfassung (BV) von 1848 (Artikel 109 und Artikel 116 der BV 1874, Artikel 70 BV 1999) festgeschrieben. Italienisch ist auch Amtssprache des Kantons Tessin und mit Deutsch und Rätoromanisch des Kantons Graubünden.

Verbreitung und Varietäten des Italienischen in der Schweiz

Gemäss den Daten der Volkszählung 2000 war Italienisch im Kanton Tessin die Hauptsprache von 254'997 Personen, was einem Bevölkerungsanteil von 83,1% entspricht (Zunahme von 0,3 Prozentpunkten gegenüber 1990). In Graubünden (im Misox, Calancatal, Bergell, Puschlav und in Bivio) gaben 11'793 Personen Italienisch als Hauptsprache an; sie hielten in Italienischbünden einen Anteil von 86,7% (0,3 Prozentpunkte mehr als 1990). Mehrere regionale Dialekte bereichern das Repertoire der gesprochenen Sprache: Im Tessin gab es 98'031 Mundartsprecher (mit einem Bevölkerungsanteil von 31,8%) und in Italienischbünden 8564 (85%). Die Volkszählungsergebnisse bestätigen, dass der ausschliessliche Gebrauch des Dialekts, wie schon 1990, stark rückläufig ist und dementsprechend die Verwendung des Standarditalienischen als allein gesprochene Sprache zunimmt.

In der italienischen Schweiz dominiert Italienisch eindeutig die sprachliche Verständigung, was sich auch darin zeigt, dass es von der überwiegenden Mehrheit der anderssprachigen Zuwanderer und deren Kinder gelernt und verwendet wird. Deutsch ist die Hauptsprache von 8,3% der Bevölkerung (Abnahme von 1,4 Prozentpunkten seit 1990). 6047 Personen (2,1% der Bevölkerung) gaben an, ausschliesslich Deutsch zu sprechen. Zu dieser Gruppe gehören hauptsächlich Personen, die mehr als 60 Jahre alt sind und seit wenigen Jahren im Tessin leben. Die aktive Bevölkerung unter den Einwohnern mit Deutsch als Hauptsprache neigt zur deutsch-italienischen Zweisprachigkeit, was ein Indiz für ihre sprachliche Integration ist.

Italienisch ist in der ganzen Schweiz verbreitet. Insgesamt 470'961 Personen (6,5% der Gesamtbevölkerung) bezeichneten 2000 Italienisch als ihre Hauptsprache. Davon waren 266'730 (56,6%) in der italienischen Schweiz niedergelassen, 204'231 (43,4%) wohnten in der übrigen Schweiz. 2000 wurde ausserhalb der italienischen Sprachregion von 404'516 Personen Italienisch in der Familie gesprochen (1990 noch von 478'609 Personen, also von 74'093 Personen mehr). Am Arbeitsplatz brauchten 333'723 Personen (1990 368'774) aus insgesamt 141 Nationen Italienisch; dies zeigt, dass Italienisch unter den Einwanderern immer noch die Funktion einer Lingua franca (Vermittlungssprache) hat.

Für den Rückgang des Italienischen gibt es verschiedene Gründe. Der Hauptgrund liegt im föderalistischen System sowie in der kantonalen Sprach- und Schulpolitik, die auf dem Territorialprinzip und dem Grundsatz der unverrückbaren Sprachgrenzen beruht. Diese Politik verhinderte die Aufnahme des Italienischen in die Volksschullehrpläne ausserhalb der italienischen Schweiz, obwohl es die Sprache von Hunderttausenden von Einwanderern und ihrer Kinder war und ist. Dadurch wurde bis heute die Assimilation und die Einebnung der kulturellen und sprachlichen Unterschiede in allen Kantonen beschleunigt, was den beträchtlichen Rückgang des Italienischen in der deutschen und französischen Schweiz erklärt. Seine Position wird zusätzlich durch die Konkurrenz des Englischen geschwächt, das in der Schule zunehmend anstelle der zweiten Landessprache unterrichtet wird, weil Nützlichkeitsdenken und Pragmatismus die Rücksicht auf die nationalen Minderheiten immer mehr schwächen.

