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Studenten

Unter Studenten werden Personen beiderlei Geschlechts verstanden, die an einer Universität, einer Akademie, einer Fachhochschule oder einer Eidgenössischen Technischen Hochschule immatrikuliert sind. Die ersten Studenten der Schweiz besuchten die im Hochmittelalter aufkommenden Lateinschulen, welche ihre Schüler auf das Studium an einer Universität oder – wie sie in der Schweiz genannt wurde – Akademie vorbereiteten. Frauen erhielten erst am Ende des 19. Jahrhunderts Zugang zur höheren Bildung.

Vor der Reformation

Bis zur Gründung der ersten Universitäten im Heiligen Römischen Reich, nämlich Prag 1347, Wien 1365 und Heidelberg 1386, gingen die Schweizer vor allem während und nach dem Grossen Schisma an die italienischen und französischen Universitäten. Dabei waren Bologna für Zivilrecht und Paris für Theologie besonders beliebt. Die Gründung der Universität Basel 1460 änderte daran wenig. Während bis zur Reformation ein Drittel der in Basel immatrikulierten Studenten (rund 1600) aus der heutigen Schweiz stammte, studierten fast ebenso viele weiterhin an anderen Universitäten. Die studentische Mobilität war auch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hoch, wie die Schriften Thomas Platters bezeugen. Da die Bildung im Mittelalter vor allem von den Dom- und Klosterschulen angeboten wurde, glichen der soziale Status und die Privilegien der Studenten jenen der Geistlichen. Später kamen allmählich Universitäten als Bildungsstätten auf. Ab dem 14. Jahrhundert wurden die weiterführenden Schulen vermehrt von Laien und Bürgerlichen besucht.

Von der Reformation zur Restauration

Die Reformation veranlasste die katholischen Studenten, nach Freiburg im Breisgau und nach Dillingen auszuweichen. Die Protestanten dagegen erhielten neue Studienmöglichkeiten durch die Gründung der Akademien, an denen Pfarrer und Magistraten ausgebildet wurden. Die Studenten der Akademien stammten meist aus den umliegenden Gebieten, einige kamen aber auch aus anderen reformierten Ländern Europas. Pro Jahr immatrikulierten sich einige Dutzend Studenten. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts erreichten die Studentenzahlen einen Höhepunkt, stagnierten dann und nahmen im 18. Jahrhundert ab. An den Akademien genossen die Studenten weniger Freiheiten als an den Universitäten und besassen weder ein Standesrecht noch einen Sonderstatus. Aus den lückenhaften Daten zur sozialen Herkunft kann geschlossen werden, dass ein grosser Teil der Studenten Söhne von Juristen oder Pfarrern waren oder aus Kaufmanns- und Bankiersfamilien stammten.

Die Studenten, die einen akademischen Titel anstrebten, besuchten weiterhin ausländische Universitäten, neben den bereits erwähnten auch jene in Göttingen, Halle und Leiden. Die katholischen Geistlichen aus der Schweiz erhielten ihre höhere Ausbildung hauptsächlich in den Jesuitenkollegien, insbesondere am eigens dazu gegründeten Collegium Helveticum in Mailand.

Die Studenten im 19. Jahrhundert (1815-1914)

Die politischen Umbrüche der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wirkten sich stark auf das Studentenleben aus. Als neues Phänomen tauchten in dieser Zeit unter anderem Studentenverbindungen auf, die zugleich Ort der Kameradschaft, Karrierenetzwerk und politische Gruppierung liberaler oder radikaler, im Fall des Schweizerischen Studentenvereins katholisch-konservativer Ausrichtung waren.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stagnierten die Studentenzahlen. Im Durchschnitt studierten an einer Hochschule 150 Studenten, wovon die meisten aus der Schweiz stammten. Die Zahlen stiegen danach leicht an, von insgesamt rund 660 1848 auf rund 1000 um 1880. Fast ebenso viele Schweizer studierten im Ausland, hauptsächlich in Paris und an den deutschen Universitäten.

Um 1880 trat mit der Ausweitung des universitären Angebots, der Aufnahme ausländischer Studenten sowie der Zulassung der Frauen zum Studium eine Wende ein. Die drei Neuerungen zeigten an praktisch allen Hochschulen Auswirkungen, mit Ausnahme von Basel, wo nur wenige Ausländer studierten, und von Freiburg, wo sich wenige Frauen immatrikulierten. Bis zum Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der Studenten rapide an. Sie verdoppelte sich alle zehn Jahre und belief sich 1915 auf 8608. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs betrug der Ausländeranteil an Schweizer Universitäten durchschnittlich über 50%, in Genf sogar 80%. Stark vertreten waren Deutsche und Studenten aus dem Osten, so etwa Bulgaren, Russen und Polen (darunter zahlreiche Juden), die aus wissenschaftlichen wie politischen Gründen in der Schweiz studierten. Trotz eines gewissen Missmuts wegen überfüllter Hörsäle und der steten Furcht vor den stark politisierten ausländischen Studenten verfolgten die meisten Universitäten eine Politik der Öffnung, indem sie Kurse für Ausländer anboten, die Immatrikulation erleichterten und Frauen zum Studium zuliessen.

