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Rokoko

Rokoko (von französisch rocaille, Muschelwerk) bezeichnet eine Mitte des 18. Jahrhunderts geläufige Dekorationsform, deren Leitornamente (asymmetrische Kartuschen, Muscheln) sich häufig an fantastischen Formen aus der Tier- und Pflanzenwelt oder der zeitgenössischen Landschaftsmalerei orientieren und Motive des Wassers (Brunnen, Wasserfälle) oder exotischer Herkunft bevorzugen. Als Stilbezeichnung im 19. Jahrhundert eingeführt, ordnet sich das Rokoko dem umfassenderen Begriff Spätbarock (Barock) unter. Die französische Bezeichnung für Rokoko, nämlich style Louis XV, legt dessen Dauer auf die Jahre zwischen 1730 und 1760 fest. In der Schweiz löste das Rokoko jedoch erst um 1750 den Régencestil (sogenanntes Bandelwerk) ab und hatte seine Blütezeit bis um 1780. Neben Kunsttischler-, Schmiedeeisen-, Hafner-, Goldschmiede- und Silberschmiedearbeiten sowie Skulpturen in Holz und Stuck war vor allem die Stuckdekoration der Decken und Wände in kirchlichen Bauten, Repräsentationsräumen und Wohnbauten der Oberschicht das Hauptmedium des Rokoko. Mit der Stuck- oder der Schnitzwerkrahmung verbunden ist die Decken- und Wandmalerei, deren illusionistische Räumlichkeit mit der Dynamik des Rokokostucks die Raumgrenzen der Architektur zu überspielen vermag. In der Baukunst selbst ist die Bezeichnung Spätbarock dem Begriff Rokoko vorzuziehen. Die rokokotypische Bewegung und Wandlungsfähigkeit kann aber Architekturformen (Fassaden) zum Schwingen und Raumteile (Kirchenräume) zum Ineinanderfliessen bringen.

Die Decke im Chor der Klosterkirche der Kartause Ittingen (Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau, Frauenfeld; Fotografie Konrad Keller).
Die Decke im Chor der Klosterkirche der Kartause Ittingen (Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau, Frauenfeld; Fotografie Konrad Keller). […]

Für die verschiedenen Sparten der Kunsthandwerke sind regionale Schwerpunkte erkennbar: Während in der Westschweiz das Rokoko bald vom Frühklassizismus abgelöst wurde (Salon Louis XVI, Hôtel DuPeyrou, Neuenburg, um 1771) und im Tessin der Stuck des 17. Jahrhunderts wichtig blieb, waren die katholischen, am süddeutschen Rokoko orientierten Gebiete und die Klöster der Ost- und Innerschweiz Zentren der Rokokodekoration. In den reformierten Städten bestimmte das Rokoko die Dekoration der grossen Bürger-, Land- und Zunfthäuser. Täfermalerei findet sich vor allem in der Nordostschweiz, gemalte Wandbespannungen in Zürich. Kachelöfen (Ofenbau) lieferten unter anderem Werkstätten in Zürich, Lenzburg, Muri (AG), Luzern, Beromünster, Solothurn, Steckborn und Freiburg. Einheimisches Porzellan des späten Rokoko stellte die Fabrik in Schooren bei Kilchberg (ZH) her. Das vielfältige Kunsthandwerk beruhte auf Vorlagen, etwa druckgrafischen Ornamentblättern aus Frankreich und Deutschland, aber auch auf zeichnerischen Entwürfen. Die Wand- und Deckenmalerei des Rokoko stammt vor allem im kirchlichen Bereich grösstenteils aus der Hand zugezogener, meist süddeutscher und italienischer Meister (u.a. Franz Ludwig Hermann, Cosmas Damian und Egid Quirin Asam, Domenico Carlone, Giuseppe Appiani). In der Porträtmalerei (u.a. Emanuel Handmann, Johann Melchior Wyrsch), nach der vor allem in den Städten grosse Nachfrage bestand, erinnern oft ein helles Kolorit, das Kostüm der Zeit und ein Hauch von Spontaneität an das Rokoko. Die Werke des Alpenmalers Caspar Wolf zeigen, dass Rokokoformen unter dem Einfluss der Aufklärung rasch abgelöst wurden. In Zeichnungen und Druckgrafik gewannen unter französischem Einfluss Themen der Ländlichkeit und des Genre (Johann Ludwig Aberli, Sigmund Freudenberger) an Bedeutung, am Rande auch eine Prise Exotismus (Jean-Etienne Liotard, Tiberius Dominikus Wocher). In Zürich wurde nicht nur früh Kritik am Rokoko geübt (Johann Caspar Füssli, «Geschichte und Abbildung der besten Mahler in der Schweitz», Bd. 1, 1755), in der Zürcher Druckgrafik finden sich auch überinstrumentierte Rokoko-Dekorationen (Johann Rudolf Holzhalb, «Neujahrsblatt der Musikgesellschaft ab dem Musik-Saal» 1757) und der frühe Ausklang (Salomon Gessner, Titelblatt, «Gedichte» 1762) der Rokoko-Ornamentik in der Schweiz.

Quellen und Literatur

  • M. Lüthi, Bürgerl. Innendekoration des Spätbarock und Rokoko in der dt. Schweiz, 1927
  • H. Landolt, Schweizer Barockkirchen, 1948
  • A. Morel, Andreas und Peter Anton Moosbrugger, 1973
  • R. Vuilleumier-Kirschbaum, Zürcher Festräume des Rokoko, 1987
  • P. Felder, Barockplastik der Schweiz, 1988
  • «Vorlagen und Ideenfluss», in ZAK 46, 1989
  • M.-L. Schaller, Annäherung an die Natur, 1990
Weblinks

Zitiervorschlag

Yvonne Boerlin-Brodbeck: "Rokoko", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.01.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011183/2012-01-05/, konsultiert am 29.03.2024.