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Manessische Handschrift

Codex Manesse

Laut Zeugnis des Minnesängers Johannes Hadlaub initiierten Ende des 13. Jahrhunderts der Zürcher Ratsherr Rüdiger II. Manesse und sein Sohn Johannes eine umfassende Sammlung höfischer Liedkunst. Daraus resultierte der erstmals 1748 von Johann Jakob Bodmer teiledierte und als Manessische Handschrift bezeichnete Prachtcodex. Die insgesamt 140 Einzelsammlungen sind von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis etwa 1300 entstanden. Die umfangreichste stammt von Walther von der Vogelweide. Nach ihrem heutigen Aufbewahrungsort, der Universitätsbibliothek Heidelberg, wird die Manessische Handschrift auch «Grosse Heidelberger Liederhandschrift» genannt.

Populär geworden ist die Manessische Handschrift aufgrund ihrer 137 gotischen Miniaturen, welche die Dichter idealisiert bei ritterlich-höfischen Aktivitäten zeigen (Buchmalerei). Aber auch als Textquelle ist sie bedeutend: Über die Hälfte der rund 6000 Strophen sind nur hier überliefert. Thematisch dominieren Minnelieder (Minnesang) verschiedener Spielarten, doch sind daneben auch lehrhafte, moralische, geistliche und politische Texte vertreten. Die Aufzeichnung erfolgte etappenweise. Kernstück der Manessischen Handschrift ist der sogenannte Grundstock von 110 Autoren, dessen Niederschrift um oder unmittelbar nach 1300 datiert. Erst nach Rüdiger II. Manesses Tod folgten bis ca. 1330/1340 – eventuell bis zur sogenannten Brun'schen Zunftrevolution 1336 – die Nachträge der übrigen 30 Œuvres; wer diese späteren Arbeiten veranlasst hat, ist unbekannt.

Trotz komplexer Entstehungsgeschichte zeigt die Manessische Handschrift eine planvolle Gesamtanlage: Zum einen sind die Dichter ständisch-hierarchisch geordnet, beginnend mit dem Staufer-Kaiser Heinrich VI., dem sich sein Enkel Konrad IV. und weitere Könige, Herzöge, Grafen und Freiherren anschliessen, ehe die Mehrheit der nichtadligen Sänger folgt. Zum andern zeigen zahlreiche, über den ganzen Codex verstreute leere Blätter, dass die Manessische Handschrift als offene Sammlung konzipiert war und fortwährend ergänzt werden sollte. Dieses für Liederhandschriften neuartige Konzept findet sich auch in der Handschrift des Zürcher Richtebriefs von 1304. Eine auf 1301/1304 datierbare Vorarbeit dazu wurde wohl ebenfalls von Rüdiger II. Manesse veranlasst; deren Schreiberhand ist identisch mit jener, welche das Korpus von Hadlaub (etwa 240 Strophen) in die Manessische Handschrift eintrug. Damit sind frühere Zweifel betreffs Auftraggeber, Entstehungsort und -zeit der Manessischen Handschrift ausgeräumt.

Quellen und Literatur

  • Codex Manesse: die Gr. Heidelberger Liederhs., hg. von W. Koschorreck und W. Werner, 1975-81
  • Minnesänger: Codex Manesse, hg. von M.V. Molinari, 1983
  • Codex Manesse, Ausstellungskat. Heidelberg, 1988
  • Die Manessische Liederhs. in Zürich, Ausstellungskat. Zürich, 1991
  • R. Gamper, «Der Zürcher Richtebrief von 1301/04», in Alte und Neue Schätze, hg. von A. Cattani et al., 1993, 18-21, 147-151
  • M. Schiendorfer, «Politik mit anderen Mitteln», in ZTb 114, 1994, 1-28
  • F.-J. Holznagel, Wege in die Schriftlichkeit, 1995, 21-120, 140-280
Weblinks

Zitiervorschlag

Max Schiendorfer: "Manessische Handschrift", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.10.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011193/2009-10-27/, konsultiert am 29.03.2024.