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RenaissanceKunstepoche

Nachdem die Romantik in Reaktion auf den Klassizismus die Gotik als eigenwertigen Kunststil etabliert hatte, wendeten Jacob Burckhardt und andere Giorgio Vasaris Rede von einer "Wiedergeburt" der Antike ins Historische und konstruierten eine im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts zentrierte Renaissancekunst und Renaissancekultur. Im Folgenden wird Renaissance nur als kunstgeschichtlicher Begriff behandelt, obwohl der Terminus im 20. Jahrhundert mitunter auch auf die Schweizer Geschichte bezogen wurde (Leonhard von Muralt, George Richard Potter), insbesondere auf den Humanismus, aber auch auf sogenannte Renaissance-Condottieri wie Hans Waldmann. Da allerdings solche Phänomene zumeist in das 16. Jahrhundert fallen und die Schweizer Reformation stark humanistisch geprägt war, ergibt eine eigenständige Epoche Renaissance zwischen Spätmittelalter und Reformation für die allgemeine Geschichte wenig Sinn.

Charakteristika der Renaissancekunst der Schweiz

Die Tatsache, dass man sich nördlich der Alpen erst im 16. Jahrhundert intensiv mit der antikisierenden Manier Italiens auseinandersetzte und diese oft nur in den Ornamenten rezipierte, wurde von der traditionellen Stilgeschichte – so auch von Johann Rudolf Rahn für den Bereich der Schweiz – als "hartnäckiges Festhalten" an einer "entarteten" Gotik bzw. als Formung eines "Mischstils" begriffen (Wilhelm Lübke). Die in der schweizerischen Kunstgeschichte topische und oft durchaus positiv konnotierte Vorstellung von "Stilverspätung" ist indessen irreführend: "Spätgotische" Phänomene wie die Rasterstruktur von Profanbauten können zukunftsweisender sein als antikisch Instrumentiertes.

Als Epochalkategorie lässt sich der kunstgeschichtliche Renaissancebegriff am ehesten für das 16. Jahrhundert verwenden, in welchem sich die nordalpinen Kunstzentren mit den avanciertesten Aspekten der südalpinen Renaissance auseinandersetzten: dem exklusiven Wahrheitsanspruch italienischer Kunst und dem Geniekonzept. Daraus resultierte ein tieferes Verständnis für die Dialektik von Handwerk und Kunst und – parallel zur Formierung nationaler Ideologien – ein Bewusstsein verschiedener möglicher Wahrheitsformen von Kunst.

Auch in der Schweiz zimmerten die Humanisten nationale Mythen, aber die Ablehnung des Fürstlich-Mondänen und die rabiate Bilderfeindlichkeit der Reformatoren verhinderten die Formierung einer konsistenten, als national wahrnehmbaren Hochkunst-Kultur. Dennoch ist die Schweiz des 16. Jahrhunderts aus heutiger Sicht interessant: Mit dem Desinteresse für Stilfragen korrespondierte bei den eidgenössischen Eliten der Wille, aus Motiven unterschiedlicher Kunstkreise bedeutungsstarke, in der brauchtümlichen Topografie verankerte Gebilde zu schaffen. Am deutlichsten wird das in Architektur und Siedlungsbau, aber auch in der Kleinplastik (Bildhauerei) und im Kunsthandwerk. Beispiele dafür sind etwa Figurenbrunnen (Justitiabrunnen in Bern), heraldisch-allegorische Glasscheiben (Glasmalerei), die als Geschenke zwischen den Ständen dienten, und getäferte Stuben mit Kachelöfen; in solchen Genres formte sich auch eine nationale Ikonografie.

