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Universität

Die europäische Universität entstand im 12. Jahrhundert in Bologna und Paris aus der Standardisierung und Formalisierung der mittelalterlichen höheren Bildung, wobei sich das im Zentrum der Universitäten stehende Lehrer-Schüler-Verhältnis zu einer ortsgebundenen Institution entwickelte. Dabei stand der Begriff universitas eher für die rechtliche Verfassung der Lehrerschaft als für die Breite des Lehrgegenstands. Die Universitäten breiteten sich zunächst im französichen, italienischen und spanischen Raum aus, erst im 14. Jahrhundert auf dem Reichsgebiet, so in Prag, Wien, Köln und Heidelberg.

Die Anfänge

Vor 1000 bestand das höhere Bildungswesen in der Schweiz aus Klosterschulen; vom späten 12. und 13. Jahrhundert an kannten die meisten Städte Lateinschulen (Gymnasium). Wie allgemein üblich in Mitteleuropa galten als Lehrinhalte die artes liberales. Die gesellschaftliche Funktion höherer Bildung lässt sich anhand einiger Lernbiografien erkennen; unklar sind aber die Zusammensetzung von Lehrer- und Schülerschaft sowie die typischen Lernverläufe. Im Mittelalter besuchten Studenten aus der heutigen Schweiz vor allem die Universitäten Wien, Heidelberg, Paris und Orléans sowie jene in Italien.

Die Gründung der Universität Basel 1460 folgte der europäischen Dynamik, gleichwohl ist die bürgerlich reichsstädtische Gründung mit dem städtischen Rat als Landesherr einzigartig. Die Universität Basel entsprach dem deutschen Modell mit vier Fakultäten. Nach erfolgreichem Beginn schwächte sie sich ab dem 17. Jahrhundert durch protektionistische Berufungen und die Umwandlung in eine eigentliche Familienuniversität.

Die Reformation brachte in den reformierten Orten für die Ausbildung von theologischem Fachpersonal einen neuen Typ von Hochschule hervor: die Hohen Schulen (Akademien) nach dem Vorbild der 1525 in Zürich von Huldrych Zwingli gegründeten Prophezey. Bern folgte 1528, Lausanne mit seiner Akademie 1537, Genf unter Johannes Calvin 1559. Alle entsprachen einer theologischen Fakultät mit Schwerpunkt Alte Sprachen. Mit der Entwicklung der frühneuzeitlichen Wissenschaften kamen neue, nicht direkt auf die theologische Mission ausgerichtete Disziplinen dazu, in Zürich etwa 1541 Naturgeschichte und 1731 vaterländische Geschichte, in Bern 1718 Recht und 1749 Mathematik. Die Hohen Schulen wandelten sich jedoch nicht zu Institutionen mit mehreren Fakultäten. Deshalb entstanden in Zürich und Bern gegen Ende des 18. Jahrhunderts eigenständige wissenschaftliche Ausbildungsstätten für Medizin und Jurisprudenz, die mit der Gründung der kantonalen Universitäten in den 1830er Jahren zu Fakultäten erhoben wurden.

Im Zug der katholischen Reform wurden höhere Schulen in Luzern, Pruntrut und Freiburg reorganisiert und in Mailand 1579 das Collegium Helveticum als Priesterseminar für die katholische Eidgenossenschaft eröffnet. Mit der Gründung jesuitischer Einrichtungen intensivierte sich ein katholisch ausgerichtetes höheres Bildungswesen, das indessen kaum universitäre Ambitionen erkennen liess bzw. dessen Vorstösse durch die Kirchenoberen blockiert wurden, etwa 1647, als in Luzern ein dreijähriger universitärer Studiengang die nötige Anerkennung der päpstlichen Kurie nicht erhielt.

Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Die europäische Aufklärung beeinflusste die universitäre Bildung und die höhere Berufsbildung in der Schweiz: Der Luzerner Franz Urs von Balthasar forderte 1758 erfolglos ein nationales Bildungsinstitut. Auch scheiterten Versuche, die Universität Basel zu erneuern und als schweizerische Universität zu positionieren. In der Helvetischen Republik kam der Vorschlag einer Nationaluniversität auf. Die vom Unterrichtsminister Philipp Albert Stapfer lancierte Idee blieb unverwirklicht, prägte aber während mindestens eines halben Jahrhunderts die Entwicklung der Universitäten, bevor 1855 mit dem Eidgenössischen Polytechnikum Zürich die bescheidenere Variante einer nationalen Technischen Universität gegründet wurde (Eidgenössische Technische Hochschulen, ETH).

Mit der Mediationsakte von 1803 ging die Schulhoheit an die Kantone zurück. Bern erhob daraufhin 1805 die Hohe Schule zur Akademie, die sich mit vier Fakultäten in Richtung Universität entwickelte, wobei die Wissenschaftsfreiheit und das Promotionsrecht noch fehlten. Die Akademie war aber aus der kirchlichen Aufsicht herausgelöst, stand unter der Leitung einer Behörde, Kuratel genannt, und wurde ins staatliche Bildungswesen integriert. In Zürich blieb die Hohe Schule unter der Dominanz der theologischen Orthodoxie fast unverändert. Für die Ausbildung der Juristen wurde nach dem Vorbild Berns 1807 das Politische Institut geschaffen. Basel unterstellte 1818 die Universität ebenfalls dem Staat. Die Verbindung mit dem Pädagogium genannten Gymnasium blieb indessen bestehen, was die Einheit von Forschung und Lehre nach dem Humboldt'schen Ideal behinderte.

