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Albrecht vonHaller

16.10.1708 Bern, 12.12.1777 Bern, reformiert, von Bern. Sohn des Niklaus Emanuel (->) und der Anna Maria Engel. 1) 1731 Marianne Wyss, Tochter des Samuel, Spezereihändlers, von Bern, 2) 1739 Elisabeth Bucher, Tochter des Johann Rudolf, Ratsherrn, von Bern, 3) 1741 Sophie Amalie Christine Teichmeyer, Tochter des Hermann Friedrich, Professor der Medizin in Jena. Die kaiserliche Nobilitierung Hallers erfolgte 1749.

Der Bildhauer Hugo Siegwart an der Arbeit am Gipsmodell für die Bronzestatue Albrecht von Hallers. Fotografie, 1907/1908 (Burgerbibliothek Bern).
Der Bildhauer Hugo Siegwart an der Arbeit am Gipsmodell für die Bronzestatue Albrecht von Hallers. Fotografie, 1907/1908 (Burgerbibliothek Bern). […]

Haller besuchte 1718-1722 die Hohe Schule in Bern und studierte 1723 in Tübingen und ab 1725 in Leiden bei Herman Boerhaave und Bernhard Siegfried Albinus Medizin (1727 Dr. med.). Nach Aufenthalten in London und Paris besuchte er 1728-1729 in Basel bei Johann Bernoulli Vorlesungen über Mathematik und betätigte sich als Dozent der Anatomie an der Universität Basel. Anlässlich einer 1728 mit Johannes Gessner unternommenen Jura- und Alpenreise lernte er die Berge, ihre Bewohner und die Pflanzenwelt kennen. 1729-1736 praktizierte er in Bern als Arzt, eröffnete 1735 ein Theatrum anatomicum zur Weiterbildung von Medizinern und unternahm botanische Reisen. Bewerbungen um eine Stadtarztstelle und um eine Professur der Eloquenz blieben erfolglos (1734). 1735 wurde Haller Berner Stadtbibliothekar. 1736-1753 wirkte er als Professor der Anatomie, Botanik und Chirurgie in Göttingen, wo er massgeblich zum Aufschwung der jungen Universität beitrug, das anatomische Institut und den botanischen Garten einrichtete und sich mit intensiver Forschungs- und Publikationstätigkeit einen Namen machte. Vom Kurator der Universität hoch geschätzt, besass Haller einen bedeutenden Einfluss, so 1751 auf die Gründung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften (später Akademie), die er Zeit seines Lebens präsidierte. Bei allem wissenschaftlichen Ehrgeiz erstrebte Haller von Anfang an eine Laufbahn im bernischen Staatsdienst. Mit Unterstützung des Schultheissen Isaak Steiger trat er 1745 in den Berner Grossen Rat ein, dem er in absentia angehörte, bis er 1753 nach Bern zurückkehrte und das Amt des Rathausammanns erhielt, das er bis 1757 versah. 1758-1764 war Haller Direktor der bernischen Salinen in Roche (VD), 1762-1763 zudem Amtsstatthalter von Aigle. Als Mitglied mehrerer Gremien setzte er sich für Reformen im Schul- und Medizinalwesen ein und gehörte zu den Mitbegründern des Waisenhauses. Ausserdem präsidierte er die Ökonomische Gesellschaft. 1764 erwarb er die Herrschaft Goumoens-le-Jux mit dem Dorf Eclagnens und nannte sich fortan "Haller de Goumoëns". Nach langem Zögern lehnte er 1769, als er zum Assessor perpetuus des Sanitätsrates ernannt wurde, eine erneute Berufung nach Göttingen ab. Der Eintritt in den Kleinen Rat blieb ihm trotz mehrerer Kandidaturen zwischen 1764 und 1773 versagt.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Hallers "Versuch Schweizerischer Gedichten" (1732, 111777) in der deutschen Literatur von grosser Wirkung. Haller schilderte das Hochgebirge, stellte das naturnahe Leben der Alpenbewohner den verdorbenen Sitten der Städter gegenüber und übte – wie Beat Ludwig von Muralt – Kritik am Einfluss Frankreichs ("Die Alpen" 1729, "Die verdorbenen Sitten" 1731, "Der Mann nach der Welt" 1733). Mit dem Mut der Aufklärer zog er überkommene Wahrheiten in Zweifel und suchte Halt in der Erkenntnis der Natur, deren Zweckmässigkeit ihn auf den Schöpfer wies ("Über Vernunft, Aberglauben und Unglauben" 1729, "Über den Ursprung des Übels" 1734, "Unvollkommenes Gedicht über die Ewigkeit" 1736). Nach bewegenden Klagegedichten auf den Tod seiner ersten und seiner zweiten Frau, verstummte die Stimme des Dichters; es entstanden lediglich noch einige Gelegenheitswerke.