Malerei in der nordalpinen Schweiz

Der tote Christus im Grab. Öl auf Leinwand von Hans Holbein dem Jüngeren, 1521-1522 (Kunstmuseum Basel; Fotografie Martin Bühler).
Der tote Christus im Grab. Öl auf Leinwand von Hans Holbein dem Jüngeren, 1521-1522 (Kunstmuseum Basel; Fotografie Martin Bühler). […]

Dem traditionellen Bild einer kunstfreudigen Renaissancestadt kommt das Basel des frühen 16. Jahrhunderts am nächsten. 1515-1532 vermochte dieses Zentrum humanistischer Gelehrsamkeit und des Buchdrucks den Augsburger Hans Holbein den Jüngeren, einen der herausragendsten Künstler seiner Zeit, an sich zu binden. Dessen für einen altgläubigen Basler Bürgermeister gemalte Schutzmantelmadonna wurde im 19. Jahrhundert zum Inbegriff deutscher Renaissance (Darmstädter Madonna). Auch weitere Werke, die Holbein während seiner Basler Zeit geschaffen hat, sind Exempel für gattungsmässige, funktionelle und ikonografische Fortschrittlichkeit, so der nur fragmentarisch erhaltene Freskenzyklus im Basler Grossratssaal mit antiken und alttestamentarischen Szenen, die hypernaturalistische Predelladarstellung des toten Christus, die Serie von Porträts des Erasmus von Rotterdam, die von neuartigen Selbstinszenierungstechniken der Gelehrten zeugen. Der Berner Niklaus Manuel, Schöpfer unter anderem eines kraftvollen Totentanzes, ist Exempel für einen Maler, der sich aktiv für die Reformation engagierte. Während er sein Glück als Notabler und Multitalent machte, brachte die Beschränkung auf Profanmalerei den Zürcher Hans Asper in Not.

Zu den interessantesten Erscheinungen der Profankunst der Renaissance gehört die illusionistische Fassadenbemalung. Dieses Genre, in dem sich die humanistische Tugendlehre mit der Popularität des Theaters verbindet, wurde in der Schweiz von Holbein initiiert; Nachfolgewerke sind in Stein am Rhein (Weisser Adler, von Thomas Schmid) und Schaffhausen (Haus zum Ritter, von Tobias Stimmer, Nachschöpfung) erhalten. Ein rurales Gegenstück bilden die Sgraffito-Dekorationen der Engadiner Bauernpalazzi. Graubünden war auch das Tätigkeitsfeld des naiven und originellen Wandermalers Hans Ardüser dem Jüngeren, der in den Wintermonaten als Lehrer, Chronist und Autobiograf tätig, etliche Wandmalereien hinterliess.

Architektur in der nordalpinen Schweiz

Deutlicher als in der Malerei wird die mehr im Ikonologischen und Typologischen liegende Qualität der Schweizer Kunst in der Architektur. Trotz der zeittypischen Dominanz der Profanarchitektur war aber die Münsterbauhütte des reformierten Bern die einzige grosse und permanente Kunstwerkstatt der Eidgenossenschaft. Der seit 1571 für sie tätige Prismeller Daniel Heintz der Ältere war insofern ein typischer Vertreter der nordalpinen Renaissance, als er sich als Architekt, Ingenieur und Bildhauer betätigte und die Handwerkstradition der Bauhütte mit theoretischem Buchwissen verknüpfte. Bewandert sowohl in der sogenannten geometrischen Kunst (Spät- oder Nachgotik) als auch in antikischer Manier, verwendete er die beiden Modi nach stilikonologischen Gesichtspunkten, den ersten zum Beispiel für eine Wendeltreppe im Basler Rathaus und für das Gewölbe des Berner Münsters, den zweiten für den nicht erhaltenen Lettner desselben Bauwerks sowie für die Fassaden zweier Basler Bauten, der Geltenzunft und des Spiesshofs. Während bei diesen die Verbindung von antikischem Detail und Skelettstruktur typisch nordalpin ist, ist der ab 1556 von Tessiner Künstlern erbaute, später vom Jesuitenkollegium genutzte Ritter'sche Palast in Luzern mit seiner Rustikafassade und seinem toskanischen Loggienhof ein Exempel für Direktimport antikisch-italienischer Manier. Italianisierend ist auch der Wandaufbau des im ausgehenden Jahrhundert erbauten Rathauses von Luzern, nordalpin dagegen der mächtige Dachhut. Die Hauptqualität aber besteht wie auch im späteren, nach Renaissancetraktaten projektierten Zürcher Rathaus in der bedeutungsstarken Verbindung von Architektur und Fluss.