Zu Beginn der Regeneration folgten die in den Kantonen Zürich und Bern gegründeten Universitäten dem Modell der deutschen Reformuniversität. Der Antrag des Kantons Waadt für eine eidgenössische, durch ein Konkordat getragene Hochschule erhielt an der Tagsatzung 1832 keine Unterstützung. Als Spitze des regenerierten kantonalen Schulwesens realisierte Zürich 1833 die Universität Zürich mit garantierter Lehr- und Forschungsfreiheit, mit Promotionsrecht und Nachwuchsförderung sowie einer «co-ordinierten» philosophischen Fakultät (Geistes- und Naturwissenschaften unter einem Dach). Bern reagierte umgehend, wobei der Schritt von der Akademie zur Hochschule kleiner war als die Reorganisation in Zürich. 1834 öffnete die Universität Bern ihre Tore, die grosszügiger als ihr Zürcher Pendant ausgestattet wurde. Beide Universitäten kannten als Neuerung die Standardisierung der akademischen Laufbahn, indem der Status des Privatdozenten eingeführt wurde, während die von Deutschland inspirierte Unterscheidung in ordentliche und ausserordentliche Professuren eher der früheren Struktur von grossen und kleinen Lehrstellen entsprach, nun aber auch als Stationen einer erfolgreichen Laufbahn diente. Ferner profitierten die Universitäten bei den Erstberufungen von der Bereitschaft deutscher Akademiker, aus politischen Gründen in die Schweiz zu kommen.

Eidgenössische Universitäten, Polytechnikum und Hochschulföderalismus

Die Idee einer Nationaluniversität wirkte fast das ganze 19. Jahrhundert nach. Zunächst stand die Universität Basel im Vordergrund. Während der Regeneration richteten sich die Anstrengungen zwar auf die Gründung von kantonalen Universitäten, doch stets mit der Idee, damit die Standortwahl einer zukünftigen eidgenössischen Universität zu präjudizieren. In den folgenden Jahrzehnten ebbten die Diskussionen um den Ausbau kantonaler Hochschulen zu einer schweizerischen Institution nicht ab. Mit der Schaffung des Bundesstaats erhielten solche Überlegungen Aufwind, denn die Bundesverfassung von 1848 ermächtigte die Eidgenossenschaft zur Gründung einer nationalen Hochschule. Bundesrat Stefano Franscini liess zuhanden der Bundesversammlung eine Vorlage ausarbeiten, die eine Bundesuniversität und ein Polytechnikum vorsah. Eine Mehrheit aus Katholisch-Konservativen sowie Vertretern aus der föderalistisch gesinnten Westschweiz und den bisherigen Universitätskantonen lehnte im Nationalrat 1854 die Errichtung einer Universität ab, um danach jener des Eidgenössischen Polytechnikums Zürich zuzustimmen (1855). Letztere entwickelte sich schnell zu einem Zentrum der technisch-industriellen Innovation, wandelte sich jedoch erst 1908 zur Universität mit Promotionsrecht. Dank seiner Hochschulen stieg Zürich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Wissenschaftsstandort von europäischer Ausstrahlung auf.

Studierende an den Schweizer Universitäten 1833-2011
Studierende an den Schweizer Universitäten 1833-2011 […]

Auf der Grundlage der Akademie sowie der Errichtung einer medizinischen Fakultät entstand 1873 die Universität Genf. Obwohl sie sich auf die französische Wissenschaftswelt ausrichtete, unterhielt sie enge Beziehungen zum deutschsprachigen Gebiet, was sich zum Beispiel am grossen Anteil deutschsprachiger Professoren zeigt. In Lausanne erhielt die 1837 grundlegend reorganisierte und aus der Obhut der reformierten Kirche entlassene Akademie 1890 den Rang einer Hochschule (Universität Lausanne). Die Universität Freiburg mit ihrer theologischen Fakultät, im 19. Jahrhundert die einzige katholische Universität der Schweiz, wurde 1889 errichtet. Ihre Vorgängerinstitution war die theologische Fakultät des Kollegiums St. Michael. In Neuenburg schuf der preussische König 1838 eine Akademie. Diese wurde 1848 geschlossen, 1866 wiedereröffnet und 1909 zur Universität Neuenburg erhoben. Die in St. Gallen 1898 eröffnete Handelsakademie wurde 1995 zur Universität Sankt Gallen. Im Bereich der höheren Berufsbildung entstanden in den Kantonen zahlreiche Fachschulen, unter denen das erste, 1874 in Winterthur gegründete Technikum eine Vorreiterrolle übernahm. Die Technika wurden wie die Konservatorien im Unterschied zum Ausland nie als Universitäten bezeichnet. Der Ausbau zu Fachhochschulen erfolgte zwischen 1996 und 2003.