In der Schweiz tritt die italienische Sprache hauptsächlich in vier Varietäten auf. Zwei davon weisen einen hohen soziolinguistischen Status auf: das regionale Italienisch der italienischen Schweiz und das helvetische Italienisch der Bundesverwaltung und ihrer Ämter. Zwei besitzen einen niederen Status: das dialektale Italienisch der italienischen Immigranten und das vereinfachte Italienisch, das den nicht-italienischen Gastarbeitern als Umgangssprache dient. Das regionale Italienisch im Tessin und in Graubünden gehört zur Gruppe der norditalienischen regionalen Varietäten; wie diese unterscheidet es sich von der überregionalen italienischen Standardsprache in der Phono-Morphologie und im Wortschatz. Es weist einerseits Wörter auf, die der Mundart entliehen sind, unter anderem alpatore (Senn), grotto (Weinschenke im Tessin), riale (Bach), andererseits Wörter, die von der schweizerischen Sprachsituation beeinflusst sind. Bei den «schweizerischen» Wörtern handelt es sich um Lehnwörter aus dem Französischen und Deutschen wie caffè crem, lavette (Waschlappen), mersi, schlafsack und um sogenannte Helvetismen, die Besonderheiten aus dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Schweiz bezeichnen. Die Helvetismen haben oft Entsprechungen im schweizerischen Deutsch und Französisch wie die sogenannten panhelvetischen Tripletten. Begriffe wie azione (Aktion im Sinne von Sonderangebot), cassa malati (Krankenkasse), tesoro notturno (Nachttresor), vignetta autostradale (Autobahnvignette) werden in Italien nicht verwendet.

Geschichte

Unter der Herrschaft der Herzöge von Mailand (14.-15. Jahrhundert)

Schriftliche Quellen aus dem Früh- und Hochmittelalter sind, ganz im Unterschied zu Zeugnissen aus Architektur und bildender Kunst, selten. Sie beschränken sich auf wenige bekannte auf Lateinisch verfasste Beispiele, so etwa die Vergabung des Schlosses in Bellinzona an den Bischof von Como (1002), des Schwurs von Torre (1182) oder einfache Notariatsurkunden zu lokalen Rechtsstreitigkeiten, verfasst in einem speziellen, für berufliche Zwecke geeigneten Latein (dem sogenannen latinus grossus), dessen dialektale Färbung klar hervortritt.

Die Zugehörigkeit der tessinischen Gebiete zum Herzogtum Mailand im 15. Jahrhundert hatte zur Folge, dass herzogliche Beamte in der Gegend wirkten. Nach dem Vorbild der Mailänder Kanzlei, die ab 1426 auf Italienisch korrespondierte, wurde das Schriftitalienische auch an den Schulen der italienischen Schweiz den Söhnen aus der kleinstädtischen Führungsschicht unterrichtet. Die norditalienische Kanzleisprache setzte sich hauptsächlich aus drei Komponenten zusammen: 1. aus dem gehobenen Latein (mit den Formen digni, dicto, cum, taliter); 2. aus der gemeinsamen Verkehrssprache der norditalienischen Dialekte (am wichtigsten), die folgende Merkmale aufwies: die Metaphonie (quisti, nuy), das Fehlen der für das Toskanische typischen Diphtongierung (heri, novo) und der Anaphonie (lengua, longo), die Endung der zweiten Person Plural auf -i (haveti), das Futur Indikativ der Verben der ersten Konjugationsklasse auf -arà (andarà) und das Konditionale auf -ia (saria); 3. aus den anfänglich noch wenig gefestigten Formen der toskanischen Literatursprache, welche die norditalienischen Formen allmählich ersetzten. Dieses zusammengesetzte Italienisch wurde von einer kleinen Elite Schreibkundiger verwendet, die auch Latein beherrschte. Zu ihnen gehörten die Notare sowie die Gerichts- und Verwaltungsschreiber des Tessins und aller Kanzleien des Herzogtums Mailand. Im Tessin beschränken sich die überlieferten Schriftstücke auf den Briefverkehr und einige Gemeinde- und Talschaftsstatuten (Carona, Centovalli, Sonvico), die von lateinischen Originalen übersetzt wurden. Literarische Texte in der Vulgärsprache fehlen vollständig.