Gartenseite des Ratzehofs (Hôtel Ratzé) in Freiburg (Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf).
Gartenseite des Ratzehofs (Hôtel Ratzé) in Freiburg (Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf). […]

Bezüge zur stark höfisch geprägten französischen Renaissance mit ihrer Verquickung von antikischem Detail, theoretisch systematisierter Steinmetzkunst und architektonischer Ritterromantik finden sich in der Westschweiz, etwa im Freiburger Stadtschlösschen Ratzé (Musée d'art et d'histoire) und in der Neuenburger Maison des Halles mit ihren pittoresken Silhouetten. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Genfer Rathaus mit seinem Rampenturm und seinem aus dem 16. Jahrhundert stammenden Loggienhof.

Zwei Baukomplexe von Weltrang zählt die schweizerische Festungsarchitektur der Renaissance mit dem Munot in Schaffhausen und der Talsperre bei Bellinzona. Beim ersten handelt es sich um eine zylinderförmige Stadtkrone, die 1564-1589 nach Vorlagen Albrecht Dürers angelegt wurde, bei dem zweiten um eine traditionsreiche Anlage aus Burgen und zinnenbekrönten Mauern, die im späten 15. Jahrhundert zu einem Bollwerk Mailands gegen die Eidgenossen ausgebaut wurde, dann diesen aber selbst in die Hände fiel.

Südschweiz

Besonders "italienisch" muten viele Werke der Sakralkunst der Südschweiz an. Bedeutende Reliefs der Frührenaissance verzeichnen die Kirchen in Carona und Muralto. Aus der ansehnlichen Anzahl von Fresken ragt die Passionsdarstellung des Leonardoschülers Bernardino Luini im Luganeser Kloster Santa Maria degli Angeli hervor (Malerei). Zu den Spitzenwerken der lombardischen Renaissance gehört ebenfalls die ab 1517 erbaute Fassade der nachmaligen Kathedrale San Lorenzo in Lugano. Die mit edler Plastik geschmückte Schautafel fungiert hier nicht wie üblich als Platzrückwand, sondern als ein über der Stadt aufragendes Triumphmal. Eine ähnliche, im oberen Teil schon barockisierende Fassade weist die Kollegiatskirche Santi Pietro e Stefano in Bellinzona auf; ihr Kirchenkörper mit Tonne und Querkapellen zwischen eingezogenen Streben stellt ein – isoliertes – Bindeglied zwischen Leon Battista Albertis Sant'Andrea in Mantua und der Kirche Il Gesù in Rom dar. Ein drittes, nochmals ganz anders geartetes Meisterwerk entstand Ende des 16. Jahrhunderts mit Santa Croce in Riva San Vitale, deren überkuppelter Zentralbau mit Kolossalsäulen stilgeschichtlich der Spätrenaissance oder dem Frühbarock zuzuordnen ist. Das architektonische Können der Tessiner Wanderkünstler (Maestranze) kam hier ausnahmsweise der ländlichen Heimat zugute.

Renaissanceformeln in der Barockzeit

Etliche Werke, welche die schweizerische Kunstgeschichte der Renaissance zuordnet – etwa der Freulerpalast in Näfels –, stammen aus dem 17. Jahrhundert, in dessen zweiter Hälfte der Barock sich in der Schweiz durchsetzte. So treten in einigen Bauwerken die schlanken Säulenarkaden auf, die als Leitmotiv der italienischen Renaissance gelten, in Kirchenschiffen (Sachseln), in Kirch- und Klosterhöfen (Luzerner Hofkirche, Franziskanerkloster Werthenstein) sowie im monumentalen Hof des Stockalperpalasts in Brig. Wie bei der sogenannten Spät- und Nachgotik handelt es sich weniger um ein Stilnachleben als um einen bewussten Entscheid, in diesem Fall für ein gleichsam zeitlos gewordenes, mit mediterraner Baukultur assoziertes Motiv.

Quellen und Literatur

  • A. Reinle, J. Gantner, Kunstgesch. der Schweiz 3, 1956
  • Kunstführer durch die Schweiz 1, 51971, 8-12
  • G.R. Potter, «The Renaissance in Switzerland», in Journal of Medieval History 2, 1976, 365-381
  • H. Hipp, Studien zur "Nachgotik" des 16. und 17. Jh. in Deutschland, Böhmen, Österreich und der Schweiz, 1979
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Hauser: "Renaissance (Kunstepoche)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011181/2011-12-23/, konsultiert am 28.03.2024.