Ausbildung eines Universitätssystems im 20. Jahrhundert

Trotz zahlreicher Anstösse, unter anderem Artikel 27 der Bundesverfassung (BV) von 1874, baute der Bund keine nationale Universität, sondern einzig das Eidgenössische Polytechnikum auf. Hingegen errichteten die Kantone bis 1900 ein dichtes Netz von kantonalen Universitäten, das über mehrere Jahrzehnte stabil blieb. Allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass auch kantonal getragene Universitäten nationale Aufgaben übernahmen, weshalb sich die Frage der Subventionierung durch den Bund stellte. Artikel 27 der BV liess entsprechende Schritte zu, was 1889 zu einer Eingabe der Erziehungsdirektoren führte. Bundesrat Carl Schenk lehnte das Ansinnen jedoch ab. Einer neuerlichen Eingabe 1906 war das gleiche Schicksal beschieden, obwohl die Kantone die stark gestiegenen Kosten für die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer sowie die wachsenden Studierendenzahlen zur Begründung vorbrachten (Studenten). Hatten sich im Sommersemester 1888 an den vier kantonalen Universitäten 1237 Schweizer und 535 ausländische Studierende immatrikuliert, waren es 1904 bereits 2318 inländische und 2706 ausländische, total also 5024 Studierende.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr das Universitätssystem trotz Stabilität wichtige Innovationen. 1952 wurde mit dem Schweizerischen Nationalfonds (NF) eine Instanz zur Förderung der Forschung eingerichtet. Nicht nur standen für die Forschung zusätzliche Ressourcen zur Verfügung, sondern der NF begünstigte auch die Bildung einer nationalen akademischen Elite, die um Mittel konkurrierte. Zu Beginn der 1960er Jahre verlangte eine Motion die Subventionierung der kantonalen Universitäten. Der Bund engagierte sich nun stärker in der Universitätspolitik: Der Bericht der Kommission Labhardt von 1964 machte eine Auslegeordnung, die 1966 zum ersten Bundesbeschluss über die Förderung der kantonalen Universitäten führte. 1968 ermöglichte das neue Hochschulförderungsgesetz erstmals Subventionen, gleichzeitig gewann der Bund an Einfluss. Davon zeugen der 1965 gegründete Wissenschaftsrat und das 1968 gegründete Bundesamt für Bildung und Wissenschaft. Ein Anlauf für einen neuen Hochschulartikel der BV (Artikel 27bis) scheiterte 1973 knapp am Ständemehr. Als aktiver Träger der ETH – 1969 schuf der Bund die zweite ETH, die Ecole polytechnique fédérale de Lausanne – und im Rahmen eines vertikalen Föderalismus mit den Universitätskantonen (Hochschulkonferenz) baute er seinen Einfluss aus. 1980 trafen die Kantone die interkantonale Universitätsvereinbarung, gemäss der sich die Herkunftskantone der Studierenden neu an deren Ausbildungskosten beteiligten. Die steigenden Studierendenzahlen führten auch zu Neugründungen. Nachdem ein Anlauf für eine Aargauer Universität 1973 noch gescheitert war, entstanden 1996 die Universität der italienischen Schweiz und 2000 die Universität Luzern. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erhielten die ETH Zürich und Lausanne sowie die kantonalen Universitäten neue Rechtsgrundlagen, die mehr Autonomie in akademischen, organisatorischen und finanziellen Belangen brachten. Die 1999 von der Schweiz unterzeichnete Deklaration von Bologna zwang die Universitäten zu Reformen, die vor allem auf eine einheitliche Studienstruktur mit Bachelor- und Masterabschlüssen zielten. Die Bestrebungen, diese Neuerungen mit dem BV-Artikel 63a umfassend zu regeln, hiessen die Stimmberechtigten 2006 gut.

Quellen und Literatur

  • R. Deppeler, «Die Unterstützung der kant. Universitäten durch den Bund», in Festgabe Hans von Greyerz zum sechzigsten Geburtstag, hg. von E. Walder et al., 1967, 625-649
  • U. Im Hof, «Die schweiz. Varianten der kleindt. Universitäten», in Festgabe Hans von Greyerz zum sechzigsten Geburtstag, hg. von E. Walder et al., 1967, 592-623
  • R. Bolzern, «Das höhere kath. Bildungswesen in der Schweiz im Ancien Régime (16.-18. Jh.)», in ZSK 83, 1989, 7-38
  • Gesch. der Universität in Europa, hg. von W. Rüegg, 4 Bde., 1993-2010
  • M. Herren, «Die nationale Hochschul- und Forschungspolitik in den 1960er- und 1970er-Jahren», in Bildungsraum Schweiz, hg. von L. Criblez, 2008, 219-250
  • S. Brändli, «Berufungsstrategien als Erfolgsfaktoren», in Professorinnen und Professoren gewinnen, hg. C. Hesse, R.C. Schwinges, 2012, 143-181
Weblinks

Zitiervorschlag

Sebastian Brändli: "Universität", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 28.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010418/2013-01-28/, konsultiert am 19.03.2024.