Vom Anfang des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts begann sich Italienisch als Schrift- und gesprochene Sprache in der breiteren Bevölkerung der Tessiner Landvogteien und Italienischbündens durchzusetzen. Diese Italianisierung war die Folge einer Reihe unterschiedlicher Entwicklungen, die miteinander verbunden waren und sich gegenseitig beeinflussten. An erster Stelle ist das Wirken der durch das Konzil von Trient erneuerten katholischen Kirche zu erwähnen. Die Bischöfe von Mailand und Como, zu deren Diözesen die Tessiner Pfarreien in den eidgenössischen Landvogteien gehörten, waren dabei an vorderster Front engagiert: besonders Karl Borromäus, dessen Cousin Federico Borromeo und Feliciano Ninguarda. Bei der seelsorgerischen Tätigkeit, zu der die Predigt sowie die Unterweisung in der christlichen Lehre, Liturgie und Paraliturgie gehörten, wurde Italienisch in Schrift und Wort als Verständigungsmittel eingesetzt. Die katholische Kirche und die reformierten Gemeinschaften in den italienischsprachigen Bündnertälern wandten die toskanische Literatursprache nach dem Modell an, das Pietro Bembo 1525 in «Prose della volgar lingua» zur Nachahmung empfohlen hatte. Das sprachliche Vorbild der Kirche wirkte bald auch ausserhalb des religiösen Bereichs.

In der frühneuzeitlichen Gesellschaft gewann die Auswanderung von gut qualifizierten Handwerkern, Künstlern, Architekten und Kaufleuten nach Italien und nach ganz Europa an Bedeutung (Maestranze). Für die berufliche Tätigkeit und um mit den Familien in der Heimat in Verbindung zu bleiben, mussten die Emigranten lesen, schreiben und rechnen lernen. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand in der italienischen Schweiz ein dichtes Netz von Schulen, die von den Gemeinden oder Pfarreien getragen wurden und an denen katholische Priester und Kaplane (bzw. reformierte Pfarrer in den Bündner Tälern) unterrichteten. Die männliche Bevölkerung wurde so in den Grundzügen alphabetisiert (Alphabetisierung). Die eidgenössischen Orte, die in den Tessiner Landvogteien herrschten, liessen die alten Dorf- und Talschaftsrechte bestehen, bestätigten die lokale Selbstverwaltung und respektierten Italienisch als Sprache für den Verkehr mit den Untertanen. Diese Praxis stellte eine weitere Chance für den Gebrauch der Schriftsprache «von unten» dar. Die toskanische Literatursprache setzte sich nur allmählich und unvollständig durch; erst im 18. Jahrhundert war dieser Prozess dank der Verbreitung von Grammatiken weit fortgeschritten, wobei Angehörige des Somaskerordens in Lugano eine wichtige Rolle spielten (Giovan Battista Chicherio, die Brüder Giovan Battista und Gian Pietro Riva, Francesco Soave).

"Vergnügliche Lektüren für die Kinder vom Land, durch die man ihnen die einfachsten Begriffe der Moral und der Landwirtschaft beibringt. Kleines Werk von Pfarrer Antonio Fontana, als Belohnung und Aufmunterung den Schülern der ersten Primarklassen auszuteilen", 8. Auflage, mit einem Frontispiz von Giuseppe Pagani, Lugano, 1833 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
"Vergnügliche Lektüren für die Kinder vom Land, durch die man ihnen die einfachsten Begriffe der Moral und der Landwirtschaft beibringt. Kleines Werk von Pfarrer Antonio Fontana, als Belohnung und Aufmunterung den Schülern der ersten Primarklassen auszuteilen", 8. Auflage, mit einem Frontispiz von Giuseppe Pagani, Lugano, 1833 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Ab dem 16. Jahrhundert prägten zwei Erscheinungen die Sprachgeschichte der italienischen Schweiz. Erstens die Diglossie, also das Nebeneinander von Hochsprache in der öffentlichen Kommunikation (Italienischsprachige Literatur) und Dialekt im privat-familiären Bereich; von dieser Zeit an schrieben die alphabetisierten Bewohner der italienischen Schweiz, unabhängig ihrer sozialen Herkunft und ihres Bildungsstandes, ausschliesslich auf Italienisch. Die zweite Folge der Alphabetisierung ist das Phänomen der sprachlichen Variation, die regional von der Zugehörigkeit zum lombardischen Raum bestimmt war und in sozialer Hinsicht zwei Ausprägungen aufwies: eine «volkstümliche» der bildungsfernen Schichten und eine «hochstehende» der gut Gebildeten, die in den kirchlichen Instituten in Como, Lugano, Bellinzona und Ascona schreiben gelernt hatten. Eine weitere Besonderheit des in der italienischen Schweiz gesprochenen und geschriebenen Italienisch rührt von der verbreiteten Mehrsprachigkeit her, die eine notwendige Folge der durch die Emigration bedingten Öffnung nach aussen war. Der Kontakt mit anderen Varietäten des Italienischen und mit Fremdsprachen ist der Grund, weshalb die gesprochene und geschriebene Sprache der Italienischschweizer toskanische, umbrische, römische sowie deutsche, englische und französische Elemente aufweist. Zudem erklären die engen Beziehungen zu den Herrschaftsvertretern der eidgenössischen Orte die italienisch-deutsche Zweisprachigkeit und das Vorhandensein alemannischer Begriffe in den alpinen Dialekten und dem regionalen Schriftitalienisch. Der letzte Faktor der Sprachmischung und Mehrsprachigkeit liegt in der Nähe und wechselseitigen Beeinflussung von Dialekt und Standarditalienisch begründet. Dieses Phänomen nutzen geschickte Schreibende, besonders solche ohne höhere Bildung, als Ausdrucksmittel.