Der Prozentsatz weiblicher Studenten erreichte 1907 mit 25% einen vorläufigen Höchststand. Zürich war 1867 eine der ersten europäischen Universitäten, die Frauen zum Studium zuliess, kurz darauf folgten Genf und Bern. Bis zum Ersten Weltkrieg waren 90% der Frauen, die ihre höhere Ausbildung in der Schweiz absolvierten, Ausländerinnen, darunter zahlreiche Medizinstudentinnen aus Russland.

Von 1914 bis heute

Mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Situation radikal. Anfang der 1920er Jahre verringerte sich die Zahl ausländischer Studenten merklich und pendelte sich in der Folge bei 20-24% ein, was im Vergleich zu den Nachbarländern immer noch ein hoher Anteil war. 1925 zählte man etwas weniger Studenten als 1915, insgesamt 8287. Aber bis 1945 verdoppelte sich die Zahl auf 16'354 und stagnierte dann während zehn Jahren (1955 16'021). Darin widerspiegelt sich die konservative Ablehnung gegenüber einem Elitenwechsel. Daten zur sozialen Herkunft der Studenten sind nur bruchstückhaft vorhanden und lassen sich kaum vergleichen. Gemäss einer Umfrage von 1946 waren die Eltern von einem Drittel der Studenten in freien Berufen tätig, 40% im übrigen 3. Sektor, weniger als 20% in der Industrie und im Handwerk und 5% in der Landwirtschaft. Die konservative Einstellung der Studenten rührte auch von einer entsprechenden ideologischen Ausrichtung der Studentenverbindungen her, die sich zu Beginn der 1930er Jahre den konservativen Erneuerungsbewegungen zuwandten. Zudem waren sie den Männern vorbehaltene Schaltstellen der Macht, die ihre Mitglieder durch Kooptation aufnahmen und politisch einflussreich waren.

Studenten an Schweizer Hochschulen 1890-2010
Studenten an Schweizer Hochschulen 1890-2010 […]

In den 1960er Jahren änderte sich die Situation, als Gruppierungen mit gewerkschaftlicher Ausrichtung auftauchten, die bessere Studien- und Lebensbedingungen forderten (u.a. Stipendien, billige Wohnungen, wissenschaftliche und didaktische Betreuung). Diese Vorläufer der Protestbewegung von 1968 (Jugendunruhen) kämpften gegen die verhärteten universitären Strukturen und stellten die bürgerliche Gesellschaft infrage. Nach 1968 wurden an den meisten Universitäten Organe geschaffen, die es den Studenten erlaubten, an der Verwaltung der Institute mitzuwirken. Die steigende Geburtenrate, die Nachfrage nach Kaderleuten und die Demokratisierung des Zugangs zum Studium führten zu einer rasch wachsenden Studentenzahl, die sich in den 1960er Jahren von 19'852 (1959) auf 39'995 (1969) verdoppelte. Diese Zunahme setzte sich in den folgenden Jahren fort. 1990 waren 85'940 Studenten an Schweizer Universitäten immatrikuliert, 2010 131'524. 2009 stammten 46% der Studenten aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil eine höhere Schule abgeschlossen hatte. Die Eltern von 7% der Studenten hatten bloss die obligatorische Schule besucht. 10% der Schweizer Studenten finanzierten ihr Studium durch ein Stipendium, ein Prozentsatz, der seit den späten 1970er Jahren mehr oder weniger konstant geblieben ist.

Der Anteil ausländischer Studenten betrug 2010 27% bzw. 22% ohne diejenigen, die ihren Schulabschluss in der Schweiz erworben hatten. In den 1950er und 1960er Jahren, als zahlreiche aussereuropäische Studenten in der Schweiz studierten, lag der Ausländeranteil bei 25%. Seit der Einführung des europäischen Aktionsprogramms für die Mobilität von Hochschulstudenten (Erasmus) 1987 stammen die meisten ausländischen Studenten aus den umliegenden Ländern. Nach dem deutlichen, aber kurzzeitigen Zustrom ausländischer Studentinnen in die Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm der Frauenanteil nur langsam zu. 1915 lag er bei 10%, 1935 bei 15%, um danach während eines Vierteljahrhunderts zu stagnieren. In den letzten Jahrzehnten hat er merklich zugenommen: 1960 waren noch 17% der Studierenden Frauen, 1990 39%, 2010 bereits 50%.

Quellen und Literatur

  • Das Frauenstud. an den Schweizer Hochschulen, 1928
  • Schweiz. Hochschulstatistik 1890-1935, 1935
  • S. Stelling-Michaud, «La Suisse et les universités européennes du 13e au 16e siècle», in Schweiz. Hochschulztg., 1938, 148-160
  • M. Sieber, Die Univ. Basel und die Eidgenossenschaft, 1460 bis 1529, 1960
  • Die Studierenden an schweiz. Hochschulen, 1961
  • R. Bolzern, «Das höhere kath. Bildungswesen im Ancien Régime», in ZSK 83, 1989, 7-38
  • U. Im Hof, Der Student im Verlaufe der Jahrhunderte, 1990
  • Hochschulindikatoren Schweiz, 1997
  • S. Castro, Tra Italia e Svizzera: la presenza degli studenti svizzeri nell'Università di Pavia (1860-1945), 2004
  • B. Immenhauser, Bildungswege – Lebenswege, 2007
Weblinks

Zitiervorschlag

Marco Marcacci: "Studenten", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.09.2014, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010429/2014-09-04/, konsultiert am 29.03.2024.