de fr it

Handels- und Verkehrsschulen

Die Anfänge der Handels- und Verkehrsschulen reichen ins 18. Jahrhundert zurück. In Zürich und Bern wurden 1773 bzw. 1779 Kunstschulen gegründet, unter anderem zur Ausbildung von Kaufleuten. Das sich formierende Bürgertum wollte die Jugend nicht mehr nur im traditionellen Bildungskanon ausbilden, sondern ihr praktisch verwertbare Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln. So entstanden nach 1830 Handelsschulen, oft als merkantilistische Abteilungen an Gymnasien, Industrieschulen oder Realschulen (Zürich 1827, Lausanne 1837, Luzern 1841, St. Gallen 1842, Bern 1856, Frauenfeld 1857, Aarau 1857 usw.). Ziel der Handelsschulen war der gebildete, auf das bürgerliche und öffentliche Leben gut vorbereitete Kaufmann. Im Vordergrund stand in erster Linie die Vermittlung allgemeiner Bildung und eines theoretischen Verständnisses in den Handelsfächern, in zweiter Linie die praktische Vorbildung für den kaufmännischen Beruf. Die Fremdsprachen spielten von Anfang an eine zentrale Rolle. Da die Handelsschulen anfänglich nur männlichen Absolventen zugänglich waren, wurde in Bern 1876 die erste Töchterhandelsschule eröffnet; weitere folgten in Biel (1880), Zürich und Basel (1894), Genf (1898), Freiburg und Chur (1906), Lugano und St. Gallen (1907), Luzern (1908), La Neuveville (1909) usw.

Neben den Handelsschulen entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein anderer Ausbildungsweg für die kaufmännischen Berufe: kaufmännische Fortbildungsschulen, welche sich schliesslich in das System der dualen Berufsbildung eingliederten und die Handelsschulen konkurrierten. Der Bundesbeschluss von 1891 über die Förderung des kaufmännischen Bildungswesens schuf die Möglichkeit, beide Ausbildungswege zu subventionieren. Die Subventionsbedingungen bewirkten bei den meisten Handelsschulen Ausbau und Reorganisation: Sie führten strengere Aufnahmebedingungen ein, verlängerten die Ausbildungszeit auf mindestens drei Jahre, trennten den Unterricht von den übrigen Mittelschultypen und erweiterten den Fächerkanon. Die Etablierung der Handelswissenschaften um die Jahrhundertwende (Gründung der Handelsakademie St. Gallen 1898, Einführung der Handelswissenschaften an der Universität Zürich 1903 und Lausanne 1911) führte zu weiteren Reformen, insbesondere zur Schaffung getrennter Diplom- und Maturitätsabteilungen; letztere führten jedoch nur zur Fakultätsreife. Die Maturitätsabteilungen wurden zur Konkurrenz für die Diplomhandelsschulen und entwickelten sich allmählich zu Wirtschaftsgymnasien weiter. Die seit 1918 diskutierte eidgenössische Anerkennung der Handelsmaturität (Maturität) erfolgte jedoch erst 1972 (Typ E). Mit dem Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung von 1930 wurde die Berufsbildung in der Schweiz auch im kaufmännischen Bereich einheitlich geregelt. Die Handelsschulen galten als sogenannte Fachschulen, das Handelsschuldiplom wurde als Lehrabschlussprüfung anerkannt, das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) hiess 1933 erstmals Normallehrpläne gut. Seit der Einführung der Berufsmaturität 1994 kann das Handelsdiplom als kaufmännische Berufsmaturität anerkannt werden, wobei zur Berufsmaturitätsausbildung ein mindestens 39-wöchiges betriebliches Praktikum gehört. 2005 waren 60 Handelsmittelschulen vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) anerkannt, 52 Schulen boten gleichzeitig die Berufsmaturität an.

Die Handelsschulen nahmen zum Teil auch Vorbereitungsaufgaben für den Verkehrsdienst wahr. Der Bedarf an kompetentem Personal nahm mit dem Aufschwung der Eisenbahnen und der zunehmenden Mobilität ständig zu. In Biel wurde deshalb 1891 dem neu gegründeten Westschweizerischen Technikum eine Eisenbahnschule angegliedert. Durch das Eisenbahnrückkaufsgesetz wurde der Bund 1897 mit der Ausbildung des Personals beauftragt. Die Unterstützung durch den Bund und die Ausdehnung des Ausbildungsauftrages auf den Post-, Telegrafen- und Zolldienst (später auch auf die Flugsicherung) schufen Anreize für weitere Gründungen: St. Gallen 1899, Zürich 1900, Lausanne 1901, Genf 1910, Olten 1912, Luzern 1913 usw. Die Verkehrsschulen vermitteln in einem zweijährigen Lehrgang eine breite Allgemeinbildung mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Fremdsprachen. Auf die Verkehrsschule folgt in der Regel eine Ausbildung bei SBB, Post, Zoll oder Skyguide (bis 2000 Swisscontrol). 1999 wurden vom BBT 14 Schulen anerkannt. Nach Umstrukturierungen bei SBB, Post und Zoll waren es 2005 nur noch drei.

Quellen und Literatur

  • E. Wettstein, Die Entwicklung der Berufsbildung in der Schweiz, 1987
  • U. Mägli, Gesch. der gewerbl. und kaufmänn. Berufsbildung im Kt. Zürich, 1989
Weblinks

Zitiervorschlag

Lucien Criblez: "Handels- und Verkehrsschulen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.07.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010407/2012-07-19/, konsultiert am 28.03.2024.