Kantonale Selbstständigkeit

"Grundlegende Grammatik der italienischen Sprache von Stefano Franscini, Tessiner, vom Erziehungsrat genehmigte Ausgabe", Lugano, Druckerei Veladini & Co., 3. Auflage, 1856 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
"Grundlegende Grammatik der italienischen Sprache von Stefano Franscini, Tessiner, vom Erziehungsrat genehmigte Ausgabe", Lugano, Druckerei Veladini & Co., 3. Auflage, 1856 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Im 19. und 20. Jahrhundert gab es für die Geschichte des Italienischen in der Südschweiz und besonders im Tessin drei wichtige Phasen. Erstens die Einführung der obligatorischen und unentgeltlichen Volksschule, die nur langsam verwirklicht werden konnte und auf Hindernisse stiess. Die allgemeine Schulpflicht wurde zwar nach dem Erlangen der kantonalen Unabhängigkeit 1803 dekretiert, aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt. Treibende Kraft war Stefano Franscini in der doppelten Rolle als Politiker und als Verfasser von Grammatiken und Lesebüchern, die in der Schule eingesetzt wurden und ein altertümliches und bücherlastiges Italienisch vermittelten. Zweitens erhielt mit der Gründung des Bundesstaates 1848 der Kontakt des Italienischen mit dem Deutschen eine neue nationale Dimension; die Eröffnung des Gotthardeisenbahntunnels am Ende des 19. Jahrhunderts erleichterte wirtschaftliche Beziehungen mit der Deutschschweiz und die Zureise deutschsprachiger Touristen und damit auch das Vordringen der deutschen Sprache in den Süden. Auf die drohende Germanisierung reagierten Persönlichkeiten aus Kultur, Bildung und Politik, die gewillt waren, die kulturelle und sprachliche Integrität des Tessins zu verteidigen, mit den sogenannten Rivendicazioni ticinesi von 1924-1925, der Schliessung der deutschsprachigen Schulen und dem Gesetz über die Geschäftsschilder und Firmenanschriften (1931). Die dritte bedeutende Phase stellte das Jahrzehnt zwischen 1930 und 1940 dar, als der Faschismus an der Grenze stand. Mit seinen sprachpolitischen Entscheiden setzte Radio Monteceneri ein wichtiges Zeichen: Tessiner Politiker und Intellektuelle hielten am Vorrang des Italienischen fest und unterschieden klar zwischen den historischen Gründen für die sprachlich-kulturelle Zugehörigkeit und den politisch-propagandistischen Argumenten der faschistischen Diktatur (Irredentismus). Gleichzeitig vermieden sie es aber, mit einer Aufwertung des Dialekts die kulturelle Abschottung des Tessins zu fördern.

Quellen und Literatur

  • G. Berruto, «Appunti sull'italiano elvetico», in Studi linguistici italiani 10, 1984, 76-108
  • Le paysage linguistique de la Suisse, 1997
  • S. Bianconi, Lingue di frontiera, 2001
  • S. Bianconi, M. Borioli, Statistica e lingue, 2004
  • Sprachendiskurs in der Schweiz: vom Vorzeigefall zum Problemfall?, 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Sandro Bianconi: "Italienisch", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.04.2009, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011196/2009-04-21/, konsultiert am 19.03.2024.