Hallers naturwissenschaftliche Forschung stützt sich auf möglichst umfassende, durch Beobachtung und Experiment gemachte Erfahrungen, auf die Kenntnis der Literatur und den ständigen Austausch, unter anderem mittels einer ausgedehnten Korrespondenz (erhalten sind ca. 3000 Briefe von Haller und 12'000 an ihn als Adressaten). Als Anatom stellte Haller dank umfangreichem Autopsiematerial erstmals den typischen Verlauf der Arterien im menschlichen Körper dar ("Icones anatomicae" 1743-1756). Die Physiologie verstand er als belebte Anatomie (animata anatome). Zunächst Boerhaave kommentierend und dessen Schriften herausgebend (1739-1744), verfasste er 1747 ein eigenes Lehrbuch, das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts grosse Verbreitung fand ("Primae lineae physiologiae"). Auf Grund zahlreicher Tierversuche wies Haller die Sensibilität den Nerven und die Irritabilität (Reizbarkeit) den Muskeln zu ("De partibus corporis humani sensilibus et irritabilibus" 1752). Einer materialistischen Interpretation dieser Befunde, etwa im Sinne von Julien Offray de La Mettrie, trat er energisch entgegen. Weitere Studien galten der Strömung des Blutes und der Embryonalentwicklung (Bildung des Herzens, der Knochen, Entstehung von Missbildungen). Das ganze anatomisch-physiologische Wissen stellte Haller kritisch sichtend in den "Elementa physiologiae corporis humani" (1757-1766) dar, einem monumentalen Werk, das bis ins 19. Jahrhundert autoritative Geltung behielt.

Alpen-Kratzdistel. Zeichnung von Christian Jeremias Rollin, Stich von Christian Friedrich Fritzsch, beide Mitglieder der Göttinger Akademie (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Alpen-Kratzdistel. Zeichnung von Christian Jeremias Rollin, Stich von Christian Friedrich Fritzsch, beide Mitglieder der Göttinger Akademie (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Als Botaniker gab Haller mit Unterstützung befreundeter Sammler die bis anhin vollständigste Schweizer Flora heraus ("Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum" 1742, "Historia stirpium indigenarum Helvetiae inchoata" 1768). Die Neuerungen Carl von Linnés in Nomenklatur und Systematik lehnte er ab, was der Breitenwirkung seiner Werke abträglich war.

Hallers vielseitige Gelehrsamkeit fand ihren Niederschlag in über 9000 Buchbesprechungen (erschienen meist in den "Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen"), ferner in den vier "Bibliothecae" (1771-1788), in denen er das medizinische Schrifttum von den Anfängen bis zu seiner Zeit verzeichnete und beurteilte. In Romanen und Briefen verteidigte er gegen Rousseau die aristokratisch-republikanische Staatsform ("Usong" 1771, "Alfred" 1773, "Fabius und Cato" 1774) und gegen Voltaire den Offenbarungsglauben, zu dem er nach den Zweifeln der 1730er Jahre zurückgekehrt war ("Briefe über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung" 1772, "Briefe über einige Einwürfe nochlebender Freygeister wieder die Offenbarung" 1775-1777). Albrecht von Haller war Mitglied aller wichtigen Akademien und zahlreicher gelehrten Gesellschaften.

Quellen und Literatur

  • BBB, Nachlass, Korrespondenz
  • Biblioteca Nazionale Braidense, Mailand, Bibliothek, Teilnachlass
  • C. Siegrist, Albrecht von Haller, 1967
  • H. Balmer, Albrecht von Haller, 1977
  • S. Valceschini, Albert de Haller, vice-gouverneur d'Aigle en 1762-1763, 1977
  • Catalogo del Fondo Haller della Biblioteca nazionale Braidense di Milano, hg. von M.T. Monti, 1983-90
  • The Correspondence between Albrecht von Haller and Charles Bonnet, hg. von O. Sonntag, 1983
  • F.R. Kempf, Albrecht von Hallers Ruhm als Dichter, 1986
  • The Correspondence between Albrecht von Haller and Horace-Bénédict de Saussure, hg. von O. Sonntag, 1990
  • M.T. Monti, Congettura ed esperienza nella fisiologia di Haller, 1990
  • Albrecht von Haller in Göttingen: 1736-1753, hg. von U. Boschung, 1994
  • Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724-1777, 2 Bde., hg. von U. Boschung et al., 2002
  • Bibliographia Halleriana, hg. von H. Steinke, C. Profos, 2004
  • Hallers Netz. Ein europ. Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung, hg. von M. Stuber et al., 2005
  • H. Steinke, Irritating Experiments, 2005
Weblinks
Normdateien
GND
VIAF

Zitiervorschlag

Urs Boschung: "Haller, Albrecht von", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.11.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010656/2009-11-05/, konsultiert am 19.03.2024.